+++ Bis zu 600 Leute stellen sich am Freitagabend dem Auftritt von Beatrix von Storch in Kiel entgegen +++ Draußen wurden zwei Hauptzufahrtswege zur AfD-Parteizentrale blockiert +++ Drinnen gab's Torte für von Storch +++
Trotz kalter Temperaturen und
dichtem Nebel versammelten sich am Freitagabend bis zu 600 Menschen am
Kieler Walkerdamm um ein klares Zeichen gegen die sozialchauvinistische,
nationalistische, anti-feministische und islamfeindliche Partei
„Alternative für Deutschland“ zu setzen. Anlass war der Besuch der
AfD-Chefideologin Beatrix von Storch, die unter dem Titel „Die Macht der
EU – die Ohnmacht Deutschlands?“ über ihre Erfahrungen im EU-Parlament
referieren sollte. Unter dem eindeutigen Motto „Storch verpiss dich - Gemeinsam gegen den Kiel-Besuch der AfD-Ideologin!“
mobilisierten antifaschistische, antirassistische, feministische und
andere linke Gruppierungen, u.a. die Autonome Antifa-Koordination Kiel,
das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus, der AStA sowie mehrere Hochschulgruppen der Universität Kiel und das Netzwerk Antirassistische Aktion
(NARA) zu einer Kundgebung in direkter Nähe zum Veranstaltungsort, um
die menschenverachtende Politik der AfD nicht unkommentiert hinzunehmen
und der Reaktionärin einen entsprechenden Empfang zu bereiten. Trotz der
sehr kurzfristigen Mobilisierung machte das Thema im Vorfeld mächtig
Welle, hunderte geklebte Plakate und vor allem die Aktivitäten in
sozialen Medien erhielten breiten Zuspruch, wurden vielfältig geteilt
und verbreitet und auch die Lokalpresse kündigte in gewohnter
Investigativität die „Autonomen“ für den Abend an.
Umso
erfreulicher, dass sich am Freitagabend schon vor dem eigentlich Auftakt
der Platz der antifaschistischen Kundgebung großflächig füllte und sich
um kurz nach 18 Uhr über 600 Leute aus verschiedenen politischen und
soziokulturellen Spektren an der Ecke Walkerdamm/ Hopfenstraße
versammelt hatten. Die lokalen Cops sperrten mit Unterstützung der
Eutiner BFE-Einheit den Walkerdamm, in dem die Parteizentrale der AfD
liegt, komplett ab und verhinderten so einerseits das Durchkommen für
Antifaschist_innen, aber gleichzeitig auch für mögliche Besucher_innen
der Veranstaltung. Durch technische Probleme konnte die
antifaschistische Kundgebung nicht wie geplant starten, Teile der
Kundgebung nutzten die Zeit sinnvoll um sich auf der anderen Seite des
Walkerdamms zu postieren und so auch den zweiten Hauptzufahrtsweg zur
Parteizentrale de facto zu blockieren. Mit einstündiger Verspätung
konnte unter lautem Applaus der Menge die Anlage endlich zum Laufen
gebracht werden und die Kundgebung mit einleitenden Worten und Musik
begrüßt werden. Über Durchsagen, Sprechchöre und Transparente wurde
deutlich gemacht, dass die Politik der protofaschistischen AfD
keineswegs eine Alternative darstellt und nur eine Gesellschaft jenseits
von Kapitalismus und Patriarchat unsere Antwort sein kann.
Den
einleitenden Worten der Autonomen Antifa-Koordination Kiel folgten
Redebeiträge des LaDIYfest Kiel und der Interventionistischen Linken zu
Anti-Feminismus, Heteronormativität und Transfeindlichkeit der AfD,
während das Netzwerk Antirassistische Aktion [NARA] den Rassismus im Parteiprogramm und einzelner Akteure der Schleswig-Holsteinischen AfD thematisierte.
Währenddessen startete die Veranstaltung mit von Storch um kurz
nach 19 Uhr, die ca. 60 TeilnehmerInnen und die Referentin selbst
mussten auf Hinter- und Seiteneingänge ausweichen. Die Zentrale selbst
wurde verriegelt. Doch trotz getroffener Sicherheitsvorkehrungen konnte
der Abend auch in der Parteizentrale nicht störungsfrei über die Bühne
gehen. So nahm sich eine engagierte Antifaschist_in das Motto des
aufrufenden Mobilisierungsplakates zu Herzen und beglückte Beatrix von Storch während ihres Vortrags mit einem Stück Torte und Rasierschaum,
die schnurstracks ihren Weg auf die AfD-Politikerin fanden. Die
Genoss_in wurde daraufhin von den anwesenden Securitys fixiert und
anschließend den heraneilenden Bullen übergeben, die sie mit aufs Revier
verschleppten aber nach einstündiger Prozedur wieder frei ließen.
Draußen
wurde die Nachricht der erneuten Bekanntschaft von Storchs mit
Sahnecremeprodukten mit lautem Beifall und Gelächter von der
mittlerweile etwas zusammengeschrumpften Kundgebung quittiert.
Gleichzeitig wurde weiterhin der zweite Zufahrtsweg blockiert und
verschiedene Grüppchen bewegten sich in direkter Nähe zum
Veranstaltungsort, sodass mit Ende der AfD-Veranstaltung gegen 20.30.
