So wie es ist, darf es nicht bleiben! Arsch hoch, Räumung des Kiezladens verhindern und her mit dem schönen Leben!
Ein längerer Text darüber, warum wir unsere Freiräume verteidigen müssen und neue erkämpfen sollten.
Text enstanden im Zusammenhang mit der interkiezionalen Demonstration am 22.April 2017 (Start um 20:00 von Berlin, Eldenaer Straße / Ecke Proskauer Straße)
Das der Kapitalismus als Kind schon scheiße war, dürfte mitlerweile hinlänglich bekannt sein. All die großen Heilsversprechen von Wohlstand, Frieden und persönlicher Sicherheit, sofern nur die Wirtschaft brummt und alle ihren Beitrag leisten, klingen bei einer genaueren Betrachtung der Welt und unserer Leben mehr als nur zynisch.
Aktuell finden weltweit über 20 Konflikte statt, die offiziell als Kriege eingeordnet werden, dabei starben 2015 mindestens 200.000 Menschen. Die einzigen beiden Kontinente ohne bewaffnete Konflikte sind Australien und die Antarktis. Zwischen 40 und 60 Millionen Menschen sind aktuell auf der Flucht, sei es wegen Krieg, Hunger, oder ganz einfach, weil sie wegen gigantischer Großprojekte, wie Stauseen, Bergbau oder anderen Rohstoffen, gewaltsam von ihrem ursprünglichen Wohnort vertrieben wurden. Fast 800 Millionen Menschen müssen weltweit hungern, dh. jede*r neunte Mensch auf dem Planeten weiß morgens nicht, ob es über den Tag etwas zu essen gibt. Geschätzt sterben jeden Tag über 36.000 Menschen an Unterernährung, nicht mitgerechnet die Tausende, die aufgrund fehlender medizinischer Versorgung sterben. 1% der Weltbevölkerung besitzt und kontrolliert über 40% des weltweiten Vermögens, während die ärmsten 50%, also die Hälfte der Weltbevölkerung, gerade mal 1% besitzen.
Europa?
Die Festung Europa ist keine Dystopie schlechtgelaunter Gutmenschen, sondern bittere und blutige Realität. Der Wohlstand, den wir allein aufgrund der Ausbeutung des Rest der Welt erlangt haben, wird von herrschender Seite mit allen Mitteln verteidigt. Seit 2014 sind allein im Mittelmeer über 10.000 Menschen beim Versuch, nach Europa zu gelangen ertrunken. Tausende harren unter unwürdigsten Bedingungen in Lagern, oder selbst errichteten Camps in Ungarn, Serbien, oder Griechenland aus, ohne ausreichende Versorgung und ohne Perspektive. Und um ganz sicher zu gehen, finanziert die EU den Autokraten Erdogan, oder schließt munter Abkommen mit „lupenreinen Demokratien“ wie Ägypten, dem Sudan, Marokko oder Algerien, damit diese die Weiterreise geflüchteter Menschen verhindern.
Hinter diesen Mauern hat das Diktat von kalter Bürokratie, Neoliberalismus und Austeritätspolitik dafür gesorgt, das große Bevölkerungsteile verarmen und mancherorts eine ganze Generation ohne Perspektive aufwächst. In Griechenland liegt, nach mehreren Jahren Erpressung und Spardiktat, die Arbeitslosenquote bei über 20%, bei Menschen unter 25 sogar bei fast 50%. Das Gesundheitssystem ist faktisch kollabiert, die Kindersterblichkeit gestiegen und eigentlich überwunden geglaubte Krankheiten brechen wieder aus. Italien, Spanien, Portugal, die Liste der Länder, in der das System immer mehr Menschen zu Verlierer*innen macht, ist lange.
