Für einen Gewaltbegriff, der trifft!
„One in three women on the planet will be beaten or raped in her lifetime“ lautet die namensgebende These der weltweiten Demonstration One Billion Rising. Selten hat ein Ausspruch dort, wo er Gewalt aufzeigen wollte, analytisch so sehr daneben gezielt und Gewalt als solche gerade dadurch unsichtbar gemacht.
Nicht nur, dass eine solche Quote (1/3) völlig unbelastbar ist, wenn es darum geht, die gegen Frauen gerichtete Gewalt in ihrer Ganzheit sinnvoll einzufangen, stellt „one in three“ eine völlige Verharmlosung patriarchaler Gewalt dar. Das zeigt sich allein darin, dass der selbe Satz – „beaten or raped“ – mit Männern als Subjekt ganz gewiss eine weitaus größere Quote erzielen würde – denn unverschuldet eine Faust abzubekommen oder in eine Schlägerei zu geraten, gehört zum Männerschicksal wie Bäume in den Wald. Und überhaupt ist es gar nicht irrelevant, ob nun „beaten“ oder „raped“: der Ausspruch „Frauen schlägt man nicht“ ist Teil des Problems, in dem Frauen als schwächliche, wehrlose Opfer per Geburt reproduziert werden, nicht Teil seiner Lösung. Zahlen wie diese stammen aus Erhebungen quantitativer Sozialforschung, in denen Frauen eine Selbsteinschätzung leisten müssen, ob sie in ihrem Leben diesen Formen der Gewalt ausgesetzt gewesen sind. Doch ausgerechnet die Selbsteinschätzung von Frauen ist nichts, auf das sich feministische Politik naiv beziehen darf, sondern sie muss im Gegenteil gerade dieses Bewusstsein einer Kritik unterziehen. Gewalt in ihrer normativen Dimension betrachtet reguliert dynamisch die Grenze, ab der eine Person eine Handlung als „gewaltsam“ erachtet oder nicht. Wenn Frauen im Alltag der kapitalistischen Konkurrenz und der Beziehungsführung bestehen wollen, sind sie gezwungen, diese Grenze dermaßen einzurichten, dass sich ihnen eben gerade nicht der permanente Eindruck aufdrängt, dass sie wieder und wieder Betroffene von Gewalt werden, Opfer sind. So segelt der gewalttätige Alltag aus Gründen, die im gewalttätigen Alltag selbst zu suchen sind, immer wieder knapp unterhalb dieser Grenze hindurch. Es gehört zur Küchenpsychologie, dass eine erlebte Vergewaltigung (zumal eine nicht am Maßstab des Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern an der Frage ‚Konsens oder nicht?‘ gemessene) in den allermeisten Fällen zunächst einmal nicht als solche eingestanden, sondern von den Betroffenen verdrängt, zumindest aber verharmlost wird. Der Sonderfall ist Normalfall. Ob eine ‚ausgerutschte‘ Hand von einem Mann, den eine liebt, den Tatbestand „beaten“ ausfüllt, ist unter Frauen durchaus keine eindeutige Angelegenheit. Zumal die Königsdisziplin der hegemonierten Weiblichkeit auch noch eine Rolle spielt: sich selbst die Schuld zu geben.
Das Motto von One Billion Rising suggeriert eine Welt, in der
naturgegebene Körper, Pilzen gleich aus dem Boden geschossene Subjekte,
fröhlich über die Wiesen dieser Welt hüpfen und dort dann aus
unerfindlichen Gründen Gewalt ausgesetzt sind (bzw. Gewalt ausüben).
