Wann schaut die Welt auf diesen Ort? - Bericht aus #Presevo (Serbien)

Presevo

 Hier ein aktueller Bericht über die momentane Situation in Presevo (Donnerstagnachmittag, 15.10.2015). Zwar hat es die letzten Tage und Nächte kaum geregnet, die Überschwemmung ist weg und es sind viele Volunteers angekommen, trotzdem ist die Gesamtsituation weiterhin unverändert schlimm. Die Schutzsuchenden und Freiwilligen braucht dringend Unterstützung!

 

Es kommen jeden Tag 4000 bis 6000 Menschen mit dem Zug im mazedonischen Tobanovce an, laufen von dort einen schlammigen, nassen Weg ca. zwei Kilometer über die Grenze ins serbische Miratovac, um von dann dort mit dem Bus hierhergefahren zu werden. Fast alle kommen mit nassen Füßen in Presevo an. Hier wird noch immer versucht, trotz einiger unbestätigter Festnahmen der Mafiataxifahrer, die Ankommenden mit überteuerten Taxifahrten oder SIM-Karten abzuzocken. Wir haben mittlerweile einen Infopoint, an dem in verschiedenen Sprachen Warnungen über die Taxifahrer_innen gegeben wird und auch über die Prozedur im Registrierungscamp. Die Stimmung der Taxifahrer_innen wird aggressiver und sie haben Volunteers mehrfach Gewalt angedroht, wenn sie weiterhin Mafiagerüchte verbreiten würden.  

  

Die Infrastruktur baut sich zwar immer mehr aus, viele neue Volunteers (eine große Gruppe aus Stuttgart) sind gekommen und es gibt mittlerweile eine 24 Stunden kochende Küche, die sowohl die wartenden Menschen in der Kälte versorgt, als auch diejenigen die nach der Registrierung aus dem Camp kommen und auf die Busse warten. Wir drei machen jetzt nur noch nachts Schicht, weil tagsüber sehr viele Menschen und mehrere NGOs da sind und auch von anderen teilweise Essen verteilt wird, wohingegen sämtliche NGOs und fast alle Volunteers nachts schlafen. Wir kochen den ganzen Tag und die ganze Nacht durch und haben heute in 24h Stunden 2000 Euro (!) verkocht. Wir geben Essen und Chai in die Schlange und können ein paar Worte mit den Menschen wechseln. Dann kümmern wir uns um Notfälle, verteilen Decken, Kleidung (vor allem Jacken, Socken, Schuhe, weil die Menschen durch Schlammseen waten müssen). Die Verteilung läuft mittlerweile im Küchenzelt, weil viele der anderen Volunteers ähnlich wie die NGOs träge und inkompetent handeln.  

  

UNHCR und Rotes Kreuz lassen sich nach wie vor kaum blicken, es gibt nachts, wenn es am Nötigsten gebraucht wird immer noch nur ein bis zwei Ärzt_innen. Die Leute müssen stundenlang warten, bis sie in das Camp können, es gibt keine Sitzgelegenheiten und in den kalten Morgenstunden kollabieren die Menschen reihenweise vor Kälte, Erschöpfung und Verzweiflung, wegen Krankheiten, Alter oder Schwangerschaft. Es ist nachts so schwer auszuhalten! Der UNHCR bunkert die Decken und traut sich tagsüber nur ohne Weste aus dem Lager, „weil sie Angst haben von Anwohner_innen verprügelt zu werden“. Wir dürfen nicht ins Camp und die Polizei lässt Kranke oft nicht zum Arzt ins Camp, ein krankes Baby wurde nicht reingelassen. Erst nach langen Diskussionen wurden wir mit einer Familie mit einem schwerkranken Mann, der nicht mehr stehen konnte ins Lager gelassen und wir dann wieder rausgerissen, woraufhin er fast umgefallen ist. Die Menschen sitzen und stehen stundenlang uninformiert zwischen den vermüllten umgitterten Zugängen zum Camp. Die Trink- und Essensversorgung sowie auch die Verteilung von Klamotten und Decken liegen fast komplett bei uns. Es ist der kranke Wahnsinn! Wir finanzieren und versorgen gerade Tag und Nacht mit einer selbstorganisierten Küchencrew tausende Menschen, arbeiten die Nächte durch, schlafen kaum und kommen mit den vielen Menschen und den Mengen an Essen manchmal nicht hinterher. Die Menschen kommen meistens super hungrig und ausgekühlt aus dem Camp und wir fragen uns, was die ganzen NGOs dort mit den Leuten machen! Die Situation ist, wie an den anderen Grenzen und Camps auch, unglaublich entwürdigend und menschenverachtend. Die Leute werden wie Tiere von einem Gitterblock in den nächsten getrieben und dürfen das Gitter nur in seltensten Ausnahmen zum Pinkeln verlassen. 

