Die Verschwörungs- und Reichsbürgerszene ist in sich zersplittert und zerstritten. Ausgerechnet der Mannheimer Soulsänger Xavier Naidoo arbeitet daran all diese selbsternannten „Systemkritiker“ zu vereinen. Die „Söhne Mannheims“ als Band von Xavier Naidoo verbreitet seit Jahren Verschwörungstheorien von den Impfgegnern bis hin zur antisemitischen Ritualmordlegende und rufen sogar zum Systemsturz auf. Ganz offen singt Naidoo im antisemitischen Nazijargon von „Baron Totschild“ und unterstützt Reichsbürgerdemonstrationen. Auf einer dieser verteidigte er nicht zum ersten Mal den Rassisten Thilo Sarrazin.
In Social Networks verbreitet sich mit der Überschrift „Deutscher Künstler spricht aus, was viele denken“ ein Artikel aus einem verschwörungsideologischen Online-Magazin über Xavier Naidoo. Weit über die Reichsbürgerszene hinaus wird dieser selbst von Pegida- und HoGeSa-Ablegern begeistert bejubelt. Anhänger des Mannheimer Sängers hoffen nun dass dieser in einer breiten Öffentlichkeit benennt, was er seit Jahren in einer Szenensprache codiert andeutet.
Antisemitismus und Weltverschwörungsglaube
Um zu verstehen worin es in der Kritik an Xavier Naidoo geht, muss man wissen, dass Verschwörungstheorien ein Kern von extrem rechter Ideologie ist. Kernelement der Ideologie von Adolf Hitler und der NSDAP war der Glaube an eine angebliche jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung. Diese führte schließlich dazu was die Nazis euphemistisch „Endlösung der Judenfragen“ nannten, was praktisch die Ermordung aller Menschen bedeutete, die die Nazis als Juden definierten. Dieser Massenmord, die Shoah, wurde erst 1945 mit der Befreiung Deutschlands durch die Streitkräfte der Alliierten gestoppt. Bis dahin ermordeten die Nazis und ihre Mittäter systematisch etwa 6 Millionen Juden.
In den Politik- und Sozialwissenschaften werden unterschiedliche rechte Einstellungen differenziert. Diese können Beispielsweise Antisemitismus, Antiislamismus/Islamfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit/Rassismus, Chauvinismus (Nationalismus), Sozialdarwinismus/Wohlstandschauvinismus, Befürwortung einer (rechts)autoritären Regierungsform und Verharmlosung (bzw. Verherrlichung) des Nationalsozialismus sein. Es kann also auch jemand der sich gegen Rassismus engagiert antisemitische Einstellungen verbreiten oder jemand der sich gegen Antisemitismus engagiert rassistische Einstellungsmuster zeigen.
Xavier Naidoo beschreibt in mehreren Interviews wie er als Kind und Jugendlicher Betroffener von Rassismus wurde. Dies hinderte ihn aber 2009 nicht daran in seinen Song „Raus aus dem Reichstag“ an eine antisemitische Verschwörungstheorie der NSDAP anzuknüpfen:
„Baron Totschild gibt den Ton an und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock ist’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.“
Drei eindeutige antisemitische Sprachcodes in zwei Sätzen unterzubringen ist fast schon genial. Mit „Baron Totschild“ spielen etwa auch Neonazis auf die jüdische Bankiers-Familie Rothschild an, denen schon die Nazis unterstellten, hinter dem Federal Reserve System (FED) und damit hinter dem Banken- und Zinssystem zu stehen, dem in verschwörungsideologischer Manier die Schuld am allen sozialen Missständen und Kriegen der Welt gegeben wird. Das Wort Schmock wird spätestens seit dem Lustspiel „Die Journalisten“ von Gustav Freytag abwertend für jüdische Journalisten oder jüdische Snobs verwendet. Auch der schlaue Fuchs ist seit dem nationalsozialistisch-antisemitischen Kinderbuch „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid!“ von Elvira Bauer eindeutig antisemitisch konnotiert.
Wer solche Songzeilen wie Xavier Naidoo in seinem Album „Alles kann besser werden“ verbreitet, dürfte ein Antisemit sein. So wundert es nicht, dass sich Auszüge aus Naidoos Liedern und Aussagen seit Jahren in antisemitischen Kreisen und Netzwerken wie „TruTube“ verbreiten. Dort wird unter anderem der Holocaust geleugnet und gegen jüdische Menschen gehetzt.
