NSU-Untersuchungsausschuss geht Verbindungen des Verfassungsschutzspitzels »Primus« nach
Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag ging am Donnerstag dem Geflecht von Verfassungsschutzspitzeln und den Tätern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) nach.
Armin Schuster, Polizist und als CDU-Abgeordneter Mitglied im NSU-Bundestags-Untersuchungsausschuss, sagt, was viele Kollegen denken: »An Marschner ist mehr dran, als in den Akten steht.« Der ehemalige V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (Deckname »Primus«) und seine wahrscheinliche Nähe zu den Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) beschäftigt das Bundestagsgremium schon seit einigen Wochen. Marschner wohnte in Zwickau, betrieb dort mehrere dubiose Geschäfte und floh 2007 aus bislang unbekannten Gründen. Zuvor war er quasi ein Nachbar der NSU-Kerntruppe Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die in Zwickau untergetaucht waren.
Einer der drei am Donnerstag vor den Berliner NSU-Ausschuss geladenen Zeugen behauptet, zumindest Mundlos in Marschners Baufirma begegnet zu sein. Ein weiterer Zeuge war Mitinhaber eines Szeneladens namens M.u.M. Vertriebs GmbH, in dem Marschner Geschäftsführer war. Der Mann hatte sich unmittelbar nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 bei der Polizei gemeldet, weil er Beate Zschäpe mehrfach in dem Laden gesehen hatte. Indirekt wehrte er sich gegen die Bundesanwaltschaft, die sein Erinnerungsvermögen mehrfach bezweifelte. Er sei sich noch immer »zu 90 Prozent« sicher, dass sie es war, er könne nur nicht sagen, ob sie vor oder hinter dem Ladentisch gestanden habe, sagte er am Donnerstag aus.
Der Zeuge gab auch Auskunft über Verbindungen des Verfassungsschutzspitzels zu anderen Neonazis und rechtsextremistischen Gruppen. Auf einem Foto identifizierte er einen »Olli« und einen zweiten Mann aus Leipzig, von denen einer einen Schlüssel zu Marschners Zwickauer Büro gehabt habe. Nach dessen Verschwinden habe einer der Männer von dem Zeugen die Herausgabe eines Computers aus diesem Büro verlangt und dabei massiv gedroht. Mit diesem Typen wollte er sich lieber nicht anlegen und übergab den Computer dem BKA. Das fand darauf - neben Nazi-Rock-Musik den Paulchen-Panther-Song, der auch die Titelmelodie der NSU-Bekenner-DVD war.
Beide Männer aus Leipzig, die der Zeuge wiedererkannt hatte, sind heute Chefs einer kapitalstarken Sicherheitsfirma, die nach eigenen Aussagen 2015 den Schutz der Legida-Versammlungen übernommen hatte. Es gibt Vermutungen, dass Kontakte von Firmenmitarbeitern bis in Kreise des Organisierten Verbrechens reichen.
Die Vermutung des Abgeordneten Schuster, dass nicht alles zu Marschner in den Akten steht, hatte sich vor Sitzungsbeginn bereits bestätigt. Es wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Chemnitz 2012 einen Haftbefehl gegen Marschner erließ. Der hängt mit der M.u.M.-Firma zusammen. Marscher ist der Insolvenzverschleppung beschuldigt und wurde deshalb 2009 zu 90 Tagessätzen à 50 Euro verurteilt.
Spätestens seit 2012 ist klar, dass V-Mann Marschner eine zentrale Rolle im NSU-Komplex spielt. Seit 2012 wurde er zweimal an seinem aktuellen Wohnsitz Chur in der Schweiz vom Bundeskriminalamt befragt. Ohne Ergebnis. Und auch die Staatsanwaltschaft kam bislang nicht auf den Gedanken, bei den Schweizer Behörden ein Auslieferungsersuchen zu stellen.
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Siehe auch Marschners Dateien