Kiezdemo gegen Verdrängung in Neukölln – Rebellische Nachbarn, Solidarische Kieze, Stadt von unten - Am Ende waren es knapp 1000 Menschen, die am Samstagabend in Neukölln gegen Zwangsräumungen, Mieten und andere Zumutungen der kapitalistischen Wohnungspolitik demonstrierten. Eine Demonstration, wie sie derzeit in vielen Bezirken Berlins und in vielen Städten der Welt stattfinden könnte.
Doch zu Beginn der Startkundgebung bot sich den 200 Mutigen ein
dystopisches Bild: dunkle Wolken und dichter Novemberregen, dazu eine
Hundertschaft der Berliner Bulletten im Schatten einer Kirche. Respekt
an alle, die sich an diesem Tag vor die Tür getraut haben! Doch die
großartige Stimme aus dem Lauti erinnerte, weshalb wir gekommen waren:
Wohnraum ist keine Ware! Zwangsräumungen verhindern! Solidarität mit der
Friedel54 und allen anderen Betroffenen im Berliner Monopoly! Und wir
lassen uns keine rassisitschen Märchen unterjubeln! Wir können
unterscheiden, wer auf unsere Kosten profitiert und wer unsere
Solidarität benötigt!
Anlass der Demonstration war die anstehende Räumung des Kiezladen Friedel54 Ende März 2017. Über zehn Redebeiträge brachten aber zum Ausdruck, dass die Kacke in Neukölln überall am dampfen ist. Den Beginn machte der Stadtteilladen Lunte aus der Weisestraße. Sie wiesen darauf hin, dass das Haus in der benachbarten Weisestraße 47 seit Jahren zum größten Teil leersteht und hier dringend benötigter Wohnraum vernichtet wurde. Da der Londoner Milliardär Henning Conle offensichtlich nicht willens ist, es angemessen zu nutzen und auf das Haus auch nicht angewiesen ist, sollte es lieber in die Hände neuer Nutzer_innen übergehen. Diese trafen sich am 22.11. Wir sind gespannt, was sie in ihrem neuen Haus planen.
Eine Initiative aus Tempelhof skandalisierte in ihrem Redebeitrag, dass in den Hallen des stillgelegten Flughafens Tempelhof Menschen in Lagern untergebracht werden. Dass diesen die Hoffnung und vor allem die eigenständige Handlungsfähigkeit geraubt werden. Nach wie vor sitzen über 1000 Menschen in diesen schlecht getarnten Knästen fest.
Weitere Redebeiträge der Initiative Hände weg vom Wedding zeigten auf, dass es sich beim Verkauf der Stadt bei weitem nicht nur um ein Neuköllner Problem handelt. Stellvertretend wiesen sie auf den Konflikt in der Koloniestraße hin, wo Bewohner_innen von sieben Häusern gegen ihre Entmietung protestieren. Auf dem gut sichtbaren Hochtransparent stand: Keine Liebe für Verdrängung.
Als sich die Demo in Bewegung setzte bog sie gleich in die Weisestraße ein. Im Frontblock war eine Wunderkerzen-Choreografie zu sehen, unterstrichen von einem kleinen roten Nebeltopf. Am Rande verteilten mehrere Menschen Flyer, die für Solidarität mit dem Kiezladen Friedel54 aufriefen, gegen die Kriegskonferenz „Berlin Security Conference“ mobilisierten oder zum Umsturz aller herrschenden Verhältnisse aufriefen. Auf Transparenten war z.B. zu lesen: “Friedel54 kämpft – Kiezladen bleibt”, “Den Profiteuren der Verdrängung auf die Pelle rücken” oder “Stoppt Zwangsräumungen”. Die Menge skandierte u.a.: “Die Häuser, denen, die sie brauchen!”, “Avanti Anticapitalista!” und “Miete verweigern, Kündigung ins Klo – Häuser besetzen sowieso!”
Als die Demo den Schillerkiez verließ, waren bereits ca. 400 Menschen
auf der Staße und mobile Teekannen sorgten für Wärme und strahlende
Gesichter. Am Rathaus Neukölln gab es die erste Zwischenkundgebung. Die
Initiative Social Center 4 All, welche vor kurzem die nahe gelegene Alte
Post besetzte, stellte ihren Vorschlag für ein soziales Zentrum vor, in
dem Nachbar_innen und Geflüchtete zusammen leben.
Im Anschluss daran richtete auch die Neuköllner Bezirksgruppe der
Berliner Mietergemeinschaft einige Worte an die Demonstration und
umstehenden Passant_innen..
Mittlerweile rund 500 Menschen demonstrierten entlang der Sonnenallee. Ein arabisches Transparent, dass für die Freiheit von politischen Gefangenen aufrief, wurde Grund für zahlreiche Selfies von Passant_innen. Viele Menschen aus den Häusern und Läden winkten der Demo zu. Immer wieder schlossen sich Menschen noch spontan an oder kamen aufgrund des nun trockenen Wetters hinzu. Den Bullen war die Demo wohl immernoch zu friedlich und so formierten sie ein Spalier um die Demo und begannen den ersten Block zu filmen. Wir verurteilen dieses Verhalten der Berliner Polizei, welche bewusst die Außenwirkung der Demonstrationen beschränkt und einzelne Teilnehmer_innen kriminalisiert hat. Folgerichtig wurden auch immer wieder lautstarke Parolen gegen die Polizei gerufen.