Während jeder Ansatz, diesem menschenverachtenden System eine solidarische Praxis und Perspektive entgegenzustellen, mit aller Härte weggeknüppelt, eingesperrt, oder auf höchster Ebene durch politische Einflussnahme und finanzieller Erpressung verhindert wird, formiert sich allerorts die reaktionäre Internationale. Der Brexit wurde von einer massiven rassistischen und nationalistischen Kampagne begleitet und seit dessen Erfolg, ist die Zahl rassistischer Übergriffe in Großbritannien massiv gestiegen. In den Niederlanden wurde die Partei eines Mannes zweitstärkste Kraft, der Marokkaner*innen öffentlich als „Abschaum“ bezeichnet und von einem neuen Kreuzzug des christlichen Europa gegen den Islam träumt. Im selben geschichtlichen Rahmen bewegt sich das Frauen*bild der polnischen Regierung, die beschwingt von katholischem Weihrauch und Nationalstolz massiv gegen die Opposition, kritische Medien und jede Form von emanzipatorischen Lebensentwürfen vorgeht. In Österreich stimmte fast jede*r zweite bei der letzten Präsidentschaftswahl für den Kandidaten der FPÖ, einer Partei stramm rechter BurschenschaftlerInnen und Wirtschaftseliten. In Ungarn überbieten sich die regierende, rechte Fidesz und die offen neonazistische Jobbik-Partei in nationalistischen und rassistischen Forderungen. Und in Frankreich hat mit Marine LePen eine Politikerin realistische Chancen auf die Präsidentschaft, deren Front National mit der Parole „Frankreich zuerst!“ ein ähnlich nationalistisches Weltbild mit rassistischen Untertönen umschreibt.
Deutschland?
Auch hierzulande zündeln die Brandstifter in den Parlamenten und auf der Straße fleißig. 1578 Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte hat die Amadeu Antonio Stiftung im letzten Jahr gezählt, also durchschnittlich 4 pro Tag. Republikweit machten sich selbsternannte Patrioten, aus allen Schichten der Gesellschaft, ans Werk und Beleidigten, Bedrohten, Verletzten und Zündelten. Meist befeuert durch einen rassistischen Diskurs in den Medien und in den Initiativen und Gemeinschaften „besorgter Bürger*innen“. Mit der Alternative für Deutschland hat sich in den letzten Jahren ein parlamentarisches Sprachrohr der Zündler*innen zur Rettung des Abendlandes etabliert, die in mitlerweile 10 Landesparlamenten vertreten, in Umfragen aktuell drittstärkste Kraft und deren Führungsfiguren mal öffentlich den Schusswaffengebrauch zur „Flüchtlingsabwehr“ an deutschen Grenzen fordern, oder das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnen. Währenddessen springt die große Koalition bereitwillig auf den Zug auf, besinnt sich Angela Merkel – nach ihrem kurzen Intermezzo als „humanistische Flüchtlingskanzlerin“ – auf die alten Werte der Union und lässt ihren Kettenhund und personifiziertes Gesicht der unmenschlichen deutschen Bürokratie, Innenminister Thomas De Meziére, gefühlt täglich, neue Asylrechtsverschärfungen durchpeitschen und die harte Hand des Staates zeigen. Und während der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, der sich schon 2011 gegen „die Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme bis zur letzten Patrone wehren“ wollte frohlockt, sorgte der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit ungebrochen hohen Waffenexporten, auch in die letzte Folterdiktatur dafür, das auch garantiert jeder bestehende bewaffnete Konflikt munter weiter geführt werden kann. Made in Germany.
Und auch die oft und gern erzählte Geschichte von Deutschland, das über allen Krisen steht, dessen Wirtschaft und Wohlstand stetig wächst, erhält beim näheren Hinsehen mehr als nur Risse. Das Bruttoinlandsprodukt steigt, während die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht, also immer mehr, bei immer wenigeren landet. Die Arbeitslosenzahlen sinken, während immer mehr Menschen in prekären Mini-, oder Leiharbeitjobs, befristenen Arbeitsverträgen, unbezahlten Praktikas, oder sinnlosen Maßnahmen der Arbeitsämter stecken. Die Agenda 2010 und insbesondere Hartz 4 hat dazu geführt, das Millionen Menschen dem Wohlwollen irgendwelcher Sachbearbeiter*innen ausgeliefert sind und mit Almosen und Peitsche ein Leben als Menschen zweiter Klasse führen. Im letzten Jahr haben Jobcenter über 700.000 Sanktionen ausgesprochen, meist wegen kleinlicher Verstöße wie einer zu geringen Anzahl an Bewerbungen, oder einem verpassten Termin. Für die Sachbearbeiter*innen ist eine Sanktion ein unproblematischer Verwaltungsvorgang. Für die Betroffenen bedeutet dies oft: kein Geld für Essen, Strom, oder irgendeine Form von gesellschaftlicher Teilhabe.
Berlin?
