Sicherungsverwahrung – eine Maßregel der Nazis?!

Sicherungsverwahrung

Immer wieder wird in Zweifel gezogen, dass es die Nationalsozialisten gewesen sind, welche die Maßregel der Sicherungsverwahrung eingeführt haben. Deshalb heute dieser Zwischenruf.

 

Die Zweifler

 

Erst vor kurzem hat eine/e anonyme/r KommentatorIn zu einem Artikel von Smily (https://linksunten.indymedia.org/de/node/190531) die These aufgestellt, die Sicherungsverwahrung sei „schon in der Weimarer Republik durch das Parlament gewunken“ worden und erst „nach der Machtergreifung Hitlers in Kraft“ getreten.

 

Die Fakten

 

Eingeführt wurde die Sicherungsverwahrung mit 'Gewohnheitsverbrechergesetz' vom 24.11.1933 (vgl. Reichsgesetzblatt 1933, S.995 ff ). Es trifft allerdings zu, dass schon während der Weimarer Republik die Einführung der SV diskutiert wurde, jedoch kein geringerer als Kurt Tucholsky, engagierte sich nachdrücklich und erfolgreich gegen solche Pläne ('Nieder mit der Sicherungsverwahrung' in 'Die Weltbühne' 1928, S.838,vgl.(http://www.textlog.de/tucholsky-verwahrung.html).

Weiter wird gelegentlich behauptet, die SV sei während des NS-Reichs kaum oder nie zur Anwendung gekommen. Schon 1934 wurde in 3.723 Fällen die SV verhängt. Sicherungsverwahrte galten als „unwertes Leben in höchster Potenz“ (zitiert nach Tobias Mushoff, 'Strafe-Maßregel-Sicherungsverwahrung', S.25, Fußnote 118). Die vorgenannte Äußerung stammt vom damaligen Reichsjustizminister THIERACK. Dieser fuhr in einem 'Richterbrief' von 1944 fort, das Strafrecht diene „der Auslese, Reinigung und Gesunderhaltung unseres Volkes“.

 

Schon 1942 vereinbarten Thierack und der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, die -Zitat- „Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit“ (vgl. Mushoff, a.a.O., S. 25), dazu zählten auch die Sicherungsverwahrten. Alleine im Lager Mauthausen starben bis Februar 1944 insgesamt 6.736 „SV-Häftlinge“.

 

Geborene VerbrecherInnen !?

 

Die hinter der Einführung der SV stehende biologistische Sichtweise, bei 'Gewohnheitsverbrechern' handele es sich um 'biologistisch-determinierte' Kriminelle, um 'Minderwertige' und 'Schädlinge' mag nicht ausschließlich in der nationalsozialistischen Ideologie zu finden sein, aber unstreitig passte diese Sichtweise zu dem zutiefst 'rassistischen, völkischen und nationalistischen Gedankengut' (vgl. die sehr instruktive Bachelor-Arbeit von Herrn B. , vorgelegt an der Philipps-Universität Marburg am 29.06.2015, 'Geborene VerbrecherInnen? Der biologisierende Diskurs in der Kriminologie am Beispiel der Sicherungsverwahrung in Deutschland' (http://ow.ly/WNc9N).

 

Resümee

 

Weshalb immer wieder bestritten wird, dass die Sicherungsverwahrung durch die Nationalsozialisten eingeführt wurde, kann nicht wirklich erklärt werden. Dass sich heute die Haftbedingungen von jenen der NS-Zeit mehr als nur erheblich unterscheiden, das liegt offen auf der Hand. Der Hinweis auf den Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes im November 1933 soll deutlich machen, dass Denkfiguren durchaus die Jahrzehnte überdauert haben. Heutzutage würde zwar kein Gericht, kein Personal einer JVA davon sprechen, es gehe um die 'Unschädlichmachung' von 'verbrecherischen Schädlingen';allerdings schwingt genau diese Vorstellung bei allen Entscheidungen mit. Denn rational lässt sich die Beibehaltung der SV nicht erklären. Alle einschlägigen Untersuchungen belegen nachdrücklich, dass weit über 50 Prozent aller Gefährlichkeitsprognosen im Bereich der SV schlicht falsch sind. Falsch im Sinne einer den Insassen zu Unrecht unterstellten Rückfallgefahr. Hunderte von Menschen werden weggesperrt, vielfach bis zum Tode; man macht sie also, im Sinne der Vorgaben von 1933 'unschädlich'. Die paar (Pseudo)Privilegien die man den Insassen sich zu gewähren herablässt, können nicht ansatzweise den Verlust der Freiheit aufwiegen.

