Nach ihrem Erstlingswerk „Der Friedort der Revolutionäre“ hat das autonome anarchistische Autor*innenkollektiv „die Kinder des Krieges“ nun nach kurzer Zeit ein weiteres Buch veröffentlicht. In „ES - Streifzüge durch die alte Welt“ geht das Autor*innenkollektiv auf eine situationistische Reise durch Momente, Klischees und Metaphern einer gegenwärtigen Welt der existenziellen Zerstörung, in der „die Katastrophe der Ausweg aus der Katastrophe geworden“ ist.
Vielleicht ist die Anleihe des Titel des Buches „ES“ nicht ganz zufällig gewählt. Die des Horror-Genre kundigen dürften sich schon beim Titel postwendend an Stephen Kings Werk „Es“ erinnert fühlen. Stephen King beschrieb Es als ein Psychomonster, das zumeist in der Figur des Clowns Pennywise erschien und Kinder jagte, verängstigte und tötete. Es konnte aber auch das Gewand der jeweils größten Ängste der Kinder annehmen. ES ist also ganz schön psycho.
Ohne den expliziten Bezug zu Stephen King beschreiben die Kinder des Krieges in „ES“, anhand von realen Situationen, Metaphern und Bildergeschichten das Primat der Praxis der bestehenden herschaftsförmigen Welt, wie wir sie heute vorfinden. ES taucht hierbei literarisch als das Primat der Praxis auf, das als Primat der Zerstörung eine Konstitutionsbedingung menschlicher Existenz ist: „ES ist die Erkenntnis, dass wir heute verrückt werden würden, wenn wir zur Empathie fähig wären, wir es zur Verdrängung sind.“
Das Buch „ES“ ist dabei aber mehr ein leicht geschriebener Rundumschlag am Bestehenden - ES ist das ganze Drama der Existenzphilosophie, wo die Zerströrung der Wirklichkeit als Zwang, Gewalt und Unterwerfung auf die nackte Existenz trifft, indem ES in Gestalt des geschundenen, versehrten Lebens in Situationen der Grenzerfahrungen auftaucht. Hier als Kind, das in Afrika verhungert, dort als der Blues, die geschunde Seele metropolitanen westlichen Lebens.
Im philosophischen Teil des Buches erläutert das Autor*innenkollektiv ihre Philosophie vom Primat der Praxis als Ausgangslage politischen Handelns aber nicht bloß negativ, also nicht ausschließlich als Kritik an der „existenziellen Zumutung“ des Bestehenden, sondern auch als eine ontologische Gesetzmäßigkeit, das ein Ausgangspunkt und die unverhohlene Drohung wird, innerhalb der Zerstörung mit einer anderen Praxis anzusetzen: „Dass ein freies Leben alles Denken überhaupt erst praktisch beweisen wird, darf der Trost der Verkopften sein“. Klare Ansage. Methodologisch dürfte diese sehr eigenwillige, praktische Beweisführung logischerweise zu einer anderen Praxis auffordern. Aber auch das Autor*innenkollektiv selbst bleibt in diesem Buch auf der Ebene der Kritik am Problem verhaftet und beschreibt lediglich zum Ende des Buches - und allenfalls wieder nur in Skizzen - von Ausbruchsmöglichkeiten, zieht diese jedoch in den „Streifzügen“ nicht systematisch in die Überlegungen hinein. „ES“ bleibt also selbst als zeitgeschichtliche Dokumentation der Zerstörung auf der bloßen Ebene der radikalen Gegenwartsbeschreibung und -kritik stehen. Das Buch „ES“ hinterlässt somit als Frage die große Leerstelle dieser Zeit, das wie ausbrechen und wohin? Die anarchokommunistische Frage bleibt als Folge auch nur als Fluchtlinie stehen: „Vielleicht wird es einst möglich mit Ruhe, Abstand und etwas Zeit in der Gänze zu begreifen, in welche Katastrophe die Menschheit da geraten war, was die Maschine wirklich mit uns gemacht hat, bevor wir sie zur Rettung unseres Lebens in kleinste Stücke schlagen mussten.“ Als wäre dieses Büchlein nur geschrieben worden um erneut die Frage des „Wie anders machen?“ in den Raum zu werfen. Und ohne Antwort zu belassen.
