Never forgive, Never forget – Remembering means fighting / Solidarität mit den Betroffenen des rechten und rassistischen Normalzustands

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Never forgive, Never forget – Remembering means fighting. Solidarität mit den Betroffenen des rechten und rassistischen Normalzustands. Demonstration 27.10.2012 16 Uhr Südplatz Leipzig. Im August 2012 jährt sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen zum 20. Mal. Es waren die schlimmsten rassistischen Ausschreitungen in Deutschland seit 1945. Die Gewalt gegen Migrant*innen die Nazis und Bürger*innen Hand in Hand ausübten, führte zur Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl, die von der damals regierenden CDU/CSU schon länger geplant wurde. Mit den Stimmen von SPD und FDP wurde im Dezember 1992 der Artikel 16 des Grundgesetzes geändert und damit eine Lehre aus der Naziherrschaft ausgehöhlt. www.rassismus-toetet-leipzig.org

 

Rostock war kein Einzelfall. Auch die Übergriffe und Anschläge auf Unterkünfte von Migrant*innen in Hoyerswerda (1991), Mannheim (1992), Mölln (1992) oder Solingen (1993) haben eindrücklich gezeigt, dass eben nicht nur bekennende Nazis gewalttätig gegen Migrant*innen vorgehen. Ebenso stellten Normal-Bürger*innen offen ihre Ablehnung gegen so genannte “Ausländer” oder “Asylanten” zur Schau, was sich auch in ihrem Handeln niederschlug. Sie unterstützen die Täter*innnen, sie applaudierten den Angreifer*innen und schützten sie vor den eher zögerlichen Versuchen der polizeilichen Zugriffe. Auch als der Mob sich ans Anzünden von Asyl- und Flüchtlingsunterkünften sowie Wohnhäusern machte, was zum Teil tödliche Folgen hatte, griffen sie nicht ein.


Rassen? Kulturen? Bullshit!


Nazis formulieren mit ihren Forderungen nach einem „Deutschland für Deutsche“ das, was in weiten Teilen der Bevölkerung gedacht wird. Umfragen und Studien belegen immer wieder, dass rassistische Einstellungen unter den Deutschen weit verbreitet sind. Auch die enorme Zustimmung zu den rassistischen und sozialdarwinistischen Thesen des SPD-Politikers Thilo Sarrazin verdeutlicht dies. Die tief im kollektiven Bewusstsein verankerte Überhöhung der eigenen Nation, die sich in einem ethnisch homogenen Staat konstituiert und die Vorstellung, dass Menschenrechte sich aus der blutsmäßigen Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft ergeben, sind die Vorbedingung dieses „normal“-rassistischen Denkens. Neonazis setzen diese Ideologie gewalttätig in die Tat um – fast jeden Tag wird in Deutschland ein Mensch Opfer rechter Gewalt, während der Rest „nur“ am Stammtisch hetzt und der Staat per Gesetz handfeste Realitäten schafft.


Rassismus geht im Kern auf die Vorstellung zurück, dass es verschiedene „Menschenrassen“ bzw. unveränderliche biologische Unterschiede zwischen Menschen gibt, aus denen verschiedene Eigenschaften und Fähigkeiten hervorgehen. Diese Vorstellung hält sich hartnäckig seit dem Mittelalter und diente in den kolonialen Feldzügen zur Unterwerfung, Vertreibung oder Ausrottung von Menschen. Bereits seit dem 16. und 17. Jahrhundert fanden Rassentheorien durch beispielsweise den französischen Historiker Henri de Boulainvilliers eine wissenschaftliche Grundlage, die zum Teil bis heute wirkungsmächtig sind. Daran konnte der deutsche Nationalsozialismus anknüpfen. Rassismus in seiner biologistischen Form fand hier seinen negativen Höhepunkt. Mehrere Millionen Menschen wurden im Namen der „arischen Rassenhygiene“ ausgerottet – unter maßgeblicher Mitwirkung eines Großteils der Bevölkerung. Besonders Jüd*innen galten im Nationalsozialismus als „minderwertige Rasse“.


Der moderne Antisemitismus muss allerdings als theoretisches Konzept vom Rassismus abgegrenzt werden. Richtet sich die antisemitische Ideologie gegen das abstruse Konstrukt der oft als „übermächtig“ und „wurzellos“ bezeichneten Jüd*innen, so definiert der Rassismus „minderwertige Menschengruppen“.