  

Die Volunteers spalten sich gerade in selbstorganisierte und autoritätenhörige Leute. Zusätzlich gibt es gerade die Ansage unter den Volunteers, sich beim Youth Office und der neuen NGO Independent Volunteers Presevo registrieren zu müssen, was wohl eine serbische Spezialität ist. Wir verweigern bisher die Registrierung, werden aber permanent drauf angesprochen. Keine Registrierung kann Geldstrafe bedeuten und die Weigerung in unserem Fall den Auszug aus unserem Nachtlager im Youth Office, weil die sonst Probleme kriegen könnten. Dabei wollen wir mit den anderen Leuten im Küchenzelt einfach unkompliziert und direkt helfen, kochen, Klamotten verteilen und für die Menschen da sein - unabhängig von UNHCR, Polizei und egal wem. Vor allem überhaupt das alles machen, was wichtig ist anstatt wie die anderen Volunteers mit dem Drucken von Ausweisen und Westen für eine bescheuerte neue NGO beschäftigt zu sein und nachts schlafen zu gehen, wenn Hilfe am dringendsten gebraucht wird. Uns regt das alles unglaublich auf und wir sehen die einzige Möglichkeit momentan darin, einfach weiter selbstorganisiert ohne Registrierung weiterzumachen, solange es geht. 

  

Es gibt die Nachricht, dass das gesamte Camp in einer Woche bis spätestens zehn Tagen komplett umgebaut werden soll, sodass die Menschen nicht mehr mit dem Bus fahren und laufen müssen sondern aus Mazedonien mit dem Zug nach Presevo und vom Bahnhof direkt ins Camp kommen können, was die selbstorganisierten Strukturen hier stark beeinträchtigen oder zumindest umgestalten würde. 

  

Unsere Einschätzung ist, dass momentan viele Volunteers da sind, aber auch konstant welche gebraucht werden, besonders um die selbstorganisierten Strukturen wie die Küche (übrigens heißen wir „Revolutionary Independent Refugee Kitchen“) zu unterstützen. Noch wichtiger ist es jedoch gerade Öffentlichkeit für die Tatenlosigkeit des UNHCRs und des Roten Kreuzes und die unmenschliche Behandlung der Menschen hier herzustellen und Druck zu erzeugen. Es kann nicht sein, dass wir von den privat gesammelten Spendengeldern tausende Menschen versorgen müssen und die staatlichen Strukturen sich darauf stützen! 

Decken müssen endlich rausgegeben werden statt im Lager zu vergammeln! Wir wurden angepöbelt, weil wir einfach 60 Decken aus dem UNHCR Lager geholt haben, um sie an die jetzt frierenden Menschen zu verteilen. Essen muss konstant gesichert sein und vor allem auch ärztliche Versorgung, der politische Druck muss größer werden! Leider gehen gerade viele Volunteers hier auf Kuschelkurs mit den Autoritäten und nur wenig Medien berichten von den katastrophalen Zuständen hier (Bayerischer Rundfunk, 13.10.2015)

 

Gestern waren wir in Tabanohvce in Mazedonien, das 10 bis 15 km von hier entfernt ist. Dort kommen  die Menschen an und müssen nach Serbien laufen. Dort sieht es besser aus als hier, es gibt ein paar UNHCR- Zelte, Essen, Ärzte, alles aber auch sehr dreckig. Die Menschen scheinen dort nur 30min zu bleiben und laufen dann los. Gerade wird aber auch in Dimitrovgrad an der serbisch-bulgarischen Grenze Unterstützung benötigt. Hier  in Presevo wird es die nächste Zeit auch zunehmend kälter werden, am Wochenende sind Sturm und Regen gemeldet und es sollen noch 27 000 Leute hierher unterwegs sein. 

  

Wahrscheinlich bleiben wir noch zwei oder drei Tage, wenn wir wegen Nichtregistrierung nicht vorher verbannt werden... Wir sind alle grade ziemlich fertig, schlafen tagsüber ein paar Stunden und machen jede Nacht durch. Aber es macht hier Sinn!!! 

 

Wenn ihr spenden wollt oder euch diese Woche Autos anschließen wollt, die für mehrere Tage runterfahren, kontaktiert ihr am besten den SOS Konvoi in Wien oder die IHA Help. 

 
Aktuelle Infos findet ihr weiterhin unter:

Refugee Help Map (tägliche Updates von den Brennpunkten):

https://www.google.com/maps/d/viewer?mid=zddfRUtGScOc.kQBgTQcoV5FM&hl=en_US

 
SOS Konvoi (Hilfsgüter- und Freiwilligenkoordination; aktuelle Grenzberichte)

http://www.soskonvoi.com/

Bordermonitoring (Berichte und Dokumentationen von den verschiedenen Grenzen):

http://bordermonitoring.eu/

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update von der Ungarischen-Kroatischen Grenze aus Zakany Freitag 16.10. 23.00

 

es sieht so aus als wird heute der letzte Zug durch Ungarn fahren und die Grenze zwischen Kroatien-Ungarn soll wohl heute oder morgen geschlossen werden!