Mehr Verfahren gegen Reichsbürger

Erstveröffentlicht: 
14.08.2015

Fast 400 Ermittlungen wegen krimineller Vereinigung

 

Von Andreas Debski


Dresden. In Sachsen sind offenbar weit mehr Reichsbürger aktiv als das Innenministerium und das Landesamt für Verfassungsschutz eingestehen wollen: Eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Kerstin Köditz ergab jetzt, dass in den vergangenen drei Jahren gegen fast 300 Personen wegen Mitgliedschaft in und Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wurde. Gegen 84 weitere Beschuldigte dauern die Ermittlungen noch an, wie aus der Antwort von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) hervorgeht.


Die selbst ernannten Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht an. Stattdessen sehen sie das Deutsche Reich - meist in den Grenzen von 1937 - fortbestehen. Bekanntester Fall war die Hilfspolizei-Truppe DPHW, die in Sachsen ihren Schwerpunkt hatte. Bundesweit Schlagzeilen machte dieses Deutsche Polizei-Hilfswerk im November 2012 durch die eigenmächtige "Festnahme" eines Gerichtsvollziehers.


Über 60 Personen mehrfach straffällig


Neben den Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung listet das sächsische Justizministerium noch Dutzende weitere Vergehen von sogenannten Reichsbürgern und mutmaßlichen DPHW-Mitgliedern auf. Über 60 Personen wird vorgeworfen, sich mehrfach strafbar gemacht zu haben, in einigen Fällen gleich dutzendfach. Insgesamt stehen mehr als 50 verschiedene Straftatbestände im Raum, am häufigsten Nötigung (57 Mal). Weiter stechen Freiheitsberaubungen (17) sowie Bedrohungen und Erpressungen (13) hervor. Hinzu kommen sieben Körperverletzungen. Auch ein Hang zur Wirtschaftskriminalität, so Geldwäsche, ist erkennbar. Außerdem liegen mehrere Fälle der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor - klassische Staatsschutzdelikte. Mindestens eine Person soll unerlaubt eine Schusswaffe besessen haben.


Während der sächsische Verfassungsschutz wie auch das Innenministerium in der Reichsbürger-Bewegung "kein Beobachtungsobjekt" sehen sowie "keine Erkenntnisse über tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen" verorten können, weist der Thüringer Verfassungsschutz auf das Gefahrenpotenzial hin. In Erfurt heißt es ganz klar: Die "realitätsfernen Verlautbarungen der 'Exilregierung' dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier mit pseudojuristischer Akribie versucht wird, einen gesellschaftlichen Resonanzboden für rechtsextremistisches Gedankengut zu schaffen und teilweise personelle Überschneidungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen bestehen".


Köditz: Verbindung zu Rechtsextremen


Das sieht Köditz ähnlich: "Ausgerechnet unter denjenigen, die auf eigene Faust Polizei spielen und sich Phantasieuniformen angelegt haben, sind offenbar etliche Intensivtäter. Dieser Umstand muss als eine akute Warnung verstanden werden", macht die Rechtsextremismus-Expertin der sächsischen Linksfraktion klar. "In den vergangenen Wochen haben sich unter anderem in Freital, Meißen und Chemnitz neuerlich Bürgerwehren und Bürgerstreifen formiert. Verbindungen solcher Gruppierungen zur extremen Rechten liegen zum Teil auf der Hand." Gerade in Zusammenhang mit der Zunahme rassistischer Demonstrationen und Kundgebungen ergebe sich daraus ein erhöhtes Gefahrenpotenzial, warnt Köditz.

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