Offener Brief einer Anti-G20-Aktivistin an campact

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Krass und bitter“ hieß euer Newsletter nach dem G20. Und was ich da in meinem Postfach fand war wirklich krass und bitter. Aber nicht auf die Art wie ihr es gemeint habt.

 

Es fängt schon damit an, dass ihr ernsthaft die Frage stellt, ob die Demoverbote der Polizei zum G20 angesichts der Geschehnisse vielleicht richtig waren. Und Kritik daran falsch.

 

Ist das wirklich die Welt für die ihr eintretet? Eine Welt in der die Erwartung von Ausschreitungen es rechtfertigt die Versammlungsfreiheit abzuschaffen? Ja, offenkundig ist es das. Um es mit euren Worten zu sagen: Bitter. Auf mich wirkt das, als hättet ihr jeden Glauben an eine bessere Welt verloren. Ihr seid stecken geblieben in der Illusion, es sei eine wirkliche Veränderung der Welt die zehnte Nachkommastelle etwas korrigiert zu haben und habt offenkundig mittlerweile erfolgreich verdrängt, dass eine ganz andere Gesellschaft möglich und nötig ist.

 

In einer parlamentarischen Demokratie gäbe es keine sinnvolle Militanz und Zerstörung, so schreibt ihr weiter. Ward ihr nicht selbst vor ein paar Jahren daran beteiligt, Gentechnikpflanzen zu zerstören? Nicht in eurer Funktion bei campact, aber als Privatpersonen. Dass die Formulierung des „Gentechnikfelder befreiens“ dafür gewählt wurde ändert in der Sache nichts daran, dass es sich um eine überlegte und gezielte Zerstörung handelte. Ihr werdet jetzt sofort sagen, das sei etwas ganz anderes, das ist mir klar. Aber sind wir damals nicht ebenso als „anmaßend“, „dumm“ und „kriminell“ bezeichnet worden? Und war das damals nicht ebenso falsch wie es das heute bei euch ist?

 

Zum Auftakt des Klimagipfels planen wir zusammen mit unseren Partner/innen eine Großaktion mit vielen tausenden Menschen. Am gleichen Wochenende wollen die Aktivist/innen von EndeGelände symbolisch die Bagger im Rheinischen Kohlerevier anhalten. Wir finden: eine mutige Aktion des Zivilen Ungehorsams. Denn sie ist vorher öffentlich angekündigt und gewaltfrei. Sie weist mit einer symbolischen Regelverletzung auf einen massiven Missstand hin, da andere legale

Protestformen nichts gebracht haben.“

 

Ihr benutzt „kriminell“ erst als Abwertung, um euch dann an anderer Stelle explizit positiv auf eine Kampagne zu beziehen, deren Handlungen jedenfalls in den vergangenen Jahren massenhaft als Straftaten betrachtet wurde. Kriminell werden wir gemacht und ihr solltet das wissen. Das mitzuspielen und statt mit Argumenten mit der Kategorie „kriminell“ zu arbeiten hilft den Falschen. Ihr werdet erwidern, bei Ende Gelände würden die Menschen offen agieren. Aber da belügt ihr euch. Die Vermummung mit weißen Ganzkörperanzügen und Staubmasken und das massenhafte Verweigern der Personalienangabe, gerade um unerkannt zu bleiben waren ein wichtiger Bestandteil der Ende-Gelände-Massenproteste in den letzten Jahren. Werfen wir mal einen Blick darauf, was Ihr gewaltfrei nennt: bei Ende Gelände 2015 wurden Polizeiketten gezielt, offensiv und in körperlicher Auseinandersetzung sowie unter massivem Pffeffereinsatz der Polizei durchbrochen. Da war nichts mit nett „umfließen“. Es scheint so, als ob der Begriff gewaltfrei immer dann gewählt wird, wenn er einem selber in die Schuhe passt. Soziale Unruhen entstehen nicht aus heiterem Himmel, weil einige Leute Bock darauf haben mal ein paar Läden zu öffnen und Steine zu schmeißen.

Eure Feststellung, andere legale Protestformen hätten im Braunkohlewiderstand nichts gebracht, ist offenkundig korrekt. Daraus allerdings die Legitimität der Ende-Gelände-Proteste in expliziter Gegenüberstellung mit den G20 Protesten abzuleiten erscheint mir an den Haaren herbeigezogen. Was haben denn die legalen Gipfelproteste der letzten Jahrzehnte in eurem Sinne gebracht, was es legitimieren würde, hier auf den legalen Weg zu setzen und illegale Handlungen derart zu diskreditieren? Eure Aufteilung in guten und bösen Widerstand kotzt mich an!

