Subcomandante Marcos gibt sein Verschwinden bekannt

Subcomandante Marcos und Comandante Tacho in La Realidad, Chiapas, 1999

In den frü­hen Mor­gen­stun­den des 25. Mai 2014 gab Sub­co­man­dan­te Mar­cos be­kannt, dass er von nun an nicht wei­ter exis­tie­ren wird. Mar­cos, der be­kann­te Spre­cher der re­bel­li­schen, in­di­ge­nen Be­we­gung der Za­pa­tis­tas und mi­li­tä­ri­scher Lei­ter der za­pa­tis­ti­schen Gue­ril­la, er­klär­te dies ge­gen­über Ver­tre­ter_in­nen al­ter­na­ti­ver Me­di­en bei einer Pres­se­kon­fe­renz, die wäh­rend der Ge­denk­fei­er für den Za­pa­tis­ta Ga­lea­no ab­ge­hal­ten wurde. José Luis Solís López, ge­nannt Ga­lea­no, wurde am 2. Mai bei einem pa­ra­mi­li­tä­ri­schen Über­fall auf den za­pa­tis­ti­schen Ver­wal­tungs­sitz La Rea­li­dad er­mor­det. Er sagte: „Wenn Sie mir er­lau­ben, die Figur Mar­cos zu de­fi­nie­ren, dann sage ich Ihnen ohne Um­schwei­fe, dass es ein Kar­ne­vals-​Kos­tüm war.“

 

Nach mehr als 20 Jah­ren als Spre­cher und mi­li­tä­ri­scher Chef der Gue­ril­la EZLN, die sich am 1.​1.​1994 mit einem „¡Ya Basta!“ / „Es reicht!“ be­waff­net gegen Re­gie­rung, neo­li­be­ra­len Ka­pi­ta­lis­mus, Ras­sis­mus sowie neo-​ko­lo­nia­le Macht­struk­tu­ren erhob und deren Basis seit­dem in über 1.​000 Ge­mein­den eine auf Gleich­be­rech­ti­gung, Ba­sis­de­mo­kra­tie und So­li­da­ri­tät ba­sie­ren­de ge­sell­schaft­li­che Al­ter­na­ti­ve lebt, er­klär­te Mar­cos in An­we­sen­heit von sechs Kom­man­dan­ten und Kom­man­dan­tin­nen der Ge­ne­ral­kom­man­dan­tur der EZLN nun sei­nen Ab­tritt. Nach der „Klei­nen Za­pa­tis­ti­schen Schu­le“, zu der die zi­vi­le Basis der Be­we­gung seit dem Som­mer 2013 in meh­re­ren Durch­gän­gen meh­re­re tau­send Ak­ti­vis­t_in­nen aus der gan­zen Welt in ihre Ge­mein­den ein­lud, damit sie von der dort ge­leb­ten po­li­ti­schen Pra­xis ler­nen, „haben wir ge­merkt,“ so er­klär­te Mar­cos, „dass es be­reits eine neue Ge­ne­ra­ti­on gibt, die uns ins Ge­sicht schau­en kann, die uns zu­hö­ren und mit uns spre­chen kann ohne An­lei­tung oder An­füh­rer zu er­war­ten noch Un­ter­wür­fig­keit oder Ge­folg­schaft zu geben.“ Daher, so sagte er, „war die Figur Mar­cos nicht mehr not­wen­dig. Die neue Phase des za­pa­tis­ti­schen Kamp­fes konn­te be­gin­nen.“

 

„Es ist un­se­re Über­zeu­gung und un­se­re Pra­xis, dass man für Re­bel­li­on und Kampf keine cha­ris­ma­ti­schen An­füh­rer oder Chefs braucht, kei­nen Mes­si­as und kei­nen Er­lö­ser; um zu kämp­fen braucht man nur ein biss­chen An­stand, etwas Würde und viel Or­ga­ni­sa­ti­on – und sonst: Ent­we­der man trägt zum Kol­lek­tiv bei oder man taugt nichts,“ sagte Mar­cos.

 

Mit einer Au­gen­klap­pe mit einem Pi­ra­ten-​To­ten­kopf über sei­nem rech­ten Auge, er­in­ner­te sich der bis­he­ri­ge Spre­cher der Za­pa­tis­tas an die Mor­gen­stun­den des 1.​1.​1994, als „eine Armee aus Rie­sen, dass heißt aus re­bel­li­schen In­di­ge­nen, in die Städ­te hin­un­ter ging, um mit ihrem Schritt die Welt zu er­schüt­tern. We­ni­ge Tage spä­ter, als das Blut un­se­rer Ge­fal­le­nen in den Stra­ßen noch frisch war, merk­ten wir, dass die Leute von au­ßer­halb uns nicht wahr­nah­men. Sie waren ge­wöhnt von oben herab auf die In­di­ge­nen zu schau­en. Sie hoben ihren Blick nicht, um uns an­zu­schau­en. Ge­wöhnt daran uns er­nied­rigt zu sehen, ver­standt ihr Herz un­se­re wür­de­vol­le Re­bel­li­on nicht. Ihr Blick war fi­xiert auf den ein­zi­gen Mes­ti­zen [Nach­fah­ren von In­di­ge­nen und Eu­ro­pä­ern; d. Übers.] mit Pa­sa­mon­tañas, mit schwar­zer Ski­mas­ke, dass heißt, den Ein­zi­gen, den sie nicht sehen konn­ten. Un­se­re Kom­man­dan­ten und Kom­man­dan­tin­nen sag­ten daher: ‚Sie sehen nur das, was so klein ist wie sie. Neh­men wir einen, der so klein ist wie sie, damit sie ihn sehen und durch ihn uns sehen‘.“

