Interview mit Bese Hozat – »PKK von der Terrorliste«

Bese Hozat: »Mit Beginn des Frühlings sind die Voraussetzungen für die Guerilla günstiger geworden. So ist es selbstverständlich, dass ihre Tätigkeiten zunahmen. Ab jetzt werden die Bedingungen noch besser. Also werden die Aktionen sich verstärken«
Erstveröffentlicht: 
21.05.2016

Über die mörderische Politik des türkischen Staates gegen die Kurden, über den Widerstand der Guerilla und die Rolle Europas sowie der Linken dort. Interview mit Bese Hozat

 

 Seit Ankara im Juli 2015 endgültig den »Friedensprozess« mit der kurdischen Befreiungsbewegung rund um die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) aufgekündigt hat, führt die Türkei einen erbarmungslosen Feldzug gegen die Stadtbevölkerung im Südosten des Landes: Diyarbakir-Sur, Cizre, Nusaybin, Silopi. Kurdische Städte wurden durch Panzer- und Artilleriebeschuss fast vollständig zerstört, Hunderte Zivilisten starben.

Es bildeten sich zivile Selbstverteidigungseinheiten (YPS), die zusammen mit dem bewaffneten Arm der PKK, den Volksverteidigungskräften HPG, militärisch gegen Polizei und Militär der Türkei vorgehen. Der Journalist Peter Schaber vom Blog Lower Class Magazine hat im nordirakischen Kandil-Gebirge die Kovorsitzende des Exekutivrats der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK), Bese Hozat, getroffen. Sie ist mit Cemil Bayik der hochrangigste Vertreter dieses aus der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hervorgegangenen Dachverbandes. Er vereint alle an der Weltanschauung des als PKK-Chef inhaftierten Abdullah Öcalans orientierten kurdischen Parteien und Verbände in der Türkei, dem Irak, Syrien und dem Iran. Hozat stammt aus der ostanatolischen Region Dersim und gehört der alevitischen Glaubensgemeinschaft an. Sie schloss sich 1994 der PKK an, in deren Frauenguerilla sie später als Kommandantin kämpfte. Schaber sprach mit ihr über den Krieg des türkischen Staates gegen die Kurden und deren zivilen und militärischen Widerstand. Hozat forderte dabei eine Korrektur der Politik von den USA, der EU und Deutschland den Kurden gegenüber. (jW)

In den vergangenen Monaten gab es massive Attacken des türkischen Staates auf die kurdische Bewegung. Gleichzeitig kündigt er an, man werde weder Gespräche mit der PKK führen, noch mit den militärischen Operationen aufhören. Welche Strategie verfolgt Ankara?

Der türkische Staat betreibt eine Politik des Genozids an den Kurden. Die Entscheidung dafür fiel im September 2014. Ein »Niederschlagungsplan« wurde anschließend der Presse präsentiert. Am 30. Oktober 2014 beschloss man im Nationalen Sicherheitsrat den totalen Krieg. In der Zeit danach wurde der »Niederschlagungsplan« Schritt für Schritt umgesetzt.

In der Folgezeit gab es gezielte Übergriffe auf demokratische Strukturen. Gleichzeitig fand in kurdischen Städten eine große Verhaftungswelle statt. Vielerorts kam es zu Angriffen auf die Guerilla. Seit 2015, nachdem am 5. April die Gespräche mit der Führung (gemeint ist der auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan, P. Sch.) abgebrochen worden waren, wurden diese Attacken heftiger. Am 24. Juli ließ die Regierung umfangreiche Luftangriffe fliegen. Es folgte im Oktober in Ankara ein großes Massaker, 103 Menschen verloren dort ihr Leben, zahlreiche Menschen wurden verwundet.

