Wenn Worte nicht mehr reichen, müssen Taten folgen
Drei
Leipzigerinnen und Leipziger erzählen darüber, wie es ist, zwei Jahre
lang mit regelmäßigen Nazi-Aufmärschen zu leben. Und während Einigkeit
darüber besteht, dass der PEGIDA-Ableger LEGIDA nicht in die Messestadt
gehört, haben alle unterschiedliche Wege gefunden, damit umzugehen. Eine Reportage von Anna Arthur
Es ist ein kalter Tag Anfang Januar. Ich treffe Nina in ihrem Atelier in Leipzig-Plagwitz. Die Wahl-Leipzigerin ist vor drei Jahren aus Berlin hierher gezogen und genießt vor allem die Freiheit, Raum zu nutzen und gemeinsam zu gestalten. „Als vor zwei Jahren das erste Mal LEGIDA aufmarschierte, dachten viele, das wäre eine Eintagsfliege“, erzählt sie, „und auch als sich abzeichnete, dass sie mehr Durchhaltevermögen haben, gab es immer wieder Punkte, wo alle dachten ‚Mensch, das war‘s jetzt aber‘. Es kommen keine vierstelligen Zahlen völkischer Rassisten mehr auf die Straße, aber ein paar hundert sind eben auch ein paar hundert zu viel.“ Auf die Frage, ob sie noch regelmäßig zum Gegenprotest gehe, nippt Nina an ihrem Milchkaffee, eine Spur Scham liegt in ihrem Blick, als sie verneint. Doch dann sagt sie entschlossen: „Ich will Menschenrechte mit Handlungen verteidigen, nicht nur mit Worten oder mit Demonstrationen, die inhaltlich schwächeln und sich scheuen, offensiv die Ursachen der Probleme zu benennen und zu kritisieren. Mein Anspruch ist es, die Verhältnisse, die den Rassismus erst ermöglichen und anschließend reproduzieren, infrage zu stellen. Wenn wir über Rassismus reden, müssen wir auch die Ausbeutung und den kapitalistischen Verwertungsdruck in der Postdemokratie ansprechen, müssen wir über Verhältnisse reden, die die Menschen zu egoistischen Arschlöchern werden lassen.“
Leipzig
ist eine schöne Stadt, voller Möglichkeiten, voller Leute, denen man
nachsagt, aufgeschlossen, herzlich und freundlich zu sein. Doch auch in
dieser immer wieder als „Leuchtturm“ bezeichneten Stadt treffe ich auf
Menschen, die all das schwinden sehen.
Connewitz
heißt der Stadtteil, in dem ich mich mit Tim verabredet habe. Der
Mittdreißiger wohnt schon lange hier, kennt die Menschen im Viertel und
weiß um die Frustration angesichts der aktuellen Politik: „Viele haben
genug von der altbekannten Litanei: Rassismus und Sexismus nehmen immer
weiter zu, die radikale Linke steckt in der Defensive fest und sämtliche
Parteien vollführen einen Rechtsschwenk. Bei der CDU und SPD war das ja
zu erwarten, über das Verhalten von Linken und Grünen bin ich
mittelprächtig überrascht. Während Sahra Wagenknecht als designierte
Spitzenkandidatin der Linken sich in Inhalt und Rhetorik kaum noch von
der AfD unterscheiden lässt, verbünden die Grünen sich fleißig mit der
CDU, fordern die Ausweitung sicherer Herkunftsländer und beginnen ihre
Pressemitteilungen doch mittlerweile eh mit ‚Danke Polizei‘.“
„ACAB“
und „Antifa Area“ steht an Connewitzer Wänden und auch wenn der
Stadtteil mit Verbalradikalität protzt, wissen die Menschen hier, dass
ihr Leben in der linken emanzipatorischen Blase bedroht ist. Viele
seiner Freunde hätten bereits Polizeigewalt erlebt, erzählt Tim. „Ob sie
friedlich oder militant versucht haben, LEGIDA-Demos zu stören, war
praktisch egal: Pfeffer oder Knüppel gab es immer, manche haben sogar
Strafanzeigen für Sitzblockaden bekommen.“ Vor einem Jahr erschütterte
schließlich ein organisierter Angriff von mehreren hundert Neonazis auf
einen Straßenzug das gesamte Viertel.
