Fast zwei Monate nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen soll am 17. November 2016 das Bezirksamt in Berlin Lichtenberg gewählt werden. Dabei ist auch die „Alternative für Deutschland“ (AfD) berechtigt, einen Stadtrat zur Wahl zu stellen. Hierbei entschied sich die AfD für Wolfgang Hebold. Dieser ist bereits in der Vergangenheit durch rassistische Äußerungen in Erscheinung getreten ist und hat aus diesem Grund im Sommer 2016 seine Lehraufträge als Statistikdozent an drei Berliner Hochschulen verloren [1].
Gegen die AfD und ihren Kandidaten Hebold wird es am 17.11.2016 ab 16:00 Uhr eine Kundgebung vor dem Tagungsort der BVV Lichtenberg in der Max-Taut-Aula (Fischerstraße 36, 10317 Berlin – Lichtenberg) geben.
Bereits im Vorfeld der vorherigen, konstituierenden BVV-Sitzung in Lichtenberg wurde ein Dossier zur AfD-Fraktion erstellt, das wir im Folgenden vorstellen wollen.
Einleitung – Wer ist die AfD(-Fraktion) in Lichtenberg?
Als die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung in Lichtenberg 19,2% der Stimmen erringen konnte, hat sich kaum noch ein Mensch über ein solches Ergebnis gewundert. Allzu sicher und unvermeidbar schien der Erfolg des bezirkspolitischen Neulings, der als Parteibezirksverband erst im Herbst 2013 gegründet wurde. Allerdings dürfen die 12 Sitze der AfD in der BVV nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Verband weder inhaltlich noch strukturell stark im Bezirk verankert ist. So umfasste das Bezirkswahlprogramm gerade mal eine A5-Seite und auch sonst hielt sich die Partei in den letzten Jahren mit belastbaren Aussagen geschweige denn eigenen Ideen oder umsetzbaren Programmen deutlich zurück. Ebenso dünn ist die parteiinterne Infrastruktur im Bezirk. Neben den monatlichen Tresen und einigen Informationsständen war die AfD kaum in Lichtenberg präsent. Da änderte auch die durchaus aktive Arbeit auf Facebook wenig. Selbst der mit einigen Ständen und zahlreichen Plakaten geführte Wahlkampf 2016 kann die fehlende bezirkliche Verankerung nicht kaschieren. Die Gründe für den dennoch eingetretenen Wahlerfolg müssen jedoch an anderer Stelle diskutiert werden. Stattdessen gilt es nun, schnellstmöglich einen Umgang mit der AfD-Fraktion in der Lichtenberger BVV zu finden, um eine dauerhafte Etablierung ihrer grundsätzlich ausgrenzenden Politik zu verhindern.
Als Gruppe, die die Lichtenberger AfD bereits seit mehreren Jahren beobachtet, haben wir unser Wissen über den Bezirksverband in diesem Dossier zusammengetragen und hoffen, damit eine solide Basis für die bezirkspolitische Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Akteuren zu legen.
Bündnis „Gemeinsam gegen Rassimus - Lichtenberg“
* In Ergänzung zu diesem Dossier kann eine vertiefende Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zur AfD in Lichtenberg, ihren Strukturen, Akteuren und Inhalten angefragt werden. Wir freuen uns über etwaige Anfragen, Hinweise und sonstige Bemerkungen unter: ggr-lichtenberg@riseup.net
Der Bezirksverband
Die parteiinterne Struktur bzw. der formelle Aufbau der AfD-Lichtenberg unterscheidet sich auf Vorstandsebene nicht von anderen Bezirksverbänden der Partei. Dem Sprecher als Vorsitzenden des Verbandes stehen zwei stellvertretende Sprecher zur Seite. Während es seit Januar 2015 auf diesen Posten keine Veränderungen gab, erfolgten zahlreiche Wechsel auf den vier Beisitzer- und dem Schatzmeisterposten. Ansonsten ist über den Verband wenig bekannt. Insgesamt waren im Bezirk vor den Wahlen 2016 rund 70 Personen organisiert, von denen jedoch nur rund 15 bis 20 tatsächlich für die Partei aktiv waren.Der Vorstand soll im Folgenden näher betrachtet werden.