Die heutige Regierung führt seit Jahren einen Genozid an Kurden durch – letztlich steht sie da in einer 100 Jahre alten Tadition. Allerdings gab es phasenweise einen Dialog mit der PKK. Doch der Staat fand kein richtiges Konzept, um eine politische Lösung des Konflikts zu erreichen – jedenfalls keines, dass die Rechte der Kurden anerkennt. Die Schritte, die er in diese Richtung machte, dienten dazu, die Bewegung hinzuhalten. Langsfristig wollte er sie – und damit die PKK – auslöschen sowie die Werte annullieren, die sich die Kurden durch ihren Kampf geschaffen hatten. Sogar der Dialog, der unter dem Namen »Friedensprozess« (ab Winter 2012, P. Sch.) stattfand, war ein Versuch der Vernichtung. Ankara wollte den Kampfes- und Widerstandswillen brechen. Während dieser gesamten Zeit führte die AKP innerhalb des Staatsapparats einen Plan zur Erweiterung ihrer Macht und zur Erlangung der totalen Herrschaft über den Staat durch. Den »Friedensprozess« nutzte die Partei für ihre eigenen Interessen. Denn sogar während der Verhandlungen wurden die Kriegsvorbereitungen fortgesetzt. In Kurdistan wurden sehr viele Polizei- und Militärstationen gebaut. Das Dorfschützersystem (paramilitärische Verbände im Kampf gegen die PKK, P. Sch.) wurde umgestaltet. Es wurden zahlreiche Straßen gebaut, die militärischen Zwecken dienen.

Gleichzeitig machten die Kurden große Schritte, was ihre Organisierung in Kurdistan und den Aufbau eines demokratischen Autonomiesystems betrifft. Im Norden Syriens, im heutigen Rojava, fand eine Revolution statt. Dort wurde ein demokratisches Kantonsystem geschaffen. Gegen den IS wurde unter der Führung der YPG (der Volksverteidungseinheiten, P. Sch.) und der syrischen demokratischen Kräfte ein großartiger Kampf geführt. Und das brachte die AKP in Schwierigkeiten, machte ihr Angst. Denn Daesch (»Zwietracht säen«, eine abfällige Bezeichnung für den IS, P. Sch.) war ihr strategischer Verbündeter. Beide vertreten dieselbe Ideologie. Die Errungenschaften in Rojava inspirierten die Kurden in Nordkurdistan (Ostanatolien in der Türkei, P. Sch.). Das führte auch in Bakur zu einer erfreulichen Entwicklung des Kampfes um Freiheit und Demokratie. All das störte den türkischen Staat, vor allem aber die AKP. Um diese Errungenschaften zu beseitigen und die PKK zu schwächen, beschlossen sie den totalen Krieg und den Völkermord.

Seitdem die AKP-Regierung ihre Angriffe begonnen hat, beobachten wir verschiedene Formen des Widerstandes, angefangen bei dem der Jugend in den Städten. In letzter Zeit nehmen auch Aktivitäten der Guerilla zu. Gehen ihre Einheiten bereits mit voller Kraft in diesem Kampf?

Gegen die Politik des Staates leisteten die Kurden in den Städten Widerstand, sie erklärten ihre Autonomie. Da die Guerilla sich im Winter nicht so gut bewegen konnte, führte sie zunächst nur wenige Aktionen durch. Der Kampf nahm eher die Form des Volkswiderstands, des Widerstands der Jugend, ihrer Selbstverteidigung an. Mit Beginn des Frühlings haben sich die Wege auch für uns geöffnet, die Voraussetzungen sind für die Guerilla günstiger geworden. So ist es selbstverständlich, dass unsere Tätigkeiten zunahmen. Ab jetzt werden die Bedingungen noch besser. Also werden die Aktionen sowohl auf dem Land als auch in den Städten sowie in türkischen Metropolen sich verstärken. Parallel dazu wird natürlich der Volkswiderstand überall stärker fortgesetzt. Wir haben beschlossen, den Kampf in Nordkurdistan sowie in der Türkei zu intensivieren und zu radikalisieren.

