Neuer Ansatz im Umgang mit sexualisierter Gewalt

Transformative Hilfe

Sexuelle Belästigung, Gewalt und sexualisierte Gewalt in Beziehungen sind Phänomene mit denen fast alle in ihren persönlichen Beziehungen irgendwann einmal konfrontiert waren. Immer wieder stellt sich auch der Linken die Frage: wie gehen wir um mit Menschen, die die Würde und sexuelle Selbstbestimmung von anderen Menschen nicht respektieren? Zu dieser Frage gibt es neue Impulse in Form einer Broschüre, die Ansätze aus den USA zugänglich macht. Geschrieben für indymedia.org.

 

Transformative Hilfe - ein neuer Ansatz beim Umgang mit sexualisierter Gewalt

Sexuelle Belästigung, Gewalt und sexualisierte Gewalt in Beziehungen sind Phänomene, über die zu wenig geredet wird, mit denen aber fast alle in ihren persönlichen Beziehungen irgendwann einmal konfrontiert waren. Es gibt wohl kaum eine Frau, die nicht aus ihrer persönlichen Erfahrung über Belästigungen, dumme Sprüche, Grabschen, Exhibitionismus oder Schlimmeres berichten kann. Dasselbe gilt auch für andere Menschen die nicht in die „Norm“ passen wie z.B. Transmänner – und frauen. In der überwältigenden Mehrheit der Fälle gehen Gewalt und Belästigung von Männern aus.
In einer Gesellschaft, in der Sexualität in den Formen von Besitz, Eroberung und Macht gedacht wird, kommt allerdings auch die umgekehrte Form vor, und auch in schwul-lesbischen oder queeren Beziehungen sind solche Gewaltverhältnisse noch lange nicht ausgeschlossen. Immer wieder stellt sich in solchen Fällen die Frage: wie gehen wir um mit Menschen, die die Würde und sexuelle Selbstbestimmung von anderen Menschen nicht respektieren? Zu dieser Frage gibt es neue Impulse in Form einer Broschüre, die Ansätze aus den USA zugänglich macht.

Bürgerliche Realitäten und linke Antworten

In der bürgerlichen Justiz gilt auch bei sexueller Gewalt die Unschuldsvermutung: Belästigung, Gewalt oder Vergewaltigung müssen bewiesen werden, obwohl sexuelle Belästigung, auch Vergewaltigung, selten objektiv beweisbar ist. Dazu müssen die Vorwürfe vor Gericht öffentlich wiederholt und Fragen zum Hergang beantwortet werden.Dies kann für die Betroffenen, gerade in schweren Fällen, eine erneute Traumatisierung sein und ist daher oft unzumutbar. . Oftmals steht Aussage gegen Aussage, selbst wenn ein Täter bekannt ist. Die Betroffenen bleiben allein mit ihrem Trauma.

Seit Langem gibt es deswegen innerhalb der Frauenbewegung und der politischen Linken Aufrufe und praktische Ansätze zu Selbsthilfe und Selbstschutz. Diese beziehen sich überwiegend darauf, Betroffene ohne Mißtrauen und Beweisforderungen ernstzunehmen und ihnen Schutzräume zu verschaffen.
Diese Schutzräume, können unter Umständen soweit reichen, dass die beschuldigte Person - etwa durch pauschale Aufenthaltsver- oder -gebote – aus allen linken Räumen ausgeschlossen wird. Auch der Ausschluss aus „allen linken Strukturen“ wird so manches mal gefordert oder umgesetzt.
In der Vergangenheit führte diese Praxis immer wieder zu heftigen Polarisierungen und Streits innerhalb der linken und feministischen Szene.