Die Idee eines ethnisch homogenen Staates, die im Nationalsozialismus auf die Spitze getrieben wurde, lebt trotz sukzessiver Aufweichung bis heute im deutschen Staatsbürger*innenschaftsrecht weiter. Dieses basiert auf dem blutsmäßigen „Abstammungsprinzip“, d.h. dass der oder die rechtmäßige/r Bürger*in des deutschen Staates ist, deren Vorfahren auch hier geboren sind. Zuwanderung und Einbürgerung sind nur unter schwersten Bedingungen möglich und bleiben vor allem „ökonomisch nützlichen“ Menschen oder denen, die dem „deutschen Sozialsystem nicht auf der Tasche liegen“, vorbehalten. Doch auch für diese „erwünschten“ Zuwanderer*innen, was insbesondere auch Akteure im hochrangigen Leistungssport sind, gilt, dass sie sich „der deutschen Leitkultur“ zu unterwerfen haben. Das Leitmotiv der Integration trägt im Kern kulturrassistische Vorstellungen, die die Biologistischen in der Gegenwart verstärken, ergänzen und ablösen. „Kultur“ hat den seit 1945 tabuisierten Begriff „Rasse“ weitestgehend ersetzt. In diesem Sinne ist es nicht mehr der Unterschied zwischen vermeintlichen „Menschenrassen“, sondern der Unterschied zwischen Lebensstilen, Sitten und Gebräuchen, sprich Kulturen, der als Grundlage für die Abwertung der „Anderen“ dient. Wer im Gegenzug eine „Multikultigesellschaft“ fordert, sorgt für die Erhaltung ethnischer Zuschreibungen und betreibt nichts anderes als kulturalistischen Rassismus. Dass die Grenzen zwischen diesen Rassismus-Formen fließend sind zeigt nicht zuletzt Thilo Sarrazin mit seinem Machwerk „Deutschland schafft sich ab“. In diesem faselt er einerseits von einem „Juden-Gen“ und andererseits prangert er die„kulturelle Überfremdung Deutschlands“ an.

Damit trifft Sarrazin den Nerv eines großen Teiles der Bevölkerung, einschließlich der politischen Elite wie dem Bundespräsidenten Joachim Gauck. Früher und auch heute ermöglicht dieses weitverbreitete rassistische Denken eine menschenverachtende Einwanderungspolitik.


und der Staat schiebt ab


Nicht erst seit der Änderung des Grundgesetzes von 1993 erhalten in Deutschland nur die Menschen Asyl, die in ihrem Herkunftsland politisch verfolgt werden und dies den deutschen Behörden nachweisen können. Der sogenannte “Asylkompromiss“ schränkt dieses Grundrecht jedoch nochmal erheblich ein. Seitdem wird Asyl nur denen zugestanden, die nicht über einen „sicheren Drittstaat“ eingereist sind. Dass diese Regelung der verstärkten Abwehr von Schutzsuchenden dient zeigt sich darin, dass Deutschland komplett von so genannten sicheren Drittstaaten umgeben wird. Auf Grund des EU-Festungswalls, der unter krassen Lebensbedrohungen überwunden werden muss, schaffen es kaum noch Menschen nach Deutschland zu gelangen um einen rechtmäßigen Asylantrag zu stellen. Eine legitime Einreise ist de facto also nur mit dem Flugzeug möglich.


