Knastuniformen und Räubermasken

Sterni Riot

Diese Handreichung dient dem selbstbestimmten Umgang mit fremdbestimmten Klamotten. Ausgangspunkt ist eine direkte Aktion gegen eine militärische Fremdbesetzungspräsenz in der Nähe einer selbstbestimmten Landnahme. Um die amerikanischen Besatzungssoldaten zu animieren mit der Ortsbevölkerung ins Gespräch zu kommen wurde mit „Fundsachen“ aus dem U-Laden-Bestand operiert. Die Messungen ergaben jedoch leider null ehrliche Finder. Sobald nach dem Abzug der Besatzer Gras über die Fläche gewachsen war kam es allerdings zu einer grotesken Racheaktion: Gäste mit undurchsichtigem Hintergrund hinterließen in der Gemeinschaftsküche eine höchst frivol platzierte Fundsache deren Eingliederung ins U-Laden-Sortiment die Entwicklung einer Strategie der nachhelfenden Emanzipation erforderlich machte. Denn das unisexuelle Kleidungsstück war wie ein phantastisches Multifunktionswerkzeug mit institutionellem Gruppenzwang – eine äußerst tückische Kombination von Gängelung und Attraktivität die Menschen welche ohnehin schon grenzlastig am totaldemokratischen Geschlechterunbehagen tragen in Richtung Nervenzusammenbruch zu jagen vermag.

 

Um die Jahrhundertwende beschrieb die Kapitalismusanalytikerin Naomi Klein einen bemerkenswerten staatsgewaltsamen Überfall auf die „Reclaim the Streets“-Aktion in ihrer Stadt. Dort war es zu einer spektakulären Messerstecherei gekommen. Zum Auftakt massakrierte eine unerkannt eingesickerte Bande auf ein einheitliches Kommando hin sämtliche über das Straßenfest verteilten Luftballons. Dann outeten sich die Täter als Staatsbeamte und zogen sich sogleich zurück um so eine eindeutig gefärbte Eskalationsdrohung zu hinterlassen.

Aus der Aufarbeitung entstand das Werk „No Logo“, welches eine klare Abgrenzung gegen die Zweitverwertung staatsgewaltsamer Überrumpelungsansätze als kommerzielle Vereinnahmungsverfahren formulierte. Auf der Basis dieser Erfahrungen konnte die repressiv aus dem urbanen Raum verdrängte Erhebung den langen Marsch gegen die Institutionen antreten, welcher nach der Machtergreifung des Überwachungsstaats zur Überlebensgrundlage emanzipatorischer Bewegungen wurde. Die Autorin erteilt darin ausnahmslos allen Identitätszeichen eine scharfe Absage, denn sie sind um kulturellen Halt zu finden ebenso unzuverlässig wie die Luftballons auf dem Straßenfest – wenn nicht schon mit kommerziellen Ansprüchen vorbelastet.

Auf den U-Laden bezogen bedeutet das: Die Befreiung entnommenen Materials von kommerziellen Verunreinigungen ist persönliche Angelegenheit der entnehmenden Person. Der U-Laden als solcher hat nicht den Anspruch das Wahre im Falschen zu repräsentieren sondern ist ein Prototyp einer kommenden Wirtschaftsform deren vollständige Andersartigkeit sich erst mit ihrer bleibenden Durchsetzung entfalten wird. Die Diagnose was ein künstliches Logo ist und was ein natürliches Muster muss jedoch schon jetzt alle Eventualitäten vorhersehen, und insbesondere gezielt grenzwertige Darstellungen in den Blick fassen welche es darauf anlegen diese Unterscheidung zu unterlaufen.

