„Es ist besser hier zu sein, als auf dem Sofa zu schimpfen“

Erstveröffentlicht: 
23.09.2016
Antje Hermenau, Ex-Vorzeigefrau der sächsischen Bündnisgrünen, diskutiert auf AfD-Veranstaltung in Döbeln
VON ANDREAS DEBSKI

 

Döbeln. Am Ende kommt es zu einem so überraschenden wie symbolischen Akt. Peter Pöschmann vom Linken-Stammtisch reicht dem Gastgeber AfD die Hand: „Lassen Sie uns miteinander reden. Auch wenn wir über einige Inhalte streiten – Sie haben Schnittmengen mit Parteien, wie Sie sich das heute noch gar nicht vorstellen können.“ Das Publikum ist perplex. Nach einigen Sekunden des Schweigens brandet Beifall im mit 60 Menschen bestens gefüllten Festsaal des Döbelner Hotels Bavaria auf. Zu diesem Zeitpunkt ist der Diskussionsabend am Mittwoch fast drei Stunden alt; die ehemalige Vorzeigefrau der sächsischen Bündnisgrünen, Antje Hermenau, hat auf Einladung der AfD ihr Buch „Die Zukunft wird anders“ vorgestellt.

 

Heftige Kritik im Vorfeld

 

Ein Auftritt, der im Vorfeld für heftige Kritik gesorgt hatte. Jürgen Kasek, der Grünen-Landesvorsitzende, sprach von „politischer Prostitution bei Demokratiefeinden“. Im Internet war die Rede auch von einem Pakt mit dem Teufel. Ihr langjähriger Weggefährte und Widerpart Johannes Lichdi fragte sich öffentlich, „wie so jemand“ ein Vierteljahrhundert Spitzenpositionen bei den Grünen besetzen konnte. Hinzu kamen Gerüchte, die frühere Bundestagsabgeordnete wolle nach ihrem Abschied von den Grünen vor knapp zwei Jahren, mit denen sie völlig zerstritten ist, zur AfD überlaufen.

 

„Das war eine regelrechte Hetzkampagne gegen mich. Ein AfD-Eintritt steht nicht zur Debatte“, erklärt die 52-Jährige gegenüber der Leipziger Volkszeitung und meint: „Natürlich finde ich es auch schlimm, dass eine Protestpartei so viele Stimmen sammeln kann – doch man muss auch mal fragen, weshalb das so ist; weshalb die inhaltlich stärkeren Parteien das nicht können. Ich möchte den gefühlsmäßig Frustrierten die Möglichkeit bieten, sich sachlich zu sortieren.“ Dabei sieht sich sie weder als Missionarin noch als Therapeutin, sondern als „jemand, der die Ängste ernst nimmt und auf Augenhöhe mit den Menschen redet“.

 

So kommt es also, dass sich Hermenau auf ein Podium begibt, das auf den ersten Blick nicht das ihre zu sein scheint. Auf den braunen Holztischen stehen Biere im Halbliter-Glas, die Kellnerin serviert Bauernfrühstücke und dampfende Schnitzel, von der Decke hängen Kronenleuchter in Blütenform. Auswärtige mögen sich genau so das Stammtischambiente einer ostdeutschen Kleinstadt ausmalen. Für Hiesige ist dies der Rahmen für eine Bodenständigkeit, wie sie auch Hermenau verkörpert. „Es ist besser hier zu sein und sich eine Meinung zu bilden, als auf dem Sofa zu schimpfen“, lobt die Ex-Grüne, die sich auf ihrer Visitenkarte als „Strategin“ ausweist, den Zuspruch.

 

Die AfD bereitet ihr entsprechend einen warmen Empfang. Mittelsachsen-Chef René Kaiser, 45 und Bergbauingenieur, verkündet unter Beifall, dass jede Minute die Geburt seines siebenten Kindes zu erwarten ist, und spricht davon, dass seine Partei nicht aus Politprofis bestehe und die Wortwahl manchmal demgemäß sei. „Wer kritisiert, wird häufig diffamiert“, sagt jener schmächtige Mann, der sich nicht ins gängige Bild des Polterers pressen lässt. Tatsächlich verspürt die AfD einen Rückenwind, der aus ihr mehr als eine Anti-Flüchtlings-Partei macht. Allein in Mittelsachsen hat sich die Zahl der Mitglieder binnen zwei Jahren auf 144 nahezu verfünffacht. „Vom Arbeitslosen über Selbstständige bis zum Professor ist alles dabei“, erklärt Kaiser nicht ohne Stolz. Im gesamten Freistaat ist die Entwicklung ähnlich. Bundesweit wurde die Partei in zehn Landtage gewählt. Das verleiht nicht nur den äußersten Rechten erheblich Auftrieb – sondern auch jenen, die bislang ihren Ärger an Stammtischen oder in Wohnzimmern abgelassen haben. Im Döbelner Saal ist nun ein Gefühl von neuer Stärke, eine Melange aus Wir-sind-wieder-wer und besorgten Bürgern, allgegenwärtig.

 

Hermenau stößt die Menschen nicht vor den Kopf, vielmehr redet sie von Heimatlosen und von Ostdeutschen, die im bundespolitischen Politikzirkus keine Stimme hätten. Welche Hoffnungen mit der AfD, zumindest in Teilen der Bevölkerung, verbunden werden, formuliert Mike Moncsek, ein ehemaliger CDU-Mann: „Irgendwas stimmt in unserem Land nicht mehr. Wir Ostdeutsche haben es schon mal geschafft, ein Regime zu stürzen – und wir werden es wieder schaffen.“ Das Wort von der Revolution macht die Runde. Irgendwann wird auch der Name Sarrazin beklatscht.

 

Hermenau hält dagegen, wo sie kann, und auch, wo sie gerade will. So propagiert Jörg Bretschneider aus Freiberg, Mitglied im AfD-Bundesfachausschuss Familie, „unser traditionelles Familienbild“ aus Mutter, Vater und möglichst vielen Kindern. Dagegen seien Kinder aus zerrütteten Familien, wie auch von Alleinerziehenden oder Migranten, nicht das vorderste Ziel der Partei.

 

Diskussion um Familienbild

 

Die Ex-Grüne bricht eine Lanze für Alleinerziehende und nimmt sich auch beim Thema Zuwanderung nicht zurück. „Ich weiß, dass Sie am liebsten keine Flüchtlinge hier haben wollen“, wirft Hermenau in den grummelnden Saal, „doch wir brauchen Zuwanderung, etwa zehn Mal so viele Einbürgerungen wie heute, rund 16 000 pro Jahr in Sachsen, um unsere Bevölkerungsverluste auszugleichen.“ An dieser Stelle werden ihr wieder die deutschen Kinder, für die es mehr Unterstützung geben soll, entgegengehalten. Einig sind sich die Diskutanten dagegen beim Thema EU:Aufgrund einer lange zurückliegenden „deutschen Schuld“ solle die Bundesrepublik immer noch „das Portemonnaie aufmachen“, meint Hermenau underntet Applaus. Karin Wilke, AfD-Landtagsabgeordnete aus Freiberg, setzt noch einen drauf: „Wir werden durch die Finanzpolitik enteignet.“ Wieder tosender Beifall.

 

Zugleich warnt Hermenau – auch mit Blick auf die Wahlergebnisse in Ostberlin – vor einem erstarkenden Nationalen Sozialismus: Also vor der Verbindung der national und völkisch geprägten AfD mit den sozialen Forderungen der Linken.

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Das hat Faxe auch immer gesagt. :-----DDD