Dies alles spiegelt sich auch und besonders in Berlin wieder. Rund 133.000 Sanktionen sprachen allein berliner Jobcenter im Jahr 2015 aus. Gleichzeitig und zusätzlich glänzen die Institutionen regelmäßig durch verspätete Mietzahlungen, was viel zu oft zu fristlosen Kündigungen, dem Verlust des gewohnten Lebensumfeldes, dem Wegbrechen sozialer Netzwerke und schlimmstenfalls in die Obdachlosigkeit führt. Letztere steigt in den letzten Jahren massiv an, einer von vielen Ausdrücken der verkorksten Entwicklung Berlins. Von „arm aber sexy“ erfährt Berlin seit einigen Jahren eine massive Umwandlung in das Modell einer Hauptstadt, das bspw. London und Paris schon vor vielen Jahren erfahren haben: Reich, steril und ohne Rücksicht auf Verluste.
Die Frage „Wem gehört die Stadt?“ ist weder philosophisch, noch abstrakt. Sie ist die Konsequenz einer Entwicklung und Politik, die dazu geführt hat, dass wir – alte und neue Bewohner*innen Berlins, aber auch jeder anderen Stadt – zur kapitalgesteuerten Masse degradiert wurden. Ein eigenes, sicheres Zuhause, ein gewohntes Umfeld mit Freund*innen, Arbeitsplatz, Kita, Schule; all das dürfen wir nur solange genießen, solange äußere Umstände und der eigene Geldbeutel es mitmachen. Ist dem nicht so, zählen wir, zählen all unsere Bedürfnisse, Befindlichkeiten und Wünsche gar nichts mehr.
Wir alle kennen das Spiel, sei es durch individuelle Erfahrungen, oder – sofern wir glücklicherweise bisher durchgekommen sind – durch Erzählungen von Freund*innen und Bekannten. Ein Bezirk, ein Kiez wird schleichend populärer, meist aufgrund der billigen Mieten. Aus vormals „sozialen Brennpunkten“ werden kreative Hotspots mit einer explodierenden Anzahl von Bars, Atelies, Restaurants, Co-Working-Spaces und allem, was der junge, hippe neue Typ von Berlin-Bewohner*in sonst so braucht. Der Zuzug steigt massiv und bekanntlich vergoldet Nachfrage das Angebot. Heerscharen von Real Estates, Immobiliengruppen und Einzelinvestor*innen auf der ganzen Welt haben Berlin mitlerweile als Rendite-Eldorado entdeckt. Und wen mag es verwundern, dass die Entscheider von Briefkastenfirmen und Investitionsfonds aus der ganzen Welt wenig Empathie und Interesse an den Menschen zeigen, die in ihren Investionsobjekten wohnen, arbeiten und leben. Statt Fragen des täglichen Zusammenlebens, gegenseitiger Rücksichtnahme, notwendige Instandhaltungsmaßnahmen usw. geht es hier um nackte Zahlen; um Profitmaximierung und Renditeerwartungen. Wir sind längst keine Individuen mehr, sondern Zähleinheiten in Spalten irgendwelcher Gewinnkalkulationen. Direkt gefolgt von anderen – weit wichtigeren – Zähleinheiten: der zu leistenden Miete, oder dem erwarteten Kaufpreis pro Quadratmeter. Kurz gesagt, dem einkalkulierten Profit. In der Regel besteht zwischen dieser Zahl und dem Status Quo eine – mitunter rießige – Lücke. Und vergleichbar mit einem Schweizer Taschenmesser, hat die Immobilienwirtschaft ein breites Arsenal an Werkzeugen, um diese Lücke zu schließen. Sei es „sozialverträglich“ durch Sanierung und Umbauten, womit ja niemand direkt vertrieben wird, sondern nur, weil er*sie sich die explodierten Mieten nicht mehr leisten kann. Oder durch die harte Hand, indem ganze Häuser mit allen rechtlich legalen und illegalen Methoden entmietet werden, um daraus Eigentumswohnungen, hochpreisige Gated Communities oder Ferienwohnungen zu schaffen. Welcher Weg gewählt wird, entscheiden die Eigentümer*innen aufgrund ihrer Renditeambitionen und der eigenen Skrupellosigkeit. Aber egal welcher Weg gewählt wird, für die Menschen vor Ort ändert dies maximal das Tempo der eigenen Verdrängung.