Das charakteristischste Merkmal des kommerziellen Logos ist seine Entstellung des Gegenstands, so wie die Tierdarstellungen der Staatswappen immer nur Gefangenschaft repräsentieren und niemals Freiheit. Alle kommerziellen Logos tragen die Spuren dessen was Karl Marx im Kapital als ursprüngliche Akkumulation beschrieb – die erste flächendeckende Ausplünderung mit welcher die kapitalistische Wirtschaftsform sich in einem Territorium festfrisst. Diese Urform der Ausbeutung ist noch so transparent, dass darin der kapitalistische Staat mit seinen Institutionen als Vorhut der wirtschaftlichen Ausplünderung mit anderen Mitteln identifizierbar wird, und ihr destruktiver Charakter stellt das entscheidende Kriterium für die spätere ethisch-moralische Bewertung dar.

In der abstrakten Erzählung der Marken-Namen nimmt das beispielsweise die Form an dass der Kapitalist der sich auf einfache Weise bereichern will ein nichtkommerzielles kulturtragendes Zeichen gerade so weit abändert dass der Bezug nicht mehr offensichtlich ist, um es für ein Produkt zu vereinnahmen das eine Schmähung der so ausgebeuteten Kultur repräsentiert. In der Folge wird diese selbst von solchen Kunden artikuliert die davon nichts ahnen, und die negativen Gefühle derer die es tun werden für den kommerziellen Konkurrenzkampf eingespannt.

Die Klein´sche Absage an solche Marken-Zeichen ist daher eine ursprüngliche Anerkennung der damit verletzten kulturellen Selbstbestimmungsrechte, die ihren Wert daraus bezieht dass sie vorausschauend erfolgt ohne dass die Ausgebeuteten erst mit direkten Beschwerden auf sich aufmerksam machen müssten welche nur die fälschliche Assoziation hervorheben würden. Denn um die Sache zu bewerten ist es ganz gleich wer von der ursprünglichen Akkumulation betroffen ist. Und wo eine solche Absicht schwer nachzuweisen ist, etwa weil die verwendeten Zeichen von hoher Allgemeingültigkeit bzw. umfangreicher Kontextualisierbarkeit sind, gilt ein einmaliger neuerlicher Nachweis als rückwirkender Beweis bzw. die Vereinnahmung des neu Dazugekommenen als Veranschaulichung der zurückliegenden Intention.

Klein selbst nennt unzählige Beispiele dafür wie kommerzielle Formgebungen auf die seelische Mitte indigener Kulturen zielen, welche nicht einzeln zitiert zu werden brauchen um den Blickwinkel der Ausbeutung erkennen zu lassen. Motivationskern ihrer Ausführungen ist der asymmetrische Charakter dieser Ausbeutungsform – die ursprüngliche Akkumulation ist eine Einbahnstraße. Es ist keiner Emanzipation zweckdienlich sozusagen einen Spieß herumdrehen und mit denselben Verdrängungstaktiken dem Kapitalismus beikommen zu wollen, denn sie wirken immer nur aus der Position einer Übermacht heraus, da sie nicht auf dem Recht der Wahrheit sondern auf dem Unrecht des Stärkeren basieren und sich beides nicht miteinander mischen lässt. Aus der materiellen Unterlegenheit heraus sind sie bestenfalls unwirksam und im schlimmsten Fall Einfallstore für ebendiese Akkumulation. Deshalb sind sie ja auch erst an dem Punkt in das Blickfeld der Emanzipation gelangt als sie diese unmittelbar zu bedrohen begannen.

Die abgeworfene Fundsache – ein unisexueller Textilschurz, der sich von der vollständigen Verhüllung des Unterleibs bis zum kleinstmöglichen schamgenügenden Gebinde variieren oder auch zur Stola erheben lässt – erinnerte den erfahrenen Chaostheoretiker sogleich an die „Plastikschaman_innen*“ der Reagan-Zeit, die in der Frühphase seiner eigenen Politisierung scharenweise zu Kollateralschäden der DDR-Annexionshysterie wurden, denn obwohl der Schnitt die Wesensmerkmale vielfacher Erprobung zeigte schien diese doch nur in geschlossenen Räumen stattgefunden und überhaupt keine Orientierung am Belastungsprofil des Lebens unter freiem Himmel eine Rolle gespielt zu haben. Als die deutsche Teilung auch das Grundrecht auf Subkultur ermöglichte, konnten jede und jeder die ein paar Tiergeschichten von Don Juan gehört hatten  –  einer Art Wandervogelgeneration-Vorläufer des zapatistischen Subcommandante Marcos – anderen das Blaue vom Himmel herunterversprechen ohne sich damit tatsächlich gegen eine totalitäre Übermacht behaupten zu müssen. Doch als später Osama bin Laden, den seine Feinde Geronimo nannten, dieses Gleichgewicht umwarf fielen sie alle mit um.

