Stuttgart(21): Offensiver Gerichtsprozess endet mit geschlauchten Staatsdienern

gerichte sind zum essen da

Am 12.1. wurde in Stuttgart gegen einen Menschen - nennen wir sie_ihn Urte – verhandelt. Auf einer Demonstration gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart21 unter dem Motto „Baustoppbesichtigung“ habe sie_er mühsam von der Bundespolizei aufgestellte Hamburger Gitter überwunden und bei seiner anschliessenden Festnahme mit dem Wortlaut „die misshandeln mich“ andere aufgefordert sie_ihn zu befreien. Nach einem über 10 Stunden langen offensiv geführten Prozess verhängte Richter Schöttler 40 Tagessätze a 15 Euro. Zusätzlich wurden insgesamt ca. 1500 Euro Ordnungsgelder verteilt bzw. ca. 15 Tage Ersatzhaft, dafür 10 für Urte.

 

Inhalt:

  1. Beschreibung der Anwesenden

  2. die Anklage

  3. Prozessverlauf

  4. Fazit

  5. Netzwerk für Laienverteidigung

 

 

1. Beschreibung der Anwesenden Akteure

 

a) Richter

b) Oberstaatsanwalt Häussler

c) Der Rest

 

 

A) Richter xy Schöttler (keine Ahnung wie der mit Vornamen heisst)

 

Bei Schöttler handelt es sich um einen Richter. Er hasst aufmüpfiges Publikum und schmeisst gerne Leute raus, weil sie Lachen, Husten, mit Robotern spielen oder sonst was nettes tun. Zudem wirft er gerne mit Ordnungsgeldern um sich, insgesamt verhängte er an diesem Tag mindestens 9 Ordnungsgelder zwsichen 100 und 200 Euro, ersatzweise 1 Tag Freiheitsstrafe pro 100 Euro. Macht sich nicht gerne selbst Gedanken und hört deshalb lieber auf den Häussler.

 

 

B) Oberstaatsanwalt Bernhard Häussler

 

Die wohl bezeichnendste Amtshandlung Häusslers ist das konsequente Blockieren eines Gerichtsverfahrens gegen ehemalige Mitglieder der Waffen-SS. Es handelt sich um Beteiligte vom Massaker von Sant'Anna di Stazzema.

 

In dem italienischen Dorf Sant'Anna di Stazzema massakrierten diese Männer am 12. August 1944 zusammen mit anderen Faschisten der „Reichsführer-SS“, einer Division der Waffen-SS, insgesamt 560 Menschen. Es handelte sich größtenteils um unbewaffnete Dorfbewohner. Das Massaker sollte die in dieser Gegend kämpfenden Partisanen dienen. Da es für die Faschisten schwerer und gefährlicher war, die Partisanen, die sich in den Bergen verschanzen konnten, direkt anzugreifen, mordeten sie lieber die dortige Zivilbevölkerung.

 

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wurden diese Personen nicht verfolgt: „Das Massaker wurde nach dem Krieg totgeschwiegen, da Westeuropa eine politische Einheit gegen die Sowjetunion bilden sollte. Die Akten über den Vorfall lagerten bis 1994 in einem versiegelten, mit der Tür zur Wand gestellten Schrank im Palazzo Cesi, dem Sitz der Militärstaatsanwaltschaft in Rom, der auch unter der Bezeichnung „Schrank der Schande“ bekannt war.“*1

 

2005 wurden in Italien zehn der Täter zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch waren diese schon lange im Asyl für politisch verfolgte Faschisten, kurz BRD. Dort brauchen sie nicht mit einer Verurteilung rechnen, denn sie haben Rückendeckung: 2002 Nahm der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Häussler die Ermittlungen auf und verschleppt somit ein Verfahren mit unglaubwürdigen Argumenten. Aus einem Zeitungsartikel der SZ: „Der Strafverfolger sagt: "Ich habe nebenher noch andere Zuständigkeiten." Das heißt so viel wie: viele andere Dinge auf dem Tisch.“*2

 

Schauen wir uns diese Zustängigkeiten einmal an:

 

Das ist einmal die konsequente Kriminalisierung von Stuttgart21-Gegner_innen, bei deren Gerichtsprozessen er es sich nur selten nehmen lässt, persönlich anwesend zu sein, selbst wenn die Straftaten nicht „schwerwiegend“ genug oder die Sachverhalte nicht „kompliziert“ genug sind, dass den Beschuldigten ein Pflichtverteidiger gestattet wird. *3