Obwohl dies bereits alles bekannt, wird es dennoch von einer breiten Öffentlichkeit unterschätzt. Die Jury des Negativpreises das „Goldene Brett vorm Kopf“ warnten ausdrücklich bei der Verleihung vor dem Mannheimer Soulsänger und dessen Engagement als Einstiegsdroge in ein ganzes Geflecht aus abstrusen Verschwörungstheorien, die sehr gefährlich werden können.
Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims geben sich sehr christlich. Bereits im Juni 1999 sprach Naidoo im Interview mit dem Musikexpress unter anderem von einer Apokalypse und von Mannheim gegen Amerika, das laut ihm untergeht wie Atlantis. Vielleicht wäre Xavier Naidoo wenn er nicht so ein erfolgreicher Musiker wäre, längst Mitglied einer christlichen Untergangs-Sekte.
In dem Interview bezeichnet er Musik als seine Waffe und erzählt, dass er nicht zum Arzt geht. In Deutschland sterben Kinder, weil Eltern diese nicht gegen Masern impfen lassen oder auf obskure Heilsversprechen wie auf die antisemitisch begründete „Neue Germanische Medizin“ hereinfallen.
Alleine schon dies vermutlich ein Grund dem Mannheimer Popstar keine Bühne für seine kruden und gefährlichen Thesen zu geben.
Die Verschwörungsideologie von Xavier Naidoo und den Söhnen Mannheims
Einen tiefen Einblick in die Verschwörungstheorien des Xavier Naidoos und seinen Söhnen Mannheims bietet – in unschuldige Frageform verpackt – das Musikvideo Ist es wahr (Aim High):
„Ist es wahr, dass dunkle Mächte euch beinflusst haben? Ist es wahr, dass wir als Volk keinen Einfluss darauf haben?“ fragt Naidoo, während im Video ein Wahlkampfstand, umringt von Kindern, zu sehen ist. Kurz darauf zeigt das Video einen Arzt, der ein Kind impfen will – und im Karton mit dem Impfstoff ein Yacht-Prospekt findet. Dazu textet Naidoo abermals anscheinend unverfängliche Fragen:
„Ist es wahr, dass ihr denkt, unser Leben ist eh nichts wert? Ist es wahr? Auf eurer Seite ist alles so elitär. Ist es wahr, dass ihr uns vergiftet und verführt? Wenn es wahr ist, ist es klar, dass ihr kein Mitleid mehr verspürt.“
Die Fragen sind nur vorgeblich offen, die Antwort steht eigentlich schon fest: ja, die Ärzte sind korrupt, und Impfungen haben das Ziel, die Menschen zu vergiften. Ein ganzes Panoptikum an Verschwörungstheorien bietet das Lied Life von Naidoos Band „Söhne Mannheims“ aus dem Jahr 2009:
„Until a
time when your mind can be set free
And HARP programs do not affect me
Chem trails in the air can't even breathe
And it seems even angels got HIV
Lost in Babylon captive to mother earth”
In einem Video aus 2010 beantwortet Naidoo Fragen von Fans—und auch hier zeigt sich, wie tief er schon damals in einer Welt versunken war, die nur noch wenig mit der Realität zu tun hat:
„Und deswegen, bei ,Ruth Maude' natürlich der größte Mann, den ich da angreife, ist natürlich Helmut Schmidt. Weil ich eben erfahren haben, dass er der erste Politiker war, der sich auf ein ,Bohemian Grove'-Treffen in Amerika gewagt hat, sag ich mal. (...) Das kann nix Gutes bedeuten. (...) Naja, eigentlich alle großen Politiker, die wir alle so toll fanden entlang unseres Großwerdens, sind eigentlich alles nur Lakaien und Marionetten.“
Die Geschichten und Theorien, die sich um „Bohemian Grove“ ranken, sind ein Musterbeispiel für Verschwörungstheorien.
Die permanente Bedrohung durch eine geheime Macht im Hintergrund, die in Naidoos Texten und seinen politischen Auftritten mitschwingt ist geeignet, um leichtgläubige Menschen zu radikalisieren. Denn gegen eine derart übermächtige Gefahr erscheint jedes Mittel der Gegenwehr gerechtfertigt zu sein.
