Naziangriff nach Solidaritätsdemonstration

Antira in Dresden

Wenige Stunden nach dem Ende einer großen und kraftvollen antirassistischen Demonstration in der Dresdner Friedrichstadt kam es zu einem Übergriff durch eine Gruppe von mindestens 30 rechten Hooligans auf abreisende Antirassistinnen und Antirassisten. Bei der nächtlichen Attacke wurde mindestens eine Person durch Schläge am Kopf verletzt. Erst als etliche bereits abgereiste Personengruppen wieder zurückkehrten, entspannte sich die Situation wieder.

 

Die sächsische Polizei sah sich Zeugenberichten zufolge auch nach drei Anrufen außerstande, Hilfe zu leisten. Trotz vorheriger Ankündigung hatte die Dresdner Polizei nach eigenen Angaben zu später Stunde keine größeren Kräfte mehr vor Ort, um das Lager vor etwaigen Übergriffen zu schützen. Die dem Angriff vorausgegangene Demonstration war zuvor abgesehen von zwei kleineren Rangeleien relativ störungsfrei verlaufen (Fotos).

 

Am frühen Abend waren etwa 2.500 Menschen aus Solidarität mit den auf der Bremer Straße in einem Zeltlager untergebrachten mittlerweile rund 800 Menschen auf die Straße gegangen. Anders als noch bei den Naziübergriffen am vergangenen Freitag, wurde die Demonstration ab dem Friedrichstädter Krankenhaus von behelmten Einsatzkräften begleitet und abgefilmt. Vom Bahnhof Dresden-Mitte setzte sich der Demonstrationszug in Richtung der neu geschaffenen Unterkunft in Bewegung. Die Befürchtung war, dass am Abend erneut Nazis versuchen könnten, sich vor dem Eingang des Zeltlagers zu versammeln.

 

Nach der Abschlusskundgebung auf dem Hohenthalplatz versperrte die Polizei kurzzeitig den Weg zur Bremer Straße und öffnete erst nach einer Viertelstunde die Straßensperre. Anschließend verblieben mehrere hundert Menschen in dem Bereich bis dann am späten Abend die übrig gebliebenen Aktivistinnen und Aktivisten von der Polizei mit Platzverweisen belegt worden und den Ort verlassen mussten. Zuvor war an einem Fahrzeug die Scheibe eingeschlagen worden nachdem immer wieder Nazis unweit des Lagers anhielten und anfingen, umstehende Menschen zu bedrohen.

 

Ebenfalls am Montagabend hatten sich rund 3.500 Anhängerinnen und Anhänger von PEGIDA zu ihrer wöchentlichen Veranstaltung auf dem Altmarkt gesammelt, um von dort über das Haus der Presse zum Sächsischen Landtag zu ziehen. Eingangs begrüßte Lutz Bachmann die Aussagen des scheidenden Lutherischen Landesbischofes Jochen Bohl, der unlängst eine schnellere Abschiebung abgelehnter Asylsuchender aus den Balkanstaaten gefordert hatte.

 

Unweit des Redaktionssitzes von Sächsischer Zeitung und Dresdner Morgenpost auf der Ostraallee skandierten sie immer wieder “Lügenpresse”-und “Wir sind das Volk”-Rufe, bevor es wieder in Richtung Altmarkt ging, wo die Veranstaltung mit dem obligatorischen Singen der Deutschland-Hymne gegen 20.30 Uhr beendet wurde. Die Polizei war am gestrigen Tag mit lediglich 177 Kräften im Einsatz, außer Verkehrseinschränkungen sei es ihren Angaben folge während des Demonstrationsgeschehens zu keinerlei Vorkommnissen gekommen.

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Eine kleine Geschichte zu einem weiteren unbedeutenden Abend in Sachsen.

 

Von j.frohburg

 

Es tut mir leid: es ist ein Polizeibericht geworden. Die Perspektive der Geflüchteten und die völlig unhaltbaren Zustände in diesem Zeltlager bleiben aussen vor.

