Löst den Verfassungsschutz auf!

Erstveröffentlicht: 
22.11.2011

Debatte. Die deutschen Geheimdienste müssen sich nach dem Auffliegen der Thüringer Nazibande einige Fragen gefallen lassen. Schon beim Oktoberfestattentat 1980 gab es Hinweise auf Verbindungen der Verfassungsschützer zu dem Täter. Ein Gastbeitrag von Wolfgang Schorlau

 

Der Rechtsextremismus stellte im Jahr 2010 keine ernsthafte Gefahr für den Staat bzw. die Verfassung oder eine Bedrohung der inneren Sicherheit dar. (. . .) Bei den strafbaren Handlungen spielen die Aktivitäten des organisierten Rechtsextremismus eine eher zweitrangige Rolle.“ So steht es auf Seite 17 des aktuellen Verfassungsschutzberichtes. Nach allem, was wir heute wissen, war der Verfassungsschutz also entweder völlig ahnungslos, oder er hat Öffentlichkeit und Parlament bewusst belogen. In ersten Falle ist er nutzlos, im zweiten Fall eine Gefahr für uns alle.

Im Spätsommer 2009 standen eines Abends zwei ältere Männer vor meiner Tür. „Wir haben Informationen, die Sie interessieren könnten“, sagten sie. Eine Nacht lang gaben sie mir Dokumente der „Sonderkommission Theresienwiese“ zu lesen, jener Sonderkommission beim Landeskriminalamt München, die nach dem Bombenanschlag auf das Oktoberfest am 26. September 1980 gegründet worden war, dem schwersten Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. Dreizehn Menschen starben damals, mehr als zweihundert wurden verletzt, 68 davon sehr schwer. Bis zum frühen Morgen las ich Zeugenaussagen, Gutachten und sah schreckliche Fotos. Merkwürdig war, dass all diese Dokumente nicht zu dem offiziellen Abschlussbericht der Sonderkommission passten. Diese ging davon aus, dass der Bombenleger Gundolf Köhler, der bei dem Anschlag ebenfalls ums Leben gekommen war, ein verwirrter Einzeltäter gewesen sei, der aus Liebeskummer und wegen Schwierigkeiten im Studium die verheerende Bombe selbst gebastelt, deponiert und gezündet habe. Dass er der rechtsterroristischen Wehrsportgruppe Hoffmann nahestand, habe mit dem Anschlag nichts zu tun, befand die Sonderkommission. Die Dokumente, die ich in jener Nacht studierte, sagten jedoch eindeutig aus, dass Köhler Komplizen am Tatort hatte.

Viele Jahre nach diesem immer noch ungeklärten Verbrechen, kam der Berliner Journalist Tobias von Heymann auf die Idee, in der Stasi-Unterlagenbehörde nachzusehen, ob die Stasi etwas über das Verbrechen in München wusste. Zu seiner Überraschung brachte man ihm über 10 000 Blatt Papier aus den Katakomben der Behörde. Heymann hat ein Buch aus seinem Fund gemacht. Wenn man es liest, denkt man, die Stasi habe der Sonderkommission während der Ermittlungen auf dem Schoß gesessen. Durch abgehörte Telefonate waren sie immer im Bild, was die Kommissare taten, in welchen Büros sie saßen und welche Durchwahlnummern sie hatten. Die Stasi kannte Zusammenhänge, die mir, als ich sie las, Angst machten. Nicht nur der rechtsradikale Attentäter Köhler war am Tatort auf der Theresienwiese, sondern auch Beamte des Verfassungsschutzes. Bereits 22 Stunden bevor die Bombe explodierte, so die Berichte der Stasi, lief dort eine Operation der Landesämter für Verfassungsschutz von Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen in Zusammenhang mit der Wehrsportgruppe Hoffmann. Die Stasi kannte den Codenamen: Aktion Wandervogel. Ich hatte zu dem Zeitpunkt, als ich auf dieses Material stieß, mit der Arbeit an meinem Roman „Das München-Komplott“ begonnen. Nun dachte ich zum ersten Mal daran, den geplanten Krimi über das Oktoberfestattentat doch nicht zu schreiben.

