In der Nacht vom 10. zum 11. November 2016 haben wir den Friedhof Lilienthalstraße in Berlin-Neukölln besucht und antifaschistische und antimilitaristische Parolen gesprüht, Farbeier geworfen und eine Gedenktafel mit roter Farbe beworfen. Anlass für unsere Aktion ist die am 12. November dort stattfindende Gedenkfeier des Volksbundes Kriegsgräberfürsorge (VDK), an der Vertreter*innen des Abgeordnetenhauses, der Bundeswehr, Polizei und verschiedene Botschafter*innen sowie Fackelträger*innen des Wachbataillons teilnehmen. Ein Bestandteil des Ablaufes des Volkstrauertages ist die deutsche Nationalhymne und das Lied „Der gute Kamerad“.
Der Friedhof Lilienstraße ist der zentrale Gedenkort für die Wehrmachtssoldaten in Berlin. Der Friedhof wurde zwischen 1938 und 1941 im Auftrag Albert Speers, dem „Generalbaudirektor für die Reichshauptstadt“, nach Plänen des NS-Architekten Wilhelm Büning als Begräbnisstätte für die „gefallenen“ Wehrmachtsoldaten erbaut. Die Friedhofsanlage mit ihrem zentralen Gebäude inklusive der „Ehrenhalle“ zeigt bis heute auf den ersten Blick ihre nationalsozialistische Herkunft. Der VDK veranstaltet hier seit den 1950er Jahren jährlich seine zentrale Gedenkveranstaltung zum „Volkstrauertag“ und knüpft damit nicht nur in örtlicher Hinsicht direkt an die Tradition des nationalsozialistischen „Heldengedenken“ an. Er betreibt eine Gedenkpolitik in der allen gleichermaßen als Opfer gedacht werden soll. Es findet eine Gleichsetzung von Tätern und Opfern statt. Deutsche Wehrmachtssoldaten, die unter anderem am Massenmord an Jüd*innen, Sinti und Romn*ja und an den brutalen Vernichtungsaktionen gegen die Bevölkerung der von ihr besetzten Gebiete beteiligt waren, werden zu Opfern gemacht. Der nationalsozialistische Tempelbau in Berlin ist für die Gedenkfeier nicht zufällig gewählt, sondern bietet dafür die ideale völkische Kulisse. Bereits im Eingangsbereich der Friedhofsanlage wird durch eine undifferenzierte Ausdehnung des Opferbegriffs eine Gleichsetzung aller Opfer angestrebt. Dort befindet sich eine Gedenktafel mit dem Text „Den Toten im Osten“. So werden durch die Gleichmachung die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnt und gleichzeitig deutsche Täter zu Opfern gemacht.
Etwas abseits auf dem Gelände befindet sich zudem eine Tafel mit der Aufschrift „Den Gefallenen der 3. Panzerdivision Berlin Brandenburg in dankbarer Kameradschaft 1935/1945“. Diese haben wir mit roter Farbe beworfen. Zudem haben wir beim Aufgang zum zentralen Gebäude die Parolen „Deutsche Täter sind keine Opfer“ und „Volkstrauertag abschaffen“ hinterlassen und Farbeier geworfen, um ein Zeichen gegen das militaristische und geschichtsrevisionistische Gedenken zu setzen.
Der Volksbund wurde 1919 nach dem Ersten Weltkrieg gegründet. 1922 wurde das erste Mal der „Volkstrauertag“ durchgeführt. 1934 wurde er von den Nazis in Heldengedenktag umbenannt. Der Inhalt war von Beginn an nationalistisch und militaristisch. Im Aufruf von 1926 heißt es: „Und das soll der Volkstrauertag: Symbol sein und werden für ihren Geist, in dem sie auszogen in unendlicher Begeisterung, in dem sie kämpften wie Löwen, litten wie Märtyrer, starben wie Helden für das große Ziel: Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!“ Der VDK hat Verbindungen zu Personen und Organisationen aus dem Spektrum der Vertriebenenverbände, soldatischen Traditionsverbänden und bis 1987 auch zum Verband der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS, der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“ (HIAG).
Er arbeitet im Auftrag der deutschen Bundesregierung und wird bei der Pflege von Kriegsgräber- und Gedenkstätten auch von der Bundeswehr und Reservistenverbänden unterstützt. Der aktuelle „Schirmherr“ ist der Bundespräsident Joachim Gauck. In seiner Rede zum Volkstrauertag 2015 bezog Gauck auch die Soldat*innen mit ein, die in Auslandseinsätzen der Bundeswehr gestorben sind. Zu Tode gekommene Soldat*innen werden somit als Opfer dargestellt. Sie sind jedoch Beteiligte an weltweiten Kriegseinsätzen für deutsche Interessen. Wir wollen keine deutschen Kriegseinsätze, keinen Nationalismus und kein Heldengedenken!
Deutsche Täter sind keine Opfer! Volkstrauertag abschaffen!
Kein Vergessen! Kein Vergeben!
Gut gemeint, aber nicht gut gemacht
Die dort liegenden Toten können sich nicht dagegen wehren, dass sie heute von Militaristen und Nazis missbraucht werden. Das Gedenken zum Volkstrauertag sollte man tatsächlich kritisch begleiten, aber der Friedhof mit seiner protzigen Naziarchitektur ist an sich schon eine Mahnung vor dem deutschen Nationalismus.