Die Kinder in Stephen Kings Horror Thriller zogen in den Untergrund, in die Kanalisation, um Es zu besiegen. Ein Unterfangen, dass sie aber erst als Erwachsene wirklich vollenden sollten. Bleibt zu hoffen, dass irgendwann ein weiterer „Club der Verlierer“, dem wir vielleicht alle angehören, spätestens als Erwachsene zurückkehren werden, um ES endgültig zu besiegen. Denn, wie die Autor*innen ganz richtig erkennen, „nicht eine jugendliche Ungeduld drängt, sondern die einzige Natur, die uns geblieben ist: die soziale Natur der Katastrophe, deren Teil wir sind“.
Herausgeber: AlphaPi Verlegerkollektiv in Kooperation mit der Assoziation autonomer Autor*innen, Drucker*innen & Buchbinder*innen
Neuenburg am Rhein, Broschiert, 128 Seiten, 1. Auflage, Dezember 2015, 800 Stck.
In Berlin gibt es das Büchlein: Im Tempest in der Reichenberger Str.
In Hamburg: Im Schwarzmarkt
Online als Printversion erhältlich bei: Fire and Flames oder bei Black Mosquito
und als kostenloses PDF zum Download: auf der Seite des Autor*innenkollektives kinderdeskrieges.noblogs.org
Keiner hat mehr Angst vor Es
Die Distopie ist längst an die Stelle der Utopie getreten. Für Faschisten ist das nichts Neues, denn ihre Zukunftsentwürfe gründeten und gründen auf Ausschluss und Vernichtung. In der allgemeinen Katastrophe bieten sie den Leuten die absolute Steigerung der kapitalistischen Weltzerstörung an: Den Potlatsch des Todes, die ultimative Vernichtung von Leben. Heilserwartungen, wie noch unter den Nazis verbreitet, spielen bei gegenwärtigen Faschisten kaum mehr eine Rolle.
Was sollte man da als eine Praxis des Widerstandes formulieren? Natürlich, Widerstand ist ohne Alternative aber er wird das globale Blutbad nicht aufhalten.
Zu marginal sind jene Menschen, die sich zu Widerstand und Widerworten aufraffen. Und deswegen, so krude es klingt, liegt die Hoffnung in der Distopie, nicht der speziellen Distopie der Nazis, sondern in der allgemeinen Erwartung einer globalen Katastrophe dessen, was viele Zivilisation nennen.
Da, wo niemand mehr ein revolutionäres Subjekt auszumachen vermag, wird der Klimawandel für die Entfremdeten zu einer apokalyptischen Entlastungsfantasie: Möge wenigstens "Gaia" effektiven Widerstand leisten und diesen Planeten rösten, um ihn danach 300 000 Jahre in eine neue Eiszeit zu schicken. Jenseits der Apokalypse bleibt ein persistierendes Leben im Elend eines sinnbefreiten Spätkapitalismus, der sich als erstes Existential installierte und zugleich Ziel und Richtung verloren hat. In der Hitze werden wir in den hoch affektiv besetzten Erinnerungsräumen überwintern, die der Konsum uns überlässt, denn ausserhalb des Kapitalismus ist nichts mehr. Darauf einen Dujardin!
Düster, sehr düster !
schon ziemlich gruselige Aussichten,
aber erstens : kommts gerne mal anders, und zweitens : als mensch denkt.
die ganze Flüchtlingsthematik derzeit : abzusehen war es mit absoluter Sicherheit, doch ist das ganze in seinen Auswirkungen auch noch bis ins letzte auskalkulierbar ?
Für die Revolution, auch wenns es mal länger dauert !