In der geschlechter-gemischten Linken findet seit März vergangenen Jahres eine Diskussion über den eventuellen Aufbau einer neuen Organisation von Linken mit revolutionärem Anspruch („NaO-Prozeß“) statt. In diesem Kontext veröffentlichte ich gestern einen Vorschlag für eine „Erklärung über die theoretisch-strategischen Grundlagen des NaO-Prozesses“. Im Zusammenhang mit diesen "theoretisch-strategischen Grundlagen" wird in dem Diskussionsprozeß von "Essentials" gesprochen. Es folgen hier ein Auszug jener Passagen aus diesem Vorschlag, die sich mit dem Geschlechterverhältnis befassen, und eine Anmerkung zu den Grenzen dieses Vorschlages, die es für Feministinnen problematisch (aber vielleicht nicht unmöglich) machen, sich am „NaO-Prozeß“ zu beteiligen:
Der Zweck unserer Organisierung ist die Überwindung jeglicher Herrschaft und Ausbeutung. [...]. Wir sind uns einig, dass die Erreichung dieses Ziel auch in (post)modernen Gesellschaften nicht nur die Überwindung von Klassenherrschaft und -ausbeutung, sondern auch die von Rassismus und männlicher Dominanz sowie aller weiteren bestehenden oder neu entstehenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen erfordert. [...].
Es besteht noch Untersuchungs- und Diskussionsbedarf über das genaue Verhältnis von Kapitalismus, Patriarchat/Sexismus und Rassismus. [...]. Wir sind uns aber jedenfalls schon insoweit einig, dass wir weder der Ansicht sind, dass männliche Dominanz und Rassismus mit Überwindung des Kapitalismus automatisch verschwinden würden, noch dass der Kampf gegen Rassismus und männliche Dominanz in kapitalistischen Gesellschaften fehl am Platze oder sinnlos sei. Vielmehr beteiligen wir uns – genauso wie in Bezug auf die Klassenverhältnisse – auch in Bezug auf Rassismus und Geschlechterverhältnisse mit revolutionärer Perspektive an Tageskämpfen. [...].
Dies schließt auch die eigene Organisationspraxis ein. Quotierung von Gremien und Redelisten werden in der Organisation, die wir evtl. gründen werden, Anwendung finden, und Frauen/Lesben sowie MigrantInnen und Flüchtlinge das Recht auf Bildung autonomer Strukturen innerhalb und außerhalb der Organisation haben. [...].
Wir halten einen [...] revolutionären Bruch für notwendig, da herrschende Klassen in aller Regel nicht freiwillig auf die Vorteile, die sie aus der Ausübung ihrer Herrschaft ziehen, verzichten. [...]. Einige von uns sind überzeugt, dass im Falle der herrschenden rassifizierten Gruppe (‚Rasse’) – der Weißen – und der herrschenden sexuierten Gruppe (‚Geschlecht’) – der Männer – kaum mehr Anlaß zu Optimismus hinsichtlich freiwilligen Machtverzichts angeraten ist, sodass nach Auffassung dieser GensossInnen auch insofern revolutionäre Brüche zur Überwindung von Herrschaft und Ausbeutung notwendig sind.
[...] ein Teil von uns [geht] davon aus, daß [...] die Überwindung von männlicher Dominanz bzw. Rassismus nur möglich sein wird, wenn sie von der Mehrheit der Frauen/Lesben bzw. Schwarzen gewollt und zumindest von großen Teilen von ihnen aktiv vollzogen wird. [...].
Indem wir von Lohnabhängigen sprechen, soll deutlich werden, daß wir, wenn wir von Klassenkampf und Klassenorientierung reden, uns nicht exklusiv oder vorrangig auf die (handarbeitende) IndustriearbeiterInnenschaft beziehen. Vielmehr beziehen wir uns auf alle, deren Lebensunterhalt – da sie keine (relevanten Mengen an) Produktionsmitteln besitzen – davon abhängt, daß sie ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen.
Dies schließt auch diejenigen ein, die sich in Vorbereitung auf eine spätere lohnabhängige Tätigkeit noch in Ausbildung befinden oder deren Renteneinnahmen von früherer Lohnarbeit abhängen, und es schließt schließlich auch diejenigen ein, die als Hausfrauen nicht nur direkt von den Unterhaltszahlungen ihrer Ehemänner, sondern vermittelt über diese auch von deren Lohnarbeit abhängig sind. All diese Interessen müssen berücksichtigt werden, wenn versucht wird, die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Sektoren der Lohnabhängigen und so ihre Kampfkraft zu stärken.