Aus den Stasi-Unterlagen wissen wir aber noch mehr. Zum Beispiel, dass am 19. Dezember 1980, drei Monate nach der Münchner Katastrophe, der deutsche Verleger und Rabbiner Shlomo Levin mit seiner Lebensgefährtin in seinem Haus in Erlangen von einem Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann ermordet wurde. Aus mehreren Quellen wusste die Stasi, dass auch bei diesem Mord sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz wie auch der bayerische Verfassungsschutz „in der Nähe“ war.

Ein anderes Beispiel. In Braunschweig gab es in den siebziger Jahren jene terroristische Gruppe, mit der auch der Dutschke-Attentäter Bachmann Kontakt hielt. Ihr gehörte Hans-Dieter Lepzien an, Mitglied der verbotenen NSDAP/AO. Lepzien war der Bombenkurier der Gruppe und V-Mann des Verfassungsschutzes. Am 2. September und 3. Oktober 1977 explodierten vor den Justizgebäuden in Flensburg und Hannover Sprengsätze – ein Anschlag, der zunächst der linken Szene angelastet wurde. Lepzien wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, die er als Freigänger verbrachte. Aus den Unterlagen der Stasi wissen wir, dass Lepzien auch nach Ostberlin berichtet hat. Er gab an, dass der ihn betreuende Beamte des Verfassungsschutzes ihn gerade zu ermuntert, ja, angestiftet hat, dass „endlich etwas passiert.“

Das alles sind Recherchen aus der Vergangenheit. Aber auch der aktuelle Zwickauer Fall, vor dessen Hintergrund der Blick in die Vergangenheit umso aufschlussreicher ist, lässt auf eine Kumpanei zwischen Verfassungsschutz und Rechtsextremismus schließen. Es ist in der Bundesrepublik nicht möglich, 13 Jahre unbemerkt unter hohem Fahndungsdruck untergetaucht zu leben. Dazu sind die Methoden der Polizei zu gut entwickelt. Dies ist erst recht nicht möglich, wenn man gleichzeitig noch eine derartige Blutspur hinter sich herzieht, wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt dies getan haben. Irgendjemand hat eine schützende Hand über sie gehalten. War es womöglich der Beamte des hessischen Verfassungsschutzes, der sich offenbar in der Nähe von sechs Tatorten des Mörderduos aufgehalten hat?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter scheinen wie mit Handschellen an den rechten Terror gebunden zu sein. Über diese Ämter flossen via Bezahlung der V-Leute riesige Beträge in die rechte Szene. Gibt es zwischen ihnen auch ideologische Gemeinsamkeiten?

Die Strategie des rechten Terrorismus ist bekannt: Durch Gewalt, sowohl durch Prügeleinsätze als auch durch Bomben, soll Unruhe gestiftet werden, erst in einzelnen Regionen, dann soll die ganze Gesellschaft destabilisiert werden. Schließlich bieten sich die Braunen als Ordnungsstifter an. Sie versprechen, wieder für Ruhe und Stabilität zu sorgen, indem sie alles Ausländische, Jüdische, alles irgendwie Abweichende und Fremde vernichten. Also: nie wieder Krieg – nach unserem Sieg, wie die NPD-Leute rufen.

Hat in diesem Kontext eigentlich in all den Jahren eine negative Auslese des Personals in den Behörden stattgefunden? Ich meine, wer arbeitet schon freiwillig beim Verfassungsschutz? Werden die Rechtsextremisten dort wegen ihrem Ruf nach „Ordnung“ nicht doch als wenig gefährlich erachtet? Finden sich gar gemeinsame Werte? Es ist zu vermuten, dass sich die Dienste und der Rechtsextremismus in ihrem Unverständnis für die offene Gesellschaft treffen. Es wird höchste Zeit, dies herauszufinden.

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Ein Gastbeitrag von Wolfgang Schorlau