Marius Radtke – Sprecher des Bezirksverbandes (Listenplatz 15 der BVV-Wahl)
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Trotz der hervorgehobenen Rolle als Sprecher gibt es bei Radtke kaum Anhaltspunkte in Bezug auf seine politische Ansichten. Maßgeblich in Erscheinung trat er bereits Ende der 1990er Jahre als Mitglied der rechtpopu-listischen Kleinstpartei „Bund Freier Bürger“, auf deren Liste zur AGH-Wahl er 2000 kandidierte. Für die Partei nahm Radtke an mind. einem Treffen mit dem bekannten Holocaust-Leugner Horst Mahler teil und besuchte Demonstrationen gegen die Errichtung des „Denkmals für die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas“. Als AfD-Mitglied unterstützte er u.a. im März 2015 die sog. „Erfurter Resolution“ von Björn Höcke und André Poggenburg, die den sich andeutenden Rechtsruck der Partei maßgeblich voran trieb. Als einer von nur 14 Erstunterzeichner aus Berlin ist das (zumindest auf dem Papier) ein klares Bekenntnis zum völkisch-nationalistischen Teil der AfD, das sich nahtlos in seine Vergangenheit einreiht.
Hartmus Nass - Stellvertretender Sprecher (nicht zu den Wahlen angetreten)
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Der Rentner Hartmut Nass ist eine wichtige Stütze der Arbeit der Lichtenberger AfD und gibt ihr im Hintergrund Struktur. So mietete er in der Vergangenheit Räumlichkeiten für die Partei an und war regelmäßiger Besucher der BVV-Sitzungen. Auch die Berliner AfD unterstützte er mit ehrenamtlicher Büroarbeit in der Landesgeschäftsstelle.
Karsten Woldeit – Stellvertretender Sprecher (über Landesliste ins AGH gewählt)
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Karsten Woldeit war in den letzten Jahren der maßgebliche Repräsentant des Bezirksverbandes nach außen. Dennoch schielte er immer mit einem Auge auf die Landespolitik. Er gab Anfang 2016 seine Anstellung beim Wach-bataillon der Bundeswehr auf, um hauptberuflich als Wahlkampfmana-ger der Berliner AfD zu arbeiten, kündigte jedoch nach kurzer Zeit wieder. Dennoch zog er über die Landesliste ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Inwieweit er sich jetzt noch politisch im Bezirk engagieren kann, ist unklar. Dabei verfügt das ehemalige CDU-Mitglied aufgrund seiner langjährigen Arbeit in der BVV-Reinickendorf über eine gewisse kommunalpolitische Erfahrung, die den meisten Lichtenberger Mitgliedern fehlt. Allerdings sitzt seine Lebensgefährtin Marianne Kleinert in der Lichtenberger BVV.
Kay Uwe Nerstheimer – Beisitzer (über Direktmandat ins AGH gewählt)
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Bereits die zahlreichen Wechsel auf den Beisitzerposten zeigen, dass ihre Besetzung kaum Rückschlüsse auf tatsächliches Engagement zulässt. Dennoch sagt es viel über einen Verband aus, der eine Person wie Kay Uwe Nerstheimer (immer noch) herausgehobenen Positionen belässt. Nerstheimer bezeichnete sich selbst 2012 als Anführer der „German Defence League“ in Berlin, einer islamophoben Schläger- und Hooligangruppe. Darüber hinaus forderte der bekennende Waffennarr, die Gruppe zu einer bewaffneten Miliz auszubauen. Auf seiner Facebook-Seite bedient er darüber hinaus deutliche Positionen der „Reichsbürger“. Dennoch wurde das ehemalige Mitglied der islamfeindlichen Kleinstpartei „Die Freiheit“ 2016 als Direkt-kandidat ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Aufgrund seiner politischen Vergangenheit und zahlreicher menschenfeindlicher, sowie homophober Posts auf Facebook läuft momentan ein Parteiausschlussverfahren gegen Nerstheimer.