Auch darauf hat der deutsche Staat eine gesetzliche Reaktion parat: Das Flughafenverfahren. Dies beinhaltet die Inhaftierung von Menschen noch auf dem Flughafengelände. Dies soll die Zahl der Asylanträge verringern um die Abschottung gegen Migrant*innen zu verschärfen. Entstanden ist dieses menschenverachtende Instrument der Migrationsabwehr im Zuge der Schaffung einer gemeinsamen EU-Grenzpolitik. Deutschland hat auch hier eine Vorreiterrolle übernommen und sich für immer härtere Maßnahmen der Grenzkontrollen stark gemacht. Leider erfolgreich. Das Flughafenverfahren wird, wenn es nach der deutschen Regierung geht, zur europäischen Richtlinie werden. Damit wären EU-Staaten zukünftig verpflichtet, beim Bau internationaler Flughäfen auch einen Abschiebeknast zu bauen. Das Flughafenverfahren soll so zum Exportschlager deutscher Abschottungspolitik für die ganze EU werden. Dieses Verfahren setzt die in Deutschland sowieso schon demontierten Möglichkeiten außer Kraft, das Recht auf Asyl wahrzunehmen. Wer auf dem Luftweg einreist und als „Flüchtling“ tatsächlich oder vermeintlich erkannt wird, da keine gültigen Papiere vorhanden sind, kann noch auf dem Flughafengelände festgenommen werden, so dass eine Einreise ins Land verhindert wird. An der Passkontrolle wird also zwischen der gewollten Einreise zwecks Tourismus und der Einreise ungewollter Menschen unterschieden. Auch Menschen, die mit der Absicht Asyl beantragen zu wollen hierher kommen aber auf dem Einreiseweg einen sogenannten angeblich „sicheren Drittstaat“ passiert haben, können sofort inhaftiert werden. In beiden Fällen wird die Migration kriminalisiert und der bloße Wunsch in Deutschland bleiben zu wollen ist die „Straftat“.


Finden sich bei den internierten Migrant*innen doch Kriterien die sie zum Asylantrag berechtigen, wird dann binnen weniger Tage in einem beschleunigten Verfahren über den Antrag entschieden. Meistens fällt die Entscheidung negativ aus. Der Freiheitsentzug gilt dann der „Sicherung des Verfahrens“, wie es im deutschen Behördensprech so schön heißt. Der Flughafen wird so zur exterritorialen Zone erklärt, auf dem Menschen keinen Anspruch auf rechtsstaatliche Standards haben. In Düsseldorf und Frankfurt wird das Flughafenverfahren bereits seit einigen Jahren angewendet und hat die Chancen der Migrant*innen auf einen Aufenthalt in Deutschland extrem verschlechtert. Wenn dieses Flughafenverfahren nun zum deutschen Standard werden sollte, ist damit eine Grundlage für die endgültige Aushebelung des Grundgesetzes auf Asyl gegeben.


Diejenigen Menschen, die es schaffen nicht sofort abgeschoben zu werden, müssen in Deutschland ein langwieriges Asylverfahren durchlaufen und werden an den Rand der Gesellschaft abgeschoben. Tausende von Asylsuchenden müssen in Deutschland unter menschenunwürdigen Bedingungen in Massenunterkünften hausen, oft am Rande jeglicher sozialer Infrastruktur. Die Meisten unterliegen einem Arbeitsverbot und auch Geduldete, bei denen die Abschiebung aufgeschoben ist, bekommen nach einem Jahr einen Job formal nur dann, wenn keine geeigneten Bewerber*innen aus Deutschland oder der EU zur Verfügung stehen. Abgespeist werden die Betroffenen mit minimalen Sozialleistungen entsprechend dem Asylbewerber*innenleistungsgesetz, das ebenfalls ein Ergebnis der Rostock-Pogrome ist. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht im Juli diesen Jahres entschieden dass die Sozialleistungen für Asylsuchende angehoben werden müssen, aber das rassistische Sondergesetz, das die Betroffenen zu Menschen zweiter Klasse macht, wurde nicht angetastet. Den Reigen des staatlichen Rassismus komplettiert nicht zuletzt die weltweit in Deutschland einmalige Residenzpflicht. Mit dieser wird die Bewegungsfreiheit der asylsuchenden Menschen auf ein definiertes Territorium beschränkt.


Der krasse Umgang mit Menschen durch den Staat steht in Wechselwirkung zur gesellschaftlichen Stimmung. Dieser rassistischen Durchdringung der kapitalistischen Gesellschaft muss auf allen Ebenen Widerstand entgegengebracht werden und muss über humanistische Forderungen nach menschenwürdigen Lebensbedingungen hinausgehen. Migration ist oft Folge kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse, so fliehen Migrant*innen vor Armut oder Krieg und werden in den Zielländern wieder Objekte dieser. Sie werden so – wenn es der Wertschöpfung nutzt – dem kapitalistischen Verwertungsprozess zugeführt, wenn sie überflüssig oder gar schädlich für jenen sind, jedoch durch tödliche Grenzanlagen außen vor gelassen. Staatlicher Rassismus bleibt in diesem Sinne ein Phänomen des Kapitalismus.