(R)evoluZion
Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims gehen in ihren Texten noch weiter. Mit dem Song „Babylon System“ rufen sie zum Systemsturz auf. Dabei stellen sie in antimoderner Manier das vermeintlich gute „Zion“ gegen das vermeintlich sündige „Bayblon System“. Ein Freund-Feind-Schema, das auch bei Nazis ankommt und Anknüpfungspunkte an den christlichen Antisemitismus bietet. Über „Babylon“ als Bild für die westliche Zivilisation in HipHop und Reggae schrieb bereits 2005 der Historiker Jan Buschbom vom Violence Prevention Network für die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung.
Nachdem Xavier Naidoo am 3. Oktober 2014 eine Reichsbürgerdemonstration vor dem Reichstag unterstützte, hielt er auch eine Rede auf einer zweiten Demonstration. Diese wurde vom damaligen „AK Berlin“ um Carsten Halffter und dem Reichsbürgeraktivisten Christoph Kastius sowie um den Chefredakteur des Querfrontmagazins Compact, Jürgen Elsässer, organisiert. Mit der Parole „EVOlution“ wurde zu dieser mobilisiert. Wenige Wochen später rief der christliche Reichsbürgeraktivist Denis Baron mit „RevolutZion“ zum Bundestagssturm auf.
Ebenso deutlich wurde der Gitarrist der Söhne Mannheims, Andreas Bayless, am 22. März 2015 auf Faceboook, als er einen Artikel beim Teilen mit „(R)evoluZion!!!“ überschrieb. Das aktuelle Best of Album der Söhne Mannheims heißt „EvoluZion“.
Auf antisemitischen und verschwörungsideologische Websites und Foren stößt man auch beim Googeln der Parole „Wach auf Deutschland“. Diesen Schriftzug trug der DJ der Söhne Mannheims, Billy Davis, in der Vox-Musiksendung „Meylensteine" in Gold auf seinem schwarzen Shirt.
Nachdem Xavier Naidoo sich offensichtlich in einem Mischspektrum aus Erweckungschristen, Truthern, Rechts-Libertären, antisemitischen Grüppchen und Reichsbürgern bewegt, bekommen die religiösen und politischen Bezugspunkte der Söhne Mannheims noch eine deutlichere Brisanz.
„Ich will kein Blut. Ich setze meine Musik als legale Waffe ein. Meine rechte Hand schreibt meine Texte - und die sind gesalzen. Ich habe etliche Texte noch nicht veröffentlicht, weil ich weiß, daß sie zu kraß rübergekommen wären“, erzählte Naidoo in dem oben genannten Interview mit dem Musikexpress.
Um ihre aktuelle CD zu bewerben schreiben die Söhne Mannheims auf ihre Homepage: „Evoluzion auf dem Vormarsch - mit der Frage „Was Ist Geblieben“? Steht auf, zeigt Flagge mit dem Video zur ersten und neuen Single des Best Of Albums!“. In dem verlinkten Musikclip ist dann Xavier Naidoo auf einer vermeintlichen „Friedensdemo“ zu sehen. Die einzigen zwei, auf denen er bisher war, waren antisemitisch. Zudem tritt Xavier Naidoo weiterhin mit seiner „Freiheit für Deutschland“-Parole auf dem Shirt bei Konzerten der Söhnen Mannheims auf.
Dabei betont der Mannheimer Sänger doch stets die Liebe und den Frieden. Singt aber andererseits auch Songzeilen voller Gewaltphantasien (vgl. Publikative.org) wie zusammen mit dem Rapper Kool Savas in „Wo seid Ihr jetzt?“: „Ich schneide Euch jetzt mal die Arme und die Beine ab und dann fick ich Euch in’n Arsch, so wie Ihrs mit den Kleinen macht […] Warum liebst Du keine Möse? Weil jeder Mensch doch aus einer ist […] Wo sind unsere Helfer? Unsere starken Männer? Wo sind unsere Führer? Wo sind sie jetzt?“.
Einige seiner Anhänger warten voller Hoffnung darauf, dass Xavier Naidoo seine verklausulierten politischen und religiösen Botschaften aus seinen Songs und Aussagen endlich einer breiten Öffentlichkeit erklärt. Verbreitet wurden diese bereits millionenfach, verstehen tun diese aber bisher nur die Fankreise des Mannheimer Sängers, die sich in religiösen, verschwörungsideologischen und antisemitischen Foren austauschen.
