Die Kommunisierung beschreibt eine kommunistische Revolution ohne Übergangsphase, eine Revolution nicht „für den Kommunismus, sondern durch den Kommunismus“ [1]. Durch die Ergreifung kommunistischer Massnahmen wird gleichzeitig der kapitalistische Feind geschwächt und die post-revolutionäre Welt skizziert. Aufgekommen ist der Begriff in den intensiven theoretischen Debatten in den linkskommunistischen Milieus Frankreichs nach dem Mai 1968. Der Begriff wird in der Regel Gilles Dauvé zugeschrieben, der ihn als erster in der Zeitschrift Le Mouvement Communiste gebraucht haben soll [2].
In Zusammenarbeit mit anderen
Linkskommunisten wie François Martin und Karl Nesic versuchte Dauvé,
verschiedene linkskommunistische Strömungen zusammenzubringen, zu
kritisieren und weiterzuentwickeln, z.B. die italienische Bewegung, die
mit Amadeo Bordiga in Verbindung gebracht wurde, die Zeitschrift Invariance von Jacques Camatte, den deutsch-holländischen Rätekommunismus und französische Strömungen wie Socialisme ou Barbarie und die Situationistische Internationale.
Diese theoretischen Entwicklungen hängen stark mit der erstmaligen Übersetzung zentraler Marxscher Texte zusammen. Die Grundrisse der politischen Ökonomie
erschienen zum ersten Mal 1967-1968 auf Französisch und hatten einen
beträchtlichen Einfluss auf die Debatten im linkskommunistischen Milieu
Frankreichs. Auch der Entwurf des Kapitels 6 des Kapitals, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses,
erschien 1968 zum ersten Mal auf Französisch in der Gesamtausgabe der
Pléiade, herausgegeben von Maximilien Rubel und Louis Janover.
Neben dem Milieu um Gilles Dauvé ist die Zeitschrift Théorie communiste eine weitere theoretische Quelle der Kommunisierung. Die Gruppe konstituierte sich 1975 und die erste Nummer von Théorie communiste erschien 1977. Einige Mitglieder gaben 1972 und 1973 die Zeitschrift Intervention communiste heraus und waren zuvor an der Zeitschrift Cahiers du Communisme de Conseil beteiligt. Diese war verbunden mit der Information Correspondance Ouvrières, aus welcher nach 1973 Échanges et mouvement entstand.
Im Gegensatz zu Dauvés Ansatz war für Théorie communiste die
Kommunisierung nicht schon immer möglich, sondern wurde erst durch die
„Restrukturierung“ des Kapitalismus in den 1970er Jahren möglich gemacht [3]. Diese „Restrukturierung“ ist für Théorie communiste das Ende eines Kampfzyklus und beginnt grosso modo
nach der Ölkrise 1973. Dieser neue Zyklus ist gleichbedeutend mit dem
Beginn der zweiten Phase der reellen Subsumtion und v.a. dem Ende der
Arbeiterbewegung: „Diese Arbeiteridentität, wie auch immer die sozialen
und politischen Formen ihrer Existenz sein mögen (von den
kommunistischen Parteien bis zur Autonomie; vom sozialistischen Staat
bis zur den Arbeiterräten), gründete in ihrer Totalität auf dem
Widerspruch, der sich in dieser Phase der reellen Subsumtion der Arbeit
unter das Kapital entwickelte, zwischen, einerseits, der Schaffung und
Entwicklung einer Arbeitskraft, die vom Kapital auf eine immer
kollektivere und sozialere Art und Weise bewerkstelligt wurde, und,
andererseits, den Formen der Aneignung dieser Arbeitskraft durch das
Kapital im unmittelbaren Produktions- und im Reproduktionsprozess. Das
ist die konflikgeladene Situation, die sich in diesem Kampfzyklus als
Arbeiteridentität entwickelte, die ihre Prägungen und ihre unmittelbaren
Auffassungsmodalitäten in der „grossen Fabrik“ fand; in der Dichotomie
zwischen Anstellung und Arbeitslosigkeit, Arbeit und Ausbildung; in der
Unterwerfung des Arbeitsprozesses unter das Sammeln der Arbeiter; im
Verhältnis zwischen Löhnen, Wachstum und Produktivität innerhalb eines
nationalen Territoriums; in den institutionellen Repräsentationen,
welche all dies implizierte, sowohl in der Fabrik als auch auf
Staatsebene; in der Abriegelung der Akkumulation innerhalb eines
nationalen Territoriums.“ [4]
Dieser neue Zyklus des Kapitalismus ist die materielle Grundlage für
jenen wirtschaftspolitischen Ansatz, welche Linke gemeinhin als
Neoliberalismus bezeichnen. Doch im Gegensatz zur idealistischen Idee,
dass das Aufkommen dieser Ideologie dem Keynesianismus den Gnadenstoss
versetzt hat, ist es eher so, dass diese Ideologie eben genau das reale
Scheitern des Keynesianismus zur Grundlage hat. Diese Restrukturierung
hatte beträchtliche Konsequenzen für die Modalitäten der
kapitalistischen Ausbeutung: „Die Restrukturierung als Niederlage, Ende
der 1960er Jahre und während den 1970er Jahren, dieses auf die
Arbeiteridentität gegründeten Kampfzyklus hatte als Inhalt die
Zerstörung all dessen, was zu einem Hindernis der Fluidität der
Selbstvoraussetzung des Kapitals geworden war. Man fand einerseits alle
Trennungen, Absicherungen, Vorschriften, welche der Wertminderung der
Arbeitskraft entgegen standen, da sie verhinderten, dass die gesamte
Arbeiterklasse, weltweit, in der Kontinuität ihrer Existenz, ihrer
Reproduktion und ihrer Vergrösserung, sich als solche dem gesamten
Kapital stellen musste. Man fand andererseits alle Zwänge des
Kreislaufs, des Umschlags, der Akkumulation, welche die Umwandlung der
Überproduktion in Mehrwert und zusätzliches Kapital verhinderten.
Jegliche Überproduktion muss überall ihren Markt, jeglicher Mehrwert
überall seine Möglichkeit, als zusätzliches Kapital zu operieren, d.h.
die Möglichkeit, sich in Produktionsmittel und Arbeitskraft umzuwandeln,
finden können, ohne dass eine Formalisierung des internationalen Zyklus
(Ostblock, Peripherie) diese Umwandlung überbestimmt. Das Finanzkapital
war der leitende Architekt dieser Restrukturierung. Mit der in den
1980er Jahren vollendeten Restrukturierung fallen die Mehrwertproduktion
und die Reproduktion der Produktionsbedingungen desselben zusammen.“ [5] Detailliertere Ausführungen zu Théorie communiste und dem Milieu um Gilles Dauvé findet man in den beiden Texten „Bringt eure Toten raus“ und „Théorie communiste und Troploin“ in diesem Band.
Begleitet wurde dieser epochale Wandel von einem „Bruch in der Theorie
der Revolution“, wie es im Titel eines 2003 veröffentlichten Buches von
den Éditions Senonevero, dem Verlag von Théorie communiste, formuliert
wurde [6].
Der zentrale Widerspruch der Situationistischen Internationalen ist
Ausdruck dieses Wandels: „Die Arbeiterräte bewahren die Abschaffung der
Arbeit vor der Gefahr, keine Handlung der Klasse mehr und die
Abschaffung der Arbeit bewahrt die Arbeiterräte davor, nur eine
Affirmation dieser Klasse zu sein. Die situationistische Theorie kann
die Negation nur als Affirmation von etwas anderem hervorbringen.“ [7] Die Texte „Der Aktivismus als höchstes Stadium der Entfremdung“ und „Nieder mit dem Proletariat“ in diesem Band sind Ausdrücke dieses „Bruchs in der Theorie der Revolution“.
Im Jahr 2004 wurde die Zeitschrift Meeting lanciert. Diese
„internationale Zeitschrift zur Kommunisierung“ (in Tat und Wahrheit war
es eher eine „französische Zeitschrift zur Kommunisierung“) brachte
Théorie communiste und verschiedene Einzelpersonen hauptsächlich aus
Paris zusammen. Auch Gilles Dauvé und Karl Nesic hatten eine Einladung
erhalten, an diesem Projekt teilzunehmen, sie haben diese jedoch
aufgrund ihrer Meinungsverschiedenheiten mit Théorie communiste
abgelehnt: „Falls wir (gemäss TC) in einen idealistischen Humanismus
abgleiten oder falls TC (gemäss uns) in einen deterministischen
Strukturalismus abgleitet, verhindert das jegliche gemeinsame
theoretische Arbeit und macht sogar jegliche Diskussion schwierig. Wir
können nur debattieren, wenn wir uns im wesentlichen einig sind, wenn
wir uns einig sind bezüglich der zu stellenden Fragen und diese einfach
anders beantworten.“ [8]
Ein anderes Milieu aus Paris beteiligte sich hingegen an Meeting, es war damals als „les tiqquniens“ („die Tiqqunianer“) bekannt. Diese Bezeichnung leitet sich vom Namen der Zeitschrift Tiqqun ab, von welcher zwischen 1999 und 2001 zwei Nummern erschienen [9]. Diese Zusammenarbeit sollte allerdings nicht lange dauern: 2005 wurde der Text „Appel“ („Aufruf“) zur Veröffentlichung in Meeting
Nr. 2 vorgeschlagen. In diesem Text wird die Kommunisierung
folgendermassen konzipiert: „So wie wir es verstehen, kann der Prozess
der Einführung des Kommunismus’ nur die Form eines Gefüges von Akten der
Kommunisierung annehmen; durch das Teilen dieses und jenes
Raumes, dieser und jener Geräte, dieses und jenes Wissens. Das heißt die
Ausarbeitung der Formen des Teilens, die mit ihnen verknüpft sind. Der
Aufstand an sich ist nur ein Beschleuniger, ein entscheidender Moment in
diesem Prozess.“ [10]
Die Veröffentlichung dieses Texts in Meeting wurde abgelehnt,
stattdessen wurden zwei Texte veröffentlicht, welche diesen kritisieren,
„Un autre emploi de l’argent“ („Ein anderer Gebrauch des Geldes“) und
„Réflexions autour de ’l’Appel’“ („Überlegungen zum ’Aufruf’“). Diese
Texte kritisieren die Konzeption des Kommunismus als einfaches Teilen
und die Abwesenheit jeglicher Klassenanalyse. Der zentrale Kritikpunkt
ist jedoch die Idee, der Kommunismus wäre bereits innerhalb des
Kapitalismus möglich: „Wenn man keine Vorbedingung für den Kommunismus
im Sinne von Übergangsphase, Vergesellschaftung der Produktionsmittel,
der Tätigkeiten usw. voraussetzt, ist es offensichtlich, dass man meinen
könnte, die kommunisierende Tätigkeit sei hier und jetzt möglich, in
den gegenwärtigen Bedingungen der durch das Geld, das Privateigentum,
die Zirkulationsweise der Güter, Reichtümer, Wissen usw. vermittelten
Beziehungen, anders gesagt, in den wirtschaftlichen und politischen
Bedingungen dieser Gesellschaft. Unter diesen Bedingungen ist das Niveau
der Kommunisierung gleichbedeutend mit der Kaufkraft einer mehr oder
weniger homogenen gegebenen gesellschaftlichen Gruppe. Vom
immediatistischen Standpunkt aus könnte man meinen, die Erschaffung von
Netzwerken der Kooperation, in Form von Orten, Gemeinschaften,
„kommunisierten Bauernhöfen“ sei schon das Erleben und die Praxis des
Kommunismus. Doch diese Praxis entspricht dem historischen Kontext der
westlichen Demokratie. Und hängt im wesentlichen vom Regime der
Warenfreiheit ab: Wer bezahlen kann, kann wählen. Wenn die
Kommunisierung die Verwandlung, die allgemeine Verbreitung, die
hegemonial werdende Ausbreitung einer neuen Art der gesellschaftlichen
Beziehung ist, welche das Kapital beseitigt (d.h. die Klassen, die
Ausbeutung usw.), so sind die im Territorium der kapitalistischen
Totalität zerstreuten Praktiken der Zusammenlegung wie genauso viele
virale Phasen des Übergangs des gesamten gesellschaftlichen „Organismus“
des Kapitals hin zur Kommunisierung. Doch während man auf diese
Verallgemeinerung wartet, sind es die kapitalistischen
Zugangsbedingungen, welche die Zusammenlegung bestimmen.“ [11]
Daraufhin verliessen die Tiqqunianer (die in der Folge eher Appellisten
genannt werden) das Projekt und Paris selbst, um ihre Konzeption der
Kommunisierung in Tarnac und den umliegenden Gemeinden zu verwirklichen.
Im Gegensatz zu ihren Kritikern, welche bis 2008 noch zwei weitere
Nummern von Meeting herausgaben, bevor das Projekt eingestellt
wurde, wurden sie dank der Affäre von Tarnac 2008 und der
Veröffentlichung des Buches Der kommende Aufstand [12]
weltweit bekannt. Die deutschsprachige Öffentlichkeit kann jedoch an
dieser Stelle beruhigt werden: Es handelt sich weder um Nazis [13], noch um das „wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit“ [14] oder den „radikalste[n] und problematischste[n] Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen Unbehagens“ [15],
sondern schlicht um ein postmodernes Pamphlet einiger Pariser
Autonomer, welche ins französische Hinterland umzogen, um ein bisschen
Kommunismus zu spielen, und dabei vermutlich aufgrund der
dilettantischen Arbeit eines britischen Spions ins Visier des
Antiterrorgesetzes gerieten [16].
Doch auch die Arbeit von Théorie communiste inspirierte Projekte
ausserhalb Frankreichs, obwohl ihnen eine Erwähnung in den Feuilletons
der bürgerlichen Zeitungen nicht vergönnt war. In Schweden entstand 2002
die Zeitschrift riff-raff und in Griechenland 2006 Blaumachen. In England spalteten sich die Beteiligten der Zeitschrift Aufheben 2005 nach einer gemeinsamen Lektüre einiger Texte von Théorie communiste ab und aus dieser Spaltung entstand die Zeitschrift Endnotes. Ausserdem entstand in Italien das Kollektiv Il lato cattivo und in Tschechien Přátelé komunizace,
welche v.a. Texte übersetzen, aber manchmal auch selber Texte
verfassen. Aus der Begegnung dieser Kollektive entstand die – dieses Mal
wirklich internationale – Zeitschrift Sic.
Die erste Nummer von Sic erschien im November 2011 und die zweite
im Februar 2014. Allerdings hat Théorie communiste in der Zwischenzeit
(im August 2013) das Projekt verlassen. Diese Entwicklung hat einerseits
theoretische, andererseits konkrete Gründe. Der konkrete Anlass,
welcher zur Spaltung führte, war eine Reihe von sexistischen
Beleidigungen eines Beteiligten von Sic gegenüber einer Beteiligten am Treffen in Campestre im Sommer 2013 [17].
Der theoretische Grund hingegen ist die Einführung eines
Genderwiderspruchs von Théorie communiste seit der 2012 veröffentlichten
Nr. 24. In dieser theoretischen Entwicklung kommt Théorie communiste
zum Schluss, dass der Klassenwiderspruch nicht genügt, um die
kapitalistische Gesellschaft zu definieren. Viel mehr generiert das
Kapital als prozessierender Widerspruch zwei Widersprüche, den Klassen-
und den Genderwiderspruch: „Der Widerspruch zwischen den Männern und den
Frauen ist die Genderunterscheidung, so wie er existiert und sich
abspielt, er erlaubt uns, von der Notwendigkeit seiner Aufhebung und der
Notwendigkeit der Aufhebung aller Vermittlungen für den „Erfolg“ der
Kommunisierung zu sprechen. Wir analysieren die Genderunterscheidung vom
Standpunkt ihrer Aufhebung aus, weil wir von ihrer konkreten, aktuellen
Existenz ausgehen. Die diesem Widerspruch eigene Dynamik lässt ihn als
Besonderheit der Totalität existieren, welche das Kapital als
prozessierender Widerspruch ist. Die Frauen wollen nicht bleiben, was
sie sind, wie es Marx bezüglich der Proletarier in der Deutschen Ideologie
formulierte. Sie wollen nicht bleiben, was sie sind, weil ihre eigene
Situation ein Widerspruch in der kapitalistischen Produktionsweise und
durch sie ist: die Arbeit als Problem (der „auftauchende Widerspruch“,
die Bevölkerung als prinzipielle Produktivkraft im Kapitalismus ist
nicht mehr selbstverständlich, die natürliche Unterscheidung wird durch
die Kontingenz untergraben). Doch die Arbeit als Problem nimmt nicht die
Form vom Frauenkampf an, die Arbeit als Problem ist gleichbedeutend mit
dem Kampf der Frauen gegen ihre eigene Definition als solche.“ [18].
Diese theoretische Entwicklung führte unter den Beteiligten von Sic
einerseits zu einer intensiven Diskussion der Genderfrage, andererseits
zu einer Hinterfragung des hegelianischen Begriffs des „Widerspruchs“.
Für Endnotes ist es sowohl sinnlos von Klassen- als auch von
Genderwiderspruch zu sprechen: „Für uns hat ein Widerspruch zwischen
Arbeitern und Kapital genauso wenig Sinn wie einer zwischen Männern und
Frauen. Eigentlich ist der einzige „Widerspruch zwischen“ jener, mit
welchem Marx die erste Ausgabe des Kapitals beginnt, nämlich der Widerspruch zwischen Gebrauchs- und Tauschwert [19].
Letztendlich sind kapitalistische gesellschaftliche Beziehungen
widersprüchlich, weil sie auf dem Tausch äquivalenter Werte beruhen –
gemessen durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zu ihrer
Produktion – und gleichzeitig untergraben sie diese Grundlage, weil sie
dazu tendieren, menschliche Arbeitskraft vom Produktionsprozess zu
verdrängen (das drückt sich paradoxerweise als Arbeitsüberlastung für
die einen und komplette oder partielle Arbeitslosigkeit für andere aus).
Die Wirtschaft ist also eine gesellschaftliche Tätigkeit, welche auf
einem logischen Widerspruch basiert, dieser breitet sich in der
Zeit als Unfreiheit aus, als praktische Unmöglichkeit für die
menschlichen Wesen, zu sein, was sie sein müssen: ’Mit der durch sie
selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die
Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen
relativen Überzähligmachung.’ [20]
Dieser Widerspruch verursacht etliche Antagonismen innerhalb
kapitalistischer Gesellschaften, der Klassenantagonismus ist einer
davon. Andere existieren: Ethnie, Gender, Sexualität, Nation, Handel
oder Fähigkeiten, religiöser Glaube, Status Immigrant usw. Es wäre
unmöglich, alle Antagonismen der kapitalistischen Gesellschaft zu
denken, wenn Antagonismus und Widerspruch nicht klar abgegrenzt würden
(sonst wäre es notwendig, sich für jeden Antagonismus einen anderen
Widerspruch einfallen zu lassen).“ [21]
Auch das Vorwort der zweiten Nummer von Sic bezieht sich auf den
Abschiedstext von Théorie communiste. Es liegt vermutlich v.a. an der
Uneinigkeit der Beteiligten, dass der Widerspruch an und für sich und
der Genderwiderspruch im besonderen nicht konkret angesprochen wird. Der
Ausstieg von Théorie communiste wird einfach kurz zusammengefasst: „Vor
einigen Monaten entschieden die Mitglieder der französischen
Theoriegruppe Théorie Communiste (TC), Sic zu verlassen. Diese Entwicklung war besonders wichtig, denn die theoretische Arbeit von TC war der Eckpunkt der Lancierung von Sic. Doch das Leben geht weiter und Probieren geht über Studieren: Die Fähigkeit von Sic,
kreativ gemeinsam zu funktionieren und Theorie auszuarbeiten wird in
Zukunft das einzige entscheidende Kriterium für das Projekt sein
(natürlich abgesehen von allgemeinen Entwicklungen). Das Verlassen des
Tischs bedeutet nicht, dass das Essen darauf nicht mehr geniessbar ist,
und spricht auch niemanden von gegenwärtigen oder vergangenen Sünden
frei. Da die Geschichte sich nicht darum kümmern wird, in der
Angelegenheit irgendein Urteil zu sprechen, genügt es zu sagen, dass wir
sowohl TC als auch Sic eine konstruktive Zukunft wünschen.“ [22]
Trotz diesen Meinungsverschiedenheiten wird die Genderfrage nach wie vor
auf beiden Seiten intensiv diskutiert. Diese theoretische Debatte hat
den Verdienst, dass diese Problematik zum ersten Mal in
linkskommunistischen Zusammenhängen konkret theoretisch diskutiert und
deren Lösung nicht einfach stillschweigend auf den Tag nach der
Revolution verlegt wird. Deswegen, aber nicht nur, ist die
Kommunisierung eine der interessantesten theoretischen Entwicklungen des
Linkskommunismus in den letzten Jahren. Es ist ein Milieu, wo
theoretische Probleme ausführlich diskutiert werden und ohne identitäre
Scheuklappen auf diverse Debatten eingegangen wird. Im Unterschied zur
fast ausschliesslich akademischen Neuen Marx-Lektüre in Deutschland und
zum ebenfalls fast ausschliesslich akademischen Operaismus in Italien
(der allerdings zusammenfiel mit Arbeiterkämpfen, welche weite Teile
dieser Theorie in der Praxis bestätigten), entstand die Kommunisierung
ausserhalb der Universitäten. Und obwohl sie in der Zwischenzeit v.a. in
den USA an Universitäten vermehrt diskutiert wird, ist die akademische
Welt nach wie vor kein wesentlicher Faktor für theoretische
Entwicklungen.