Sachsen, immer vorneweg im reaktionären Diskurs!


Seit der Wende regiert in Sachsen einer der reaktionärsten CDU-Landesverbände in Deutschland, was sich auch im Umgang mit Menschen anderer Herkunft und Lebensweisen zeigt. Die Asylgesetzgebung gehört mit zu den schärfsten und menschenunwürdigsten in ganz Deutschland. So ist der Anteil an Menschen, die unter unwürdigen Bedingungen in Sammelunterkünften leben, neben Bayern, Thüringen und Brandenburg am höchsten.

Vergessen werden sollte auch nicht, dass Übergriffe auf Migrant*innen im großen Volksmob im wiedervereinigten Deutschland ihren Anfang im sächsischen Hoyerswerda nahmen. In Sachsen lernten die Rassist*innen und Nazis, dass sie mit Gewalt ihre menschenverachtenden Ziele durchsetzen können. Der Staat kapitulierte nach fünf Tagen vor dem deutschen Mob und brachte am Ende die von dieser Gewalt betroffenen Menschen aus Hoyerswerda. Ein Vorbild für zahlreiche rassistische Ausbrüche, die in Rostock ihren Höhepunkt erreichten.


Seit jeher scheint Sachsen eine gute Basis für reaktionäre und menschenverachtende Einstellungen zu sein. Die faschistische NPD sitzt seit 2004 im Sächsischen Landtag, ist kommunal flächendeckend vertreten und schaffte hier sogar zum ersten Mal in ihrer Geschichte zweimal hintereinander den Einzug in ein Landesparlament. Bei dieser Konstellation verwundert es auch nicht, dass Naziterrorist*innen sich genau hier her zurückziehen. Nicht nur Terrorzellen wie der “Nationalsozialistische Untergrund” können in Sachsen untertauchen und nach Herzenslust mordend und raubend durch die ganze Republik ziehen. Auch Wehrsportgruppenführer*innen wie Karl-Heinz-Hoffmann fühlen sich hier heimisch und lassen sich vom Freistaat die Sanierung ihres Rittergutes in Kohren-Sahlis mit 130.000 Euro bezahlen. Naziterrorgruppen wie “Skinheads Sächsische Schweiz” (SSS) oder “Sturm 34” werden nur als “kriminell” eingestuft und können darauf zählen, dass die Dresdner Staatsanwält*innenschaft ihre Akten gleich unbeachtet liegen lässt. Ihres Erachtens nach ist es egal, ob die (unsere) “Jungs” nun Migrant*innen oder Linke jagen oder im Knast sitzen. Die “Terror Crew Muldental” wurde vom sächsischen Verfassungsschutz gleich via Internet vor der nächsten Razzia gewarnt, während auf der anderen Seite gegen Antifaschist*innen, unter anderem einen Pfarrer, ein Ermittlungsverfahren nach §129 wegen angeblicher “Antifa-Sportgruppen” eröffnet wird.


Die “Totalitarismustheorie” wird in Sachsen ebenfalls nicht nur am konsequentesten propagiert und mit einer eigenen “Extremismusklausel” durchgesetzt, sie hat hier sogar ein eigenes Institut mit “Extremismusforschern*innen” an der TU Dresden, das versucht, jede von der angeblichen gesellschaftlichen Mitte abweichende Position als “extremistisch” zu brandmarken. Und inmitten dieses braunen Scheißhaufens soll das angeblich tolerante und weltoffene Leipzig liegen?


Leipzig: Tolerant und weltoffen!? Ein Scheiß!


Den alltäglichen Rassismus in Leipzig hat nicht erst die Kommunale Bürger*innenumfrage 2011 der Stadt Leipzig zutage gebracht, in dem die Teilnehmer*innen unter anderem nach “ihrem Verhältnis zu Ausländern“ befragt wurden. Bereits im Sommer 1991 waren in Leipzig-Grünau Nazi-Angriffe und Anschläge auf ein Heim für Asylsuchende auf der Tagesordnung, ausdrücklich unterstützt von Bewohner*innen des Plattenbauviertels. Im Nachgang zu den Pogromen in Rostock 1992 wurde in Leipzig-Holzhausen ein Roma-Zeltlager niedergebrannt und auch das Notquartier der Geretteten in Lindenthal anschließend mit Steinen beworfen.