Potenzielle rechtsterroristische Gruppen
Fünf Jahre, nachdem Naidoo den Bundespolitiker „Raus aus dem Reichstag“ entgegen schmetterte, unterstützte er am deutschen Nationalfeiertag eine Demonstration vor dem Reichstag in Berlin – zusammen mit den vorbestraften ehemaligen NPD-Kader Rüdiger Klasen und dessen „Staatenlos“-Gruppe sowie mit „Regierungsmitgliedern“ des Fantasiestaats „Freistaat Preußen“ . Aus deren Umfeld wurde dabei wieder einmal zum „Sturm auf den Reichstag“ sowie zum gewaltsamen Sturz der Bundesregierung aufgerufen.
Mit wem da Xavier Naidoo laut seiner eigenen Rede gemeinsam das System zum Sturz bringen und eine neue Ordnung aufbauen will, machten Razzien einige Wochen später mit Einsatzhundertschaft und SEK bei Anhängern der Reichsideologen vom „Freistaat Preußen“ deutlich. Diese wollten sich laut Ermittlungsbehörden Kriegswaffen im Ausland besorgen, um eine eigene „Polizeigruppe“ aufzubauen (vgl. Neue Westfälische Zeitung).
In Antworten auf Presseanfrage hierzu verweisen Vertreter des „Freistaats Preußen“ auf den Mannheimer Soulsänger (vgl. Die Welt). Bereits 2012 unterlegte die selbsternannte „Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen“ ein Propagandavideo mit dem Song „IZ ON“ der Söhne Mannheims. Zuvor hatte die „Reichsbewegung“ in rassistischen Briefen an jüdische und muslimische Organisationen Gewalt angedroht, falls Juden und Jüdinnen, Muslime und Muslimas und schwarze Menschen Deutschland nicht verlassen.
Während Neonazis gegen ein angebliches „Zionist Occupied Government“ (ZOG) demonstrieren und „Truther“ gegen eine „Neue Weltordnung“ (NWO) mobilisieren, singt der Popstar Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims gegen das „Babylon-System“ an. Inhaltlich ist das ein ähnliches Feindbild: Eine herbeifantasierte geheime jüdische Weltregierung. Der Sänger und seine ehemalige Band transportieren dabei Antisemitismus und rufen zum Systemsturz auf (vgl. Publikative.org).
Nicht nur Reichsbürger, die Anleitungen zum Aufbau von „Freien Reichsstreitkräften“ und rechtsterroristische Zellen verbreiten (vgl. Publikative.org), sondern auch die gewaltbereiten Hooligans der HoGeSa-Abspaltung „Gemeinsam-Stark Deutschland“ (GSD) und die antimuslimische „German Defence League“ (GDL) beziehen sich positiv auf Naidoos nationalistischen und antiamerikanischen Verschwörungstheorien.
Antisemitische Verschwörungstheorien
Am 24. Oktober 2011 war Xavier Naidoo im ARD-Morgenmagazin zu Gast. Dort wurde er gefragt, ob er sich in Deutschland frei fühle. Naidoo nutzte diese Gelegenheit um zu antworte: „Aber nein, wir sind nicht frei, wir sind immer noch ein besetztes Land! Deutschland hat noch keinen Friedensvertrag und ist dementsprechend auch kein echtes Land und nicht frei“. In der Reichsbürgerszene wurde er für diese Verbreitung einer derer Kernthesen gefeiert. Bereits damals trug der singende Politaktivist sein schwarzes Shirt mit der nationalistischen Reichsbürger-Parole „Freiheit für Deutschland“ in Weiß.
Dieses trug er auch bei seiner zweiten Rede auf seiner zweiten Demo am 3. Oktober 2014. Diese wurde vom damaligen „AK Berlin“ um Carsten Halffter und dem Reichsbürgeraktivisten Christoph Kastius sowie um den Chefredakteur des Querfrontmagazins Compact, Jürgen Elsässer, organisiert (vgl. Tagesspiegel). Der Fernsehsender „Vox“ dichtete diese rechte und antisemitische Demo (vgl. ngn) später in der Naidoo-Sendung „Bei meiner Seele - 20 Jahre Xavier Naidoo“ zu einer „linken Friedensdemo“ um. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, wie über den Mannheimer Pop-Barden antisemitische Demonstrationen vor einen Millionenpublikum gesellschaftsfähig gemacht werden.