Uhr vereinzelte BesucherInnen mit lauten „AfD Rassistenpack – Wir haben
euch zum kotzen satt“ und „Ganz Kiel hasst die AfD“ Sprechchören
empfangen wurden. Ein Großteil der Teilnehmenden wurde erneut durch
Hinter- und Seitenausgänge geschleust, von Storch selbst stilecht mit
Limousine aus dem angrenzenden Parkhaus gefahren. Anschließend zogen die
Genoss_innen der zweiten Blockaden lautstark zurück zum Auftaktort und
die Kundgebung wurde für beendet erklärt.
Insgesamt
kann für den Abend ein positives Fazit gezogen werden. Trotz der
kurzfristigen Mobilisierung konnten im Vorfeld sehr viele
unterschiedliche Leute erreicht und für das Thema sensibilisiert werden.
Gleichzeitig zeigt sich daran, wie präsent das Thema AfD bei vielen
Leuten ist, die sich auch für politische Mobilisierungen gegen deren
menschenverachtende Politik der aktivieren lassen.
Aktionistisch
konnten spontan beide Hauptzufahrtsstraßen zu der Veranstaltung
blockiert werden, wenn auch unter Duldung der Bullen, sodass die
Teilnehmenden auf Hinter- und Seitenausgänge ausweichen mussten. Positiv
ist dabei hervorzuheben, dass einige Antifaschist_innen die Initiative
ergriffen und den zweiten Blockadepunkte am anderen Ende der Straße
eröffneten. Der Tortenwurf auf von Storch war die sprichwörtliche
antifaschistische Sahnehaube auf den Abend.
Durch die technischen
Probleme zu Beginn der antifaschistischen Kundgebung konnten
Informationen über den aktuellen Stand und mögliche Pläne für den Abend
zunächst nur schwerlich verbreitet werden, wodurch die Kundgebung nur
langsam in Gang kam und einige Teilnehmer_innen diese auch sehr
frühzeitig wieder verließen.
Weiterhin kann kritisch angemerkt
werden, dass solch erfolgreiche Mobilisierungen bei zurückliegenden,
politisch wichtigeren Events der AfD in Schleswig-Holstein nicht
erreicht werden konnten. So folgten etwa einer längeren Kampagne gegen
den AfD-Landesparteitag in Rendsburg im September
diesen Jahres nur etwa die Hälte der jetzigen Teilnehmer_innen,
vornehmlich aus dem autonomen Spektrum. Zusätzlich finden regelmäßig
Veranstaltungen in der Landesparteizentrale der AfD statt, die teilweise
komplett ohne oder nur mir geringem Protest konfrontiert werden. Auch
fernab der ungebetenden Besuche von Parteiprominenz muss der alltägliche
Widerstand gegen die AfD-Hetze geführt werden. Nicht nur in Kiel,
sondern auch in den kleineren Städten und in der Peripherie. Der
Terminkalender der AfD ist voll mit Veranstaltungen in ganz
Schleswig-Holstein, Gelegenheiten zur antifaschistischen Interventionen
gibt es also genug! So soll bereits nächsten Dienstag Doris von
Sayn-Wittgenstein, Mitglied des AfD-Landesvorstands, einen Vortrag zum
"Rechtsstaat im Spannungsfeld der Meinungsvielfalt" in der Kieler
Parteizentrale halten. An dieser Stelle möchten wir solidarische Grüße
an die Genoss_innen in Lübeck und Schleswig senden, die am Wochenende
einen Infotisch der AfD in Travemünde sabotierten bzw. den Kreisparteitag der AfD Schleswig-Flensburg störten.
Mit
Blick auf die im kommenden Jahr bevorstehenden Land- und
Bundestagswahlkämpfe lassen sich aus antifaschistischer Perspektive
zentrale Erkenntnisse ableiten. Mit der Auflösung des Kieler NPD-Kreisverband
nach jahrelanger Marginalisierung muss sich der antifaschistische Fokus
auf die protofaschistische AfD und ihr ideologisches Umfeld richten.
Als Erfolg der letzten Monate kann auf antifaschistischer Seite beretis
verbucht werden, dass die Partei vor allem in den größeren Städten
massiv Probleme hat Räumlichkeiten für ihre Veranstaltungen zu finden.
So jammerte der Schatzmeister des Kreisverbandes am Rande der von Storch
Veranstaltung gegenüber der Lokalpresse, dass die AfD in ganz Kiel
keinen Saal zur Miete fände.
Darüber hinaus muss der gesellschaftliche Teil, welcher sich im
Zuge einer zunehmenden Polarisierung eindeutig gegen die AfD stellt,
weiter mobilisiert werden. Es geht darum aufzuzeigen, dass sich die
anti-feministische, sozialchauvinistische, nationalistische,
rassistische und islamfeindliche Politik dieser Partei gegen große Teile
der Gesellschaft richtet und für kaum eine*n von uns etwas Gutes zu
bieten hat. Wenn die AfD gegen Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Frauen,
Lesben, trans* und inter* Personen, Refugees und deren
Unterstützer*innen hetzt, sollten wir versuchen, uns mit all jenen
zusammenzuschließen, die nach der Ideologie der ultra-reaktionären
Partei nicht mehr sind als potenzielles Wähler*innenkapital, dem
ansonsten seine Rechte weitgehend abgesprochen werden.
Presse: KN Online (24.11.) | SHZ (24.11.) | KN Online (25.11.) | SHZ (26.11.)