Gibt es eine Koordination zwischen der Guerilla und den zivilen Selbstverteidigungskräften YPS, die in den Städten aktiv sind? Oder handeln letztere autonom?

Die YPS ist eine lokale Jugendorganisation zum Zweck der Selbstverteidigung. Das Wesentlichste ist ihre Art der Organisierung: durch das Volk selbst, durch die Jugend. Selbstverständlich unterstützen wir das. An unserem Volk werden Massaker verübt. In Cizre wurden etwa 400 Menschen ermordet – bei lebendigem Leibe verbrannt. In Sur waren es ungefähr 100 Zivilisten, die das gleiche Schicksal erlitten. Vielerorts in Kurdistan – zum Beispiel in Hezex, in Nusaybin – wurden Massaker begangen. Das geschah auch in Kerboran, in Sirnak, in Hakkari. In ganz Kurdistan finden Angriffe, Massaker, Verhaftungen sowie Folter statt. Leichen werden geschändet. Solche Greueltaten, solche Verbrechen gegen die Menscheit, solche Kriegsverbrechen werden von der AKP und dem türkischen Staat begangen.

In dieser Situation kann es nichts Legitimeres geben als die Selbstverteidigung durch das Volk. Aus diesem Grund unterstützen wir natürlich seinen Widerstand, den Kampf der Jugend. Wir koordinieren sie allerdings nicht direkt. Sie treffen ihre eigenen Entscheidungen, sie kämpfen selbständig. Zudem ist auch der Kampf der demokratischen Kräfte in der Türkei sehr wichtig. Der Faschismus wendet sich nicht allein gegen Kurden, sondern gegen alle demokratischen Kräfte im Land, alle sozialen Gruppen verschiedener Volksgruppen, Kulturen und Glaubensrichtungen.

 

 Sie haben bereits vor einigen Tagen erwogen, es könne ein Wahlbündnis zwischen der Republikanischen Volkspartei (CHP), der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und kleineren Parteien geben. Ist ein solches Bündnis angesichts der staatstreuen Politik der CHP überhaupt möglich. Immerhin hat die Partei kürzlich der Aufhebung der Immunität von HDP-Abgeordneten zugestimmt.

Innerhalb der CHP hat der linke, der sozialdemokratische Teil immer noch keine hegemoniale Position erlangt. Ihre Politik steht größtenteils unter dem Einfluss einer laizistisch-nationalistischen Tendenz. Ihre Haltung in der Immunitätsfrage, in der sie die AKP unterstützt, ist eine Folge davon. Aber das ist ein Kampf. Also beziehen sich unsere positiven Analysen auf die linken, sozialdemokratischen Kreise innerhalb der CHP. Die aktuelle Politik der Partei finden wir falsch, wir kritisieren sie dementsprechend.

Die AKP hat einen faschistischen Block geschaffen. Das sind keine Angriffe, die die AKP als eine Partei im Alleingang durchführt. Es existiert eine Koalition faschistischer, nationalistischer Kräfte, die aus der AKP, der MHP (Partei der nationalen Bewegung, P. Sch.) und den laizistischen Nationalisten besteht. Gegen diesen Pakt gilt es in Kurdistan und in der Türkei ein breites demokratisches Bündnis zu schaffen. Würde unter der Führung eines solchen Blocks ein Kampf um Demokratie geführt, fiele der faschistische Pakt auseinander. Aus diesem Grund halten wir das Bündnis demokratischer Kräfte für essentiell. Wir streben es an.

Gerade für den parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Kampf sind die Bedingungen schlechter denn je: Keine Presse- oder Versammlungsfreiheit, das Parlament wird in seinen Rechten beschnitten. Wenn in Städten wie Diyarbakir Menschen friedlich und ohne Waffe demonstrieren, riskieren sie, erschossen zu werden. Wie kann unter diesen Bedingungen zivilgesellschaftlicher und parlamentarischer Widerstand geschaffen werden?

