Norwegian super stars

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Ohne es zu wollen und mit Hilfe des Kommissars aus Avezzano und des Herrn Iannone sind wir in Norwegen sehr berühmt geworden. Alleine hätten wir dieses Ergebnis nie erreicht, ihr wart herrlich. Das internationale Rechtshilfeersuchen, das die Beschlagnahme eines A/I-Servers in Norwegen (Norvegian Crackdown) hervorgerufen hat, hat uns ins Rampenlicht gebracht und eine Diskussion in diesen fernen Ländern wikingischer Abstammung angeregt.

 

Eine solche Geschichte hätte in Italien schwer das Interesse der Öffentlichkeit geweckt, aufgrund einer Serie von Fakten, die uns zum Nachteil gereichen:

  • In dieser Geschichte sind keine Titten, Ärsche und Muschis verwickelt, so wären die Sendequoten sehr gering

  • Es ist schwer über die Legitimität von Beschlagnahmungen Privacy und Kritik an dem Handeln der Polizei zu reden. Es ist kompliziert, wenn es um Tote in Gefängnissen oder in den Straßen geht, geschweige denn wenn es um die Kopie einer Festplatte geht. Normalerweise müssen wir hören: „euch erging es noch gut, ihr wurdet ja nicht verprügelt“.

In Norwegen ist die sexuelle Emanzipation fortgeschrittener als bei uns [in Italien] und innerhalb der Diskussion über die data retention, die das Land zur Zeit bewegt, wurde unser Fall als negatives Beispiel gewählt, in dem die Meinungsfreiheit willkürliche Beschränkungen erleidet, weil das System schlecht geplant ist.

Die Artikel sind auf Norwegisch, doch der Kern aller Texte ist die Frage, warum einem so vagen und peinlichen (wenn nicht schockierenden und sinnlosen) Rechtshilfeersuchen, das ebenso unbeholfen und oberflächlich in der Formulierung der Anschuldigungen war, gefolgt ist, von einer Beschlagnahmung esines Servers um damit sensible Daten über die AutorInnen eines noblog herauszufinden. Die Polizei begründet ihr Vorgehen mit der Ausrede, sie müsse aus Zeitgründen so handeln. Die Zeitungen: “Die Polizei beschlagnahmt 7000 Accounts, um sich zu beeilen“. Wir halten es nicht für nützlich, sich weiter mit dieser Aussage zu befassen: Unsere Meinungen könnt ihr in unseren vorherigen Meldungen (*) lesen. Das Wichtigste ist, das Interesse an der Debatte selbst.

 

Den Fall nahm sich zunächst Jon Wessel-Aas, Anführer der norwegischen Sektion der internationalen Kommission der JuristInnen zu Herzen. Er hat als erster einen guten Artikel geschrieben dem die anderen, oben verlinkten Artikel und Nachrichtensendungen des öffentlichen, norwegischen Radiosender NRK folgten. Zur gleichen Zeit wurde die Polemik fortgesetzt und eine Mischung aus Scham- und Schaudergefühl (plus die üblichen Sorgen, sowie Mitleid gegenüber der sozio-politischen Situation des Bel Paese) in den Mailinglisten der Gegner der berüchtigten Datalagringsdirektivet, auch als Richtlinie 2006/24/EF bekannt, spürbar. Die Richtlinie wurde in Italien schon verabschiedet, aber nicht in Norwegen (Belgien hat sie zurückgeworfen, Deutschland und Rumänien haben die Richtlinie für verfassungswidrig erklärt). Der Fall Autistici/Inventati ist seit Wochen ein Hauptthema in öffentlichen Debatten und wird als Beispiel vorgeführt. Es gibt auch Menschen (unter anderem unseren norwegischen Anwalt), die meinen, die Beschlagnahme war rechtswidrig und verstößt gegen die aktuell geltenden gesetzlichen Regelungen. Wir werden sehen.

 

Die Proteste gegen die Richtlinie gehen weiter und es sprechen viele Argumente dagegen, die sich oft auf demokratische Prinzipien stützen, die in Italien wohl nicht mehr aktuell sind. Nur um einige zu zitieren:

  • In einer Demokratie sind es die BürgerInnen, die den Staat kontrollieren und nicht umgekehrt

  • Alle BürgerInnen gelten als unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist, nicht umgekehrt

  • Die systematische Kontrolle der Kommunikation ist nicht mit den Menschenrechten vereinbar

Dazu kommen noch:

  • die Anschuldigungen von Servilität vor der Europäischen Union (zu der Norwegen noch nicht dazugehört) gegenüber der Regierung von Jens Stoltenberg, bereits Chef der „Arbeiderpartiet“

  • die Proteste gegen die im Stillen getroffenen illiberalen Entscheidungen seitens der rechten Partei (Høyre), die zur Zeit zwar sehr populär, aber intern auf Grund dieser Entscheidungen gespalten ist.

Tatsächlich scheinen nur die Regierung und die Polizei die neue Richtlinie gut zu heißen. Ihre Propaganda verbreitet ad nauseam die üblichen Desinformationen über Pädophile und Terroristen. Dies und viel mehr (unter anderem auch der Vorfall mit uns) regen die Diskussion und die Gegenpropaganda an. Die Verabschiedung der Richtlinie wird wahrscheinlich im Frühling erfolgen.

 

In der Zwischenzeit schickte die norwegische Polizei, nach dem erfolgten Druck der Medien, unserem italienischen Anwalt ein Fax:

I can assure You that the intent of the Norwegian police is to give as specific an answer to the request from the Italian authorities as possible. We are aware that the server contains a large amount of data that may not be relevant to the request, and this information will not be disseminated to Italian authorities. Therefore, only the information that is relevant to the request from the Italian authorities, which concerns the mail box orsa@canaglie.net, will be included in the police report that will be prepared by the Norwegian police.