Auf dieser rechten Versammlung rief Xavier Naidoo dazu auf, sich nicht spalten zu lassen und gemeinsame Sache mit den Reichsbürgern zu machen, bevor er seine Songzeilen „Was wir alleine nicht schaffen / Das schaffen wir dann zusammen“ anstimmte.
Frei sein?
In diesem Jahr tourt der Sänger unter dem Motto „Frei Sein“ durch Österreich und Deutschland. Bei Konzerten mit den Söhnen Mannheims trägt er weiterhin sein schwarzes Shirt mit der Aufschrift „Freiheit für Deutschland“. In der nationalistischen Szene wird diese Botschaft verstanden. Die passenden Shirts zu „Frei Sein“ gibt es im Xaviers Shop.
„Frei Sein“ könnte aber auch eine Anspielung auf die Sekten und Grüppchen um OPPT (One People's Public Trust), die I-UV-Bewegung (I Universal Value, auf Deutsch "Ich Universeller Wert") und die selbsternannte „Freeman“-Bewegung mit ihren angeblichen „freien und souveränen Menschen“ sein (= Vereinigungen, die dafür eintreten, dass es keine Staaten, Regierungen, Banken mehr geben soll). Deren Anhänger sind quasi die nordamerikanische Variante der Reichsbürger, die aber auch einen Ableger in der österreichischen Ortschaft Hollenbach zu etablieren versuchen und damit Polizei und Justiz beschäftigen (vgl. den über Reichsbürger_innen aufklärenden Blog "Sonnenstaatland" und nachrichten.at). Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims scheinen eine Vorreiterrolle darin zu haben, deutsche, US-amerikanischen und internationale Verschwörungstheorien zu vermischen. Diese werden von antisemitischen und verschwörungsideologischen Grüppchen hierzulande aufgenommen und in deren jeweilige Ideologie eingebunden. Der „OPPT/UCC (Uniform Commercial Code = heimliche "Weltordnung" des Handels)“-Trend ist inzwischen auch bei zahlreichen deutschen Reichsbürgergrüppchen angekommen.
Der Antisemitismus sitzt tief
Auch die Figur des „Schmocks“, auf die Naidoo in seinem Song „Raus aus dem Reichstag“ zurückgreift, steht in der Tradition des historischen Antisemitismus. Das Wort stammt aus Gustav Freytags Lustspiel Die Journalisten von 1853 und ist der Name eines gesinnungslosen jüdischen Journalisten, den Freytag mit allerlei antisemitisch-biologistischen Klischees auflädt, um zu zeigen, dass die Juden von Natur aus schlecht sind.
Für die seit letzten Frühjahr immer lautstärker in Erscheinung tretende Verschwörungstheoretiker-Szene ist Naidoos Lied ein gefundenes Fressen. Kurz nach dem Beginn der so genannten Montagsmahnwachen, die von Beginn an mit Theorien über die Macht der Rothschilds aufwarteten, erklärte die Seite Anonymous.Kollektiv, die von einer Einzelperson betrieben wird und nichts mit den ursprünglichen Idealen von Anonymous zu tun hat, „Raus aus dem Reichstag“ zur Hymne des Widerstands.
Das Lied passt gut zu den übrigen Inhalten von Anonymous.Kollektiv: immer wieder macht die Seite Stimmung gegen Israel, verbreitet dazu beispielsweise einen Auftritt von Jürgen Elsässer auf einer Friedensmahnwache, in dem dieser angebliche zionistische Kriegsverbrechen anprangert und Deutschland ganz im Sinne der Reichsbürgerbewegung zu einem besetzen Land erklärt. Auch die These von der angeblich besetzen Bundesrepublik hat Xavier Naidoo wiederholt öffentlich vertreten.
Subtiler, aber ebenfalls in historischer Tradition steht die Zinskritik in Naidoos Lied Verschieden. Im Musikvideo wird je ein Zookäfig für Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama, eingerichtet als Amtszimmer, gezeigt. Zu diesen Bildern singt Naidoo:
„Zins und Zinseszins haben ausgedient. Die CDU hat ausgedient. Angela Merkel hat ausgedient. Sie werden gebeten, aus ihren Geschäftsräumen auszuziehen. Zins und Zinseszins haben ausgedient. Die USA haben ausgedient. Barack Obama hat ausgedient. Sie werden gebeten, aus ihren Geschäftsräumen auszuziehen.“
Die Brechung der Zinsknechtschaft war ein wichtiges Thema der nationalsozialistischen Wirtschaftstheorie. Im Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes rechnet Gottfried Feder vor, wie sich das Vermögen der Rothschilds durch Zins und Zinseszins vermehren würde, bis es „das gesamte deutsche Nationalvermögen schon weit übertreffen“ würde.