Linke Debatten mit hohem Spaltungspotential

Und trotz der in der (radikalen) politischen Linken kaum bestrittenen Notwendigkeit, eine Art von Selbstschutz gegen sexualisierte Gewalt und Belästigung auf die Beine zu stellen, hat das Thema bis heute ein ungeheures Streit- und Spaltungspotential bewahrt. Die Konflikte spielen sich im wesentlichen ab zwischen Leuten, die aus der feministischen Patriarchatskritik eine
Forderung nach bedingungsloser Solidarität mit Betroffenen und sofortigem Vorgehen gegen Beschuldigte ableiten. Auf der anderen Seite steht die Gegenforderung, auch Beschuldigte müssten gewisse Schutzrechte gegenüber falschen Vorwürfen genießen und dürften nicht ungeprüfter Repression ausgesetzt werden. Beide Positionen stehen in konkreten Fällen leider meist unvermittelt gegeneinander, schnell werden Vorwürfe über "Täterschutz" und „Männersolidarität“ laut, die andere Seite kontert mit Vorwürfen zu "Selbstjustiz" und "Denunziationskultur".

Aufgrund der Problematik, dass hier mit dem Schutz vor struktureller sexualisierter Gewalt und dem Schutz vor im Einzelfall vielleicht grundloser Repression zwei legitime Bedürfnisse nebeneinander stehen, steigert sich die Debatte in der Behandlung von konkreten Fällen oft auf ein Maß, dass weder den Interessen der Betroffenen noch ihrem Umfeld dient, geschweige denn dem Beschuldigtem die Einsicht in ein mögliches Fehlverhalten nahelegt. Differenzierungen haben es in einer solchen Debatte schwer, schnell werden abweichende Stimmen pauschal der „Gegenseite“ zugerechnet und nicht mehr ernstgenommen. Die Beschuldigten haben es in diesem Klima leicht, sich als Opfer zu stilisieren und nichts an seinem Denken und Tun zu ändern. Erschwert wird das ganze zusätzlich durch die Tatsache, das unter dem Label "Sexualisierte Gewalt" nahezu alles subsumiert werden kann, von einem dummen Spruch über Grabschen bis hin zum erzwungenen Geschlechtsverkehr. Dieses Feld zu objektivieren scheitert unter anderem daran, dass eine Handlung auf sehr verschiedene Art und Weise erlebt werden kann. VertreterInnen des Konzeptes der "Definitionsmacht" fordern daher, allein die Betroffenen entscheiden zu lassen, wie sie einen erlebten Vorfall bewerten und ob sie ihn z.B. als Vergewaltigung empfinden oder nicht – und diese Definition dann auch als allgemeingültig anzuerkennen. Dies wiederum löst immer wieder Kritik aus. GegnerInnen des Definionsmacht-Ansatzes, die sich durchaus auch dem linken Spektrum zugehörig fühlen, sehen hier die Problematik, dass der Terminus "Vergewaltigung" relativiert wird und zur Sammelbezeichnung für Vorfälle wird, über die eigentlich eher in der Rubrik "Sexuelle Belästigung" verhandelt werden müßte. Einige sehen ausserdem das Problem, dass aus der Bezeichnung "Vergewaltigung" logischerweise abgeleitet werden kann, dass der "Beschuldigte" ein Vergewaltiger ist - mit all den Assoziationen, die sich bei diesem Begriff einstellen, aber oft gar nicht Teil des Geschehenen waren.

Transformation statt Positionierungszwang?

Dem ganzen schwierigen Problemkomplex "Sexualisierte Gewalt" widmet sich nun eine neue Broschüre, die von einer Berliner Übersetzungsgruppe aus dem Englischen übertragen wurde und unter  http://transformation.blogsport.de auch online verfügbar ist. Der aus den USA stammende Text stellt nicht die Sanktion, sondern die Verhaltensänderung im Vordergrund. Aufbauend auf den Erfahrungen des "community-organizing" soll ein Prozess angeregt werden, in dem aus dem Umfeld der Beteiligten Bezugsgruppen gebildet werden, die Gewaltbeziehungen unterbrechen und bei allen Beteiligten eine langfristig wirksame Verhaltensänderung bewirken sollen. Regelmäßige Gesprächssitzungen, Unterstützung im Alltag, Schutzräume und Begleitung sollen sicherstellen, dass eine gewalttätige Beziehung beendet wird oder sich zukünftig gewaltfrei gestaltet.

