In den frühen Morgenstunden des 25. Mai 2014 gab Subcomandante Marcos bekannt, dass er von nun an nicht weiter existieren wird. Marcos, der bekannte Sprecher der rebellischen, indigenen Bewegung der Zapatistas und militärischer Leiter der zapatistischen Guerilla, erklärte dies gegenüber Vertreter_innen alternativer Medien bei einer Pressekonferenz, die während der Gedenkfeier für den Zapatista Galeano abgehalten wurde. José Luis Solís López, genannt Galeano, wurde am 2. Mai bei einem paramilitärischen Überfall auf den zapatistischen Verwaltungssitz La Realidad ermordet. Er sagte: „Wenn Sie mir erlauben, die Figur Marcos zu definieren, dann sage ich Ihnen ohne Umschweife, dass es ein Karnevals-Kostüm war.“
Nach mehr als 20 Jahren als Sprecher und militärischer Chef der Guerilla EZLN, die sich am 1.1.1994 mit einem „¡Ya Basta!“ / „Es reicht!“ bewaffnet gegen Regierung, neoliberalen Kapitalismus, Rassismus sowie neo-koloniale Machtstrukturen erhob und deren Basis seitdem in über 1.000 Gemeinden eine auf Gleichberechtigung, Basisdemokratie und Solidarität basierende gesellschaftliche Alternative lebt, erklärte Marcos in Anwesenheit von sechs Kommandanten und Kommandantinnen der Generalkommandantur der EZLN nun seinen Abtritt. Nach der „Kleinen Zapatistischen Schule“, zu der die zivile Basis der Bewegung seit dem Sommer 2013 in mehreren Durchgängen mehrere tausend Aktivist_innen aus der ganzen Welt in ihre Gemeinden einlud, damit sie von der dort gelebten politischen Praxis lernen, „haben wir gemerkt,“ so erklärte Marcos, „dass es bereits eine neue Generation gibt, die uns ins Gesicht schauen kann, die uns zuhören und mit uns sprechen kann ohne Anleitung oder Anführer zu erwarten noch Unterwürfigkeit oder Gefolgschaft zu geben.“ Daher, so sagte er, „war die Figur Marcos nicht mehr notwendig. Die neue Phase des zapatistischen Kampfes konnte beginnen.“
„Es ist unsere Überzeugung und unsere Praxis, dass man für Rebellion und Kampf keine charismatischen Anführer oder Chefs braucht, keinen Messias und keinen Erlöser; um zu kämpfen braucht man nur ein bisschen Anstand, etwas Würde und viel Organisation – und sonst: Entweder man trägt zum Kollektiv bei oder man taugt nichts,“ sagte Marcos.
Mit einer Augenklappe mit einem Piraten-Totenkopf über seinem rechten Auge, erinnerte sich der bisherige Sprecher der Zapatistas an die Morgenstunden des 1.1.1994, als „eine Armee aus Riesen, dass heißt aus rebellischen Indigenen, in die Städte hinunter ging, um mit ihrem Schritt die Welt zu erschüttern. Wenige Tage später, als das Blut unserer Gefallenen in den Straßen noch frisch war, merkten wir, dass die Leute von außerhalb uns nicht wahrnahmen. Sie waren gewöhnt von oben herab auf die Indigenen zu schauen. Sie hoben ihren Blick nicht, um uns anzuschauen. Gewöhnt daran uns erniedrigt zu sehen, verstandt ihr Herz unsere würdevolle Rebellion nicht. Ihr Blick war fixiert auf den einzigen Mestizen [Nachfahren von Indigenen und Europäern; d. Übers.] mit Pasamontañas, mit schwarzer Skimaske, dass heißt, den Einzigen, den sie nicht sehen konnten. Unsere Kommandanten und Kommandantinnen sagten daher: ‚Sie sehen nur das, was so klein ist wie sie. Nehmen wir einen, der so klein ist wie sie, damit sie ihn sehen und durch ihn uns sehen‘.“
Das war die Geburt von Marcos, Ergebnis „eines komplexen Ablenkungsmanövers, ein furchtbarer und wunderbarer Zaubertrick, eines heimtückischen Spiels des indigenen Herzens, welches wir sind. Die indigene Weisheit forderte die Moderne in einer ihrer Hochburgen heraus: Den Massenmedien.“
Die Figur des Subcomandante Marcos präsentierte sich der Welt in den ersten Stunden des 1.1.1994. Das Bild eines mit roten Patronengurten und einer R-15 bewaffneten Mannes, gekleidet in einer braun-schwarzen Uniform und einem Wollmantel aus dem Hochland von Chiapas, dessen Gesicht von einer schwarzen Skimütze bedeckt ist und der Pfeife raucht, zierte die Titelseiten der einflussreichsten Zeitungen des Planeten. In den Tagen und Wochen erschienen seine Comunicados, seine Mitteilungen voller Ironie und Humor, respektlosen und provozierend – ein paar Blätter, geschrieben mit der Schreibmaschine, um die sich die mexikanische und internationale Presse wortwörtlich riss. 20 Jahre und vier Monate später erklärt Marcos das Ende dieser Phase.