Dabei ist „Gewalt“ nichts, was raum-zeitlich fassbar einfach zwischen
zwei Personen stattfindet: ein wissenschaftlich-kritischer Begriff von
Gewalt hat weit darüber hinaus zu gehen. Eine Analyse, die sich der
Frage widmet, warum z.B. in der BRD eine 23%-Lohndifferenz zwischen den
beiden (offiziellen) Geschlechtern herrscht oder warum Frauen weit
häufiger von Armut betroffen sind oder sich in der Prostitution
verdingen, die aber ohne einen Begriff von Gewalt auskommt, wird ihren
Gegenstand niemals sinnvoll begreifen können. Sie schließt das
wesentliche aus ihrer Untersuchung aus: die Totalität gesellschaftlicher
Verhältnisse, in denen sich Personen nicht einfach
bewegen, sondern durch die Personen (‚Subjekte‘) erst als solche
überhaupt geformt, denkbar, lebensfähig sind. Einen Teilaspekt dieser Verhältnisse bezeichnen wir als „Patriarchat“, als männliche Herrschaft. Ein Feminismus, der mit dem Anspruch Ernst macht, dass Gewalt gegen Frauen nicht mehr sei,
muss eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse formulieren, die
diese insgesamt als gewalttätig entlarvt. Er muss das falsche
Bewusstsein von diesen Verhältnissen freilegen, wo eben dieser
gewalttätige Zustand für Normalität erklärt wird. Frauen widerfährt
nicht einfach Gewalt: die Bedingungen, das ein Mensch überhaupt zur Frau
wird, sind selbst schon Gewalt. Frauen sind stets „das Andere“ einer
(‚männergemachten‘) Ordnung, die gesellschaftliche Zuweisung ist immer
schon ihr gewaltsamer Ausschluss von Möglichkeiten, die Ausbeutung ihrer
Ressourcen, die Verfügbarmachung ihrer sexuellen Dienstleistung. Die
Gewalt, die Frauen – in einem engen Sinne des Wortes – ganz konkret
erfahren („beaten“ und „raped“), sind keine Ausnahmen vom Normalfall,
sie sind der Normalfall in einer Ordnung, in der schon
die Blickhoheit im U-Bahnabteil, das beiläufige Tätscheln auf nackter
Haut im Gedränge der Disco nie bloß nur für sich steht, sondern auf sie
verweist.
Aus diesen Gründen erklären wir unsere kritische Solidarität mit dem Anliegen von One Billion Rising.
Für ein Ende der Gewalt! Für die Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse im Ganzen!
Nieder mit dem Patriarchat!
autonome Feminist_innen, Bonn, Februar 2013
frage
"Frauen widerfährt nicht einfach Gewalt: die Bedingungen, das ein Mensch überhaupt zur Frau wird, sind selbst schon Gewalt."
wie jetz?
eine frau wird durch biologische prozesse zur frau. ich will da nich ins detail gehen. das fängt mit den "bienchen und blümchen an".
es gibt nun mal biologische geschlechter. sonst wäre fortpflanzung nicht möglich. ob das in euer weltbild passt ist völlig nebensächlich.
für eine realistische auseinandersetzung mit gender-themen!
Hau ab.
Deine einzige Frage war "wie jetz?" - der Rest ein dummdreistes Statement. Geh zurück zu de.indy, dummer Troll.
Biologische Prozesse
On ne naît pas femme, on le devient. Simone de Beauvoir
antwort
Wenn davon die Rede ist, dass Männer und Frauen nicht als solche geboren, sondern zu solchen gemacht werden, bezieht sich die Rede meist auf die gesellschaftlichen Zuschreibungen, die die sozialen Geschlechter unterschiedlich prägen und im Verhältnis zueinander privilegieren oder halt abwerten. Das biologische Geschlecht dient dabei nur als ein relativ willkürliches Bestimmungskriterium (vgl. Intersexualitätsdebatten). Weite sind Aussehen, Stimme und es spielt auch eine nicht unwesentliche Rolle, in was für einer Gesellschaft (Normen, Geschlechterbilder) sich das ganze abspielt etc. pp. Das mit den Zuschreibungen und der sozialen Rollenaufteilung ist im Gegensatz zu Muschi und Penis also etwas sozial konstruiertes und damit auch hinterfrag- und veränderbar...
P.S. @ "Hau ab" Dein Statement ist nur reflexartiges Gepöbel. Versuchs mal mit informativem Gehalt, wenn du außerhalb deiner Sekte ernstgenommen werden willst.
dankö
okay.
dass menschen in rollen gedrängt werden, ist mir klar.
ich hab bloß leider oft den eindruck, dass so getan wird als ob alle menschen als neutrum auf die welt kommen und erst durch sozialisation ein geschlecht bekommen.
die meisten menschen haben nun mal von geburt an (bzw davor auch schon) ein klares geschlecht. das müssen wir wohl so akzeptieren.
aber...
...es wird wieder mal typisch feministisch argumentiert. Kein Wort zu all den Männern die von physischer und psychischer Gewalt (durch Frauen) betroffen sind. Aktuellen Studien zu folge sind es sogar mehr Männer, die Gewalt durch Frauen erleben, als Frauen die Gewalt durch Männer erleben (in D).