Wir sind mitlerweile an dem Punkt, an dem es in diesem Prozess schon lange nicht mehr um die „hippen“ Innenstadtbezirke, wie Friedrichshain, Kreuzberg, oder Neukölln geht. Die Menschen die verdrängt werden, lösen sich ja nicht in Luft auf, sondern müssen irgendwo wohnen. Somit erfasst diese Dynamik von Angebot und Nachfrage nach und nach immer mehr Kieze und Bezirke. Während vor 30 Jahren Stadtteile wie Kreuzberg, oder Neukölln so verrufen waren, das nur linke Utopisten und ökonomisch Abgehängte dort wohnen wollten bzw. mussten, so sind es heute Bezirke wie Lichtenberg, Hellersdorf, Marzahn, Lichtenrade, Schöneweide oder Hohenschönhausen, die nicht mehr als die Bezirke für diejenigen gelten, die am unteren, finanziellen Rand der Gesellschaft stecken. Beispielsweise stiegen in Marzahn-Hellersdorf – lange Jahre im Diskurs der breiten Gesellschaft Synonym und Paradebeispiel für gescheiterte Existenzen, Plattenbauten und Hartz 4 – die Mieten seit 2015 jährlich um durchschnittlich mehr als 13%. Die Fahrt geht also weiter und kalte Konsequenz dessen wird irgendwann sein, dass auch die äußersten Randbezirke, Trabantenviertel und Plattenghettos irgendwann zu teuer für einen Großteil der Menschen sein werden.
Natürlich geht es in der Frage „Wem gehört die Stadt?“ nicht allein um Wohnen, Arbeiten, Mietpreise und gierige Spekulant*innen. Es ist nur der direkteste und mitunter auch existenziellste Ausdruck des kapitalistischen, neoliberalen Systems. Plötzlich geht es nicht mehr um hungernde Menschen, oder einen Bürgerkrieg in einem Teil der Welt, zu dem die Wenigsten von uns einen persönlichen Bezug haben, sondern um die eigene Existenz, die Basis des eigenen Lebens.
Bei „Wem gehört die Stadt?“ geht es aber genauso um die sozialen, politischen und kulturellen Fragen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Es geht um die Verdrängung unkommerzieller Räume und Projekte, gegenüber einer Kulturindustrie, die all diejenigen ausschließt, die mal nicht eben so 10€ für einen Kinobesuch, oder 5€ für ein Getränk in einer Kneipe oder Café haben. Es geht genauso um die Vorstellung der Herrschenden über ein „funktionierendes“, „sauberes“ und „sicheres“ Viertel. Dies meint Repression und Verdrängung gegenüber all denjenigen, die nicht in das Bild eines erfolgreichen und hippen Berlins passen. Trinker*innen und Junkies, die sich nicht gemütlich mit hochpreisigen Weinen und Coktails in Lokalen besüffeln können, sondern ihr 50 Cent Sterni in Parks und auf Plätzen trinken müssen. Dies meint Menschen, die aus verschiedensten Gründen keine Wohnung haben und auf Parkbänken, in U-Bahn Stationen, oder in Zelten in Parks oder unter Brücken ihr Leben verbringen und am Straßenrand, oder in U-Bahnen betteln müssen, um ihren Lebensalltag zu bestreiten. Dies meint Menschen, die aus ihren Heimatländern flüchten mussten, um Krieg, Hunger und Elend zu entgehen und hier in Turnhallen und Flugzeughangers gepfercht, vom deutschen Asylsystem entmündigt und von vielen Teilen der Bevölkerung als Bedrohung und Angriff auf die heile Blubberblase wahrgenommen werden und auf so vielen Arten vom Ankommen und der „Integration“ in ihr neues Lebensumfeld gehindert werden.