Isabell
möchte sich von alldem nicht entmutigen lassen. Die BWL-Studentin sieht
Demonstrationen und Lichterketten als wichtiges Zeichen gegen
Rassismus. „Bei LEGIDA treffen sich organisierte Neonazis von ‚Wir
lieben Sachsen/Thügida‘, NPD und ‚Die Rechte‘, Verschwörungstheoretiker
und Reichsbürger und versuchen, Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum
für die hässliche Fratze der Menschenfeindlichkeit zu gewinnen“, erzählt
sie. Sie ist froh, dass Gewerkschaften, Vereine, Kirchen und Parteien
eine Möglichkeit bieten, sich zu engagieren. „Das ist gut für Leute, die
vielleicht Angst haben, eine Anzeige zu kassieren, oder die sich gar
nicht immerzu mit dem Thema beschäftigen wollen. Die können dann
trotzdem zeigen, dass sie ohne LEGIDA leben wollen. Das wird von vielen
oft als zu bürgerlich und systemaffirmativ abgetan, manchmal werden wir
sogar beschimpft, weil wir nicht militanter auftreten, aber viele von
uns haben einfach Angst vor Konsequenzen oder kommen allein zur Demo und
haben dann gar keine Leute, mit denen sie irgendwelche Aktionen starten
können. Da halte ich dann lieber eine Kerze und protestiere mit meiner
Stimme, anstatt zuhause zu bleiben.“
Was
Leipzig am 9. Januar 2017 erwartet, da sind sich alle drei unsicher.
Die Demonstration von LEGIDA wurde kurzfristig in das Waldstraßenviertel
verlegt, wo sie vor zwei Jahren schon einmal war, wo eine fünfstellige
Zahl von Menschen dagegen protestierte. Dass sich ein großer Teil der
Stadtgesellschaft, auch Fangruppen von „RB-Leipzig“, vor dessen Stadion
LEGIDA stehen soll, bereits dagegen positioniert hat, lässt hoffen, dass
die Nazis danach aus Leipzig verschwinden.
Der Test: Was für ein Demonstrant bist du?
Welcher Satz könnte von dir stammen?
a) Make Antifa Great again. (3 Punkte)
b) Zuhause ist‘s am schönsten. (1 Punkt)
c) Haben wir eigentlich die Kerzen eingepackt? (2 Punkte)
Welche Schuhe ziehst du an, wenn du zu einer Demonstration gehst?
a) Meine neuesten, schließlich will ich gut aussehen. (1 Punkt)
b) Die, die ich im Alltag immer trage. (2 Punkte)
c) Unauffällige, bequeme Turnschuhe, falls ich mal rennen muss. (3 Punkte)
Wie sprichst du einen Polizisten an?
a) „Tach, Sie hinterfotziges Schattenwesen!“ (3 Punkte)
b) Gar nicht, die machen mir Angst. (1 Punkt)
c) Höflich, aber bestimmt. (2 Punkte)
Was versteht man unter der Fingertaktik?
a) Jetzt werde ich aber rot. (1 Punkt)
b) Das ist eine Taktik, um Polizeiketten zu durchfließen. Ich habe so einen Finger schon mal angeführt. (3 Punkte)
c) Davon habe ich beim Demo-Training schon mal gehört, aber ich traue mich nicht, da mitzumachen. (2 Punkte)
Die Auswertung: Was für ein Demonstrant bist du?
4 bis 7 Punkte
Du
bist sehr ängstlich und würdest am liebsten zuhause bleiben, weißt
aber, dass das nicht die Antwort auf Nazi-Aufmärsche ist. Such dir liebe
Menschen, mit denen du zusammen demonstrieren gehst, informiert euch
und werdet sicherer. Dann könnt ihr super als Kleingruppe unterwegs
sein!
8 bis 11 Punkte
Du haderst oft mit dir, denn
eigentlich würdest du auf Demonstrationen gerne mehr erreichen, lässt es
dann aber doch sein. Verabrede dich mit deinen Freunden doch mal nicht
nur zum Transpihalten, sondern als Bezugsgruppe und schaut, wie weit ihr
auf die Straßen kommt. Als Kleingruppe könnt ihr viel erreichen!
12 bis 16 Punkte
Dir
macht keiner so leicht was vor: Von der Sitzblockade aus bindest du
Polizisten die Schnürsenkel zusammen und Pfefferspray würzt schon zum
Frühstück deine Cornflakes. Werde aber nicht übermütig und besinne dich
mit deiner Bezugsgruppe auf das Ziel: Nazi-Aufmärsche verhindern!
Was ist die Kleingruppentaktik?
Oft
ist es im Demonstrationsgeschehen besser, als Kleingruppe oder
Bezugsgruppe unterwegs zu sein. In dieser Gruppe habt ihr Vertrauen
zueinander und vor der Aktion abgesprochen, wie weit ihr gehen und was
ihr euch zumuten wollt. Als Kleingruppe kann man oft selbstbestimmter
und agiler handeln als aus einer großen Demonstration heraus und ist
dabei effektiver als als Einzelperson. Wer aufpasst, landet auch nicht
so leicht auf dem Radar der Polizei. Am 9. Januar könnte das
entschlossene und solidarische Agieren vieler Kleingruppen bedeuten,
dass der LEGIDA-Aufmarsch verhindert wird. In Ansätzen ist es bereits am
12. Januar 2015 gelungen, zu verhindern, dass die völkischen Rassisten
zu ihrem Kundgebungsort gelangen. Es kann gar nicht so viel Polizei
unterwegs sein als dass es möglich wäre, das Einsickern in das
Waldstraßenviertel zu verhindern. Tauscht euch aus wo die bessten
Straßen sind. Oft sind das eher die kleinen Wege, beispielsweise aus dem
Norden. Bedenkt aber auch, dass sich einige der Nazi-Hooligans im
Viertel am Stadion gut auskennen.