[... Einige] von uns [...] sind [...] nicht damit einverstanden, die Lohnabhängigen – Männer gleichermaßen wie Frauen, Weiße gleichermaßen wie Schwarze – nicht nur zum (potentiellen) Subjekt der Überwindung des Kapitalismus, sondern auch von Patriarchat/Sexismus und Rassismus zu erklären.
Anmerkung:
Dieser Entwurf ist augenscheinlich ein Kompromißvorschlag. Dies zeigt sich schon daran, daß einige Passagen nicht im (vermeintlichen) Namen von allen am sog. „NaO-Prozeß“ Beteiligten, sondern im (vermeintlichen) Namen von „einigen“ gemacht wird.
Diese Verfahrensweise impliziert – wie mir scheint – einen positiven und einen negativen Aspekt:
– Der positive Aspekte: Der Vorschlag macht deutlich und stützt sich darauf, daß es sich bei der Organisation, die eventuell gegründet werden soll, nach Auffassung der allermeisten am Diskussionsprozeß Beteiligten nicht um eine marxistischen Organisation alten Stils handeln soll, in der alle Mitglieder auf ein und dieselbe „Weltanschauung“ verpflichtet werden.
– Der negative Aspekt: Dies bedeutet aber auch, daß – jedenfalls im gegenwärtigen Stadium des Diskussionsprozesses viele – und auch grundlegende – Positionen, die für Feministinnen selbstverständlich sind, nicht Teil der Konsenspassagen sind und teilweise nicht einmal in den Dissenspassagen erwähnt sind. (Letzteres liegt daran, daß der Vorschlag die Konkretisierung von fünf Punkten [S. 3] ist, die ganz am Anfang des Diskussionsprozesses formuliert wurden und die im Prinzip von allen Beteiligten geteilt werden sollen und die folglich im gegenwärtigen Stadium nicht um weitere Punkte gleichen Ranges [gleichen Status] erweitert werden können, ohne den Prozeß zu sprengen.)
Dies ist die formale Seite der Grenzen meines Vorschlages.
Die inhaltliche Grenze meines Vorschlages besteht in folgendem:
– Auf der einen Seite impliziert mein Vorschlag einen klaren Bruch mit der klassischen marxistischen „Nebenwiderspruchs“-Position. So wird in den Konsenspassagen ausdrücklich gesagt: „Wir sind uns einig, dass die Erreichung dieses Ziel [der Überwindung jeglicher Herrschaft und Ausbeutung] auch in (post)modernen Gesellschaften nicht nur die Überwindung von Klassenherrschaft und -ausbeutung, sondern auch die von Rassismus und männlicher Dominanz sowie aller weiteren bestehenden oder neu entstehenden Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen erfordert.“ „Wir sind uns [...] jedenfalls [...] insoweit einig, dass wir weder der Ansicht sind, dass männliche Dominanz und Rassismus mit Überwindung des Kapitalismus automatisch verschwinden würden, noch dass der Kampf gegen Rassismus und männliche Dominanz in kapitalistischen Gesellschaften fehl am Platze oder sinnlos sei. Vielmehr beteiligen wir uns – genauso wie in Bezug auf die Klassenverhältnisse – auch in Bezug auf Rassismus und Geschlechterverhältnisse mit revolutionärer Perspektive an Tageskämpfen. [...]. Dies schließt auch die eigene Organisationspraxis ein. Quotierung von Gremien und Redelisten werden in der Organisation, die wir evtl. gründen werden, Anwendung finden, und Frauen/Lesben sowie MigrantInnen und Flüchtlinge das Recht auf Bildung autonomer Strukturen innerhalb und außerhalb der Organisation haben.“
– Auf der anderen Seite bleibt in meinem Entwurf aber weitgehend unklar, was dieser Bruch mit der klassisch-marxistischen „Nebenwiderspruchs“-Position ‚positiv’ bedeutet – dies nicht, weil ich selbst dazu keine Ideen hätte, sondern weil der Diskussionsprozeß viel zu wenig fortgeschritten ist, um dazu Vorschläge im (hypothetischen) Namen des Gesamt-Prozesses oder auch nur relevanter Teil des Prozesses zu machen.
Ich sagte: Dieser Entwurf ist ein Kompromißvorschlag. – Trotzdem wird er teilweise von nicht- und anti-(?)feministischer Seite kritisiert [1].