Seit dem Frühjahr 2012 schwelt in Leipzig die Debatte um die Verbesserung der Wohnsituation von Asylsuchenden. Die marode Sammelunterkunft am Stadtrand soll geschlossen und die Migrant*innen in kleinteiligen Wohnhäusern im gesamten Stadtgebiet verteilt werden. Die Einführung des Konzeptes der dezentralen Unterbringung und die damit einhergehenden Proteste von Bürger*innen kratzen heftig am vermeintlich weltoffenen Image der Stadt. Insbesondere von “wohlsituierten” Bewohner*innen der Stadtviertel Wahren und Portitz wurden gegen die Errichtung von Asylunterkünften in ihrer Nachbarschaft rassistische Stereotype benutzt, die sich im Lauf der Debatte radikalisierten.


In zahlreichen Briefen und Stadtteilversammlungen agitierte der Bürger*innenmob gegen die „kriminellen Ausländer“, die Drogen und Müll ins Viertel bringen und eine Bedrohung für Kinder und Frauen darstellen würden. Zudem würde sich durch Asylsuchende in der Nachbarschaft der Immobilienwert der Grundstücke vermindern. Wie nicht anders zu erwarten, unterstützte die Leipziger CDU die rassistische Argumentationslinie der Kleinbürger*innen und begann damit ihren Wahlkampf gegen die SPD-geführte Stadtspitze. Der unsägliche Leitspruch „Wir sind das Volk“ wurde den Gegner*innen des neuen Wohnkonzeptes für Asylsuchende zur Drohgebärde. Auch wenn die Stadtverwaltung sich durch den Mob nicht beeindrucken ließ und am Konzept festhielt, ist auch ihr zu attestieren, dass sie Flüchtlinge nicht als individuelle Menschen, sondern als Verschiebemasse betrachtet. Erst 2009 wurde in Windeseile die Errichtung einer neuen Massencontainerunterkunft am Stadtrand durch den Stadtrat gebracht. Die Lage wurde mit handfesten rassistischen Argumenten begründet. Der Oberbürgermeister erklärte die Entscheidung damit, dass Unterkünfte für Asylsuchende in Wohngebieten angeblich soziales Konfliktpotential in sich bergen würden. So sollten diese „nicht unmittelbar in einem Wohngebiet“ und „insbesondere entfernt von Schulen, Kindergärten und Spielplätzen“ liegen. Auf genau diesen Wortlaut bezieht sich der rassistische Mob heute positiv.


In der gegenwärtigen Debatte wurden die Betroffenen restriktiv aus der Diskussion um ihr Leben herausgehalten. Initiativen, die in den Heimen Informationsveranstaltungen machen wollten, bekamen Hausverbot. Das Anliegen, die Mitsprache der Flüchtlinge bei der Wahl ihres zukünftigen Wohnortes zu gewährleisten, wurde als „unrealistisch“ zurückgewiesen.

Auch die NPD versuchte den Volkszorn gegen „die Verausländerung“ von Stadtteilen anzuheizen. Die größte Bedrohung für die Flüchtlinge dürfte jedoch die aggressive Stimmungsmache der Normal-Bürger*innen insbesondere in Wahren sein und bleiben. Sie bereiten den Boden für rassistische Gewalt, die in Leipzig auch so Realität ist. Laut den jährlichen Statistiken der Opferberatungsstellen bewegt sich die Zahl rechtsmotivierter und rassistischer Übergriffe in der Stadt Leipzig kontinuierlich auf einem hohen Niveau. In Sachsen wurden von 1990 bis 2012 dreizehn Menschen aus rassistischen Motiven ums Leben gebracht, der letzte Mord geschah 2011 in Oschatz. Diesen Taten fielen allein in Leipzig seit der Wende durch rassistische, homophobe oder sozialdarwinistische Übergriffe sechs Menschen zum Opfer. Damit liegt Leipzig in Bezug auf rechte Morde bundesweit nach Berlin auf dem zweiten Platz. Die Morde in Leipzig geschahen dabei nicht in zeitlicher Nähe zu den drastischen Ausbrüchen neonazistischer und rassistischer Gewalt Anfang der 1990er Jahre, sondern zwischen 1996 und 2010. Ausnahmslos waren alle Fälle in Leipzig durch mediale, politische, polizeiliche und juristische Bagatellisierung und Verharmlosung gekennzeichnet.


