In Berlin-Friedrichshain wiederholt sich eine Grundrechtseinschränkung, die in Hamburg juristisch und politisch bereits gescheitert ist
Bundesweit gab es große Aufmerksamkeit, als im Januar 2014 der Hamburger Bürgermeister Teile der Innenstadt zur Gefahrenzone erklärte. Bald stritten sich Juristen über die Verhältnismäßigkeit.
Aus Sicht der Politik war die Maßnahme trotz aller Erfolgsmeldungen eher kontraproduktiv.Große Teile der Bewohner, die von den Einschränkungen im Gefahrengebiet betroffen waren, solidarisierten sich mit der linken Szene - und bald wurde eine Klobürste zum Symbol des Widerstands gegen Freiheitseinschränkungen.
Als dann im Mai 2015 das Hamburger Oberverwaltungsgericht die gesetzliche Grundlage der Gefahrengebietsverordnung für verfassungswidrig erklärte, weil sie "gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" verstoße, hätte man denken können, dass sich das Instrumentarium der Gefahrenzonen damit auchin anderen Städten erledgt hat.
Doch seit einigen Monaten wiederholt sich das Prozedere in einem Teilgebiet im Nordkiez des Berliner Stadtteils Friedrichshain. Dort gab es im kurzen Sommer der Anarchie am Ende der DDR 1990 besonders viele Hausbesetzungen. Die Wände dieser Häuser sind noch heute bunt, es hängen Transparente aus den Fenstern und die Lokalitäten bieten Getränke zu sehr fairen Preisen an.
In fast allen diesen Häusern sind die Wohnverhältnisse längst legalisiert, besetzt sind eigentlich nur noch einige Wohnungen in der Rigaer Straße 94. Dieses Haus war am 11. Januar 2016 zum Ziel einer Polizeirazzia geworden, nachdem einige Stunden zuvor in der Nähe ein Polizist zu Boden gestoßen worden war.
Im Anschluss an diese Razzia zog sich die Polizei aber nicht zurück, sondern blieb im Stadtteil präsent. Vor allem um die Häuser mit den bunten Wänden standen sie besonders massiv. Immer wieder kam es zu Einsätzen, etwa wenn aus einem Lautsprecher aus einen Fenster polizeikritisches Liedgut erschallte. So war in den Tagen nach der Razzia offen sichtbar geworden, was schon Wochen zuvorpraktiziert wurde. Die Gegend war zu einem Gefahrengebiet geworden, wo bestimmteGrundrechte außer Kraft gesetzt wurden.
Die Berliner Piratenpartei hat sich auf parlamentarischer Ebene besonders deutlich gegen diese Maßnahmen ausgesprochen.
"Der permanente, kaum einzuschätzende Ausnahmezustand zermürbt die Anwohner und gleicht einem Ausnahmezustand wie in Kriegszeiten. Dauerhafte, intransparente Gefahrengebiete darf es in Berlin nicht geben. Die Härte, mit der Innensenator Henkel diesen Einsatz durchführen lässt, deutet auf eine Instrumentalisierung zum vorgezogenen Wahlkampf hin", erklärte der Landesvorsitzende der Berliner Piraten Bruno Kramm.
Dass die eher glücklose Berliner CDU mit dem Law-and-Order-Themen im Wahlkampf punkten will, ist auch die Kritik der Bezirksgruppe Friedrichshain der Berliner Mietergemeinschaft. In der Erklärung heißt es:
"Seit Monaten schon herrscht der Ausnahmezustand in der Gegend rund um die Rigaer Straße. Insbesondere an Wochenenden fahren hier die Polizeiwannen minütlich durch die Straßen, so dass die BVG angesichts der Taktfolge vor Neid nur erblassen könnte… Die Leidtragenden dieses außergewöhnlichen Spektakels sind die Anwohner Friedrichshains.
In fadenscheinig begründeten und rechtsstaatlich fragwürdigen "Gefahrengebieten" – wegen "Anstieg der linksextremistischen Gewalt" – werden Bürgerrechte ausgehebelt und ganze Nachbarschaften durch die Polizei in Angst und Schrecken versetzt. Ob auf dem Weg zum Supermarkt, zur Arbeit oder zur Kneipe – Anwohner und ihre Gäste werden wahllos von der Polizei kontrolliert, teils mehrfach am Tage. Häufig dürfen sie sich nicht ohne polizeiliche Begleitung frei in ihrem eigenen Viertel bewegen. Hausprojekte und Mietshäuser wurden wiederholt ohne richterlichen Beschluss durchsucht und teilweise sogar Wohnungen von der Polizei aufgebrochen."
Doch die Erklärung der Berliner Mietergemeinschaft bleibt nicht bei einem allgemeinen Lamento über Grundrechtseinschränkungen und massiver Polizeipräsenz stehen. Dort werden auch die Hintergründe dieser Maßnahmen angesprochen, die eben nicht nur zu Wahlkampfzwecken eines CDU-Politikers sind. So heißt es in der Erklärung:
"Friedrichshain gehört seit Jahren zu den Bezirken, die von den höchsten Mietsteigerungen betroffen sind, die am meisten zu leiden haben unter dem ausufernden Tourismus und die von den sinnlosen energetischen Sanierungen und den Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen mehr als nur ein Lied singen können."
Tatsächlich sind diese Umwandlungen in großen Teilen des Stadtteils weit fortgeschritten. Auch in der Rigaer Straße wurden in den Monaten neue Häuser mit Eigentumswohnungen gebaut.Gleichzeitig schließen viele kleine Läden, weil sie sich die Besitzer die Mietpreise nicht mehr leisten können. So mutmaßen auch viele Mieter, dass mit dem Gefahrengebiet rund um die Rigaer Straße wohl einige Gentrifizierungsbremsen beseitigt werden sollen. Eine solche stellen die Häuser mit den bunten Wänden noch immer dar, auch wenn sie nicht mehr besetzt sind und sich die Radikalität in der Regel auf die Parolen auf den Transparenten beschränkt.
Ähnlich wie in Hamburg haben auch die Erfahrungen im Berliner Gefahrengebiet eher dazu geführt, dass die Mieter in den Häusern mit den bunten Wänden und die Mieter aus den Häusern mit den weißen Wänden die kulturellen Schranken überwinden. Fälschlicherweise wird immer die Unterteilung in Hausbesetzer und Mieter gemacht, die aber eben höchstens vor 25 Jahren gestimmt hat, aber den aktuellen Mietverhältnisse in den Häusern nicht mehr gerecht wird.
In den letzten Wochen gab es verschiedene Treffen, wo sich die so unterschiedlichen Nachbarn austauschten. Es ging dabei um rücksichtsloses Verhalten, wenn die einen laute Musik im öffentlichen Raum hören, während die anderen schlafen wollen. Es ging auch um fragwürde politische Aktionen, in die unbeteiligte Nachbarn wider Willen mit hineingezogen wurden. Es ging aber auch um die Frage, wie es gemeinsam gelingen kann, der Gentrifizierung Grenzen zu setzen. Dabei ist vielen Mietern bewusst, dass die bunten Häuser bei aller Kritik eine reale Gentrifizierungsbremse waren. Die Nachbarschaftstreffen sollen fortgesetzt werden. Mittlerweile planen Anwohner auch juristisch gegen die Verordnungen zum Gefahrengebiet vorzugehen.
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