 

Eine weitere „Zuständigkeit“ war der Jahrlange Kampf Häusslers für das Verbot des durchgestrichenen Hakenkreuzes – eines Symboles für die Ablehnung von Faschismus - und der Bestrafung eines Menschen, weil er Kram mit solchen Symbolen verkauft hat *4

 

Häussler ist dafür mitverantwortlich, dass der Stuttgarter Antifaschist Chris 11 Monate im Knast sitzen muss. *5

 

„Es widert mich an, einem solchen Menschen gegenüberzusitzen. Es wird mir einfach nur schlecht, es ist traurig und ekelhaft so jemandem zu begegnen und zu sehen, dass er so viel Macht über andere Menschen hat. Es wird Zeit dass das aufhört“ So eine Zuschauerin.

 

C) Der Rest

 

Der Rest bestand – bis auf ein paar Justizangestellte – aus etwa 15 bis 20 Leuten die gerne lebendig sind und sich das nicht gerne nehmen lassen. Die Erfahrungen reichten von gar keinen bisher erlebten offensiven Prozessen bis zu ganz vielen.

 

 

 

2. Die Anklage

 

Urte wurde beschuldigt, bei einer Demonstration gegen S21 Absperrungen der Polizei überwunden zu haben, weshalb die sie_ihn festgenommen haben. Danach habe er „wild um sich geschlagen“. Jedoch: „gezielte Schläge gegen die Beamten erfolgten nicht“ und „keiner der Beamten wurde verletzt“, so die Bullen selber. Dann habe sie_er zu seiner eigenen Befreiung „aufgerufen“, mit den Worten: „die misshandeln mich“. Hier soll nicht darauf eingegangen werden, wie absurd das ist, das wissen eigentlich alle. Weil das Problem ist nicht der Widerstand oder die Befreiung, sondern die Gewalt, die Widerstand nötig macht, um selbst über sich bestimmen zu können, und Herrschaft, die einen zwingt, sich zu befreien. Und es ist klar, dass diejenigen die diese Herrschaft möchten den Widerstand gegen diese Herrschaft nicht dulden wollen. Das Problem ist eigentlich nur, wenn wir dann selber auch noch glauben, es wäre falsch Widerstand zu leisten.

 

 

3. Der Prozess

 

Widerstand gegen Herrschaft ist und bleibt gerechtfertigt, das darf nicht vergessen werden. Deshalb wählte Urte den Weg der offensiven Prozessführung. Es ging darum, sich nicht der Moral dieser autoritären Menschen zu unterwerfen. Und zu zeigen: Wenn wir uns nicht an ihre Regeln halten, dann apellieren die Akteure der Justiz zuerst an unsere „Vernunft“, welche sie selbst definieren, und dann werden sie uns dazu zwingen wollen.

 

Ein Freund der Normalität möchte das Verhalten von Urte und von vielen „Zuschauern“ unmöglich finden. Wer jedoch gerne genauer hinschaut, der sieht schon die ersten 4 Worte des Richters Schöttler als eine Farce an. Wenn der Richter als aller erstes das Wort „bitte“ benutzt und wenn dann die nächsten Worte „erheben Sie sich“ sind; Und wenn dann Menschen dies nicht tun und Androhung mit Gewalt und Ordnungsgeld/Ordnungshaft die Folge sind, sich dieses Wort „bitte“ als reinster Zynismus erweist, dann erkennt das von der Normalität ermüdete Auge nicht viel.

Wer seinen Blick dafür sensibilisiert, sieht vielleicht folgendes: hier wird Herrschaft verschleiert. Der Richter scheint keinen Befehl zu geben, dennoch hören alle darauf, und es wirkt so, als wollten sie das. Jedoch wissen alle: wenn sie es nicht tun, können sie bestraft werden. So sieht die_der einzelne, dass die andern auch aufstehen, und wahrzunehmen ist nicht mehr nur der Befehl, sondern hauptsächlich, „dass sich das halt so gehört“.