Bleibt die Frage: Hat es für Feministinnen trotzdem Sinn, sich an dem Prozeß zu beteiligen? – Ich mache es zwar (weil ich nicht nur FeministIn, sondern auch MarxistIn, ja LeninistIn [1, 2], ‚bin’) – aber ich weiß nicht (ich bin mir nicht sicher), ob es Sinn hat… – Aber: Umso mehr Feministinnen (und pro-feministische Männer) sich an dem Prozeß beteiligen, desto mehr Sinn hätte es, daß sie sich beteiligen.
Literatur:
– Broschüre: Feminismus und antikapitalistische Organisierung
http://www.nao-prozess.de/blog/broschuere-feminismus-und-antikapitalistische-organisierung/
– [Kommentar] von mir zu dem dort dokumentierten Text von Avanti –
Projekt undogmatische Linke
http://www.nao-prozess.de/blog/avanti-ohne-revolution-laeuft-nichts/#comment-3337
– Zu den Fragen des revolutionären Feminismus heute von Olga (RSB)
http://www.nao-prozess.de/blog/zu-den-fragen-des-revolutionaeren-feminismus-heute/
– Beitrag zur NAO Debatte: „Frauenfrage“, „Rassistische Unterdrückung“
von systemcrash
http://www.nao-prozess.de/blog/beitrag-zur-nao-debatte-frauenfrage-rassistische-unterdrueckung/
– Thesen zu: Männer und Emanzipation von Micha Klockmann
http://www.nao-prozess.de/blog/thesen-zu-maenner-und-emanzipation/
– Feminismus als Fußnote [von mir]
[1] Siehe bspw. dort, dort und dort. Achtung: Es sind teilweise Äußerungen darunter, die ich in einem feministischen blog löschen oder editieren würde. – Daß diese Äußerungen beim gegenwärtigen Stand der Debatte geschrieben werden und stehenbleiben, vermittelt immerhin einen realistischen Eindruck vom Stand dieses Diskussionsprozesses: von seiner Mühseligkeit, aber auch von seinen kleinen – und instabilen – feministischen Fortschritten.
Anhang:
Auszug aus meinem Papier “Zehn Punkte, über die wir diskutieren sollten. Noch einmal zum Thema Neue Antikapitalistische / Revolutionäre Organisation” (zuerst erschienen in: trend. onlinezeitung 6/2011)
Wie schon anhand der Anmerkungen in meinem blog deutlich geworden sein sollte, halte ich eine relevante feministische Beteiligung für unabdingbar für einen Erfolg des Projektes. Dort schrieb ich: Eine „Chance auf eine […] gesellschaftliche Dynamik besteht allenfalls mit einer revolutionären Organisation, die sich nicht auf Antikapitalismus konzentriert, sondern auch in Sachen Feminismus und Antirassismus (sowie Ökologie, die aber kein eigener gesellschaftlicher Widerspruch ist) auf der Höhe der Zeit / dem Stand der Diskussion ist.“
Nun existiert allerdings eine ganze Reihe von Hindernissen, die der Realisierung dieses Ziels im Weg stehen:
1. Die aller meisten MarxistInnen sind in diesen Fragen nicht auf dem Stand der Debatte, was allein schon einer produktiven – wenn auch kontroversen – Debatte entgegensteht.
2. Das Verhältnis zwischen Feministinnen und MarxistInnen ist immer noch von der Nebenwiderspruchs-Debatte der 70er Jahre belastet. Für Feministinnen ist es logischerweise nicht attraktiv, in einer Organisation mitzuarbeiten, die mehrheitlich den Geschlechterwiderspruch als Nebenwiderspruch ansehen würde.
3. Feministische Organisierung hat – mit Ausnahme der Feministischen Partei Die Frauen und feministischen Strukturen innerhalb der Grünen in den 80er und frühen 90er Jahren – eher Ähnlichkeiten mit den Organisationsformen der linksradikalen Szene als denen von (nicht nur theoretisch, sondern auch politisch aktiven) MarxistInnen. Dies macht es schwer, kontinuierlich eine spezifische Position vertretende Gruppen zu identifizieren und ggf. anzusprechen.