Bleibt besonnen, passt
aufeinander auf und legt das Konzept des antifaschistischen
Selbstschutzes offensiv aus: Handeln heißt halt auch zu handeln, bevor
Faschos angreifen. Nazi sein heißt immer noch Stress zu kriegen!
Ey Alte_r, wie cool bist du eigentlich?
Bist du schon mal bei einer Anti-Nazi-Demo in der ersten Reihe gelaufen?
Ja, weil mittendrin ist im Rolli echt kacke (2 Blume)
Nein, mein Golfschläger ist zu sperrig (4 Mollis)
biste beim VS oder was? (1 TKP, 1 Blume, 1 Molli)
2. Hast du schon mal für mehr als 50 Leute gekocht?
Ja, wegen der Muckis und dem Fame (1TKP)
Hä, Kochen? Tiefkühlpizza (TKP), ja das kann ich (3 TKP)
Essen? Ich hab doch Kaffee und Speed (Espresso)
3. Bist du schon mal vor einer Aktion ne halbe Stunde früher aufgestanden um für alle Kaffee zu kochen und Brote zu schmieren?
Ja (2mollis, 3 Blume)
Nein, weil ich am Vorabend immer noch ultra wichtige Dinge zu tun habe (TKP)
Zählt durchgemachthaben auch? (1Molli)
4. Warst du schon mal plakatieren?
Ja (Kaktus)
Nein, ist mir zu plakativ (3 TKP)
Nur mit Mehlkleister. Das schimmelt. Ist aber öko (Blumenstauß)
5. Hast du schon mal Mollis, Farbbomben etc. geworfen oder Graffitis gemalt?
Ja, aber ich wusst nicht worum es geht ( 2 Blumen)
Nein, der Wein war noch nicht alle (*NIX)
Klar werf ich immer mal Mollis, sprühen ist mir zu militant (1 Blume, 1TKP)
Ist das eine standard Telefonumfrage? (2Mollis 2 TKP)
6. Hast du schon mal n Flyer layoutet oder ne Pressemitteilung geschrieben?
Ja, das dürfen in unserer Gruppe nur Leute mit Abi (*NIX)
Nein, ich weiß ja gar nicht wie das geht (½ TKP)
schreiben tu ich nur in der Kommentarspalte bei Indy (1Molli)
Vermittlung? Wozu das denn? Lesen muss mensch eh nur :(TKP)
Bakunin (Blume)
die Bild (3TKP)
7. Weißt du, was du tust, wenn du oder deine Mitmenschen Pfefferspray abbekommen haben?
Molli werfen (-1Molli)
Polizei rufen (3 Blumen)
Augenausspühlen (-3 Blumen, mit irgendwas muss mensch ja die augenausspüheln)
Steht doch im Kapital, oder? (*NIX, guck doch im Kapital)
8. Hast du schon mal an einem DA-Kalender mitarbeitet?
Ja (1 TKP, 2 Mollis)
Ja (1 Molli, 1 Blume)
Ne, aber hab ich nächstes Jahr vor (Schick uns ne mail und wir erzählen dir was du bekommst)
Nun zähle alle Pizzen, Mollis und Blumen zusammen und berechne das Ergebnis anhand von folgender Formel ((2xPizza x 3xMolli)² + 1,5 x Blumen) / (Pi* Pizza)².
Am meisten Blumen / Formel 0-3:
Falls du dich bisher nicht mit der Schnittblumenproduktion auseinander gesetzt hast hol es nach und mach (am besten am nächsten Valentinstag) eine Aktion gegen den nächstbesten Blumenladen.
Am meisten Mollis / Formel 4 bis 6:
Wirf die Anzahl deines Zählergebnisses oder der Quersumme auf ein Ziel deiner Wahl.
Am meisten Tiefkühlpizzen / Formel mehr als 7:
Wenn dir (im Gegensatz zu uns) was schlaues einfällt, was mensch subversives mit oder gegen Tiefkühlpizza machen kann, schreib uns ne Mail (tiefkuehlpizza@nirgendwo.info). Unter allen Einsendenen verlosen wir ein Universaltransparent mit der Aufschrift „Hallo, geht’s noch?“ und eine Flasche Wein. Einsendeschluss ist der 31.12.2017
Was soll der ganze Quark?
Widerstand lebt nicht von Cookies, sondern von Solidarität, Vielfältigkeit und sich ergänzenden Fähigkeiten etx. Die Frage wer cool und wer uncool ist, ist eher bekloppt (so wie dieser Test aus dem Direct Action Kalender 2017 halt auch...)
chapeau
Da war jemensch schneller mit abtippen…