 

Fehlverhalten“ der Polizei schreibt ihr. Tausende bewaffnete, die in mehreren Situationen nachweisbar anlasslos auf Menschen einprügeln, denen kein Fluchtweg offen steht und diese Menschen mit Wasserwerfern, CS-Gas und Pfefferspray eindecken sind also „Fehlverhalten“. Ich hatte verdammt nochmal Angst um meine Mitdemonstrierenden als sie von hohen Mauern getrieben wurden oder hilflos auf der Straße lagen nach den Angriffen. Eine Person lag tagelang im Koma. Menschenleben zu gefährden ist also „Fehlverhalten“, aber einen Supermarkt zu öffnen, die Lebensmittel in Kisten zum Verschenken vor die Türen zu stellen und der Forderung „alles für alle“ zumindest ein paar Stunden etwas reales zu geben und Umverteilung zu leben ist „kriminell, anmaßend und dumm“? Dumm... was ist das überhaupt für eine Unterstellung? Als würden sich Menschen, die sich entscheiden, Barrikaden anzuzünden keine Gedanken darüber machen. In welchem Verhältnis steht diese harte Wortwahl zu den Worten die sonst gefunden werden, um zu kritisieren? Werfen wir einen Blick darauf, wie ihr sonst formuliert: Wenn die deutsche Bank für Regenwaldzerstörung kritisiert wird findet sich keine solchen Vokabeln. Im Gegenteil „Mit Ihrer Unterstützung können wir die Deutsche Bank überzeugen, die Finanzierung zu beenden.“ heißt es dann. Was ist denn das für eine ekellerregende Ambivalenz?

 

Dumm also? Wurde „Der kommende Aufstand“ nicht in den Feuilletons auch renommierter Zeitungen rauf und runter besprochen? Sind die nun auch „dumm“? Oder drückt ihr euch nicht vielmehr durch eure wie ich finde viel zu plumpe und simple Diskreditierung vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken von ernst gemeintem radikalem gesellschaftlichem Wandel?

Ich erwarte nicht, dass ihr aufständischen Thesen zustimmt. Aber sie zu belächeln und ihnen politische Überlegung und Überzeugung kategorisch abzusprechen ist ein klassiches Herrschaftsinstrument. Mächtige ignorieren, diskreditieren, belächeln, reden klein, sprechen dem politischen seinen politischen Charakter ab. Geschichtlich finden sich jede Menge vergleichbarer Situationen, ich denke beispielsweise an den hämisch-belächelnden Umgang mit Feministinnen wie beispielsweise den Suffragetten.

 

Euer Glaube an den hiesigen Parlamentarismus und die G20 als mögliche Problemlöser statt -auslöser erscheint mir von kaum überbietbarer Naivität wenn ihr beispielsweise schreibt

 

Bewusst haben wir als Campact uns nicht der plakativen Botschaft "No G20" angeschlossen. Gerade in so krisenhaften Zeiten wie den jetzigen halten wir es für zentral, dass Staatschefs miteinander reden.“

 

oder auch

 

Wer Trump, Putin und Erdogan, wer Autokraten und Antidemokraten zu sich einlädt, der sollte ihnen sagen: Schaut her, bei uns werden Demos nicht verboten. Hier werden friedliche Demonstranten nicht verprügelt - auch wenn wir wehrhaft gegen Gewalttäter vorgehen. Für uns sind Grundrechte das höchste Gut - und wir sind stolz darauf. Wie soll nach den Tagen von Hamburg eine Bundesregierung noch Erdogan und Putin kritisieren, wenn sie auf friedliche Demonstrant/innen einschlagen lassen? Beide werden diebische Freude an den Bildern von Hamburg haben.“

 

Was ihr damit vollkommen verkennt ist, dass Demokratie eine modernere und aus Sicht der Herrschenden schlauere Form politischer Organisierung darstellt, eben weil es gelingt, Menschen die Illusion von Mitbestimmung zu geben. Dass Herrschaft auf anderen Ebenen stattfindet, subtiler ist, sich anders ausdrückt ist kein Beleg für ihre Abwesenheit. Wer für Unabhängigkeit, Dezentralität und Selbstorganisierung eintritt ist auch in parlamentarischen Demokratien notwendigerweise immer in dauerndem Widerspruch zur herrschenden Politik.

 

Mit uns habt ihr nichts gemein.“ so schreibt ihr. Doch, das habt ihr und ihr wisst es auch. Und ich glaube, das macht euch Angst. Weil ihr auf dem besten Weg seid, handzahme Bundestagsabstimmungsberater zu werden und wisst, dass ihr eigentlich von woanders kommt. Dass ihr immer geglaubt habt, ihr würdet eben mit anderen Mitteln kleine Schritte in die gleiche Richtung gehen wie entschlossenere Teile des Widerstands hat euch blind gemacht für eure persönliche Veränderung und eure gnadenlose Anpassung.

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Wie war die Antwort? Und haben sie ihn idealerweise zu Diskussion gestellt indem sie ihn über ihren Verteiler schickten?

Auf https://blog.campact.de/2017/07/g20-bittere-bilanz/ findet sich der Newsletter auch nochmal, und es wird gut, intensiv und differenziert kommentiert. Sehr viele sehen diese Campact-Positionierung auch enorm kritisch.