Das Vermögen der Waffenschmiede Krupp, welches „für unser Volk Wehr und Waffen“ bedeute, steige nur bis zu einer gewissen Sättigung des Kapitals an, aufgrund „zähester, zielbewußtester Arbeitsleistung“. Die Rothschilds hingegen profitierten Dank Zins und Zinseszins von „mühe- und endlosem Wertzuwachs“. Feder stellt hier den für den historischen Antisemitismus typischen Gegensatz von raffendem und schaffendem Kapital auf.
Der Rechtsextremismusexperte Jan Buschbom vom Violence Prevention Network sieht diese Texte Naidoos in dieser Tradition verwurzelt. Der Zins, so Buschbom, ist in dieser Ideologie eine Art jüdisches Machtinstrument, um die deutsche Bevölkerung zu knechten und zu beherrschen.
Die Welt in Xavier Naidoos Liedern ist bedrohlich
„Ihr wart dem Abgrund noch nie so nah und lauft mit großen Schritten auf ihn zu. Manche von uns sehen es klar, wir brauchen gar nichts mehr dazu zu tun.“
(Abgrund)
Das Musikvideo zu „Abgrund“ zeigt eine dystopische Gesellschaft, in der jegliche Individualität fehlt und die Menschen blind einem als Führer dargestellten Politiker folgen, arbeiten und konsumieren. Nur eine kleine Gruppe von aufgewachten Menschen – als deren Anführer ein Comic-Xavier zu sehen ist, hat die Situation erkannt und weiß, was zu tun ist. Heldenhaft durchtrennt der Xavier ein Kabel, und das überlebensgroße Bild des Führers verschwindet von den Bildschirmen, vor denen die tumbe Masse in Reih und Glied steht. Augenblicklich flüchtet der Führer und seine schwer bewaffneten Personenschützer, und die Menschen vor den großen Bildschirmen wachen aus ihrer Abhängigkeit auf. Zu diesen Bildern singt Naidoo einen Text, der sich gegen Demokratie und Staatlichkeit richtet:
„Und jetzt scheiß ich auf eure Demokratie, ich glaub’ so ungerecht wie heutzutage war sie noch nie. Ich scheiß’ auf Diäten mit Jojo-Effekt. Ihr wollt auf’s Volk scheißen und denkt ihr werdet sauber geleckt. Wem’s schmeckt… Ich hab kein’ Bock auf eure ungerechten Steuern, genauso gut könnt’ ich mein Geld im Backofen verfeuern!“
Den Politikern wird in dem Lied ein „barbarischer, hässlicher Sturz“ angekündigt – ein Sturz, der im Musikvideo zu Babylon System in die Tat umgesetzt wird. Darin erklärt Naidoo alle Staaten, mit Ausnahme des Ameisenstaates, zu seinem Feind – während ein Mob randalierend durch die Straßen zieht, Autos zerstört und Polizisten angreift. Auch in diesem Video inszeniert sich Naidoo wieder als jemand, der über den Dingen steht – erst als die Massen die Polizei vertrieben und ein gut gesichertes Gebäude erstürmt haben, tritt Naidoo in die bereits gefallene Festung des verhassten Systems ein. Der Text lässt dabei keinen Zweifel, dass das zu beseitigende System die Bundesrepublik ist:
„So sind die Aussichten eines optimistischen Mannes. Ich renn’ euch den Bundestag ein, trotz des Ein-Meilen-Bannes. Mit Michel und Hannes. Und glaubt mir, ich kann es, im Falle des Falles.“
Die Texte Naidoos speisen sich aus einem unbedingten Endzeitglauben. Armageddon, so erklärte Naidoo bereits 1999 in einem Interview habe bereits 1992 begonnen. „Denn das war das Jahr, in dem ich erstmals in der Bibel las.“
Die Apokalypse, so der Künstler, sei eigentlich nicht mehr aufzuhalten. Auch Babylon war bereits in diesem Interview ein Thema – neun Jahre vor der Veröffentlichung von „Babylon System“. Für Naidoo ist Babylon ein Synonym für die westliche Welt, die wie das sagenhafte Atlantis dem sicheren Untergang entgegengeht. Babylon sei Überall, in Amerika, Frankfurt, London und Tokio. „Aber Amerika und Tokio sind ganz oben auf der Abschußliste.“
Inhaltlich, so Jan Buschbom in einer Analyse für die Landeszentrale für politische Bildung Brandenburg, komme Xavier Naidoo mit seinem Lied „Babylon System“ den Liedern neonazistischer Autoren nahe.