Am Donnerstag wurde in der Bremer Straße in Dresden eine Zelt“unterkunft“1 für Geflüchtete eingerichtet. Seit Beginn der Arbeiten pöbelten „besorgte Bürger“ gegen DRK- und THW-Mitarbeiter_innen, es flogen Steine auf’s Gelände, Helfer_innen wurden beinahe überfahren. „Asylkritik“ auf Sächsisch. Am Freitag Abend demonstrierten Nazis vor der „Zeltstadt“ und es kam zu Übergriffen auf Antirassist_innen, die sich schützend vor die „Unterkunft“ gestellt hatten. Nazis warfen Gegenstände, mehrere Personen wurden verletzt.

 

Gestern war nun Pegida-Montag in Dresden. Wieder mobilisierten verschiedene Bündnisse nach Dresden, um die Geflüchteten vor dem rassistischen Mob zu bewahren. Eine antirassistische Demonstration weit abseits der Pegidaroute führte vom Bahnhof Mitte in die Nähe der „Unterkunft“, wo sich bereits nachmittags Antirassist_innen eingefunden hatten, um sie mit ihrer Anwesenheit zu schützen.

 

Der Abend verlief im Großen und Ganzen recht ruhig, größere Nazigruppen schafften es nicht in die Nähe der „Zeltstadt“. Nur einzelne Pöbeldeutsche zeigten Interesse an den anwesenden Unterstützer_innen, vor allem deren Lohnarbeitsverhältnissen und verschiedenen steuerlichen Fragen.

 

Während die antirassistische Demonstration sehr gut „bewacht“ war, war die Polizei nur mit einem Wagen vor der „Unterkunft“ präsent. Der Fokus der Polizei also der (in Sachsen) übliche. Erst mit Ende der antirassistischen Demonstration tauchten vor dem Zeltlager immer mehr Uniformierte inklusive des üblichen Zubehörs (Kamerawagen) auf. Schnell wurde klar, warum: Die Polizei versuchte tatsächlich eine Weile lang, die Antirassist_innen, die an der Demo teilgenommen hatten, daran zu hindern, zu der Gruppe von Antirassist_innen zu gelangen, die sich vor dem Lager aufhielt. Auf die Frage, warum man nicht dahin dürfe, erging folgende Antwort: Der Durchgangsverkehr solle gesichert werden. Erste Logik- und Argumentationsschwierigkeiten bei der Polizei: Denn die sicherte den Durchgangsverkehr durch eine Vollsperrung der Straße. Man solle sich aber keine Sorgen machen, denn wenn die Polizei voll sperre, kämen ja schließlich auch keine „Asylkritiker“ durch.

 

Nun wurde eine Kundgebung neben dem Eingang zum Zeltlager angemeldet. Die Polizei konnte die Menschen nicht mehr daran hindern, zu dieser zu gelangen und „sicherte den Durchgangsverkehr“ also erstmal nicht mehr. In dieser Zeit erschienen mehrfach Nazikleinstgruppen an der Unterkunft, fuhren meist in Autos vorbei und schauten sich alles genau an. Einige träumten wohl von der großen lonely-hero-story. Zuerst eine Karre mit Nazikennzeichen (1488) und Nazimukke. Die fuhr sehr langsam am Eingang vom Zeltlager vorbei. Jemand schlug mit einem Gegenstand auf eine Seitenscheibe des Fahrzeugs ein. Auch in Bezug auf das spätere Handeln der Polizei bekommt die Aktion eine besondere Brisanz. Später trauten sich tatsächlich noch zwei Nazis zu Fuß vorbei, die sich dann auch recht schnell wieder entfernen mussten. Leute rennen den Nazis ein Stück hinterher, nun schon mindestens 200 Meter von der Kundgebung vor der Zelt“unterkunft“ entfernt. Klar war: Neonazis hatten Interesse am Geschehen vor der „Unterkunft“ und beobachteten das. Zu welchem Zwecke, braucht hier – auch angesichts der Ereignisse vom Freitag – nicht erläutert zu werden.

 

Das war im Prinzip die Vorgeschichte, der Rest der Ehre gebührt denen mit den „verdächtig guten Jobs“. Das Folgende mag in der Einzelbetrachtung für sächsische Verhältnisse erstmal nicht aussergewöhnlich wirken, in der Gesamtschau aber handelt es sich um eine relativ gute Performance.