 

Die meisten Anwesenden hatten auf solche Geschichten keine Lust und versuchten auf die verschiedensten Arten sich gegen die Bestimmungssucht des Richters zu wehren und sie veralbern. Je mehr das geschah desto deutlicher wurde der Befehlscharakter der Justiz. Und das war gut so. Es soll sichtbar sein, dass die Justiz nur über Menschen verfügen kann, weil sie ihnen mit Gewalt drohen kann und weil es da bewaffnete Menschen gibt, die diese Gewalt umsetzen.

 

In einem Antrag formuliert Urtel das so:

„Herr Schöttler kennt mich nicht und er hat nicht das Recht über mich zu urteilen. Ich gehöre nicht zu dem, was er als Volk bezeichnet und das werde ich auch nie. Denn er ist das einzige real existierende Mitglied in diesem Volk, weil das, was er genau darunter Versteht, eine Erfindung seines eigenen Hirns ist. Das was er als den Willen des Volkes bezeichnet, das ist seine eigene Meinung, entstanden aus seinen eigenen Erfahrungen, kombiniert mit bestehenden Ideologien, verkleidet als „der Wille des Volkes“. *6

 

Deshalb nutzte Urte den Prozess von Beginn an, um den Klassenstandpunkt klarzustellen. Zu zeigen: wenn ihr im „Namen des Volkes sprecht“, dann sprecht ihr von euch selbst. Die ersten sechs bis sieben Stunden ging das ganz gut, es wurden sehr politische Anträge vorgelesen und auch einige Anträge, die hauptsächlich lustig waren. Der Prozess ähnelte einem politischen Kabarett.

 

Die typische Reaktion der „Vertreter des Volkes“ war dann ein überhebliches Getue, wie kindisch und unvernünftig Mensch sei. Aber mal ehrlich: schaut Mensch sich die Mundwinkel des Herrn Häussler an -Man möchte meinen, er möchte mit ihnen die Hufeisen-Theorie plastisch darstellen - dann ist es doch um einiges schöner „infantil“ zu sein. Wer kam eigentlich auf die blöde Idee, Phantasie, Lebensfreude, und alles andere was schön ist, als „infantil, unvernünftig, peinlich“ und so weiter abzutun beziehungsweise „infantil“, also kindlich, als etwas negatives zu sehen. „Ich glaube es war Häussler“ äussert ein ehemaliger Schulfreund Häusslers.

 

Je länger der Prozess dauerte desto enger schweisste dies die Häussler-Schöttler-Front zusammen, die sich dem Kampf gegen alle kritischen und infantilen Bestrebungen verschrieben.

Um etwa 15 Uhr machte sich ein deutlicher Bruch sichtbar: Richter und Staatsanwalt schienen sich einig sein, dass sie mit ihren eigenen Gesetzen nicht besonders weit kommen. Der Richter beschloss sich mit etlichen Rechtsbrüchen und mehreren Ordnungsgeldern gegen Urte durchzusetzen und dem Prozess ein schnelles Ende zu machen.

Er nahm Urte das Recht, Anträge mündlich zu stellen, vergass die Einlassung des Angeklagten, verlangte alle Beweisanträge auf einmal abzugeben, „las“ diese (ca. 50 Seiten) in 15 minuten durch und lehnte sie auf einmal ab. Er würgte sogar nach etwa 3 Minuten das letzte Wort des Angeklagten ab, welches ein Richter eigentlich nicht unterbrechen darf. Es gelang ihm sogar „jegliche leserische Tätigkeit“ der Zuschauer im Gerichtssaal zu verbieten, egal ob Presse oder nicht. Urte war demgegenüber allein auf der Anklagebank, da sein Rechtsbeistand schon zu Beginn des Prozesses abgelehnt wurde (das kann der Richter tun, wenn der Rechtsbeistand kein Jura-Studium absolviert hat). Um etwa 18 Uhr gelang es ihm, ein Urteil zu fällen: 40 Tagessätze a 15 Euro, etwas weniger als im Strafbefehl stand.

Urte hat sich entschieden dies und auch seine Ordnungsgelder insgesamt also etwa 50 Tage im Knast abzusitzen. Es soll sich für sie nicht lohnen, erklärt Urte.