Dieser Text genau so abstrus, wie die Forderung nach Einführung von Frauenquoten. Da werden dann einige Hundert Vorstandsposten neu verteilt werden, aber das das 99,9 % der Frauen GAR NICHT hilft, wird dann verschwiegen...
Einst trat der Feminismus mit einer anderen Vision an, es ging um ein neues Paradigma für den menschlichen Fortschritt. Es war der Traum des Feminismus eine freiere und humanere Welt zu schaffen. Davon ist nicht mehr viel geblieben, es geht nur noch um einen "Geschlechterkampf"...
kritik der kritik
1. Ihr habts ja eh recht, aber welcher mensch ausserhalb von universitären Strukturen soll das verstehen?
2. Finds schade, daß ihr das rassistische Mobivideo nicht kritisiert...
solidarische grüße
"Kritische Solidarität"
"Kritische Solidarität" ist hier genau das Richtige: Denn von einer bürgerlichen Kampagne ist erstmal nicht mehr zu erwarten, als das was gewesen ist. Ebenso wie ich es seltsam finde, gegen Gewalt anzutanzen. Trotzdem hat es diese Kampagne geschafft, weltweit viele Menschen, vor allem Frauen, auf die STrassen zu bringen, und das ist schonmal ein großer Erfolg: Denn es schafft Selbstbewusstsein. Gerade dort ist es wichtig, dass sich linke einbringen und den Horizont erweitern.
In Aachen haben wir genau das gemacht: Die Kampagne aufgegriffen, aber wir sind nicht stehengeblieben bei den "Offiziellen" Forderungen. Genossinnen haben in ihren Reden (von denen leider nur zwei digital vorliegen) auch die Fragen von sexistischer Werbung, Lohndiskriminierung und vieles mehr thematisiert. Das hat den Protest spürbar politisiert.
Einen Bericht und die zwei Reden sind hier nachzulesen:
http://linksjugendsolidaachen.blogsport.de/2013/02/15/one-billion-rising...
Frauen und Kinder
Dabei sollte die Kinderarbeit nicht vergessen und außer Acht gelassen werden. Wie auch immer...
Mehr Kinderarbeit für Deutschland
So richtig eure Kritik ist...
Auf der einen Seite kritsiert ihr völlig zu Recht einen Gewaltbegriff, der von manchen so ausufernd definiert wird, dass man ihn immer, wenn man möchte, aus der Tasche ziehen kann. Dann schmeißt ihr aber völlig unreflektiert die durchschnittliche Lohndifferenz von 23 % in den Raum. Wenn viele Frauen lieber Sozialpädagogik studieren, als Maschinenbau, lieber Friseurin werden, als Software-Entwicklerin, dann ist hier keine Gewalt im Spiel, sondern die freie Berufswahl vernunftbegabter Subjekte. Ähnlich verhält es sich in der Regel mit der von euch kritisierten Prostitution.
Während die postmodernen Feministinnen alles, was ihnen nicht passt, als Gewalt bezeichnen, subsummiert ihr alles unter "die Totalität", um am Ende genau wieder dort zu landen, wo man das, was euch nicht schmeckt, als Ausdruck der Frauenunterdrückung zu interpretieren, denn alles ist Teil der Totalität und die Totalität ist eben frauenunterdrückend.
Euer Problem ist, dass das wogegen der Feminismus einst anging (rechtliche Benachteiligung, Hausarbeit,...), sich immer mehr verringert. Deshalb müssen die heutigen Feministen, das Verbliebene aufbauschen: Sei es durch einen ausgedehnten Gewaltbegriff, sei es durch manipulierte Zahlen, sei es durch vollkommen abstruse Zusammenziehung von Statistiken („One in three women on the planet will be beaten or raped in her lifetime“- Yes! and „Two out of three man“!), sei es, indem jede Lebensentscheidung von Frauen (z. B. lieber Kinder zu versorgen und dafür keine Karriere zu machen, Soziale Arbeit zu studieren statt Mathematik etc.) nicht als ihre Entscheidung ernst genommen wird, sondern als Ausdruck der Gewalt des Patriarchats.