 

Nur dann, wenn man sich der AKP nicht unterwirft und ihre Politik ablehnt. Es gibt keine andere Möglichkeit. Denn diese Partei möchte mit ihrer Politik den Willen der gesamten Gesellschaft brechen. ­Jeder, der sich ihr ergibt, ist verloren. Und derjenige, der kämpft, gewinnt. Der einzige Weg, die AKP zu besiegen und einen Raum für demokratische zivilgesellschaftliche Politik zu schaffen, führt über einen permanenten radikalen Kampf, der in allen Lebensbereichen stattfindet: militärisch, in der Bevölkerung, in der politischen Sphäre, in den Medien, an den Universitäten, in der Kunst – einfach überall.

Das Ringen um Demokratie und Freiheit ist das einzige Mittel gegen Faschismus. Nun, wir führen diesen Kampf mit Erfolg. Wenn die Kurden gegen diese faschistische Politik keinen Widerstand leisten würden, wenn die HDP und die demokratischen Kräfte keinen Widerstand leisten würden, dann wäre die Türkei jetzt in einem noch schrecklicheren Zustand. Sie ähnelte dann Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Syrien oder dem Irak – also Staaten, in denen Bürgerkrieg herrscht.

Erdogan (der türkische Präsident, P. Sch.) versucht, in der Türkei das Sultanat erneut einzuführen und so die osmanische Tradition wiederzubeleben. Und er möchte das Land wie ein Sultan regieren. Aus diesem Grund zwingt er der Bevölkerung unter dem Namen des Präsidialsystems einen Regimewechsel auf. Er versucht ein diktatorisches, faschistisches, totalitäres Sultanat, das auf absolutem Gehorsam basiert, zu realisieren. Ein entschiedener Kampf gegen ein solches System ist unabdingbar. Erdogan und AKP haben eine völlig demokratiefeindliche Gesinnung.

Als Gegenkonzept zu Erdogans Neoosmanismus und zur Situation in der Region generell schlagen Sie ein Konzept vor, das nach Abdullah Öcalan »Demokratischer Konföderalismus« heißt. Wie würde ein Naher Osten aussehen, in dem eine solches Projekt umgesetzt wäre?

Der Nahe Osten ist keine Region, der so ein System fremd ist. Diejenigen, die sich mit der Geschichte des Nahen Ostens befassen, begreifen, dass es kein utopisches, sondern ein für die hiesige Gesellschaft bestens geeignetes System ist. Die Region lebte Jahrtausende, sogar zehntausend Jahre lang – man darf die vorsumerische Zeit nicht vergessen – sehr gemeinschaftlich. Auch nach der Entstehung des Staates, also in der nachsumerischen Zeit, führten viele Völker, zahlreiche soziale Gruppen Jahrhunderte lang als Stammeskonföderationen organisiert ein brüderliches Zusammenleben in Freiheit und Frieden. Selbst heute existieren noch mancherorts diese Stammeskonföderationen. Auch in Kurdistan ähnelt die Gesellschaftsstruktur dieser Tradition. Zum Beispiel hatte 1937/38 die Dersim-Region Kurdistans ein konföderales Stammessystem, welches neben dem heutigen Dersim (in Ostanatolien, P. Sch.) auch Erzincan und Teile von Sivas und Elazig (in Zentralanatolien, P. Sch.) umfasste. Diese Gebiete wurden auf der Basis bestimmter moralischer Regeln durch ein konföderales Stammes- und Rätesystem regiert. Man sieht, diese Art des Zusammenlebens ist den Menschen in der Region nicht fremd.