Zu der inhaltlichen Nähe ist letztes Jahr noch eine sehr konkrete, physische Nähe gekommen. Naidoo beehrte am 3. Oktober zwei Demonstrationen vor dem Reichstag und dem Bundeskanzleramt mit seiner Anwesenheit. Auf der Demo von Staatenlos.info, einer Gruppe um den vorbestraften ehemaligen NPD-Kader Rüdiger Klasen, die die Bundesrepublik für eine Nazi-Kolonie hält, die von den USA gesteuert wird. Vor diesem Klientel hielt Naidoo eine „revolutionäre“ Rede:
„Wir schauen zu Gandhi und sehen: einer alleine hat schon die Macht, das Land zum Sturz zu bringen. Und wenn wir uns vereinen, und wenn jetzt sogar ein paar hundert hier sind, dann muss es uns doch auf jeden Fall gelingen.“
Ein Aufruf, den Staatenlos.info stolz verbreitet. Die ideologischen Ähnlichkeiten zwischen Staatenlos.info und Naidoo sind dabei erschreckend: beide halten Deutschland für besetzt, beide beklagen den angeblich fehlenden Friedensvertrag nach dem zweiten Weltkrieg – und beide sehen die „Thotschilds“ als die heimlichen Herren der Welt an, die die Menschheit ins Elend stürzen.
Doch die inhaltlichen Überschneidungen zwischen Naidoo und der Klasen-Truppe reichen noch weiter. So ist auf Klasens Internetseite die Rede von einem angeblichen Plan zur Schaffung einer Neuen Weltordnung, deren Ziel die Reduktion der Bevölkerung sei. „Die Elite“ plane eine „Zukunft ohne Menschen“. Zum Beispiel durch Impfungen und Chemtrails. Fantasien, die Naidoo galant in ein Liebeslied verpackt:
„Glaub’ nicht den Berichten, den falschen Geschichten. Die Wahrheit ist: Sie wollen uns vernichten. Schon lange hegten sie diesen Plan.“
Auch in den Fangruppen von Naidoos Facebookseite finden sich radikale Inhalte – zum Beispiel der Aufruf, der Reichtstag und alles „was sich da drin rum treibt“ müsse „weg“. Dazwischen: immer wieder Verschwörungstheorien, Aufrufe zu Demonstrationen, Reichsbürgerideologie.
Naidoos „Engagement“ dürfte auch nach der Preisverleihung weitergehen. Im November gab es ein Treffen zwischen ihm, Ken Jebsen und Pedram Shayar – Anschluss an zwei wichtige Protagonisten des „Friedenswinters“, bei dem sich linke, rechte und Verschwörungstheoretiker gemeinsam vor dem Schloss Bellevue treffen, hätte er damit gefunden. Denkbar, dass Naidoo wieder in Berlin auftreten wird – in jedem Fall werden Naidoos Verschwörungsfantasien in den Köpfen der Demonstranten präsent sein.
Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims propagieren derweil weiter die globale antisemitische (R)evoluZion.
Siehe zudem: Auch Antisemitismus ist Xavier Naidoo nicht fremd: Externer Link
Babylon und Zion
Es würde mich ja schon interessieren, ob diese Wirrköpfe irgendwie argumentativ darlegen könnten, wie sie dazu kommen, die Rede von Babylon (Inbegriff der Erfahrung von Unterdrückung und Exil des alten Israel schlechthin) und Zion (Wohnsitzt JHWHs, des G'ttes Israels) derart enthistorisiert für ihre krude antisemitische Ideologie zu pervertieren...
danke!
sehr gut recherchiert, danke für eure arbeit!
An die rassistischen Arschlöcher die meinen hier kommentieren...
...zu müssen: Anders als ihr teilem diejenigen die ihr hier als „Linke“, wahlweise auch als „Gutmenschen“ etc. bezeichnet, Menschen nicht alleine aufgrund ihrer Herkunft in „Gut“ oder „Böse“ ein.
