Stress auf dem Lande

Foto: Uwe Zucchi/dpa-Bildfunk
Erstveröffentlicht: 
22.03.2016

Hessen: Im Lumdatal terrorisieren Neonazis seit Wochen junge Linke

 

In ländlichen Gebieten Hessens bedrohen Rechte immer wieder Andersdenkende, nun erneut im Dorf Nordeck im Lumdatal nahe Gießen. Vor Jahren schon habe eine Clique einiger sogenannter Lumdatal-Nazis dort »Stress geschoben«, so ein 14jähriger Aktivist gegenüber junge Welt. Am Sonnabend berichtete er von einigen Einschüchterungsversuchen gegen junge Linke in den letzten Wochen, darunter abendliche »Streife«-Fahrten mit Autos, bei denen sich die Neonazis insbesondere nach ihm und einem seiner Genossen erkundigt hätten. Gegen letzteren seien sie 2015 bereits gewaltsam vorgegangen, hätten ihm die Hand gebrochen. Am 9. März habe dann ein Neonazimob von 15 Leuten vier Jugendliche aus dem Internat Burg Nordeck, wo auch Flüchtlinge wohnen, im nahegelegenen Einkaufszentrum bedroht, Einer der Rechten verwendete dazu eine Waffe. Abends seien sie vor der Burg aufgetaucht, Parolen wie »Ihr linken Schweine«, »Scheiß Zecken« oder »Wir kriegen euch« grölend. Eine Betreuerin des Schulprojekts sei als »Volksverräterin« betitelt worden, weil sie mit einem Geflüchteten im Auto gesessen habe. Die Leiterin der Einrichtung habe den Flüchtling daraufhin aus Sicherheitsgründen von der Schule beurlaubt. Freilich hätten Jugendliche sich Protesten in der Gießener Fußgängerzone gegen die AfD angeschlossen. Mitschuld aber treffe vielmehr »Menschen aus dem Dorf, die wegschauen«, ist der Aktivist überzeugt. Die Leiterin war dazu am Montag nicht zu erreichen.

Seit 2012 waren »Lumdatal-Nazis« in den Schlagzeilen, weil sie Wände und jüdische Grabsteine in der Region beschmiert und versucht hatten, Anwohner einzuschüchtern. In Internetauftritten und Pamphleten, die sie »Lumdatal-Stimme« nannten, verbreiteten sie Antisemitismus und Rassismus. Am 1. Mai 2013 attackierten sie das Hoftor der Allendorfer Bürgermeisterin Annette Bergen-Krause und starteten Drohanrufe. Danach hatten die aus der »Kameradschaft Division Mittelhessen« hervorgegangenen »Freien Nationalisten Lumdatal« im Internet ihre Auflösung bekanntgegeben. Jetzt sind sie wieder aktiv.

Jörg Bergstedt, Mitbegründer der anarchistischen Projektwerkstatt im nahegelegenen Saasen, hatte 2015 über Ärger berichtet. Damals war es zu einem Neonaziüberfall auf das linke Zentrum gekommen. Bilanz: Mehrere zerschlagene Fenster, eine mit einem Zweimeterbalken eingerammte Haustür, ein verwüsteter Innenhof. Auch seien Morddrohungen gegen ihn geäußert worden. Der zitierte 14jährige Antifaschist und einige seiner jugendlichen Genossen haben sich nun um Hilfe an »starke Antifabewegungen« im städtischen Raum gewandt, etwa in Frankfurt am Main. Möglicherweise könnten sie Ideen einbringen, um die dörfliche Linke zu unterstützen. Bergstedt hat dafür Verständnis. Zwar habe sich wegen des Erstarkens der rechten Szene ein »Netzwerk für Demokratie und Toleranz« gegründet, Kirchen, Grüne und SPD wirken mit. Leider sei das Bündnis aber völlig inaktiv, wenn Linke betroffen sind. Bergstedt findet: »Wir müssen mit Mitteln kontern, die dem dörflichen Umfeld entsprechen.« Denn man kenne sich. Er könne sich Aktionen vorstellen, bei denen Linke im Vorgarten der Rechten mit einem gedeckten Frühstückstisch auftauchten: »Hey Nazis, wir müssen reden!« Für die gebe es wohl kaum Schmerzlicheres, als ihre Vorurteile erschüttert zu sehen, meint Bergstedt. Zudem bemerkt er »gesellschaftlichen Wandel auf dem Land«: Flüchtlinge kämen etwa in die linke Projektwerkstatt, um zu diskutieren, da es sonst kaum andere Angebote gebe.

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Man kennt sich untereinander:

Anrufe bei den Familien der Neonazis, Anonyme Hinweise bei deren Arbeit-\Aubildungsbetrieben (mit Hinweis auf den geschädigten Ruf des Betriebs bei bekannt werden der dort beschäftigten Nazis), sowie Geburtstagsgrüße an der Hauswand mit bezug auf ihr politisches Profil haben bei uns im Dorf ein wrenig geholfen. Dazu natürlich eine gute Öffentlichkeitsarbeit und Schutz der eigenen Wohnstätten und Räumlichkeiten ggf. durch Kameras