Außerdem weist der Nahe Osten – sowohl ethnisch als auch religiös – eine vielfältige Gesellschaftsstruktur auf. Es existieren verschiedene kulturelle Gemeinschaften nebeneinander. Jahrtausende lebten sie zusammen. Unser Paradigma eines demokratisch-konföderalen Systems beruht auf dieser historisch-kulturellen Realität. Es ist von ihr nicht weit entfernt. In der Zeit danach, vor allem ab dem 20. Jahrhundert, mit der Entstehung der nationalstaatlichen Systeme im Nahem Osten, entstand Chaos. Ein solches System ist nationalistisch und rassistisch zugleich. Es funktioniert, indem in ihm alle Identitäten bis auf eine verleugnet werden. Die anderen werden abgelehnt und vernichtet.

In der Türkei wurde ein Nationalstaat etabliert, der ausschließlich die türkische Identität anerkennt. Kurden und Christen wurden verleugnet, Armenier, Assyrer, Griechen, Lasen, Tscherkessen, Georgier – alle Identitäten wurden negiert und allein die Existenz von Türken anerkannt. Auf dieser Grundlage steht ein Verleugnungs- und Vernichtungssystem. So wird seit 90 Jahren eine Genozidpolitik an Kurden ausgeübt.

Unser demokratisches konföderales System verwirklicht einen Gesellschaftsentwurf, der sich aus der Kritik an der Nationalstaatlichkeit entwickelt. Wir denken, dass eine solche Struktur die Völker, ihre Kultur, ihre Geschichte, ihre Geographie vernichtet. Wir glauben, dass das demokratische konföderale System die beste Alternative dazu ist, die auch der Geschichte und Kultur der Region entspricht. Deshalb haben wir die große Möglichkeit, es ins Leben zu rufen. Das demokratisch-konföderale Gesellschaftssystem in Rojava ist das lebendigste Beispiel dafür. Zur Zeit leben dort Kurden, Türken, Araber, Turkmenen, Assyrer, Armenier, sogar Tscherkessen, Tschetschenen mit ihren eigenen Identitäten, Kulturen und Sprachen demokratisch und frei zusammen und regieren sich selbst. Es gibt keine Probleme.

In der Region sind nicht nur die PKK, die Türkei oder die anderen Staaten dort aktiv. Wie schätzen Sie die Rolle der USA, Russlands und der Europäischen Union, insbesondere Deutschlands, ein?

Diese Mächte haben nach wie vor keine konsequente Kurdenpolitik, die eine demokratische Lösung vorsieht. In jedem Land, in jedem Teil Kurdistans verfolgen sie eine andere, eine, die ihren Interessen entspricht. Das wiederum ist es, was sie alle gemeinsam haben. Das gilt für Russland, die USA und die europäischen Länder. Allerdings haben sie politische Methoden, die sich voneinander unterscheiden. Zum Beispiel die USA, vor allem nach dem Incirlik-Abkommen mit der Türkei (im Juli 2015 zur Nutzung der Luftwaffenbasis Incirlik, P. Sch.). Sie verschweigen die Genozidpolitik der AKP gegenüber den Kurden, ja, sie nehmen sogar in gewisser Weise eine zustimmende Haltung ein. Das gleiche gilt für die europäischen Staaten, allen voran Deutschland. Die BRD hat die AKP aktiv unterstützt und tut dies immer noch. Vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Kurden sind wütend über ihre Politik. Dass Erdogan seinen Genozid an Kurden so ungehemmt betreiben kann, liegt unter anderem daran, dass er dabei von Europa, besonders von Deutschland, und den USA ermutigt wird. Denn diese Länder nehmen eine Haltung ein, die eine solche Politik unterstützt. Vor allem Deutschland hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass die AKP bei den Wahlen am 1. November vergangenen Jahres 29,5 Prozent der Stimmen erhielt. Im Oktober hatte Merkel die Türkei besucht, Erdogan empfing sie in seinem Weißen Palast. Das war kurz vor den Wahlen und damit eine Unterstützung Erdogans und der AKP. Internationale Medien haben darüber berichtet, Merkel wurde dafür kritisiert. Von der europäischen Gesellschaft, von den demokratischen Kreisen und den Intellektuellen in Europa gab es Widerspruch. Ebenso in der Türkei. Merkel aber setzt diese Politik entschieden fort. Deutschland hat Erdogan und seinen gerade zurückgetretenen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu verwöhnt, zu ihrer Genozidpolitik gegenüber Kurden ermutigt.