Ein wirklich analytischer Feminismus dürfte nicht die Argumente, die in den 70er Jahren zutrafen, nachbeten, sondern müsste genau analysieren (also ohne manipulierte oder zurechtgebogene Statistiken, ohne moralische Empörung über die Berufsentscheidung von Frauen), wo sich denn wirklich noch Frauenunterdrückung als Massenphänomen zeigt. Richtig fündig würde er dabei zum Glück nicht werden.
Sehe ich ähnlich
Im Prinzip guter Punkt, auch wenn mir Verallgemeinerungen a la "der heutige Feminismus" nicht zusprechen in einer so dann doch verkürzten Darstellung; erst recht nicht, wenn sie noch ein einem Atem mit "manipulierten Zahlen" genannt werden.
Im Diskurs um gesellschaftliche Rollenbilder, vor allem im populistischen, scheint es, als sei die Wahl eines Berufes durch eine Frau, der zu den typischen Frauendomänen (die Ursachen seien einmal dahingestellt) zählt, an sich schon etwas verachtenswertes. Das hat leider zwei unschöne Folgen: a) Die Mündigkeit der Frauen, die diese Entscheidungen treffen, wird in Frage gestellt und b) es entsteht der Eindruck, als seien "Frauenberufe" weniger achtenswert, weil sie von Frauen ausgeübt werden und "Männerberufe" achtenswerter, weil sie von Männern ausgeübt werden. Das ist durch Sexismuskritik generierter Sexismus.
Natürlich ist die Frage, warum es so eine hohe Lohndifferenz gibt, natürlich eine berechtigte. Da sich Frauen und Männer aber eher in anderen Berufen und/oder Positionen aufhalten, sollte die Frage aber eher dahingehend formuliert werden, warum gerade die "Frauenberufe" so schlecht bezahlt sind. Wer bestimmt eigentlich, wer wieviel verdient? Und warum sind einige Berufe angesehener als andere? Weil Männer lieber Männern Geld zuschieben, um Frauen klein zu halten? Nein, das wäre Verwschwörung. Mit bloßer Kritik am Patriarchat ist das nicht getan (auch wenn dieses sicher seinen Beitrag dazu leistet).
Die Lohndifferenz wird natürlich immer für einen Beruf ermittelt
Wenn man das jetzt noch über Berufsgruppen ausweiten würde, wäre die Differenz noch weit, weit größer.
Niedrigstes Level
Die Kritik die hier geäußert wird ist sicher richtig und sollte in die Organisation von OBR miteinbezogen werden.
Und jetzt wie immer da große ABER:
One Billion Rising ist mit Sicherheit nicht die große feministische Revolution, wer sich das erhofft, wird den großen Frust vorprogrammieren.
Bei dieser Kampagne geht es darum, möglichst viele Menschen zu vernetzen und anzusprechen und dies ist nur auf einem sehr geringen Level, auf einem sehr kleinen gemeinsamen Vielfachen möglich.
"Keine Gewalt gegen Frauen" ist nicht gleichzusetzen mit "Frauen und Kinder verlassen als erste das Schiff" und "Frauen schlägt man nicht", weil sie Frauen sind. Sodern er bedeutet: Frauen werden geschlagen und vergewaltigt, weil sie Frauen sind, und das muss ein Ende haben. Das Gewalt allgemein ein Ende haben muss ist impliziert, aber man kann eben nicht immer alles in einem Rundumschlag machen.
Diese Kampagne holt Frauen und Männer an einem anderen Punkt ab, als dies mit der grundsätzlichen Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen, an Zweigeschlechtlichkeit und an struktureller Gewalt möglich wäre. OBR hat nicht unbedingt mit Feminismus zu tun. Das alles ist manchmal schwer auszuhalten in dieser Organisationsarbeit, aber wir leben nun mal in den derzeitig herrschenden Zuständen und manchmal ist es schon ein Fortschritt, ganz kleine Schritte zu tun, ein paar Menschen aufzuwecken, klar zu machen, dass der status quo nicht naturgegeben ist. Viele derjenigen, die von OBR angesprochen wurden und werden, lassen sich mit einer grundätzlichen Gesellschaftsanalyse allerhöchstens abschrecken. Deshalb eins nachdem anderen, deshalb das eine hier tun und das andere woanders nicht lassen, deshalb OBR mit konstruktiver Kritik mitorganisieren aus einer anderen Perspektive als der gesellschaftlich angepassten.
http://onebillionrising2014.de/OBR-Events-in-der-BRD
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