Lichtenberger BVV-Fraktion
Während der Erstellung des Dossiers war die Zusammensetzung der Lichtenberg BVV-Fraktion der AfD aufgrund Nachrücker*innen durch Abgeordnetenhaus-Mandate noch nicht vollständig absehbar. Somit ist es möglich, dass einzelne Personen aufgeführt werden, die keinen Sitz in der BVV haben.
Dietmar Drewes – Der Fraktionsvorsitzende (BVV-Listenplatz 7)
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Der politisch bisher völlig unbekannte Drewes ist in seiner Freizeit ehrenamtlich im Bezirksverband der Gartenfreunde Berlin-Lichtenberg e.V. aktiv. Im Wahlkampf bediente er mit seinem Kandidatenprofil klassische rechtspopulistische Themenfelder. So verbreitete er Ängste vor einer vermeintlichen „Ghettoisierung“ im „migrationsfreundlichen“ Lichtenberg oder redete im PEGIDA-Stil von der „Einheitspresse“.
Falk Rodig (BVV-Listenplatz 6)
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Der Rechtsanwalt Falk Rodig war ebenfalls Mitglied der islamfeindlichen Kleinstpartei "Die Freiheit" (u.a. Listenplatz 27 zur AGH-Wahl 2011). Aufgrund dieser Tätigkeit verlor er 2013 seine Anstellung beim „Städtischen Klinikum München Bogenhausen“, das er bei Klagen wegen abgeschleppter Autos vor der Klinik vertrat. Die menschenfeindliche Politik von Parteien wie „Die Freiheit“ war für die Stadt München und ihren damaligen Bürgermeister Ude nicht mit einem städtischen Auftrag vereinbar. Rodigs Reaktion auf die Kündigung in einem rechtspopulistischen Internetblog: „Ich stehe zu meiner Überzeugung.“
Ricardo Schlicht (BVV-Listenplatz 8)
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Ricardo Schlicht war als Mitglied der „Akademisch Musikalischen Verbindung Würzburg“ bereits während seines Studiums in autoritäre politische Strukturen eingebunden. Inzwischen engagiert er sich als „Alter Herr“ weiterhin aktiv für die nicht-schlagende und nicht verpflichtend Farben tragende Sängerschaft und unterstützt damit deren reaktionäres und deutschnationales Weltbild. Nach seinem Umzug nach Berlin saß der ehemalige Lehrer der „Schule am Breiten Luch“ für einige Monate im Bezirksschulbeirat Lichtenberg. Inzwischen ist er jedoch versetzt worden und wohnt in Zehlendorf.
Heribert Eisenhardt (BVV-Listenplatz 12)
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Eisenhardt ist ein wichtiges Beispiel für die Schwierigkeiten der AfD im Umgang mit deutlich rechten Akteuren. Schon 2013 und 2014 sprach das damalige Mitglied von „Die Freiheit“ auf den rechtpopulistischen Kundge-bungen zum „Tag der Patrioten“ in Berlin. Seit Ende 2014 engagiert er sich als Pressesprecher sowie regelmäßiger Teilnehmer und Redner für die Ber-liner PEGIDA-Abspaltung BÄRGIDA. Als Teilnehmer war er darüber hinaus auf den völkischen „Merkel muss Weg“-Demonstrationen sowie auf einem bundesweit beworbenen Aufmarsch von Neonazi-Kameradschaften am 02.04.2016 in Berlin-Hellersdorf anzutreffen. Innerhalb der AfD bekennt er sich zum völkischen Flügel der „Patriotischen Plattform“. Aufgrund seiner offenen Zusammenarbeit mit neonazistischen Kreisen, läuft seit Mitte 2015 ein Parteiausschlussverfahren gegen Eisenhardt. Dennoch wurde er vom Lichtenberger Bezirksverband in die BVV-Liste aufgenommen.