Angekommen im Reuterkiez gab es eine erneute Zwischenkundgebung an der Pflüger- Ecke Nansenstraße. Zwischen diesen beiden Straßen, sowie der Fram- und der Pannierstraße stehen insgesamt 17 Häuser vor der Zwangsversteigerung. Die rund 300 Menschen aus den Häusern organisierten sich in der Initiative „Unser Block Bleibt“. Eine erste Reihe von Versteigerungsterminen konnten sie bereits verhindern. Es ist großartig, dass sie sich bereits so früh zur Wehr setzen. Die Erfahrung lehrt, dass alle Schweinereien meist mit dem Verkauf der Häuser beginnen…
Danach übernahm die Gruppe Corasol das Wort, in der sich Weiße und Geflüchtete zusammen organisieren. Auf Deutsch und Französisch ergriffen sie Partei für alternative Projekte wie die Friedel54, die notwendig sind, um sich selbstbestimmt und auf Augenhöhe zu begegnen. Kurz darauf bog die Demo in die Friedelstraße ein. Hier wurden die Parolen der mittlerweile fast 1000 Menschen nochmal lauter wie z.B. “M99, Friedel bleibt – One struggle, one fight!” Aus vielen Fenstern wurde die Demo aufmerksam verfolgt und aus einigen hingen auch Transparente in Solidarität mit der Friedel54. Auf dem Haus der Friedelstraße 54 wurde ein Feuerwerk gezündet und auch in der Demo wurde die Freude über die Besetzung und zugleich die Wut über die absehbare Räumung mit Bengalischen Feuern untermalt.
Vom Lauti wurde noch Werbung für die Kiezversammlung44 gemacht, die sich jeden 1. Sonntag im Monat um 12 Uhr in der Manege in der Rütlistraße 1-3 trifft. Zum Abschluss wurde an die Räumung des Allmende e.V. im Kottbusser Damm Ende März 2015 erinnert. Ein wichtiger Ort, an dem für gleiche Rechte für alle Menschen gekämpft wurde und der dem Profitstreben und dem Schutz des Privateigentums geopfert wurde. Ein weiterer Ort, der uns in letzter Konsequenz durch einen brutalen und wie so oft rechtswidrigen Polizeieinsatz gestohlen wurde.
Kurz vor dem geplanten Endpunkt wurde die Demo auf dem Kottbusser Damm aufgelöst, da die mittlerweile behelmten Bullen mittlerweile heiß auf Festnahmen waren um ihre Statistiken aufzufrischen. Eine junge Frau wurde anschließend z.B. wegen angeblicher Vermummung vorübergehend festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Sie war fortan wieder auf freiem Fuß, aber ihren Schal haben die uniformierten Gauner geklaut!
Wir wollen uns bei allen beteiligten Gruppen bedanken! Allen Menschen, die mit uns auf der Straße waren, die gebastelt und Transpis gemalt haben, die Tee gekocht und verteilt haben, die den Lauti geschoben und sich in die ersten Reihen gestellt haben, die mit Kindern gekommen sind, die sich eine Erkältung zugezogen haben oder die ordentlich Werbung gemacht haben, gilt unsere Dankbarkeit! Allen Bullen, die unseren Protest in den Häusern, Heimen, Lagern und auf der Straße deligitimieren wollen, gilt unsere Abneigung.
Kämpft weiter in euren Häusern, in euren Kiezen!
Helft euren Nachbar_innen und lasst euch selbst helfen!
Schaffen wir Alternativen zu diesem System, dass uns immer wieder angreift!
Schaffen wir die Stadt von unten!
Friedel54 kämpft!
Danke für die super Demo!
Allen herzlichen Dank für Euren Einsatz!
Mit der Demo habt Ihr den Nerv im Kiez getroffen. Jetzt weiter Druck aufbauen und sich vernetzen!
Ein Spekulantenregister wäre cool, um die ganze Misere in Neukölln zu erfassen. Leider habe ich zu spät von der Demo erfahren, sonst wären FreundInnen noch mitgekommen. Mehr Plakate oder Flugis in Caffees und Kneipen im Kiez zur Vorbereitung beim nächsten Mal wären sicher sinnvoll. Dann wird das ein richtig dickes Ding.
Eine Anwohnerin
Radio Bericht zur Demo
in der aktuellen Ausgabe von Radio Aktiv Berlin - Podcast
weiterer Radiobericht auf Freie Radios
http://www.freie-radios.net/80146
Am Ende waren es knapp 1000 Menschen, die am Samstagabend in Neukölln gegen Zwangsräumungen, Mieten und andere Zumutungen der kapitalistischen Wohnungspolitik demonstrierten. Eine Demonstration, wie sie derzeit in vielen Bezirken Berlins und in vielen Städten der Welt stattfinden könnte...