 

Also, in anderen Worten, wird dieser Bericht nichts beinhalten. Ich frage mich, warum sie nicht von she-bear@scoundrel.net geschrieben haben. Das Gleiche wird sich auch Staatsanwalt Stefano Gallo fragen. Das Fax geht weiter:

Regarding the mirroring of the hard disks, this method was chosen because the Norwegian service provider indicated to us that the data in question was deleted. That meant that the data had to be sought out and reconstructed – a process which our computer investigator says will take several weeks. The alternatives to mirroring the hard disks would have been seizing the disks or performing the investigation in the locales of the service provider. Both of these methods would have entailed disadvantages to the other, current users of the server, as well as economic disadvantages to the service provider. The choice of mirroring the entire hard disks do not, therefore, mean that it is the intent of the Norwegian authorities to disseminate any data not related to orsa@canaglie.net to Italian authorities, but is only the result of a wish to minimize the negative impact of our investigations.

 

Es geht darum, die negativen Wirkungen der Ermittlungen zu minimalisieren, Nachteile für PolizistInnen zu verhindern undfinanzielle Schäden für die Dienstanbieter zu vermeiden. Obwohl diese Menschen ebenfalls PolizistInnen sind, und obwohl sie kritiklos der Anfrage ihrer italienischen KollegInnen, die der neofaschistischen Organisation Casa Pound nahe stehen, nachgegangen sind, scheint sich alles zum Besten zu entwickeln. Die tausende UserInnen, die in diese Geschichte unangemessenerweise herein gezogen wurden, könnten sich erleichtert fühlen.

 

Dieses Fax kam bei uns nach zwei langen Monaten an, als erste Antwort auf unsere unzähligen Anfragen, erst nachdem die öffentlich Diskussion in Norwegen auf Hochtouren lief. In den öffentlichen Debatten wurde das Vorgehen der Polizei als freiheitsmörderisch bezeichnet und die Vereinigung der Informatik-Industrie Norwegens veröffentlichte ein offizielles Kommunikee auf ihrer Seite IKT Norge („Die Polizei zeugt von einer katastrophalen Urteilsfähigkeit im digitalen Bereich“).

 

Zusammengefasst steht darin, dass die Polizei nicht in der Lage ist, die Verantwortung für die Kontrolle der digitalen Kommunikation zu übernehmen. Es wundert uns also nicht, dass sie uns eilig geschrieben haben, um noch das Gesicht zu wahren. Aber wir sind nicht wie der Hg. Thomas, wir glauben nicht an das, was nicht greifbar ist. Unser nächster Schritt war eben, durch einen norwegischen Anwalt, uns auf die Ekomloven, das das Verhältnis zwischen VerbraucherInnen und Netzwerkbetreiber beim Bruch der Vertraulichkeitsvereinbarung regelt, zu berufen, um die Rückgabe oder die eventuelle Zerstörung der kopierten Dateien zu beantragen. Laut vielen ExpertInnen besagen diese Regeln, dass einE RichterIn seine/ihre Billigung vor der Beschlagnahme des Servers hätte abgeben sollen. In den Dokumenten, die uns gegeben wurden, steht nichts davon. Das ist ihre Antwort:

Police considers that neither Copyleft or Autistici/Inventati fall under the definition of service provider in the Communications Act. We are therefore of the opinion that the Criminal Procedure Act § 211 and § 212 does not apply to the current instance. For the information the police received a few days ago knowledge of the investigation in Italy that gave rise to the letters rogatory, has been dropped. Work on review of data on hard disks are therefore currently quiet, pending a clarification from the Italian authorities at the request of the right still remains.
I have however today been informed that the Norwegian Post and Telecommunications Authority is processing a request from Autistici / Inventati to clarify whether Autistici/Inventati will be considered as service provider pursuant to Electronic Communications. Authority has indicated that they will give priority toconsideration of the case since a clarification could have a bearing on the seizure ofthose drives were legitimate or not.

 

Im Klartext: da weder Autistici noch Copyleft als ISP (internet service provider) gelten, gäbe es auch keinen Datenschutz zu bewahren und es bestehe keine Notwendigkeit, eineN RichterIn in die Ermittlungen mit einzubeziehen: Iannone fordert und die Polizei gibt nach. Auch in Norwegen. Vielleicht, da wir keine ISP sind, gelten die EU-Richtlinien für uns nicht... oder ihre Dienstmarke wird sie immer zu Richter und Vollstrecker machen. Wir bleiben weiterhin ratlos: internationale Rechtshilfeersuchen, Beschlagnahmen, Entschlüsselungen, Muskelposen und Pollutionen. Noch dazu kommen kostspielige forensische Analysen, eine abgeschlossene Ermittlung ohne auch eins der Daten, die von der Staatsanwaltschaft von Avezzano mit solcher starker Vehemenz verlangt wurden und auf die die gleiche Polizei plötzlich verzichtet hat.


Vielleicht ist es nicht nur wegen diesen Daten, dass sich die Polizei dreier Länder in Bewegung setzt und dass die Privatsphäre von tausende von Menschen verletzt wird. Vielleicht ist es nicht nur wegen einer Person, dass tausende von Euro, Franc und Kronen der jeweiligen StaatsbürgerInnen ausgegeben werden, sondern was dahinter stecken könnte, ist die Botschaft der Polizei: „Seid still, protestiert nicht und gegebenenfalls kollaboriert“.


Aber wir sind nicht daran gewöhnt, gute Ratschläge zu befolgen.

 

http://cavallette.noblogs.org/2011/01/7117