Leben im Lager: der Ausnahmezustand als Normalität

No Border Lasts Forever

Am Stadtrand Sinsheims, zwischen einem Schrotthandel und Bahngleisen, befindet sich das zweitgrößte Flüchtlingslager Baden-Württembergs. Auf engstem Raum drängen sich hier bis zu 450 Menschen. Jedem Flüchtling stehen dabei nach Gesetz 4,5 m2 Wohnraum zu: selbst die artgerechte Haltung von Hunden erfordert mehr Fläche. Sein spärlich eingerichtetes Zimmer teilt sich der Flüchtling meist über Jahre hinweg mit drei weiteren Mitbewohner*innen. Von Privatsphäre keine Spur. Die wenigen Kochgelegenheiten und sanitären Einrichtungen sind in einem desolaten Zustand.

 

Noch vor einem Jahr versammelten sich Politiker*innen und Funktionär*innen in dem Sammellager. Grund dazu gab der Tod eines kleinen Mädchens, das auf den in nächster Nähe gelegenen Gleisen von einem Zug erfasst wurde. Einstimmig wurde Besserung gelobt, doch sollte es bei wenig mehr als parteiübergreifenden Lippenbekenntnissen und Bestürzung bleiben: ein Verhau von etwa 50 Meter Zaun vor den Schienen und ein winziger Spielplatz soll die Vielzahl an Kindern im Lager davon abhalten auf den Gleisen zu spielen.

 

Die katastrophale Unterbringung wird von einer Vielzahl an Sondergesetzen begleitet, die Flüchtlinge weiter isolieren und demütigen: die Vergabe von Essenspaketen, das Arbeitsverbot und das geringe Taschengeld von 40 Euro monatlich sind nur einige davon. Weder ist das Geld ausreichend, noch genügen die Essenspakete dem Anspruch einer gesunden und ausgewogenen Ernährung.

All diese Zustände gleichen einer systematischen Demütigung und Isolation der im Lager lebenden Menschen. Doch anstatt Verantwortung zu übernehmen, tragen EU-Staaten wie Deutschland vielmehr zur Zuspitzung der Verhältnisse in den Herkunftsländern bei. Militärische Interventionen, die Unterstützung autoritärer Regime oder eine aggressive Wirtschaftspolitik sind nur einige Beispiele für das Sendungsbewusstsein des Old Europe. Die ohnehin zu vielen traumatisierten Flüchtlinge erfahren in Deutschland weitere Gewalt, die ihnen aufgeherrscht wird. Menschen werden als zu verwaltende Objekte behandelt, deren Drangsalierung allein der »freiwilligen Ausreise« dienbar ist. Dabei erfährt diese Entwürdigung durch die deutsche Gesellschaft breiten Zuspruch: sofern sie nicht stillschweigend gebilligt wird, ertönt entweder der Ruf nach einem Einwanderungsstopp, oder ihr wird mit liberaler Haltung begegnet. Man könne schließlich »nicht Jeden« aufnehmen, nur alljene, die sich der Volkswirtschaft als brauchbar erweisen.

 

Diese Zustände sind nicht hinnehmbar. So fordert ein Bündnis antirassistischer Gruppen gemeinsam mit den Flüchtlingen aus dem Sinsheimer Lager folgendes:

 

• Lasst uns nicht wegschauen und die menschenverachtende Lagerpolitik stillschweigend hinnehmen!

• Für die völlige Aufhebung der Residenzpflicht und der Essenspakete: Bargeld statt billigen Fraß!

• Gegenn jahrelanges Warten beim Asylverfahren und menschenverachtende Unterbringung in Sammellagern!

• Wir fordern das Bleiberecht für alle, die Abschaffung von Lagern und unmenschlichen Lebensbedingungen von Asylbewerber*innen, ein Leben in Würde für alle!

 

 

 


 

 

 

Kundgebung in Sinsheim

Samstag, 2. Juni 2012 | 12 Uhr

Bahnhofsplatz, Ecke Kirchgasse

 

weitere Infos: aufgetaucht.blogsport.de

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The VOICE Refugee Forum Baden-Württemberg ist eine Flüchtlingsselbstorganisation, deren Graswurzelarbeit der einzig nachhaltige Weg ist, dezentral den Widerstand der Flüchtlinge selber zu unterstützen. Stellvertrer_innen-Forderungen klingen schön, werden aber nie die Machtwillkür innerhalb der Isolationslager brechen können.

Support the refugees, support The VOICE.

hier wird weder eine rolle übernommen, noch spricht die kritik für andere. die forderungen, die hier benannt werden, entstammen den flüchtlingen des lagers selbst. diese werden zb von gruppen wie aufgetaucht unterstützt. aber klar, zu glauben von außen allein die zustände im lager zu ändern, wäre einfältig. logo sind da zuvorderst die leute im lager gefordert.