Am heutigen Donnerstag fand am Landgericht Rostock der 1. Prozesstag nach einem Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete in Groß Lüsewitz (Landkreis Rostock) im Oktober 2014 statt. Den beiden mutmaßlichen Tätern Thomas Hocke und Florian Hillner wird unter anderem versuchter Mord vorgeworfen.
Was war passiert?
Gegen 00:40 in der Nacht zum 12. Oktober 2014 haben die Täter zwei zu Molotowcocktails umfunktionierte Bierflaschen auf ein seit Beginn des Jahres auch als Asylunterkunft genutztes Wohnhaus geworfen. Etwa 40 Geflüchtete, 8 Familien, lebten dort zum Zeitpunkt des Anschlags in den oberen Etagen, zwei weitere Mietparteien im Bereich darunter. Aufgrund von Renovierungsarbeiten war das Gebäude zum Tatzeitpunkt mit Baugerüsten versehen. Eine Flasche prallte am Baugerüst ab und blieb bis zum Eintreffen der Polizei lodernd am Boden liegen, die andere zerschellte an der Häuserwand und setzte dort den Fenstersims und das Kunststofffenster in Brand. Durch einen Knall aufgeschreckt, alarmierte eine Bewohnerin eine Helferin, nachdem sie Brandgeruch wahrgenommen hatte. Das Feuer breitete sich glücklicherweise nicht aus, Menschen wurden nicht verletzt. Hätte das Baugerüst nicht gestanden, wäre eine der Flaschen direkt durch das Fenster geflogen.
Groß Lüsewitz liegt etwa 15 Kilometer von Rostock entfernt und hat 850 Einwohner*innen. Bei einer Versammlung zwei Monate vor dem Einzug der Geflüchteten machten einige Einwohner*innen deutlich, was sie davon hielten: nämlich gar nichts. Lautstark und aggressiv hetzten sie gegen die Schutzsuchenden und beschwerten sich mal über vorgenommene Renovierungsarbeiten, mal über die späte Information durch den Landkreis. Anwesend waren auch der aus dem Umfeld der Nationalen Sozialisten Rostock stammende Daniel Fiß, früher aufstrebender JN-Aktivist, jetzt eher „identitär“ mit seinem Projekt „Kontrakultur“ oder auf Antifaschist*innen in Wien einschlagend unterwegs, sowie Stefanie Röhr, NPD-Kreistagskandidatin für den Landkreis Rostock, nebst Ehemann Hans Heinrich. Ihnen gegenüber standen aber auch von Beginn an aufgeschlossene und engagierte Einwohner*innen.
Die aggressive Stimmung wurde in der Folge auch in die Tat umgesetzt: Im Dezember wurde „Der Block wird brennen“ an das Haus geschmiert, kurz darauf „Dass Deutsche Volk geht vor, Ausländer nein Danke wir haben genug“ [sic!]. Mittlerweile hat sich ein gut funktionierendes Helfer*innen-Netzwerk gebildet, das die Geflüchteten unterstützt. Die Aggressionen indessen gingen weiter: So wurden u.a. die Reifen an gespendeten Fahrrädern zerstochen. Der Brandanschlag stellt den traurigen Höhepunkt der Aggressionen gegen die Geflüchteten dar.
Die Ermittlungen
In einem Artikel der Zeit wird das Vorgehen der Ermittlungsbehörden recht detailliert beschrieben. Tatsächlich scheinen sich die Cops in diesem Fall – mit Blick auf die Vielzahl unaufgeklärter rassistischer Anschläge und Übergriffe – einmal Mühe gegeben zu haben: Unverzüglich wurden mögliche Zeug*innen befragt, ein erster Verdächtiger festgenommen. Er war schon früher gewalttätig geworden, hatte u.a. eines der Kinder aus der Unterkunft geschlagen. Er konnte ein Alibi vorweisen und wurde wieder frei gelassen. Weitere Ermittlungen führten zunächst ins Leere. Die Ermittler setzen eine Belohnung von 3.000 Euro aus, erneut befragte Zeug*innen bringen Namen ins Spiel, eine Telefonüberwachung wird angeordnet. Diese führt die Cops zu den Tätern. Am 14. August 2015 wird ein Haftbefehl gegen Thomas Hocke erlassen. Ein Freund Hockes versuchte zuvor, ihm ein falsches Alibi zu verschaffen, verstrickte sich aber in Widersprüche. Er sitzt seitdem in der JVA Waldeck. Florian Hillner wird am 21. August in die JVA Bützow gebracht.
Erschreckend bleibt dennoch, wie lange es gedauert hat, bis sich Menschen dazu entschließen konnten, die Namen der Täter preiszugeben.
Der 1. Prozesstag
Nun hat heute der 1. Prozesstag gegen die beiden begonnen. Ihnen wird neben versuchter schwerer Brandstiftung auch versuchter Mord vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft begründet dies damit, dass die beiden davon ausgehen mussten, dass die Bewohner*innen zum Tatzeitpunkt schliefen. Sie hätten zudem keine Warnung abgegeben und auch nichts über etwaige Fluchtwege im Haus gewusst. Durch die Brandanschläge in Mölln, Solingen und Lichtenhagen konnten sie um die mögliche tödliche Konsequenz ihres Handelns wissen.
Den Vorsitz führt Richter Goebels, der bereits aus dem Altermedia-Prozess gegen Axel Möller und dem Thiazi-Verfahren bekannt ist. Außerdem ist er vorsitzender Richter im Prozess gegen den Rostocker Antifaschisten Schubi. Außer der Staatsanwältin gibt es noch zwei Nebenkläger*innen, Bewohner*innen des Hauses, die u.a. vom NSU-Nebenklageanwalt Peer Stolle vertreten werden.
Mit Ordnern vor dem Gesicht erschienen die beiden Angeklagten im Gerichtssaal. So bedeckt hielten sie sich bei anderen Gelegenheiten nicht: Beide nahmen am NPD-Aufmarsch am 01. Mai 2014 in Rostock teil ([1] – Hocke mit schwarzer Adidas-Jacke, vor ihm: Alexander Kevin Meeder, ein Naziaktivist aus Schleswig-Holstein, links davon in grauer Jacke Hillner; [2] und [3], hinter ihm wiederum, mit schwarzen Haaren und Sonnenbrille, Stefanie Röhr); Hocke war außerdem beim jährlichen „Trauermasch“ der Nazis am 08. Mai 2014 in Demmin ([1], [2] und [3]). Vor Gericht schienen die beiden heute angesichts der ihnen vorgeworfenen Tat dennoch recht entspannt, schmunzelnd antwortete Hocke auf die Nachfragen des Richters zu seiner Person. Vielleicht möchte er einen guten Eindruck hinterlassen, denn gestanden hat er seine Beteiligung bereits. Er hat den ermittelnden Behörden gegenüber jedoch zu Protokoll gegeben, er hätte lediglich ein Zeichen setzen und seinem Ärger über das Vorgehen des Landkreises Luft machen, nicht jedoch die Geflüchteten gefährden wollen. Hillner streitet eine Tatbeteiligung ab.
Beide wollen sich am kommenden Verhandlungstag zu den Vorwürfen einlassen.
Nächste Prozesstermine:
15.02.2016, Landgericht Rostock, Erdgeschoss, 09:30 Uhr
17.02.2016, Landgericht Rostock, Erdgeschoss, 09:30 Uhr
22.02.2016, Landgericht Rostock, Erdgeschoss, 09:30 Uhr
Update
witere Bilder von Thomas Hocke: