Der bislang nur in Großbritannien und Deutschland diskutierte Einsatz des britischen Spitzels Mark Kennedy ist nun auch in einem französischen Ermittlungsverfahren bekannt geworden. Sicherheitsbehörden aus Paris hatten die illegale Ausforschung linker Strukturen in London bestellt.
Wieder ist ein Detail zum dubiosen Einsatz des britischen Undercover-Cops Mark Kennedy bekannt geworden: Letzte Woche hatte die französische Tageszeitung Le Monde berichtet, dass der Ex-Polizist offiziell in Frankreich eingesetzt war. Dies geht aus Unterlagen hervor, die Beschuldigte im sogenannten „Tarnac-Verfahren“ einsehen konnten.
2008 hatten Ermittlungen im Dörfchen Tarnac zur Verhaftung von Aktivisten geführt, die der Sabotage von Oberleitungen für Hochgeschwindigkeitszüge verdächtigt wurden. Hierzu hatten Unbekannte „Hakenkrallen“ eingesetzt, mit denen ein durchfahrender Zug die stromführenden Kabel über mehrere Hundert Meter beschädigt. Weil die Technik in Frankreich bis dahin unbekannt war, wurden Urheber auch in Deutschland vermutet. Die Sabotage von Oberleitungen gehört in Deutschland seit 1996 zum Repertoire linker Aktivisten, um etwa gegen die Rolle der Deutschen Bahn bei "Castor"-Transporten zu protestieren. Französische Behörden arbeiteten deshalb mit dem deutschen Bundeskriminalamt (BKA) zusammen.
„UCO 133“
Spezialeinheiten der französischen Polizei hatten
nach einigen Monaten landesweit mehrere Objekte durchsucht und neun
Personen festgenommen. Ihnen wurde vorgeworfen, Mitglieder einer
"terroristischen Vereinigung" zu sein. Als Indiz galt, dass zwei von ihnen
in der Nacht der vier Anschläge in der Nähe einer Bahnstrecke mit dem
Auto unterwegs gewesen sein sollen. Die Polizei hatte das Fahrzeug
zunächst verfolgt und dann angeblich aus den Augen verloren. Allerdings
war ein Peilsender im Einsatz, denn die beiden waren für ihre Abneigung
gegen Mobiltelefone bekannt. Mittlerweile kam heraus, dass eine der
Verfolgten im fraglichen Zeitraum an einer Bank in Paris Geld abgehoben
hatte. Nun ist unklar, ob überhaupt der Prozess eröffnet wird.
Trotz
fehlender Beweise und dürftigen Indizien dauerte es beinahe sieben
Monate, bis mit dem Philosophen Julien Coupat der letzte der
Beschuldigten vorläufig aus der Haft entlassen wurde. Coupat wird das
Buch „Der kommende Aufstand“ zugeschrieben, für das sich aber das
„Unsichtbare Komitee“ verantwortlich zeichnet.
Nun wurde
bekannt, dass der britische Ex-Cop Mark Kennedy maßgeblich an den
Verhaftungen beteiligt war. Entsprechende Vermutungen kursierten bereits
seit dem Auffliegen des wohl bekanntesten Spitzels aus Großbritannien
vor drei Jahren. Die Initiative ging aber anscheinend auf die britische
Spezialabteilung der Polizei „National Public Order Intelligence Unit“
zurück. Die „Le Monde“ spricht vom Fortschrittsbericht eines „UCO 133“.
Tatsächlich berichten Journalisten des Guardian in einem letztes Jahr
erschienen Buch, dass seit den 60er Jahren mehr als 130
Undercover-Agenten in linken Bewegungen platziert wurden. Vor rund zehn
Jahren begannen die Polizeiführer, ihre Spitzel auch in internationale
Bewegungen einzuschleusen.
Im Falle
Frankreichs wurden die dortigen Behörden aus London unterrichtet, man
habe „eine Quelle innerhalb der Bewegung“ platziert. Daraufhin hatte der
erst im Juli 2008 eingerichtete französische Inlandsgeheimdienst DCRI
die britischen Vorgesetzten Kennedys' aufgefordert, den Spitzel gezielt
auf Julien Coupat anzusetzen. Dies geht laut „Le Monde“ aus seinen
Aufzeichnungen hervor. Dabei sollte Kennedy auch Informationen über
einen US-amerikanischen Freund des Observierten liefern.
Geheimdienstler stalkt Beschuldigte durch Anlegen von Blogs
Die
Enthüllungen werfen ein neues Licht auf Deutschland, wo die
Länderpolizeien Mecklenburg-Vorpommern und Baden Württemberg ebenfalls
Dienste von Mark Kennedy bestellten. Unklar war bislang, wozu der
Spitzel jahrelang in linken Kreisen in Berlin abgestiegen war. Offiziell
hieß es von der Bundesregierung, man wisse nichts zu den Auftraggebern.
Seine Anwesenheit habe lediglich der „Legendenbildung“ gedient. Der
damalige Innensenator Körting zeigte sich erzürnt, dass der zuständige
Innensenat nicht wie vorgeschrieben vom BKA über den ausländischen
Spitzel informiert wurde. Kennedy
war in Berlin am Anzünden eines Müllcontainers beteiligt. Das Begehen
von Straftaten ist britischen Spitzeln zwar erlaubt, deutschen jedoch
nicht. Nachdem er für die Brandstiftung verhaftet wurde, hatte er sich
dem Verfahren durch die Angabe seines falschen Namens entzogen.
Unterdessen
wurde ein weiterer Skandal im Tarnac-Verfahren amtlich bestätigt:
Ein Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes war von den Beschuldigten als
heimlicher Administrator von Blogs enttarnt worden. Der Agent hatte
dort Informationen publiziert, die nur von den Betroffenen verstanden
werden können. Philosophische Beiträge wurden mit intimen Kenntnissen
aus Ermittlungsakten garniert, darunter Fotos, Details zu
Aufenthaltsorten oder derzeitigen Aktivitäten. Zu den Umtrieben des
Geheimdienstlers gehörten auch mehrere Mails, die unter falschen Namen
an einen bekannten Journalisten sowie einen Hochschulprofessor versandt wurden.
Der
Geheimdienstler benutzte das Pseudonym „Rosa Luxemburg”. Gute
Computerkenntnisse hatte er jedoch nicht: EXIF-Daten einiger online
gestellten Fotos waren mit „Christian Bichet” getaggt, andere Bilder
sind von dem Beamten offenbar unter Verletzung von Urheberrechten
gepostet worden. Ein Abgleich von Metadaten der Mails mit Wikipedia
ergab, dass der Verfasser unter gleicher IP-Adresse mehrere Einträge so
manipulierte, dass dies ebenfalls nur Eingeweihten auffallen kann. Alle
Blogs sowie Internetaktivitäten des Geheimen sind nun gesichert und
unter dem Slogan „Game Over!” auf http://raphaelilodet.netii.net abrufbar.
Blogger
Aus dem Artikel geht nicht hervor, warum der Geheimdienstler die Blogbeiträge verfasst hat. Warum? Privates seltsames Hobby?
Stalker
Ganz klar ist das nicht, es scheint jedenfalls kein dienstlicher Auftrag gewesen zu sein. Es diente offenbar nicht dem Auslegen eines “Honeypots”, wie es aus sehr ähnlichen Ermittlungen des BKA (z.B. mg) bekannt ist. Stattdessen wollte der Beamte offenbar psychischen Druck ausüben. In seinen sechs Blogs deutet er Parallelen zu früheren, angedrohten Anschlägen an, die gar nichts mit dem Tarnac-Verfahren zu tun haben. Damals hatten Unbekannte unter dem Gruppennamen “AZF” Bomben auf Schienen deponiert und Lösegeld gefordert. Tatsächlich hatte die Polizei angeblich auch zu den in Tarnac und Rouen Verhafteten in diese Richtung ermittelt, die Spur aber zugunsten eines vermuteten politischen Hintergrunds wieder aufgegeben.