Es geht genauso um den Ausbau staatlicher Überwachung und Repression. Um Gefahrengebiete und „kriminalitätsbelastete Orte“, die allein von einer Handvoll Funktionären in Sicherheitsbehörden dazu gemacht wurden, dies allerdings für Alle dazu führt, das Polizei und andere Sicherheitsbehörden dort faktisch fast alle Grundrechte außer Kraft setzen und schalten und walten können, wie es ihnen beliebt. Es geht um den massiven Ausbau von Videoüberwachung im öffentlichen Raum, die nachweislich weder Terroranschläge, noch Übergriffe verhindert, aber dazu führt ständig von anonymen Menschen hinter Monitoren in irgendeiner Kommandozentrale beobachtet zu werden. Es geht um die Frage der Mobilität und wie die Verkehrsunternehmen, gemeinsam mit Politik und Polizei ein System erschaffen haben, das zigtausende Menschen in den Knast bringt, die sich die horrenden Ticketpreise für den öffentlichen Nahverkehr nicht leisten, aber dennoch mobil sein wollten. Es geht um „anlasslose Kontrollen“ an neuralgischen Punkten, wie etwa dem Görlitzer Park, die hauptsächlich People of Color btw. geflüchtete Menschen treffen, also diejenigen, denen der Staat keine andere Perspektive zum Überleben bietet, als bei Wind und Wetter in einem Park zu stehen und Drogen zu verkaufen. Aber es geht genauso um den Feldzug, den die Ordnungsämter in manchen Bezirken gegen Spätis führen, die Sonntags geöffnet haben, nur um irgendein piefiges Ladenschlussgesetz durchzusetzen, das nur große Konzerne wie Tankstellenbetreiber*innen, oder Ketten in Bahnhöfen und Flughäfen bevorzugt.
Im Grundsatz geht es um die Frage, wer darüber entscheiden kann, wie wir – dh. alle Menschen, die in einem bestimmten Gebiet aktuell leben – in unserem unmittelbaren und benachbarten Lebensumfeld leben können. Das betrifft große Fragen, wie der generellen Frage nach Wohnen und Eigentum, aber ebenso vermeintlich „unwichtige“ Themen, wie der Park, der aufgrund eines Beschlusses irgendeines Gremiums, in irgendeiner Bezirksbehörde steril saniert, oder gar gänzlich irgendeinem Prestige-Bauprojekt weichen muss.
Und natürlich geht es auch um die reaktionären Kräfte, die solche Entwicklungen bejubeln und forcieren. Um die alten und neuen Nazis, die ihren Bezirk und ihre Stadt gerne arisch-deutsch sehen wollen. Um all die besorgten Bürger*innen, die aufgrund irrationaler Ängste um ihren Status gegen Geflüchtetenunterkünfte in ihrer Nachbarschaft demonstrieren, oder diese gleich direkt anzünden. Um all die Wohlstandcheauvinist*innen, die sich von Bettler*innen, Obdachlosen und Trinker*innen belästigt fühlen und diese beleidigen, anzeigen und vertreiben. Die Politiker*innen, die Kraft ihres Amtes den schlanken Staat propagieren, sich Schuldenbremse und anderen neoliberalen Strategien unterwerfen und dann all diejenigen aus Parks räumen, oder von Plätzen vertreiben lassen, die durch eben jenes System aus selbigem heraus fallen. Und es geht um all die Jünger des freien Marktes, der Gewinner*innen des gnadenlosen Konkurrenzkampfes, die mit Verachtung nach unten treten und jede Form von Solidarität und Ausgleich als Angriff auf ihren eigenen „Erfolg“ empfinden.
Scheiße!
All dies ist Realität. All dies ist nur ein winzig kleiner Teil des aktuellen Zustandes, unserer Art und Weise im Jahr 2017 miteinander zu leben. Wir könnten Bibliotheken mit Büchern füllen, in denen es nur darum geht, was alles falsch läuft und wieso das so ist. Eine Analyse der herrschenden Verhältnisse ist wichtig, aber uns geht es um deren Abschaffung.
Wir sind es leid. Wir sind es leid, dass wir einen Großteil des Lohns unserer beschissenen, unbefriedigenden und unterbezahlten Jobs dafür aufwenden müssen, ein Dach über dem Kopf zu haben. Wir sind es leid, dass Menschen, die aufgrund irgendwelcher günstigen Voraussetzungen, egoistischer Skrupellosigkeit und Machtstreben die Karriereleiter erklommen haben über unser Leben bestimmen. Das Konzernbosse irgendwelcher Firmen, Gruppen, oder Fonds mit einer Unterschrift darüber entscheiden können, wo und wie wir leben. Das Politiker*innen, die – von einer Minderheit aller hier lebender Menschen – gewählt wurden, sich erdreisten via Gesetzen, Verordnungen und einem Apparat aus bezahlten Schlägerbütteln unser Leben zu beschränken, uns dies und das vorzuschreiben, selbst wenn ein Großteil aller Menschen dagegen ist. Einfach gesagt: Natürlich ist Mord oder Vergewaltigung abscheulich und strikt abzulehnen und das wird der Großteil der Bevölkerung auch so sehen. Aber Spätis zu schikanieren, die von allen genutzt werden oder Eigentumsrechte zu installieren und durch zu setzen, die nur wenigen nutzen und vielen schaden – all dies nur unter dem Primat das „es ja Gesetz ist“ – zeigt uns, das dieses System nicht funktioniert. Das es darauf angelegt und strukturell so konzipiert ist, dass nur Wenige Macht, Einfluss und Mittel besitzen und der Rest darunter leiden und es sogar erst erwirtschaften muss.