Die Leipziger Staatsanwält*innenschaft konnte bei keinem der Morde einen politischen Hintergrund entdecken, auch wenn die Täter*innen bei der Tat eindeutige Kommentare von sich gaben, in der Naziszene aktiv waren oder in eindeutigen Naziklamotten vor Gericht erschienen. Gerade bei den Morden der 1990er Jahren nahm sie die Täter*innen durch Verharmlosen der Tatsachen in Schutz. Auch wenn Nuno L. das erste und bis 2011 einzige offiziell anerkannte, Todesopfer rassistisch motivierter Gewalt in Leipzig war, ist das Verhalten des zuständigen Gerichtes als skandalös zu bezeichnen. So wurde vergessen, einen Haftantrittstermin für die verurteilten Täter*innen festzulegen. Dies nachzuholen bedurfte des Drucks überregionaler Medien. Ferner hat es das Gericht „versehentlich” unterlassen, die Kosten des Verfahrens den Tätern aufzuerlegen, wie es der gerichtliche Standard vorsieht. Stattdessen wurde die Witwe mit Kosten in Höhe von 35.000 DM belastet und damit in den finanziellen Ruin getrieben.


Ein Blick in die Geschichte des behördlichen Umgangs mit den sechs Mordfällen in Leipzig belegt zudem, dass immer wieder die Polizei als ausführendes Staatsorgan die Taten entpolitisiert und mit fahrlässiger Ermittlungsarbeit Hintergründe und Motive zu vertuschen hilft. Ein Beleg dafür zeigte sich zuletzt im Prozess gegen die Mörder von Kamal. Bei der Verhandlung konnte sich beispielsweise keine/r der Beamt*innen an die am kompletten Körper verteilten Nazitattoos der Täter erinnern. Selbst das Auffinden von Nazidevotionalien in Wohnung und Gepäck der beiden Täter war den vorgeladenen Polizist*innen nicht Indiz genug. Zu allem Überfluss war in der Wohnung des Täter Daniel K. nach dessen Verhaftung und vor der Wohnungsdurchsuchung offensichtlich „aufgeräumt“ worden: Es fehlte beispielsweise eine Tasche von Markus E, dem Mittäter. Diese besagte Tasche wurde dem Inhaber merkwürdigerweise durch den Vater von Daniel K.,einem Polizisten, später im Knast vorbei gebracht.


Auch die Stadt Leipzig selbst hat bis dato noch keinen würdigen Umgang mit den Todesopfern rechter Gewalt und den Hinterbliebenen gefunden. Der damalige und heutige Ausländerbeauftragte der Stadt Leipzig, Stojan Gugutschkow, bagatellisierte im Mordfall Achmed B., der 1996 von zwei Jungnazis unter rassistischen Hasstiraden in einem Gemüseladen erstochen wurde, mit der Aussage, dass es jede/n Ladenbesitzer*in hätte treffen können. Der damalige Oberbürgermeister meinte beim Prozessauftakt, dass ihm nie ein rechtsradikales Potenzial in seiner Stadt begegnet sei. Auch beim Mord an Kamal K. 2010 begnügte sich der Oberbürgermeister mit Betroffenheitsschreiben an den Flüchtlingsrat und den Zentralrat der Muslime, obwohl Kamal Christ war. Kein persönliches Wort in Richtung der unmittelbar Betroffenen, erst recht keine Äußerung zu einem möglichen politischen Hintergrund. Mittlerweile wurde vom Landgericht das rassistische Tatmotiv anerkannt. Dieser Schritt war das Ergebnis massiver Öffentlichkeitsarbeit und politischen Drucks, der durch die Familie und Freund*innen Kamals sowie politische Initiativen aufgebaut worden war.