Natürlich ist das keine schöne Situation. Auch in Deutschland leben Hunderttausende Kurden. Es wirkt sich negativ auf sie aus. Es leben insgesamt rund 40 Millionen Kurden auf der Welt, davon ungefähr 20 Millionen in der Türkei. Ihre Sprache ist verboten, ihre Kultur ist verboten. Das ist eine schreckliche Sache.

Diese Politik wird – wie gesagt – unterstützt. Das widerspricht den demokratischen Werten Europas. Die EU, die europäischen Länder beruhen auf demokratischen Werten. Das heißt mit Blick auf die Türkei: Sogar die Werte, auf denen ihr politisches Gemeinwesen beruht, treten sie mit Füßen und erklären es für nichtig.

Das, wofür die Kurden kämpfen, was sie von der Türkei, von der Welt einfordern, sind die auch von Europa anerkannten universellen Menschenrechte. Warum schließt Europa seine Augen davor? Es sollte seine Kurdenpolitik ändern. Der erste und wichtigste Schritt in diese Richtung ist es, die PKK von der Terrorliste zu entfernen. Das würde auch eine Demokratisierung der Türkei ermöglichen. Wenn die PKK von der EU, von den europäischen Staaten von der Terrorliste entfernt würde, müsste die Türkei Schritte einleiten, um die Kurdenfrage zu lösen. Solange die PKK auf der Terrorliste steht, gibt es keinen Weg zur Demokratie und stabilen politischen Verhältnissen. Bevor nicht die Kurdenfrage gelöst ist, wird es in der gesamten Region keine Stabilität geben. Ihre demokratische Lösung bedeutet die Etablierung von Demokratie und Frieden in der Türkei und den anderen Ländern der Region. Das wiederum würde ebenfalls Europa zugute kommen, denn die Destabilisierung des Nahen Ostens bringt eine Europas mit sich.

Durch die Erpressung mit Hilfe der Flüchtlingspolitik hat die Türkei Europa gewissermaßen als Geisel in ihrer Gewalt. Europa sollte wissen, dass die Flüchtlingskrise nicht durch die Unterstützung der türkischen Genozidpolitik, sondern durch die Demokratisierung der Türkei und durch eine demokratische Lösung der Kurdenfrage überwunden werden kann. Europa muss die AKP zu einer demokratischen Lösung der Kurdenfrage und zur Demokratisierung der Türkei bewegen. Und einer der ersten Schritte in diese Richtung ist die Entfernung der PKK von der Terrorliste. Wenn die europäischen Staaten und die USA in dieser Hinsicht eine radikale Haltung einnehmen und die PKK von der Terrorliste entfernen, ihre Kurdenpolitik also ändern würden, ließen sich die Flüchtlingskrise und das IS-Problem auch lösen.

Welche Unterstützung erwarten Sie von linken, revolutionären und demokratischen Kräften aus Europa?

Die größte Hilfe wäre erstens ein entschlossener Kampf gegen die Unterstützung der AKP durch die europäischen Staaten. Sie sollten diese Politik kritisieren und auf allen Ebenen dagegen eintreten. Ohne internationale Unterstützung könnte die AKP nicht so ungehemmt einen Völkermord an Kurden begehen. Die Unterstützung durch das Ausland spielt für die AKP eine wichtige Rolle, weshalb sie linke, sozialistische und demokratischen Kräfte verhindern sollten. In diesem Sinne haben wir an die europäischen Gesellschaften eine Erwartung. Diese Kräfte sollten über eine Politik, die die europäischen Werte missachtet, nicht schweigen. Sie sollten ihre Stimme erheben und ihren Kampf aufnehmen: Die PKK muss in Europa von der Terrorliste entfernt werden.