4. Die internen Fraktionierungen der Frauenbewegung (Gleichheit – Differenz – Dekonstruktion; Heteras – Lesben – queers; Separatismus; etc.) verlaufen häufig entlang anderer Frontlinien als innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, auch wenn sich die Kontroverse zwischen Gleichheits- und Differenzfeminismus mit der zwischen Sozialdemokratismus („Volkspartei“, „Sozialpartnerschaft“) und Arbeitertümelei sowie die zwischen Autonomie und Institution mit der zwischen Linksradikalismus, Marxismus und Sozialdemokratismus vergleichen lassen. Bestimmte Fraktionen von Feministinnen können also (intern) ähnliche Auffassungen in Bezug auf das Geschlechterverhältnis vertreten, aber zu den Kontroversen zwischen Bakunin und Marx, Bernstein und Luxemburg, Spontis und ML-lerInnen oder auch Grünen und Autonomen gänzlich unterschiedlicher oder gar keiner Meinung sein. Auch dies macht es schwierig, potentielle Ansprechpartnerinnen zu identifizieren.
5. So wie die Linke im allgemeinen und MarxistInnen im besonderen seit 1989 massiv geschwächt wurden, ist auch unter den Feministinnen der Anteil derjenigen mit Bezug zum Marxismus geringer geworden.
6. Auch der Anteil der Feministinnen, die in Bezug auf das Geschlechterverhältnis revolutionäre Positionen einnehmen, ist angesichts von Konzepten wie gender mainstreaming (neoliberale EU-Bürokratie), Geschlechterdemokratie (Grüne) und Geschlechtgerechtigkeit (Linkspartei) und der zweischneidigen Auswirkungen von queer (mit weiteren Literaturhinweisen am Ende) geringer geworden.
Dies erfordert besondere organisatorische und inhaltliche Anstrengungen, das vorgeschlagene Projekt für Feministinnen attraktiv zu machen:
1. MarxistInnen (und für viele AnarchistInnen gilt das Gleiche) müssen sich auf den Stand der feministischen Debatten der letzten Jahre bringen statt noch einmal die – ohnehin nur erneut und zurecht zu verlierenden – Schlachten der 70er Jahre um den Nebenwiderspruch (FN 5 - 7) zu schlagen.
2. Es müssen feministische Strukturen angesprochen werden, die als solche zwar vielleicht kapitalistischkritisch (oder als Ganzes nicht einmal das) sind, aber nicht im strengen Sinne antikapitalistisch sind, um dort einzelne antikapitalistische Feministinnen zu erreichen.
3. So wie es in der evtl. zu gründenden Organisation insgesamt eine Fraktionsfreiheit (innerhalb der Grenzen des Gemeinsamen geben) muß, muß eine solche relative programmatische Autonomie auch für feministische Strukturen in der Organisation existieren (vgl. immerhin RIO: „Auch innerhalb der revolutionären Linken können […] sexistische Verhaltensweisen reproduziert werden. Deswegen […] treten wir für das Recht von Frauen und auch von sexuellen Minderheiten innerhalb der Arbeiterbewegung und der Linken ein, sich eigenständig zu treffen und zu organisieren, […]“).
4. So wie generell Strukturen für den Austausch mit kritischen SympathisantInnen geschaffen werden müssen (die Avanti-Struktur verfügt über sog. Freundeskreise [S. 87]), müssen – distanzierte – Zusammenarbeitsmöglichkeiten für Feministinnen geschaffen werden, die zwar in Bezug auf das Geschlechterverhältnis einen revolutionären Anspruch vertreten, aber nicht bereit sind in geschlechtergemischten Strukturen mitzuarbeiten oder in Bezug auf die kapitalistische Produktionsweise ein eher diffuses Konzept von „Ökonomiekritik“ vertreten. Vielfach wird überhaupt erst einmal wieder ein Gesprächfaden geknüpft werden müssen, bevor sich halbwegs umfassende gemeinsame inhaltliche Positionen entwickeln und gemeinsame Organisations-Vollmitgliedschaften möglich sein werden.
5. Grüne Konzepte wie 50 %-Quotierung und quotierte Redelisten sowie linksradikale Szene-Konzepte, wie Definitionsmacht (dazu so auch immerhin SoL, S. 30, FN [v]; vgl. außerdem dies), müssen auch in der angestrebten Organisation akzeptiert werden.
Hilfe!
(und für viele AnarchistInnen gilt das Gleiche)
Bitte streichen, danke! Bleibt bitte in euren Strukturen....
@ Anarchist: Einladung...
... zum Kritisieren:
http://www.nao-prozess.de/blog/raum-fuer-kritik/ -
die Wahrheit ist immer konkret.
LOL
Hihihi! Noch eine weitere Deppensozialistenorganisation, die jetzt endlich die Revolution macht. TaP für so verblödet hätte ich dich nicht gehalten.
Tip: Die Siebziger sind vorbei.