Schwer verständlich bleibt, wie ein weltoffenes Image der Stadt innerhalb und außerhalb von Leipzig überhaupt zustande kommen konnte. Fakt ist, dass das Image bröckelt. Nicht nur durch die konsequente Ignoranz der Belange von Betroffenen rechter Gewalt, sondern auch wegen der rassistischen Diskriminierung. Zudem war die rechte Szene in Leipzig schon immer besonders stark. Nach dem Fall der Mauer konnten die letzten Montagsdemos der Stadt mit mehreren Zehntausend Bürger*innen von Nazis im Stechschritt und unter “Heil Hitler”-Gebrüll angeführt werden. Keine/r der Teilnehmenden störte sich daran. Im Gegenteil: Menschen, die dagegen protestierten, wurden von Nazis und Bürger*innen körperlich angegriffen und durch die Stadt gejagt. Die NPD, andere Naziorganisationen oder sonstige rechte Gruppierungen fanden hier schnell Zustimmung, konnten in kürzester Zeit Ortsverbände aufbauen und fanden ein Fundament zum Gründen neuer Parteien wie die “Deutsche Soziale Union”(DSU). Diese breite Basis hatte zu Folge, dass der Leipziger NPD-Verband über Jahre der mitgliederstärkste in ganz Sachsen war und sich die DSU bis 2009 im Stadtrat halten konnte.


Lange bevor sich Dresden als zentraler Aufmarschort für Nazis etablieren konnte, wurden in Leipzig Jahr für Jahr Nazidemonstrationen abgehalten. Der Höhepunkt stellte das Jahr 1998 dar, in dem 6000 Neonazis an einer NPD-Kundgebung am Völkerschlachtdenkmal teilnahmen.

In Leipzig haben Nazidemonstrationen mit Protest zu rechnen. Neben antifaschistischen Mobilisierungen gibt es altgediente zivilgesellschaftliche Akteur*inne/n, die bei jeder Aktion ihr Gesicht in die Kamera halten, dabei Gewaltfreiheit predigen ohne dass irgend ein Mensch zu Gewalt aufgerufen hätte, und illustre Slogans wie „Leipziger Freiheit gegen braune Gewalt“ vor sich hertragen. Für diese autoritär orientierte Zivilgesellschaft ist der Protest gegen Nazis ein Beitrag zur Imageaufbesserung der Stadt Leipzig, die in Form ihrer Repräsentant*innen bei deren „Bunt statt Braun“-Veranstaltungen „Gesicht zeigen“ darf. Dass Schutz vor Nazis für Antifaschist*innen auch Vermummung oder Selbstverteidigung einschließt, wollen und können Vertreter*innen dieser staatstreuen Zivilgesellschafter*innen nicht akzeptieren, geschweige denn zulassen. Lieber ist ihnen statt einer Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlich verbreitetem Diskriminierungsdenken die starke Hand des Staates. Insbesondere wird diese von Polizeipräsident (inzwischen CDU-Oberbürgermeisterkandidat) Horst Wawrzynski benutzt. Dieser erwirkt mit allen erdenklichen Tricks und Unterstützung der Zivilgesellschaft*innen in den vergangenen Jahren die Aushebelung des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit. Im August 2011 ging es so weit, dass in einem Aufwasch eine NPD-Kundgebung und sämtliche antifaschistische und zivilgesellschaftliche Gegenveranstaltungen verboten wurden.


Überhaupt wird Nazis in Leipzig entweder mit wohlfeiler Rhetorik von Toleranz und Zivilcourage, bei der die Bezugnahme auf 1989 niemals fehlen darf, oder mit einer eigenen menschenverachtenden Bildsprache begegnet. So teilen der Oberbürgermeister Jung und alle Fraktionsvorsitzenden des Stadtrats am 14.10.2009 in einer Erklärung mit: „Der Oberbürgermeister und die Vorsitzenden der Fraktionen des Leipziger Stadtrates rufen die Bürgerinnen und Bürger von Leipzig auf, der Demonstration der nationalistischen Brunnenvergifter am Samstag besonnen und gewaltfrei entgegenzutreten.“. Dass es sich bei dem verwendeten Bild der „Brunnenvergifter“ um ein altes und wohl bekanntes Bild handelt, das in der Geschichte gerne verwendet wurde, um Stimmung gegen Jüd*innen zu machen, scheint dem Stadtrat und dem Oberbürgermeister egal gewesen zu sein. Schlimmer noch, einige stimmten dieser Position zu, weil damit Rhetorik und Bildsprache der Nazis neu besetzt werden könnten. Es geht ihnen in keinster Weise um ein inhaltliche Auseinandersetzung mit der menschenfeindlichen Ideologie der Nazis, sonst gäbe es solche Vergleiche nicht. Sie wollen Nazis lediglich als sogenannte “Nestbeschmutzer” ausserhalb ihres “Wir” verorten, weil sie aus ihrer Perspektive das Image der Stadt Leipzig gefährden. Inhaltlich gibt es aber nicht selten Schnittmengen, die verschleiert werden sollen. Daher ist es um so entlarvender dass sie in ihrem angeblichen Kampf gegen Neonazis die selbe Bildsprache ihrer “Feinde” verwenden, um sich von ihnen “abzugrenzen”.