Doc Sportello,
Juli 2014
[1] Théorie communiste, „Kommunisierung im Präsens“.
[2] Gilles Dauvé, „Révolutionnaire? (notes sur la subversion)“ in: Le Mouvement Communiste, Nr. 4, Mai 1973, S. 2-47.
[3] Siehe Théorie communiste, op. cit.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] François Danel (Hg.), Rupture dans la théorie de la révolution, Marseille, Senonevero, 2003.
[7] Roland Simon, Histoire critique de l’ultragauche. Trajectoire d’une balle dans le pied, Marseille, Senonevero, 2009, S. 265-266.
[8] Gilles Dauvé und Karl Nesic, „Communisation: un Appel et une Invite“, 2004.
[9] Mehrere Texte dieser Zeitschrift sind auf Deutsch veröffentlicht worden: Theorie vom Bloom, Zürich/Berlin, Diaphanes, 2003; Kybernetik und Revolte, Zürich/Berlin, Diaphanes, 2007; Einführung in den Bürgerkrieg, Zürich, MG+R – Dataretribal, 2007; Grundbausteine einer Theorie des Jungen-Mädchens, Berlin, Merve Verlag, 2009; Anleitung zum Bürgerkrieg, Hamburg, Laika Verlag, 2012; Alles ist gescheitert, es lebe der Kommunismus, Hamburg, Laika Verlag, 2013.
[11] „Un autre emploi de l’argent“ in: Meeting, Nr. 2, 2005.
[12] Unsichtbares Komitee, Der kommende Aufstand, Hamburg, Edition Nautilus, 2010.
[13] Siehe Johannes Thumfart, „Links ist das nicht!“ in: Jungle World, Nr. 47, 25. November 2010.
[14] Nils Minkmar, „Seid faul und militant!“ in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. November 2010.
[15] „Der kommende Aufstand“ in: Der Spiegel, Nr. 47, 22. November 2010.
[17] Siehe Théorie communiste, „Das Spiel ist aus“.
[18] Théorie communiste, „Einige kritische Anmerkungen zu ’Gender und Klassen. Der Generalaufstand, der die Männer und die Frauen zerstören wird’“
[19] Der Begriff des „Klassenwiderspruchs“ ist grundsätzlich mit der maoistischen Tradition verbunden. Einige verteidigten seine Marxsche Druckerlaubnis, indem sie auf eine Passage in der Penguin-Übersetzung der Grundrisse verwiesen, wo Marx sich auf eine „contradiction of capital and wage labour“ (MECW 29, S. 90, Übersetzung von Nicholaus) bezieht. Doch der deutsche Begriff ist Gegensatz, nicht Widerspruch. Der Widerspruch zwischen „Kapital und Arbeit“ oder „Kapitalisten und Arbeitern“ wird im Werk von Marx nirgends erwähnt [Fussnote von Endnotes].
[20] Marx, Kapital, Bd. 1, MEW Bd. 23, S. 659. Zum logischen Charakter des Widerspruchs bei Marx und Hegel siehe Richard Gunn, „Marxism and Contradiction“, Common Sense 15, 1994 [Fussnote von Endnotes].
Oldschool ist manchmal eben auch Newschool
Da waren wir auch schon mal weiter, nicht wahr ?
"Weiter"
Wenn du mit "weiter" die Ideologie der Zweiten und Dritten Internationale meinst, nach der Staatsübernahme bedeutungsgleich mit Sozialismus sei. Genau das ist aber doch der Rückschritt, und Kommunisierung ist sogesehen eine stringentere 'Neuformulierung' des Transformationsprozesses, die eben jene Fallstricke, die sich Lenin in 'Staat und Revolution' bereits selber stellte, vermeidet. Schonmal angefangen mit dem Bullshit, warum Klassen weiterexistieren, wenn die Arbeiterklasse 'die Staatsmacht errungen' hat. Als ob sie sich freiwillig weiter ausbeuten ließe, wenns nur in geordneten Bahnen läuft. Das hat mit Sozialismus aber nichts zu tun. Aber wem erzähl ich das - dem selben rechten Troll, der auch auf allen anderen Indymedia-Artikeln die geistige Leere seiner eigenen Existenz beweist. Mal rausgehen, vielleicht?