Denn das Stoffmuster in dem der Schnitt implementiert war hatte es semantisch in sich – seine Gestaltung machte genau jenen fatalen Fehler vor dem Naomi Klein eindringlich warnt: Darin zu erkennen war eine auf die oben beschriebene Weise verfremdete Ami-Nationalfahne – das Design machte also das Symbol eines völkermörderischen Imperialismus zum Gegenstand einer destruktiven ursprünglichen Akkumulation aus einer Position der Schwäche heraus, denn eine antiimperialistische Übermacht materieller Art existiert bekanntlich nicht. Wer nie eine solche Nationalfahne gesehen hätte, würde beim Anblick des Musters niemals eine solche Assoziation haben, wer es jedoch auch nur einmal hat dem drängt sie sich wie mit Gewissheit auf – ganz wie beim kommerziellen Logo und dem Gegenstand seiner ursprünglichen Akkumulation. Und die Vereinnahmung war noch totaler als bei einem Marken-Zeichen das sich abtrennen oder abdecken lässt, und ging sogar noch weiter als in den grenzwertigsten Grenzfällen wie beiläufig dahingeworfen wirken wollender Sakralzeichenentfremdungen – der Versuch mit handwerklichen Mitteln das Logo zu subtrahieren hätte vom Material gar nichts übriggelassen und es bliebe nur die abstrakte Funktionalität.

Oder von der anderen Richtung her aufgezäumt, wer diese auffällig domestizierte Funktionalität und ihre verführerische Formgebung mit einem Warenfetisch belegt macht sich damit zum Teil einer Gruppe deren Positionierung gegenüber dem USA-Imperialismus sich diesem fremdbestimmten Warenfetisch unterordnen lässt. Denn schon der multifunktionale Schnitt legt die Vervielfältigung geradezu nahe. Eine persönliche emanzipatorische Intention könnte also ohne je eigene Böswilligkeit in eine antiemantipatorische Assoziation umschlagen, welche die Träger und Trägerinnen dieses Kleids um so heftiger verletzen würde je stärker sie das (quasi-)kommerzielle Logo verinnerlicht und mit eigenen Vorstellungen verbunden hätten. Der verstorbene Antifa-Analytiker Alfred Schobert nannte einst als Schulbeispiel für eine solche Situation den Schuh der nach Che Guevara benannt ist aber dessen käuflicher Erwerb imperialistische Todesschwadronen finanziert gegen welche dieser bis zuletzt stand.

Der Verfasser gab das ebenso glamouröse wie heimtückische Sternenkleid nach Selbstversuch und Wäsche nicht in den damit gezielt bestückten U-Laden zurück, sondern hinterließ es auf einer Parkbank irgendwo im Land, nachdem er für ein paar Tage und Nächte ein Glashaus besetzt hatte um sich so eine umfassend sachkundige Meinung zu bilden und letzlich zu dem geschilderten Schluss der Unvereinbarkeit mit der eigenen No-Logo-Einsicht gelangt war. Dort hat es sich hoffentlich irgendwer angeeignet für die oder den es ein echter Zufallsfund ist. Rückblickend sehen ohnehin alle Ausbeutungsverhältnisse gleich aus, und ein Gruppenzwang erscheint aus anarchistischer Sicht grundsätzlich untragbar. Das ist nicht die Bezugsgruppe die die Revolution macht.