Die Gesellschaft, die Kapitalinteressen, die Wirtschaft, die Menschen sind widersprüchlich. So widersprüchlich das ein Betroffener von Rassismus meint in Liebe auf Reichsbürger und Nazis zugehen zu müssen und euch ernsthaft als „Systemkritiker“ in einen gemeinsamen Kampf gegen ein System sieht, dass es in der Realität so nicht gibt.
So widersprüchlich, dass die rechte Szene dazwischen schwankt ihn aus rassistischen Gründen abzulehnen und ihm zuzujubeln. So widersprüchlich, dass die NPD gerade den Spagat versucht ihn einerseits rassistisch zu markieren und ihn gleichseitig als Leumund gegen die angebliche Hochfinanz und Besatzungsmächte und für die vermeintliche nationale Souveränität zu behalten.
Weil ihr nicht mit gesellschaftlichen Widersprüchen klar kommt braucht ihr Führer. Zum Glück hindert euch euer Rassismus daran euch hinter Xavier Naidoo zu versammeln. Die Waschlappen der NPD scheinen für auch dafür aktuell auch kein geeignetes Personal zu bieten und Herrn Lucke wart ihr zu wenig elitär. Geht also bitte offline und weint euch aus.
Falls ihr doch auf die Straße geht, heißt antifaschistischer Widerstand notfalls auch euch die Fresse zu polieren, bevor ihr antisemitisch mit Naidoo irgendwas stürmt oder rassistisch gegen ihn stürmt.
Xavier Naidoo, die „Söhne Mannheims“ und der Rechtsterrorismus
Gegen den Reichsbürger Burghard Bangert, ein Mitdemonstrant von Xavier Naidoo am 3. Oktober 2014 in Berlin, hat die Bundesanwaltschaft am 3. Februar 2017 beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einen Haftbefehl erwirkt. Er ist dringend verdächtig, gegen das Waffengesetz verstoßen zu haben (§ 52 Abs. 3 Nr. 2 WaffG). Er steht darüber hinaus im Verdacht, sich gemeinsam mit weiteren Beschuldigten zu einer rechtsterroristischen Vereinigung (§ 129 a StGB) zusammengeschlossen zu haben. Das Ziel der Vereinigung soll es sein, bewaffnete Angriffe auf Polizisten als Repräsentanten des Staates, Asylsuchende und Menschen der jüdischen Glaubensgemeinschaft zu begehen. http://www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php?newsid=672
Burghard Bangert, mutmaßlicher Kopf einer rechten Terrorzelle, nahm an der Kundgebung des 3. Oktober 2014 teil, als es auch zu einem Auftritt von Xavier Naidoos kam: facebook.com/friedensdemowatch/videos/1243376005716653/
Der Reichsbürger und mutmaßliche Polizistenmörder Wolfgang Plan aus Georgensgmünd teilte mehrere Videos mit Songs und Aussagen von Xavier Naidoo: facebook.com/GenFM/photos/a.832340113449425.1073741827.832328933450543/1512550565428373/?type=3&theater
Der Waffenhändler Mario Rönsch bzw. „Anonymous.Kollektiv“ am 19. August 2014: „Mut zur Wahrheit: Xavier Naidoo fordert mehr Engagement! Jetzt!“ facebook.com/GenFM/posts/1360144607335637
Die Söhne Mannheims & Xavier Naidoo am 18. Januar 2016 auf ihrer offiziellen Fb-Seite: „Nenn mich ruhig einen Staatsfeind…“. In den Kommentaren Aufrufe zur rechten Revolution sowie zu Reichsbürger-Demonstrationen: facebook.com/GenFM/posts/1305346936148738
Will der Neonazi Thorsten de Vries zusammen mit Xavier Naidoo und den Söhnen Mannheims das System stürzen? facebook.com/GenFM/photos/a.832340113449425.1073741827.832328933450543/1179576915392408/?type=3
Am Ende des Songs „Mein Weltbild“ brüllt Xavier Naidoo: „Bilderberger, wir kommen euch zu holen!” facebook.com/GenFM/posts/1364968913519873
Der Reichsbürger und mutmaßliche Polizistenmörder Wolfgang Plan aus Georgensgmünd teilte Songs von Sarah Lesch und Xavier Naidoo: facebook.com/GenFM/posts/1524272624256167