 

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV)

Hermann-Herder-Str.8, D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

 

P.S.: Herzliche und solidarische Grüße an dieser Stelle an Smily! Mittlerweile seit drei Jahren entzieht er sich erfolgreich den Repressionsorganen, die ihn nur zu gerne wieder einknasten würden!

Freiheit wird einem niemals gegeben – wir müssen sie uns nehmen!

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sehr gut

Schön, dass du dich zu Wort meldest. Ich weiß zwar nicht, ob dieser Weg zur Kommunikation von den Moderatoren dieser Seite gewünscht ist, aber ich gehe ihn mal. So muss ich nicht in den Knast schreiben und den Bullen meine Daten und Vorstellugen geben. Ich hoffe du hast Netz oder deine Leute drucken dir diesen Kommentar aus.

 

Ich bin einer derjenigen die immer wieder betonen, dass die Sicherungsverwahrung (SV) keine Erfindung der Nazis ist. Zuletzt unter dem von dir zitierten Artikel von Smily. Leider habe ich mich - das muss ich an dieser Stelle mal eingestehen - falsch ausgedrückt. Du hast natürlich Recht, wenn du sagst, dass die SV mit dem Gewohnheitsverbrechergesetz von '33 eingeführt wurde. Soweit so schlecht.

 

Was ich mit meiner Feststellung sagen wollte ist, dass ein solches Gesetz, es handelte sich dabei ja um eine größere Reform, eine längere Vorlaufzeit hat. Ich zitiere an dieser Stelle für den Laien mal Wikipedia:

Die Reformideen des Gewohnheitsverbrechergesetzes, welches teilweise auf Plänen aus der Zeit der Weimarer Republik basierte, die unter anderem schon die Sicherungsverwahrung vorsahen, wurden von den Nationalsozialisten erheblich verschärft und für rassenpolitische Ideen modifiziert.

Die Arbeit von Mushoff kenne ich auch, da ich meine Studienarbeit zum Thema SV schrieb (du kommst auch vor :) ), aber nicht jede_r hat Zugang zu juristischen Bibliotheken.

 

Worum es mir geht ist, dass der Hinweis auf den Erlass durch die Nazis zu dem Eindruck führen könnte, die Demokraten würden Nazirecht lediglich weiter anwenden. Dem ist nicht so. Sie haben die Vorarbeit zur Einführung der SV geleistet, sie wäre mit oder ohne Machtergreifung ins RStGB geschrieben worden. Es handelt sich bei der SV um die "humanistische" Ausprägung der Todesstrafe, mit deren Hilfe sich die Demokraten moralisch über das "Kopf ab" des "finsteren Mittelalters" stellen konnten. Aber das weißt du sicher genauso gut wie ich.

Schon vor der Weimarer Republik wurde sie sehr lange diskutiert. Für die ausführliche Vorgeschichte dieser Debatte und den Schulenstreit vor der Einführung der SV verweise ich nun doch wieder auf Tobias Mushoff (Strafe-Maßregel-Sicherungsverwahrung, 2008, S.9ff.) Wir könnten anscheinend viele weitere Details zu diesem Thema austauschen. Zahlen, Fakten, Änderungen mit verschiedenen Strafrechtsreformen, jedoch ginge das an dieser Stelle zu weit.

Wirklich schade, dass du nicht draußen bist. Kompetente Gesprächspartner_innen zu dieser Thematik gibt es nicht viele. Was am Thema liegt, welches "inzwischen derartig Komplex ist, dass es nur noch für Eingeweihte in glücklichen Stunden verständlich ist". (Kinzig, lto)

 

Lange Rede, kurzer Sinn, ich gestehe den Fehler in früheren Kommentaren ein. Asche auf mein Haupt. Dennoch denke ich meine Intention ist weiterhin die Richtige: Die Sicherungsverwahrung ist keine Nazierfindung. Demokraten sind genauso Kacke. Wenn die Sicherungsverwahrungsanstalten voll sind, werden sie auch wieder zum "Kopf ab" zurückfinden. Siehe "Finaler Rettungsschuss" oder, heute eher üblich, Tötung durch Bullen in Putativnotwehr

 

Ein weiterer prominenter Kritiker der SV war übrigens Erich Mühsam, welcher schon in der damaligen Debatte die Frage aufwarf, ob nicht jeder politische Rebell ein gewohnheitsmäßiger Verbrecher und im Sinne des Kapitalismus gemeingefährlich sei. ("Der Staat als Erzieher" Fanal Nr. 1 1927; zu finden in: Fanal Band 2, Impuls Verlag, S.14; Zitierte Fragen auf S.17.)

Das er damit richtig lag, zeigt sich ja nun leider an deiner Verwahrung. Viel Kraft weiterhin!

 

Grüße in die SV, an Smily und Alle die mit Repression in irgendeiner Form zu kämpfen haben!

 

(A)