 

4. Fazit

 

Dass das Urteil bei einer anderen Prozessstrategie „milder“ ausgefallen wäre, hält Urte für unwahrscheinlich. Erfahrungsgemäss ist eine Einstellung des Verfahrens bei einer offensiven Prozessführung zumindest nicht unwahrscheinlicher. Denn nachdem ein Richter zu oft seine eigenen Gesetze brechen musste, um die_den Angeklagten „zur Vernunft“ zu bringen, steigt auch die Angst vor Konsequenzen wie z.B. einer erfolgreichen Revision, was schlecht für richterliche Aufstiegschancen ist. Zudem sind sie Fliessbandarbeit gewohnt und haben oft keine Lust sich ewig mit anstrengenden Leuten rumzuschlagen. „Ich glaube die hätten mich so oder so verurteilt, weil das meistens so ist, wenn die Kläger Polizist_innen sind. Hätte ich klein beigegeben hätte ich jetzt aber ein viel schlechteres Gefühl“ so Urte. Jedoch kommt es bei offensiven Prozessen häufiger als sonst zu Ordnungsgeldern und Folgeprozessen. Ein solidarischer Umgang hiermit kann das aber abpuffern.

 

Die Resonanz fast aller anwesender Menschen war positiv. Am Ende des Tages war das Gefühl eine Mischung aus Ekel und Freude. Wir sind in eine kalte, lebensverachtende und widerwärtige Welt eingetaucht, aber wir haben sie lachend verlassen. Einiges hat unglaublichen Spass gemacht. Auch Urte, die_der die Strafe absitzen möchte, sagt am Tag darauf: „Trotzdem dass es auch traurig war, mit was ich da konfrontiert wurde, fühle ich mich seit dem Prozess sehr gut. Es war toll zusammen mit anderen zeigen zu können, was wir von der Justiz halten. Und ich habe gemerkt, dass das, was bei der Justiz verachtet wird, von mir geliebt wird, und das emanzipiert mich ein Stück. Und ich muss immer wieder loslachen, weil ich mich an lustige Szenen erinnere. Vor der Haft habe ich Angst. Aber was ist das im Vergleich zu dem was tagtäglich passiert, eben weil die Angst so viele Menschen lähmt?“

 

 

Netzwerk für Laienverteidigung

 

Wenn du einen Prozess vor dir hast und ihn selbstbestimmt gestalten möchtest und noch Hilfe brauchst oder gerne andere Leute bei so was unterstützen würdest, kannst du dich an das offene Netzwerk für Laienverteidigung wenden. Es besteht aus Menschen, die sich mit offensiver Antirepression beschäftigen.

„Wichtiges Ziel ist, möglichst viele oder sogar alle Beteiligten zur Selbstverteidigung zu ermächtigen. Das schließt gegenseitige Hilfe nicht aus, sondern macht sie sogar einfacher, weil wer sich selbst verteidigen kann vor Polizei und Gericht, wird auch anderen leichter helfen können.
Grundlage ist daher die Vermittlung von Basiswissen zur Selbstverteidigung bei Polizei und Gericht. Es soll Ziel des LaienverteidigerInnen-Netzwerkes sein, Beratung (direkt oder in Form von Schriften, Internetseiten usw.) und Trainings anzubieten. Möglichst oft und viel.“

aus:

http://laienverteidigung.de.vu/

 

 

*1 http://de.wikipedia.org/wiki/Sant%27Anna_di_Stazzema

*2 http://www.sueddeutsche.de/politik/ns-kriegsverbrechen-da-muesste-man-hinterherhechten-1.459922

*3 http://stuttgart21.wikiwam.de/Bernhard_H%C3%A4u%C3%9Fler

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=U9XspYWkYNU

*4 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,440081,00.html

*5 http://linksunten.indymedia.org/de/node/47026

*6 aus dem „Kaffeeantrag“, siehe anhang

 

Im Anhang sind ein paar Anträge, die von verschiedenen Menschen für den Prozess vorbereitet wurden und die gerne alle für ihre Prozesse verwenden dürfen, sofern sie damit emanzipatorische Zwecke verfolgen.

 

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Sehr geehrter Urte,

 

Ich wünsche dir viel Kraft und Durchhaltevermögen für die Tage in der gewaltsammen staatlichen Gefangenschaft.

 

Hochachtungsvolle Grüsse

Top dass ihr über den Prozess so ausführlich hier berichtet. Leider denken immer noch viele Leute dass sie bei Verfahren nichts tun können und lassen sich dann einfach weg knasten. Da besteht dringend Verbesserungsbedarf.

 

Halt aus Urte und viel Glück!