 

Das war die Ge­burt von Mar­cos, Er­geb­nis „eines kom­ple­xen Ab­len­kungs­ma­nö­vers, ein furcht­ba­rer und wun­der­ba­rer Zau­ber­trick, eines heim­tü­cki­schen Spiels des in­di­ge­nen Her­zens, wel­ches wir sind. Die in­di­ge­ne Weis­heit for­der­te die Mo­der­ne in einer ihrer Hoch­bur­gen her­aus: Den Mas­sen­me­di­en.“

 

Die Figur des Sub­co­man­dan­te Mar­cos prä­sen­tier­te sich der Welt in den ers­ten Stun­den des 1.​1.​1994. Das Bild eines mit roten Pa­tro­nen­gur­ten und einer R-15 be­waff­ne­ten Man­nes, ge­klei­det in einer braun-​schwar­zen Uni­form und einem Woll­man­tel aus dem Hoch­land von Ch­ia­pas, des­sen Ge­sicht von einer schwar­zen Ski­müt­ze be­deckt ist und der Pfei­fe raucht, zier­te die Ti­tel­sei­ten der ein­fluss­reichs­ten Zei­tun­gen des Pla­ne­ten. In den Tagen und Wo­chen er­schie­nen seine Co­mu­ni­ca­dos, seine Mit­tei­lun­gen vol­ler Iro­nie und Humor, re­spekt­lo­sen und pro­vo­zie­rend – ein paar Blät­ter, ge­schrie­ben mit der Schreib­ma­schi­ne, um die sich die me­xi­ka­ni­sche und in­ter­na­tio­na­le Pres­se wort­wört­lich riss. 20 Jahre und vier Mo­na­te spä­ter er­klärt Mar­cos das Ende die­ser Phase.

 

„Kaum zu glau­ben, dass 20 Jahre spä­ter klar ist, dass jenes ‚Nichts für uns‘ keine Phra­se war, kein schö­ner Satz für Pla­ka­te und Lie­der son­dern eine Rea­li­tät, La Rea­li­dad,“ sagte Mar­cos und fügte an: „Wenn es Mis­ser­folg be­deu­tet, grad­li­nig zu sein, dann ist also die Rück­rat­lo­sig­keit der Weg zum Er­folg, der Weg Rich­tung Macht. Aber dort wol­len wir nicht hin, sie in­ter­es­siert uns nicht. Unter die­sen Maß­stä­ben zie­hen wir es vor zu schei­tern statt zu tri­um­phie­ren.“

 

„Wir den­ken,“ sagte er, „dass es not­wen­dig ist, dass einer von uns stirbt, damit Ga­lea­no lebt. Daher haben wir ent­schie­den, dass Mar­cos heute ster­ben muss.“

 

Um 2:10 Uhr mor­gens stieg Sub­co­man­dan­te Mar­cos in La Rea­li­dad für immer von der Bühne, die Lich­ter gin­gen aus und man hörte immer wie­der Ap­plaus von den an­we­sen­den Mit­glie­dern von La Sexta auf­bran­den, dem Netz­werk der mit den Za­pa­tis­tas ver­bün­de­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen, ge­folgt von einer noch lau­te­ren Welle des Ap­plau­ses der zi­vi­len za­pa­tis­ti­schen Basis sowie der Gue­ril­le­ros und Gue­ril­leras.

 

Sei­nem iro­ni­schen Schreib­stil und sei­ner tra­di­tio­nel­len PS-​Nach­wor­te treu­blei­bend, schloss Mar­cos: „PS: 1. Game Over. 2. Schach Matt. 3. Touché. 4. Hm, so ist die Hölle? 5. Heißt das, dass ich ohne das Kar­ne­vals­kos­tüm nun nackt her­um­lau­fen kann? 6. Hört mal: Es ist sehr dun­kel hier, ich brau­che ein Licht­lein…“

Der kom­plet­te Text der Er­klä­rung von Sub­co­man­dan­te Mar­cos in Spa­nisch (Über­set­zun­gen in an­de­ren Spra­chen fol­gen si­cher bald – http://​enlacezapatista.​ezln.​org.​mx).

 

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Die­ser Ar­ti­kel ist im spa­ni­schen Ori­gi­nal auf der Web­site des al­ter­na­ti­ven me­xi­ka­ni­schen Me­di­en­pro­tals „Des­in­for­me­mo­nos“ er­schie­nen. Er wurde über­setzt und leicht über­ar­bei­tet von ¡Aler­ta! – La­tein­ame­ri­ka Grup­pe Düs­sel­dorf

 

Artikel auf der Website von ¡Aler­ta!:

http://alertaduesseldorf.blogsport.de/2014/05/26/subcomandante-marcos-gi...

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Es ist un­se­re Über­zeu­gung und un­se­re Pra­xis, dass man für Re­bel­li­on und Kampf keine cha­ris­ma­ti­schen An­füh­rer oder Chefs braucht, kei­nen Mes­si­as und kei­nen Er­lö­ser; um zu kämp­fen braucht man nur ein biss­chen An­stand, etwas Würde und viel Or­ga­ni­sa­ti­on – und sonst: Ent­we­der man trägt zum Kol­lek­tiv bei oder man taugt nichts,“

 

Wenn es Mis­ser­folg be­deu­tet, grad­li­nig zu sein, dann ist also die Rück­rat­lo­sig­keit der Weg zum Er­folg, der Weg Rich­tung Macht. Aber dort wol­len wir nicht hin, sie in­ter­es­siert uns nicht. Unter die­sen Maß­stä­ben zie­hen wir es vor zu schei­tern statt zu tri­um­phie­ren.“


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