Ein Interview mit Campact aus der JungleWorld

 

»Vermittelbare Aktionsformen«

Die Umweltschützerin Hanna Poddig hat in einem offenen Brief die Verdener Kampagnenorganisation Campact für deren Einschätzung zum G20-Gipfel in Hamburg heftig kritisiert. Die Jungle World hat mit Felix Kolb, einem der beiden Vorsitzenden von Campact e. V., über gewaltfreie Aktionen und Militanz gesprochen.


Small Talk Von Peter Nowak


Im Campact-Newsletter nach dem G20-Gipfel wurde die Frage gestellt, ob es angesichts der heftigen Gewalt noch richtig sei, Politik und Polizei dafür zu rügen, dass sie bereits vor den Demonstrationen das Versammlungsrecht stark einschränkten. Ist Campact für Einschränkungen des Demonstrationsrechts?

 

Natürlich sind wir gegen die Einschränkungen des Demonstrationsrechts. Das Versammlungsrecht ist einer der Grundpfeiler einer ­lebendigen und streitbaren Demokratie. In Hamburg wurde es massiv verletzt – etwa mit einer 38 Quadratkilometer großen Demo­verbotszone, der Untersagung der Camps und unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen. Die Politik der G20-Staaten bietet jede Menge Gründe für Kritik – und diese Kritik darf in einem Rechtsstaat nicht ausgesperrt werden. Aber der Protest muss friedlich bleiben. Wie sehr militante Aktionsformen unserem Anliegen schaden, das haben die Tage in Hamburg noch einmal gezeigt.

 

Warum hat sich Campact überhaupt von Aktionen distanziert, mit denen der Verein nichts zu tun hatte?

 

Wir haben bewusst eine Demonstration in einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis vor dem Gipfel organisiert, um Öffentlichkeit und Medien mit unserer Kritik an der Politik der G20 zu erreichen. Wir befürchteten, dass dies während der Gipfeltage nicht gelingen würde. Nach Hamburg ist es jetzt wichtig, eine Debatte über legitime und vermittelbare Aktionsformen zu führen und ­inhaltlich Position zu beziehen. Denn der politische Schaden, den die Militanz anrichtete, betrifft auch unsere Arbeit negativ.

 

Von Campact hieß es, in einer parlamentarischen Demokratie gebe es keine sinnvolle Militanz. Was ist mit der Gewalt des Staates?

 

Das Gewaltmonopol des Staates ist und bleibt ein riesiger zivilisatorischer Fortschritt. Aber natürlich braucht dieses Gewaltmonopol Kontrolle, denn es wird gelegentlich missbraucht. Das ist während der G20-Tage wiederholt vorgekommen, wie viele Berichte über brutale Übergriffe durch Polizisten dokumentiert haben. Es ist gut und richtig, dass Ermittlungsverfahren gegen tatverdächtige Polizeibeamte eröffnet wurden.

 

Hanna Poddig erinnert in ihrem offenen Brief daran, dass Campact beispielsweise das Zerstören von genmanipulierten Pflanzen unterstützt hat. Distanziert sich Campact nun von der eigenen Bewegungsgeschichte?

 

Wir haben uns an keiner Stelle von Idee und Praxis des zivilen Ungehorsams distanziert, wie sie der politische Philosoph John Rawls skizziert hat. Für Rawls basiert ziviler Ungehorsam auf der Prämisse, dass eine Gesellschaft zunächst grundsätzlich gerecht und demokratisch strukturiert ist. Wenn trotzdem staatliche Verfahren zu illegitimen Entscheidungen führen, dann kann es moralisch richtig sein, Gesetze bewusst und öffentlich zu brechen. Ein Kernprinzip ist, dass ich mich dabei gewaltfrei verhalte und zu meinem Ungehorsam stehe. Nicht jede Aktion, die für sich das Label ziviler Ungehorsam reklamiert, steht in dieser demokratischen Tradition. Wenn sich aber in diesem Sinne Tausende auf Castor-Gleise setzen oder Kohlebagger blockieren, ist das legitim und wichtig.

 

Ist Militanz nicht für die Durchsetzung der Anliegen von Campact von Vorteil, weil man darauf verweisen kann, was passiert, wenn die Reformvorschläge nicht umgesetzt werden?

 

Die in dieser Frage implizierte Strategie halte ich für völlig falsch. Militanz in einem demokratischen Staat ist in meinen Augen nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch politisch äußerst schädlich für alle progressiven Anliegen. Zunächst verdrängt Militanz die Inhalte aus der öffentlichen Debatte. Sie verschreckt das bürgerliche Milieu, das für die Realisierung progressiver Forderungen unerlässlich ist. Sie lädt die Hardliner dazu ein, weitere Gesetzesverschärfungen zu fordern, und zwingt damit die progressive Bewegung in einen Verteidigungskampf um das Demonstrationsrecht.