Die Broschüre bricht insofern ein Tabu, als sie ausdrücklich auch die der sexualisierten Gewalt Beschuldigten in einen Prozess einbezieht - mit dem Ziel, Verhaltensänderungen zu bewirken. Vor solcher "Täterarbeit" scheuen nahezu alle in Deutschland zur Thematik aktiven Gruppen zurück. Ein Zugehen auf die Beschuldigten und der Versuch, ihr Verhalten, ihre Einstellung zur Sexualität gemeinsam durchzusprechen (mit dem Ziel, diese zu ändern) wird als "Täterschutz", als unsolidarisch mit den Betroffenen interpretiert. Das Ergebnis ist daher oft, dass gegen Beschuldigte zwar Sanktionen verhängt wurden und die Person aus ihrem lokalen Umfeld ausgeschlossen wird, jedoch das Verhalten anderswo fortsetzt. Die lokale Gemeinschaft hat ihre Ruhe, aber das strukturelle Problem ist nicht gelöst, ein Lerneffekt findet nicht statt.

Grenzen des „community supports“

Bei Beschuldigten auf Verhaltensänderungen hinzuwirken, das sagen die AutorInnen der neuen Broschüre gleich vorneweg, setzt jedoch eine gewisse Einsicht dieser Person voraus. Menschen, die nicht wahrnehmen, daß sie für andere zum Problem werden und jede Einmischung abblocken, vielleicht sogar mit erneuter Aggression beantworten, sind eindeutig nicht Adressaten des vorgeschlagenen Verfahrens. Dem prügelnden Verlobten, der sein Verhalten für normal hält und sich jede Einmischung in seine "Privatangelegenheiten" verbittet kann mit transformativer Hilfe sicher nicht begegnet werden. Hier, so die AutorInnen, seien im Notfall auch Baseballschläger als Verteidigungsmittel angebracht. Ob man nun eine solche Drohgebärde gut findet oder nicht - Fakt ist, dass damit eine klare Grenze der Methode des "communitiy support" abgesteckt ist. Denn nur da, wo Beschuldigte eine Umgebung haben, die sich überhaupt kümmert und überdies selbst willens sind, eine Intervention zu akzeptieren, kann das vorgeschlagene Verfahren angewandt werden.

Eine weitere Einschränkung ist die ziemlich klare Konzentration auf Gewalt in intimen Beziehungen, oft in einer gemeinsamen Wohnung (häusliche Gewalt). Ziel ist es, Auswege aufzuzeigen aus verfahrenen Gewaltbeziehungen, die sich hochschaukeln und deren Beteiligte aus eigener Kraft keine Lösung finden. Für den Umgang mit Vorfällen zwischen Unbekannten auf Parties oder in eher flüchtigen Beziehungen lassen sich die Vorschläge der Broschüre nur eingeschränkt anwenden.

Um so wertvoller ist allerdings das vorgeschlagene langfristige Verfahren, dass mit zahlreichen Hinweisen, Erfahrungsberichten, Ideen und Fallbeispielen aufwartet, um in eine Gewaltbeziehung verstrickten Leuten ernsthaft Auswege aufzuzeigen. Beim Lesen merkt man, dass hier Leute am Werk waren, die solche Prozesse mitgemacht haben und die dabei entstehenden Probleme kennen. Probleme wie die Tatsache, das Gewaltopfer freiwillig zum Partner zurückkehren weil sie ihn "ja doch lieben" - oder aber die Beobachtung, dass manche Menschen von einer Gewaltbeziehung in die nächste geraten, sei es als Betroffene oder als Gewalt ausübende. Oder die Tatsache, dass in manch einem Fall das Täter-Opfer Schema nicht so recht passen mag, dass beide Partner ihre eigene Art von Gewaltanwendung haben, die in einer Beziehung zum Alltag wird und für Außenstehende schwer zu durchschauen ist.