Einschreiten!


Im Umgang der linken Szene in Leipzig, sowohl mit rechtsmotivierten Morden als auch mit der Ideologie des Rassismus, zeigen sich große Leerstellen. Einzig die Morde an Achmed B. im Jahr 1998 und Kamal K. 2010 zogen antirassistische und antifaschistische Interventionen nach sich. Alle anderen und insbesondere der sozialdarwinistisch motivierte Mord an dem wohnungslosen Karl-Heinz T. 2008 wurden maximal zur Kenntnis genommen. Es lässt sich konstatieren, dass das Ringen um die Anerkennung der menschenverachtenden Motive, die Menschen das Leben kosteten, kein relevanter Teil der Politik der Leipziger Szene ist. Im Gegenteil wurde denen, die sich im Fall des Mordes an Kamal K. 2010 engagierten und auf die handfesten neonazistischen Hintergründe der beiden Täter hinwiesen, entgegengehalten, dass sie „vorverurteilen“ oder ein politisches Strafrecht einfordern würden. Nach Ansicht von Teilen einer Linken Strömung gibt es keinen staatlichen Rassismus, sondern im Gegenteil einen staatlichen antirassistischen Konsens, den die Antirassist*innen nicht erkennen wollen.


Dass Rassismus ein gesellschaftliches Ordnungssystem ist, das durch Gesetze konstituiert und durch die Gesellschaft Tag für Tag reproduziert wird, spielt für einige Teile der auch in Leipzig wirkungsmächtigen antideutschen Strömung keine Rolle. Nach ihrer Sicht würden antirassistische Bewegungen sogar “rassifizierend” wirken, in dem sie die Ungleichheit von Menschen mit Migrationshintergrund hervorheben würden. Das Problem ist nicht die Diskussion und Kritik an der praktischen und theoretischen Arbeit antirassistischer Gruppen, sondern die Negation von Rassismus. Dass eine solche Einschätzung der gesellschaftlichen Situation fatal ist, zeigen rassistische Übergriffe, die in Sachsen und bundesweit zum Alltag gehören. Die Diskriminierungen


institutioneller und gesellschaftlicher Art, die rassistische Stimmungsmache gegen Asylunterkünfte oder aber der Ausbau der tödlichen Festung Europa wirken sich tagtäglich negativ auf das Leben von Menschen aus. Rassismus muss als solcher benannt und kritisiert werden: als integraler Bestandteil kapitalistischer Gesellschaften. Nicht zuletzt muss eine weiß-deutsche Linke ihre eigene privilegierte Stellung reflektieren, anstatt sich an Bagatellisierung und Verfestigung rassistischer Zustände zu beteiligen.


Rassismus tötet!


Rassismus tötet. Durch Pogrome, Gesetzgebung, Abschiebungen und geistige Brandstiftung. Mit dieser Kampagne wollen wir auch in und aus Leipzig heraus die Auseinandersetzung mit rassistischer Ideologie und Gewalt führen. Wir wollen an die Menschen erinnern, die aus rassistischen und anderen menschenverachtenden Motiven ermordet wurden, den Menschen, die in ihren Unterkünften angefeindet und angegriffen wurden und werden. Wir wollen den rassistischen Verhältnissen unsere Kritik und unseren Widerstand entgegensetzen.


„Erinnern heißt Kämpfen!“ ist für uns darum keine bloße Phrase, sondern Handlungsmaxime. Es geht darum, bestehende antirassistische Kämpfe u.a. gegen Lagerunterbringung, Flughafenasylverfahren oder Residenzpflicht zu unterstützen und mit dem Kampf um die Erinnerung an die Pogrome und die Gesetzesänderung 1993 zu verbinden. Gleiches gilt für den Widerstand gegen die öffentlichen Inszenierungen von Leistungsideologie und rassistischer Ausgrenzung. Den alten und neuen Täter*innen gilt unser Kampf, den Opfern der rassistischen Verhältnisse gilt unsere Solidarität!

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