Wie also weiter?
Innerhalb des bestehenden Rahmens erscheint die einzige Möglichkeit etwas zu verändern vordergründig darin, eine andere Partei zu wählen, die den eigenen Vorstellungen mehr entspricht. Doch die Vergangenheit hat uns nur zu deutlich und viel zu oft gezeigt, dass es prinzipiell egal ist, welche Partei oder Koalition gerade an der Macht ist. Natürlich ist es punktuell ein Unterschied, ob uns eine CDU-AfD Kolition regiert, oder – wie bislang – eine große Koalition, oder gar ein Mitte-Links Bündnis wie Rot-Rot-Grün. Doch selbst letzteres hat – gerade in Berlin – gezeigt, das eine vermeintlich „linke“ Regierung höchstens kosmetisch und punktuell etwas verbessern kann. Ja, unter Rot-Rot-Grün wurden die angekündigten Mietsteigerungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verhindert bzw. abgemildert, die Obdachlosenhilfe ausgebaut und zumindest redet wieder wer über sozialen und kommunalen Wohungsbau. Höchstwahrscheinlich werden andere Maßnahmen folgen, die zumindest nicht zu 100% dem Markt und seinen Lakaien die Stiefel lecken und für den ein, oder die andere konkrete, spürbare Verbesserungen bieten. Aber schon jetzt ist klar, dass diese Regierung auch nur innerhalb sehr enger Grenzen operiert, das es noch genügend Überbleibsel der rechten Agenda2010-SPD gibt, die zu tief im Filz von Lobbyismus und persönlicher Vorteilnahme hängen, um sich konsequent gegen den menschenverachtenden Markt zu stellen, das die rechte Opposition immer noch genügend Macht besitzt, um auf Landes- oder Bezirksebene Projekte zu sabotieren, oder durch „Kompromisse“ ins Lächerliche zu verwässern. Unter Rot-Rot-Grün finden wie gehabt täglich Zwangsräumungen statt, werden Projekte, Läden und Menschen verdrängt, werden teure Prestigeobjekte an den Bedürfnissen der Menschen vorbei gebaut, werden Camps von Geflüchteten gewaltsam geräumt, werden täglich Sanktionen von Jobcentern verhängt, Obdachlose vertrieben, Menschen rassistisch beleidigt, oder angegriffen usw. usf.
Again: Wie also weiter?
Wenn uns die jüngere Vergangenheit eins gezeigt hat, dann das Protest da erfolgreich ist, wo er solidarisch, selbstorganisiert und von unten geführt wurde.
Hat die Politik, haben staatliche oder kirchliche Hilfsorganisationen geflüchteten Menschen eine Stimme gegeben, sich um ihre Bedürfnisse gesorgt, ihnen und ihren Kämpfen eine Öffentlichkeit geboten? Nein, es war deren Selbstorganisation, es waren die Besetzungen des Oranienplatzes, der Gerhard-Hauptmann-Schule, die Hungerstreiks vorm Brandenburger Tor, all die unzähligen großen und kleinen Aktionen durch selbstorganisierte Geflüchtete und ihrer Supporter*innen, die sie empowerd und dafür gesorgt haben, das das Thema nicht wie so oft im Klein-Klein des täglichen Politikbetriebs untergeht.
Hat die Politik verhindert, dass die bedrohten Läden in Kreuzberg, das Café Filou, der Bantelmann-Laden, oder der Buchladen Kisch & Co nicht verschwinden müssen; das das M99 zumindest eine räumlich nahe Zukunftsperspektive erhielt und die Lausitzerstr. 10/11 noch nicht an den Höchstbietenden verkauft wurde? Das in den vergangenen Jahren stadtweit, mehrere Zwangsräumungen von Familien, Einzelpersonen und WGs verhindert werden konnten? Nein, es waren die anhaltenden Proteste, Demonstrationen, militanten Aktionen und eine breite Solidarität über die engen Kiezgrenzen hinaus, die dies möglich gemacht haben.
