Das Bundesinnenministerium behindert offenbar gezielt die Aufklärung über eine mögliche Beteiligung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) an der Flucht eines wegen Mordes verurteilten Neonazis in die USA. Diese Rückschlüsse lässt die Antwort der Bundesregierung (BT-Drucksache 18/12313) auf die Kleine Anfrage (Drucksache 18/12069) der Abgeordneten Martina Renner zu.
Renner
hatte sich in der Anfrage nach "Quellen des Verfassungsschutzes als
Leumundszeugen für den wegen Mordes verurteilten Hendrik Möbus“
erkundigt. Mit seiner Flucht zum Gründer der "National Alliance" (NA),
William Pierce, in die USA hatte der als "Satansmörder" bekannte Möbus
1999 versucht, sich seiner Strafe zu entziehen. Dort baute er für Pierce
und sein Musiklabel neue Vertriebswege in Europa auf. Als ihn
Zielfahnder des Landeskriminalamtes Thüringen aufspürten, stellte er in
den USA einen Asylantrag. Im folgenden Asylverfahren in den USA sagten
im Jahr 2000 der V-Mann des BfV, Mirko Hesse, und Tino Brandt, V-Mann
des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, zugunsten Möbus aus. In
der Antwort auf Renners Anfrage weigert sich das Innenministerium mit
Hinweis auf den Quellenschutz, Fragen nach der Rolle des BfV und den
V-Männern zu beantworten.
Durch Publikationen und
Veröffentlichungen ist bekannt, dass die NA mit ihren internationalen
Kontakten unter Leitung von William Pierce zu einer begehrten
Organisation zur Fluchthilfe für deutsche Neonazis wurde. Pierce ist
Autor des Buches "The Turner Diaries", das als Blaupause für das
Vorgehen und die Morde des NSU gilt, seine Verbindungen und die der NA
zu deutschen Neonazis sind altbekannt.
Bereits 1996 hatte die NPD
in einem Interview mit der NA ihr Interesse an einer "worlwide
confederation of nationalists as a step in the right direction"
bekräftigt. In den folgenden Jahren nahmen NA-Vertreter an
Veranstaltungen der NPD und "Jungen Nationaldemokraten" in Deutschland
teil und andersherum, wie die Teilnahme des damaligen NPD-Funktionärs
Alexander von Webenau an einer "Leadership Conference" der NA im April
1997 zeigt. Pierce selbst gehörte 1998 zu den Ehrengästen einer
NPD-Veranstaltung in Passau und besuchte weitere Neonazi-Veranstaltungen
in Deutschland.
Angesichts dieser und anderer Verflechtungen
verwundert es nicht, dass der deutsche Neonazi Henrik Ostendorf aus
Bremen in dem Jahr Bürodienste bei Pierce versah, als Möbus zu dem
NA-Leiter flüchtete. Da die damaligen V-Leute Brandt und Hesse auf
Einladung Ostendorfs in die USA reisten, ist davon auszugehen, dass er
den Kontakt zu beiden hergestellt hat, damit diese sich für Möbus
verwenden. Von Ostendorf war auch Übersetzer einer Rede des
NPD-Funktionärs Jürgen Distler bei einer von der NPD angeregten und der
NA organisierten Solidaritätskundgebung für Möbus in Arlington,
Virginia. Bei dermaßen häufigen wechselseitigen Besuchen von
NA-Vertretern um Pierce und deutschen Neonazis sowie ihrer Anwesenheit
bei neonazistischen Veranstaltungen in den USA kann getrost von einem
NA-Netzwerk mit deutschen Neonazis aus NPD, JN und dem "Thüringer
Heimatschutz" (THS), aus dem das Terrornetzwerk NSU hervor ging,
gesprochen werden. Dessen feststehende Arbeitsstrukturen verhalfen
deutschen Neonazis zur Flucht in die USA und den "Turner Diaries" zum
Weg in die deutsche militante Neonazi-Szene, die das Buch als
Inspirationsquelle für neonazistische Attentate und Morde aufgriff. Im
April 2006 wurden die "Turner Diaries" von der Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt. Dieser Umstand brachte
kurz darauf erneut eine offensichtlich lang gehegte Verbindungslinie zu
Tage: Acht Kartons mit 238 Exemplaren der "Turner Diaries" wurden in
Bremen beschlagnahmt.
Bei diesem Charakter eines Netzwerks
klandestiner Neonazi-Strukturen um einen Mörder und den Autoren der
Blaupause der NSU-Morde ist die Auskunftsverweigerung des Ministeriums
nicht hinnehmbar. Spätestens seit den Taten des NSU wissen wir, dass ein
solcher vorgeschobener "Quellenschutz" die aktive Unterstützung des
NSU-Netzwerks durch staatlich bezahlte Neonazis verschleiern soll. Auch
das Innenministerium sollte inzwischen aus diesen Fehlern gelernt haben
und seine Verweigerungshaltung im aktuellen Fall aufgeben.
BT-Drucksache 18/12313
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/123/1812313.pdf