Doch mit dieser Feststellung ist der Angriff noch nicht aus der Welt geschafft. Die von verbitterten Konservativen schon als „Kittelschürze des Kleinbürgertums“ titulierte schwarze Seide (oder tatsächlich Plaste – auf einen Flammtest wurde verzichtet) mit dem aluminiumfarbenen Sternenmusteraufdruck dessen Elemente nur leicht aus der nationalistisch-militaristischen In-Reih-und-Glied-Aufstellung herausgerutscht zu sein scheinen dürfte bereits in umfangreicher Stückzahl im Umlauf sein, auch wenn sie in der Öffentlichkeit kaum zu sehen ist. Ein Grund dafür ist sicher die professionelle Unlauterkeit der tragenden Personengruppe zu der ganz offenbar auch vom totalitären Unterdrückungsapparat bezahlte Täterinnen gehören - wer sich in diesem Kleid öffentlich zeigt, zieht stellvertretend für alle die es nur in klammheimlicher Häme tragen den Zorn der von diesen Geschändeten auf sich.

In dieser Hinsicht gleicht es ganz der Ami-Nationalfahne. (Don Juan hätte dazu vielleicht gesagt, damit ist es wie mit dem von ihrer Familie missbrauchten Mädchen das vom Biologielehrer dabei zur Rede gestellt wird wie es einer Libelle die Flügel ausreißen will und sich daraufhin mit den eifersüchtigsten Wortverdrehungen herauszureden versucht – daraus spricht ganz der Herr Papa.) Und wer es rein aufgrund seiner unisexuellen Gestaltung favorisiert befindet sich damit in der Situation des sprichwörtlichen Kohlengruben-Kanarienvogels der orthodoxen Antisemitismusanalyse, ein menschlicher Schutzschild für die abartigsten Menschenrechtsverletzungen und schlimmstenfalls sich seiner unpersönlichen Rolle als „Blowback“-Puffer nur zu berechtigter Empörung nicht einmal bewusst.

Was tun? Diese Frage kann die Fundsache nicht aus sich selbst heraus beantworten, und „Wer ohne Sünde ist werfe den ersten Stein“ ist zwar immer richtig aber nicht immer ausreichend. Doch ihre dialektisch-genealogisch rekonstruierbare Herkunft legt es nahe, und Pussy Riot haben es bereits vorgemacht: Wer das unisexuelle Kleidungsstück öffentlich für sich beanspruchen will ohne dabei vom Gegenwind des (para-)militärischen Geschlechterunbehagens niedergemäht zu werden hat jedes Recht dazu staatswaltsame Vermummungsverbote zu entkräften. Niemand der ohne Schuld ist braucht mit seinem Gesicht für eine staatliche Mäusefalle einzustehen. Wenn demnächst wieder die Deklassierungsverängstigten mit mehr Ratlosigkeit als Durchblick für irgendwelche Strom-Netz-Reformen demonstrieren, werden darunter auch jene staatstragenden Seelenwracks marschieren die in der paradoxen Kombination dieser beiden Kleidungsstücke die gesamte Irrsinnigkeit ihrer antiemanzipatorischen Menschenjagd in emanzipatorischer Verpackung erblicken müssen.

* zur Erläuterung der Formulierung siehe: Eduard Guggenberger / Roman Schweidlenka: Mutter Erde – Magie und Politik (Wien 1987)

* * *

Archiv: Die Dürener Hakenkrallenaffäre - Kurzschluss im Repressionsapparat! (5.3.) | Das Münchner Justizversagen im Flughafenkonflikt und die Folgen (25.2.) | Grausamkeit und Sexualität als Symptom(e) der kapitalistischen Krise (21.2.) | Sind "Die Grünen" utopiefähige Wegbegleiter der Umweltschutzbewegung? (12.2.) | Ich vermeide Steuern und das ist definitiv besser so. (7.2.) | Euthanasie und Export – sozialkonservative Aufbruchssimulation in Berlin (31.1.) | Der Troll der aus dem Schiffsbau kam (25.1.) | Vorfahrt durch Lügen – das blaue Wunder der gelben Bengel (23.1.) | Menschliche Schutzschilde für den Restadel? (14.1.) | Die Kanzleramtsaffäre und die Deutschen (7.1.) | Das große Debakel der sozialkonservativen Kollision (15.12.)