Ludmila Pütsch (BVV-Listenplatz 14)
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Die Ärztin Ludmila Pütsch war vor ihrem Beitritt zur AfD bereits in der rechts-populistischen Kleinstpartei „Pro Deutschland“ aktiv. Für diese war sie von 2011 bis 2012 Beisitzerin im Bundesvorstand und kandidierte 2011 auf Platz 3 der Landesliste zur AGH-Wahl. Dennoch verfügt sie über keine real-politische Erfahrung.
Die restliche Fraktion
Zu den weiteren Mitgliedern der Fraktion der AfD in der Lichtenberger BVV liegen keine relevanten Erkenntnisse in Bezug auf ihr politisches Profil oder ein vorangegangenes Engagement vor. Nur Gisela Starke-Kleese behauptet überhaupt kommunalpolitische Erfahrung zu besitzen. Dementsprechend handelt es sich bei einem Großteil der Fraktion wohl eher um Neueinsteiger.
Fazit - Der Rechte Rand der Partei
Eine eindeutige Einordnung der Lichtenberger AfD(-Fraktion) ist nicht einfach. Inhaltlich besticht der Bezirksverband vor allem durch Ideenlosigkeit. Eigene kommunalpolitische Aussagen fehlen fast vollständig und sind eher diffus und bruchstückhaft, was sicherlich mit der fehlenden Erfahrung der Mitglieder zusammenhängt. Mehr als die Stilisierung zur einzigen Vertretung der Interessen der Bürger*innen bzw. „des Volkes“ gegenüber den "Regierungsparteien" wird kaum geboten. Dementsprechend weisen die vorgetragenen Argumentationen deutliche Überschneidungen mit rechtspopulistischen bis hin zu neurechten Ideologien auf. Diese Planlosigkeit wird jedoch mit einer starken inhaltlichen Anbindung an die Landes- und Bundespartei zu kaschieren versucht. Vielmehr als Fundamentalopposition ist auf bezirklicher Ebene kaum zu erwarten.
Personell steht die Lichtenberger AfD mit den vielfältigen politischen Biografien ihrer Mitglieder stellvertretend für die Gesamtpartei und ihre strukturellen Probleme. Problematisch ist hierbei die fehlende Abgrenzung gegenüber Personen mit klaren Bezügen zu radikalen und neonazistischen Strukturen. Sie wurden nicht nur über Jahre in der Partei geduldet, sondern wieder besseren Wissens in Parteitätigkeiten eingebunden und auf parteiinternen Posten belassen. Dieses Wegsehen ermöglichte es dem bekennenden Islamhasser und Waffennarren Kay Nerstheimer ins Berliner Abgeordnetenhaus einzuziehen. Nicht umsonst ist die AfD in Lichtenberg der Bezirksverband mit den meisten personellen Skandalen in ganz Berlin und schon allein deswegen einer der rechtesten Verbände in der Stadt. Aus diesem Grund sind auch die laufenden Parteiausschlussverfahren gegen Lichtenberger AfD-Mitglieder kein Ausweis der politischen Unbedenklichkeit der verbleibenden Mitglieder. Sie zeugen vielmehr von einer jahrelangen Komplizenschaft, da sie nicht aus dem Bezirksverband erwirkt wurden, sondern durch medialen Druck von der Parteiführung verordnet wurden.
Auch wenn die nächsten Monate für die Lichtenberger AfD chaotisch werden könnten, ist keine Abkehr von einer Praxis des kollektiven Wegsehens und der stillschwiegenden Akzeptanz abzusehen.
Nähere Infos zu Wolfgang Hebold [1] https://linksunten.indymedia.org/en/node/196478
Neuer "Treff"?!
Haben die jetzt eigentlich schon einen neuen "Treff" in Lichtenberg aus dem man sie 3. Mal vertreiben kann?! Von Weitlingkiez bis UJZ Südlichtenberg bleibt Antifa!