Thügida-Demo: „Lächerlicher Aufzug“ von wenigen Neonazis in Jena

Erstveröffentlicht: 
10.11.2016

Das friedliche Gedenken an die Opfer des Nationalsozialisten überwog am 9. November in Jena. Am Rande der Thügida-Demo heizte sich die Stimmung allerdings zwischenzeitlich auch auf. Thügida selbst provozierte am Jahrestag der Pogromnacht von 1938 mit zweifelhaften Aussagen.

 

Bunt, kreativ und lautstark verliefen die Demonstration und Kundgebungen gegen die rechtsradikale Gruppierung „Thügida“ durchs Damenviertel in Jena am Mittwoch ab und zeigten deutlich, dass Neonazis in der Saalestadt nicht erwünscht sind. Bereits im Vorfeld war die Empörung groß, dass Thügida sich nach Adolf Hitlers Geburtstag und dem Todestag von Rudolf Heß mit dem 9. November wieder ein historisch sensibles Datum für eine Demonstration ausgesucht hatte. Am „Schicksalstag der Deutschen“ ist schließlich unter anderem nicht nur 1989 die Berliner Mauer gefallen, sondern startete auch Adolf Hitler 1923 in München einen Putschversuch und vor allem fand 1938 die Reichspogromnacht statt. Diese markiert den Übergang von der sozialen Ausgrenzung zur Verfolgung der Juden im Nazi-Deutschland, die im Holocaust endete.

 

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

 

Entsprechend gab es in Jena zahlreiche Veranstaltungen über den Tag verteilt, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnerten. Großen Anklang fand ein Fürbittengebet, zudem sich hunderte Bürger vor dem Portal der Stadtkriche versammelten. Im Anschluss wurden die Namen der deportierten Juden vor rund tausend Menschen auf dem Marktplatz verlesen. Von dort startete ein Mahngang zum Westbahnhof, wo ein Kranz niedergelegt wurde. Der Kirchenhistoriker Christopher Spehr von der Uni Jena sagte: „Die Erinnerung an dieses Verbrechen macht sprachlos, nationalistische Hetze macht wütend.“

 

Gegen 17 Uhr versammelten sich immer mehr Gegendemonstranten rund um den Nollendorfer Hof, da fast alle Thügida-Teilnehmer am nahe gelegenen Saalbahnhof ankamen, um von dort ihren Fackelmarsch durchs Damenviertel zu starten. Entlang der Marschroute, die vom Saalbahnhof den Spitzweidenweg entlang, in die Sophienstraße bis zur Kreuzung Käthe-Kollwitz-Straße und zurück führte, hatten Bewohner Protest-Plakate aus den Fenstern gehangen und Kerzen symbolisch gegen Hass aufgestellt. Die Route selbst hatte die Polizei zweireihig abgesperrt, um das Aufeinandertreffen der Lager zu verhindern. Seit dem Nachmittag wurden nur noch Anwohner hereingelassen. 

 

Pfefferspray, Bengalos und verletzte Polizisten


Gegen 17.30 Uhr versuchten Gegendemonstranten, die Absperrung an der Nollendorfer-Straße zu durchbrechen. Die Polizei unterband den Versuch und setzte Pfefferspray ein. Die Demonstranten wurden bis zum Nollendorfer Hof zurückgedrängt. Fünf Personen wurden laut Polizei vorübergehend in Gewahrsam genommen. Bei dem Einsatz wurden vier Beamte durch das Reizgas und „körperliche Auseinandersetzungen“ leicht verletzt. Auf dem Ärztezentrum in der Nollendorfer Straße wurde Bengalo-Feuer gezündet. Die Polizeihunde und ein Wasserwerfer waren zwar vor Ort, kamen aber nicht zum Einsatz. Wenig später fuhr der Lautsprecher-Wagen von Thügida hier vorbei zum Saalbahnhof. 

 

Köckert will alte Grenzen Deutschlands


Dort hatten sich höchstens 80 Thügida-Anhänger eingefunden, also deutlich weniger, als zu den Versammlungen im April und August. Offiziell wollte Thügida mit ihrer Demonstration an den Mauerfall erinnern. Schwarz-weiß-rote Fahnen mit starker Ähnlichkeit zur Reichskriegsflagge, die einige Anhänger dabei hatten, ließen an diesem Grund jedoch zweifeln. Die Flaggen mussten wieder eingerollt werden, da sie laut Polizei „dem äußeren Anschein nach eine Nähe zu Darstellungsformen des Dritten Reiches und somit möglicherweise Bezüge zum 9.11.1938 hätten darstellen können“.

 

Auch im weiteren Verlauf war der Mauerfall nur am Rande ein Thema. So sagte Demonstrations-Anmelder David Köckert, der bis vor Kurzem im thüringischen NPD-Landesverband aktiv war, zwar, dass ihn die Wiedervereinigung freue. Er fügte aber hinzu, dass noch ein Stück von Deutschland fehle. Er spielte damit auf die Gebiete an, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg an Nachbarländer verloren hat, wie Ostpreußen und das Sudetenland. Einen schalen Beigeschmack hatte auch seine Aussage, dass er sich über die „Machtergreifung“ Trumps freue. Schließlich wird in Deutschland nur von Machtergreifung im Zusammenhang mit dem Dritten Reich gesprochen. 

 

Sachbeschädigung und zu viele Fackeln


Mit 15 Fackeln, einem Sarg und einer Fahne, die an die Reichkriegsflagge erinnerte, zogen die Teilnehmer ab 19 Uhr durch das Damenviertel. Da sie aber zu viele Fackeln dabei hatten, muss Thügida jetzt mit einer Geldstrafe rechnen. Zwei Neonazis müssen sich auch wegen Sachbeschädigung verantworten. Sie hatten ein Banner heruntergerissen, das über die Sophienstraße gespannt war. Köckert hatte es dann hinter die Windschutzscheibe des Wagens geklemmt, die Polizei kassierte es allerdings danach sofort ein.

 

Die Gegendemonstranten, deren Anzahl die Polizei auf 1500 schätzt, drückten ihren Protest lautstark, kreativ, aber weitestgehend friedlich aus. So stand auf einem Plakat „Endspurt statt Endsieg“. Es flogen nur einige Eier und Wasserballons in Richtung der Thügida-Anhänger. Aus einem Fenster wurde auch ein Wasserschlauch gehalten. Entsprechend kam der Wasserwerfer der Polizei nicht zum Einsatz kam.

Folgende Straftaten nahm die Polizei während der Demonstration auf:

  • Landfriedensbruch: Gegendemonstranten wollten eine Absperrung durchbrechen.
  • Fünf Verstöße gegen das Versammlungsgesetz: Vermummung
  • Zeigen von Nazisymbolen: Ein Gegendemonstrant (!) zeigte den Hitlergruß und rief „Sieg heil“.
  • Sechs Körperverletzungen: Unter anderem wurde ein Polizeibeamter mit einer Holzlatte angegriffen.
  • Beleidigung
  • Hausfriedensbruch

 

"Lächerlicher Aufzug der Neonazis"


Gegen 20.40 Uhr endete Thügida-Marsch wieder am Saalbahnhof. Vor dort fuhren die Teilnehmer zurück nach Hause. Bald darauf baute die Polizei die Absperrungen im Damenviertel wieder ab und gab die Bereiche wieder für Fußgänger und Fahrzeuge frei. „Ich bin froh, dass die Jenaerinnen und Jenaer so kraftvoll und kreativ aus der Mitte der Gesellschaft reagiert haben. Der Aufzug der Neonazis war wirklich lächerlich“, teilte Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) nach dem Ende der Demo mit.

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