Und hat die Politik verhindert, dass wir, das der Kiezladen Friedel54 und die Bewohner*innen des gesamten Hauses trotz massiver Versuche der Verdrängung durch Aufwertung und Schikane, durch Kündigungen und Räumungsklagen immer noch da sind? Nein, es waren die vielschichtigen Proteste, die Solidarität aus dem Kiez und weit darüber hinaus, die vielen kleinen und großen Solidaritätsbekundungen, die militanten Interventionen und vieles mehr, das ermöglicht hat, woran vor knapp 2 Jahren niemand so recht glauben wollte.
Arsch hoch! Weiter machen! Mehr machen!
Bei allen Erfolgen, gerade der jüngsten Vergangenheit, so sind dies doch leider nur Tröpfchen auf den heißen Stein. Eine verhinderte Zwangsräumung, ein geretteter Laden, ein verteidigter sozialer Raum, bedeutet noch lange keinen Umschwung in der Umgestaltung dieser Stadt. Aber es zeigt, dass Widerstand erfolgreich sein kann und es zeigt, mit welchen Mitteln dies gelingt: Selbstorganisation in den Häusern, in den Nachbarschaften, in den Kiezen. Das solidarische Miteinander all dieser, oft so verschiedener Menschen und Kämpfe. Und die Anerkennung und Verzahnung der ganzen Bandbreite von Methoden des Protests und Widerstandes: von friedlich bis militant, von bunt bis schwarz, von taktischer Kooperation, bis antagonistischer Ablehnung. Offen, bunt und entschlossen am Tag, ebenso wie dunkel und wütend in der Nacht. Nicht unkritisch beliebig, sondern divers und unberechenbar.
Das dies nicht einfach wird, das wir und viele andere dabei mehr als über einen Schatten springen müssen und Widersprüche nicht ausbleiben werden ist klar. Aber es geht ja um nichts weniger, als um einen radikalen Bruch mit dem Hier und Jetzt, einer ganz neuen Form von Gemeinschaft, von Zusammenleben, von Leben allgemein.
Also Arsch hoch. Wandelt Unzufriedenheit in Wut und Wut zu Widerstand. Fangt bei euch, in eurem Haus, in eurem unmittelbaren Lebensumfeld an. Organisiert euch, wehrt euch kollektiv und solidarisch gegen Mieterhöhungen und Schikanen der Eigentümer*innen, gegen die Verdrängung eurer Nachbar*innen und der Läden und sozialen Räume im Kiez. Interveniert nach euren Möglichkeiten gegen Zwangsräumungen, gegen die Vertreibung von Abgehängten aus eurer Nachbarschaft, oder die von oben bestimmte Umgestaltung eures Lebensumfeldes. Interveniert auf eurem Arbeitsplatz gegen Ausbeutung, Lohndumping und diktatorische Bosse. Interveniert in eurem Alltag, in der Stammkneipe, im Park, oder beim Döner um die Ecke gegen rassistische oder sexistische Sprüche und Übergriffe. Organisisert Haus- und Kiezversammlungen, blockiert Zwangsräumungen oder Abschiebungen, hängt Transparente aus dem Haus, engagiert euch in lokalen Initiativen, informiert in eurem Freundeskreis oder den sozialen Netzwerken über all die vielen Ungerechtigkeiten und den Widerstand dagegen.
Die Vergangenheit hat zwei Dinge gezeigt: Veränderung ist möglich, aber Veränderung schafft niemand alleine. Also lasst uns gemeinsam für ein anderes, ein solidarisches Berlin streiten und kämpfen und dabei nicht an den Stadtgrenzen stehen bleiben.
Kommt zu unseren wöchentlichen Kundgebungen, jeden Sonntag vor dem Kiezladen Friedel 54.
Kommt zur interkiezionalen Demonstration am 22. April von Friedrichshain bis Neukölln.
Kommt zur antikapitalistischen Walpurgisnacht-Demonstration am 30. April im Wedding.
Kommt zum revolutionären, unangemeldeten 1. Mai in Kreuzberg.
Kommt zum symbolischen Protest gegen die Welt der Autokraten und des Kapitals Anfang Juli in Hamburg.
Und vor allem: streitet in all den Tagen davor, dazwischen und danach weiter für eine neue, eine bessere Welt.