„Kaum zu glauben, dass 20 Jahre später klar ist, dass jenes ‚Nichts für uns‘ keine Phrase war, kein schöner Satz für Plakate und Lieder sondern eine Realität, La Realidad,“ sagte Marcos und fügte an: „Wenn es Misserfolg bedeutet, gradlinig zu sein, dann ist also die Rückratlosigkeit der Weg zum Erfolg, der Weg Richtung Macht. Aber dort wollen wir nicht hin, sie interessiert uns nicht. Unter diesen Maßstäben ziehen wir es vor zu scheitern statt zu triumphieren.“
„Wir denken,“ sagte er, „dass es notwendig ist, dass einer von uns stirbt, damit Galeano lebt. Daher haben wir entschieden, dass Marcos heute sterben muss.“
Um 2:10 Uhr morgens stieg Subcomandante Marcos in La Realidad für immer von der Bühne, die Lichter gingen aus und man hörte immer wieder Applaus von den anwesenden Mitgliedern von La Sexta aufbranden, dem Netzwerk der mit den Zapatistas verbündeten Organisationen, gefolgt von einer noch lauteren Welle des Applauses der zivilen zapatistischen Basis sowie der Guerilleros und Guerilleras.
Seinem ironischen Schreibstil und seiner traditionellen PS-Nachworte treubleibend, schloss Marcos: „PS: 1. Game Over. 2. Schach Matt. 3. Touché. 4. Hm, so ist die Hölle? 5. Heißt das, dass ich ohne das Karnevalskostüm nun nackt herumlaufen kann? 6. Hört mal: Es ist sehr dunkel hier, ich brauche ein Lichtlein…“
Der komplette Text der Erklärung von Subcomandante Marcos in Spanisch (Übersetzungen in anderen Sprachen folgen sicher bald – http://enlacezapatista.ezln.org.mx).
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Dieser Artikel ist im spanischen Original auf der Website des alternativen mexikanischen Medienprotals „Desinformemonos“ erschienen. Er wurde übersetzt und leicht überarbeitet von ¡Alerta! – Lateinamerika Gruppe Düsseldorf
Artikel auf der Website von ¡Alerta!:
http://alertaduesseldorf.blogsport.de/2014/05/26/subcomandante-marcos-gi...
Sehr guter Schritt
„Es ist unsere Überzeugung und unsere Praxis, dass man für Rebellion und Kampf keine charismatischen Anführer oder Chefs braucht, keinen Messias und keinen Erlöser; um zu kämpfen braucht man nur ein bisschen Anstand, etwas Würde und viel Organisation – und sonst: Entweder man trägt zum Kollektiv bei oder man taugt nichts,“
„Wenn es Misserfolg bedeutet, gradlinig zu sein, dann ist also die Rückratlosigkeit der Weg zum Erfolg, der Weg Richtung Macht. Aber dort wollen wir nicht hin, sie interessiert uns nicht. Unter diesen Maßstäben ziehen wir es vor zu scheitern statt zu triumphieren.“
Bravo!