Solche Verhältnisse zu entzerren, erlernte Muster abzulegen und andere zu lernen, andere Wege von Kommunikation ohne Gewalt zu finden und dadurch überhaupt erst beziehungsfähig zu werden - all das ist ein hartes Stück Arbeit. Sowohl für die in Gewaltbeziehungen steckengebliebenen Leute als auch für ihre Unterstützungsgruppen.

Ein etwas anderer Blick auf „initimate violence“

Daher wünscht man sich, dass die in der Broschüre gemachten Vorschläge Verbreitung finden, denn sie stellen sich Fragen, die in der bisherigen Diskussion oft tabuisiert werden. Die Frage z.B, wie man einen Umgang mit Beschuldigten findet, der jenseits von Ausschluss und Strafe eine langfristige Verhaltensänderung bewirkt. Oder aber die Frage, wie man mit Fällen umgeht, in denen sich nicht so leicht ein Täter-Opfer Schema entlang den Linien struktureller Gewalt des herrschenden Patriarchats finden lässt. Denn solch patriarchale strukturelle Gewalt bedeutet zwar, dass im Gesellschaftlichen ganzen eine sehr reale Unterdrückung herrscht, nicht aber, dass sich diese Unterdrückung in jedem Einzelfall genau widerspiegelt.

Der Text vermeidet dementsprechend Vor-Verurteilungen und setzt sogar geschlechtslose Symbole an die Stellen, wo man eigentlich die Worte "Täter" und "Betroffene" vermuten würde. Dies soll eindimensionale Täter-Opfer Schemata hinterfragen, den Blick auf verwickelte Gewaltbeziehungen lenken, und einer sprachlich fixierten Ent-Machtung der von Gewalt Betroffenen vorbeugen.
Der Verweis auf zahlreiche Fälle von gegenseitiger Gewalt lässt dies sinnvoll erscheinen, dennoch wird er damit sicher heftige Kritik und Diskussionen auslösen: wird nicht durch eine solche Darstellungsweise das Patriarchat relativiert? Kann der Text nicht benutzt werden, um ein hartes Vorgehen gegen sexuell gewalttätige Leute zu vermeiden? Wer genau hinliest, wird schnell merken, dass dies nicht die Idee des Textes ist. Denn der zielt energisch darauf ab, sexualisierte Gewalt im Patriarchat ein für allemal zu beenden.

Im Anhang gibt es dazu eine Art Leitfaden, geschrieben von einem Mann für andere Männer, der sich spezifisch gegen das Schweigen und nicht-Einmischen richtet und danach fragt, wie Männer ihr eigenes Selbstbild verändern, gegen andere gewalttätige Männer vorgehen und eine Kultur schaffen können, in der Brutalität und "Männlichkeit" nicht mehr selbstverständlich zusammengehören.

Die wichtige Diskussion um das Verhältnis von Patriarchat in der Gesellschaft und dem Umgang mit sexualisierter Gewalt ist unbedingt weiterzuführen, auch in Auseinandersetzung mit diesen neuen Ansätzen. Wichtig wäre allerdings, dass in solchen Diskussionen nicht nur die wohlbekannten vorformulierten Positionen und Reflexe wiederholt werden, sondern dass die z.B. in diesem Text enthaltenen Hinweise, Überlegungen und Erfahrungen ernstgenommen werden als Anregung für das eigene Verständnis von Antisexismus und die daraus folgende Praxis.

http://transformation.blogsport.de

 

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tja, lynchjustiz hast es leider schon immer gegeben.

egal ob sie sich definitionsmacht nennt oder sonstwie.