 

Situation gegen 23:30 Uhr also: Kundgebung vor der Asyl“unterkunft“, Gerenne abseits der Kundgebung, Blaulichtmilieu macht Fahrzeugparade auf der Bremer Straße und setzt dort eine Gruppe von sechs Personen fest, die sich gerade Richtung Tankstelle bewegte. Merke: die Polizei setzt Unterstützer_innen fest – die Nazis verziehen sich unbekannt. Der Anmelder der Kundgebung vor der „Unterkunft“, Jürgen Kasek, Landesvorsitzender der Grünen, ist zufällig der einzige Anwalt vor Ort und wird hinzugerufen. Erstaunliches wird offenbar: Die Polizei kann den Festgesetzten nichts vorwerfen, ausser den Aufenthalt an einem „gefährlichen Ort“. Die Polizei hatte es also geschafft, die gesamte Bremer Straße zu einem „gefährlichen Ort“ zu machen, einem Ort also, wo sie jede_n kontrollieren kann, weil an diesem Ort regelmäßig Straftaten begangen würden. Eine Straße, in der sich seit wenigen Tagen eine Flüchtlings“unterkunft“ befindet. Bis dato einzig bekannte Straftaten, auf denen die Einrichtung des „gefährlichen Orts“ beruhen könnte: Sächsische „Asylkritiker“ haben Helfer_innen angegriffen, Nazis haben Antirassist_innen angegriffen. Die Polizei setzt dieses Instrument ein, um Antirassist_innen zu kontrollieren. Polizeilogik, also wen überrascht’s. Aber schonmal ganz gut gemacht.

 

Nun ist also der Anmelder der Demo bei dieser Personalienfeststellung. Währenddessen löst die Polizei die Kundgebung auf, ohne dass sie mit dem Anmelder spricht. Der Anmelder erfährt davon erst später, als Kundgebungsteilnehmer_innen aufgeregt anrufen. Denn die Beamten setzen noch einen drauf und verteilen an alle Anwesenden einen Platzverweis, gültig bis 6 Uhr, für die gesamte Bremer Straße. Als der Anmelder zurückkehrt, ist nichts mehr zu retten: die Polizei hat bereits die restlichen Anwesenden verscheucht, keine 30 Menschen sind mehr in der Nähe. Immerhin bekommt man noch eine Begründung für die Auflösung der Kundgebung: die Polizei schätzte die Kundgebung als unfriedlich ein. Die gesamte Kundgebung sei unfriedlich gewesen. Weil eine Scheibe beschädigt wurde. Und Menschen abseits der Kundgebung rannten.2 Mütze ab im Schulhaus!

 

Es herrschte allgemeine Frustration, das – vorsichtig gesagt – anmaßende Auftreten des Einsatzleiters tat sein übriges. Der wollte offensichtlich Feierabend machen und beglückte die Anwesenden mit Sätzen. „Jetzt machen Sie doch nicht so einen Aufstand, lassen Sie uns das doch wie unter normalen Menschen klären.“ „Unter normalen Menschen klären“! So wie er vorher völlig „normal“ irgend eine Gruppe Personen festsetzen ließ und gleichzeitig eine angemeldete Versammlung ohne Rücksprache mit dem Anmelder auflöste. Das muss man sich erstmal trauen zu sagen, nach dieser – sagen wir – Verkettung eigenartiger Ereignisse unter seiner Federführung. Unter „normalen“ Umständen hätte man das wohl als schlechten Trick bezeichnet. Dann will der Einsatzleiter noch einer anwesenden Journalistin den Presseausweis entreißen, bzw tut er das wirklich. Nun ist es aber leider so, dass Journalist_innen den Presseausweis nicht abgeben, sondern nur vorzeigen müssen. Naja, geschenkt. Weiter: Nach kurzer Besprechung entscheiden alle Anwesenden, dass es sinnlos wäre, vor Ort zu bleiben. Die Auswärtigen fahren weg, die Dresdner_innen begeben sich nach Hause.

 

Keine zehn Minuten später greift eine Gruppe von 20 bis 30 Neonazis die Verbliebenen an und verletzt mehrere Personen, eine Person muss ins Krankenhaus.

Die Bereitschaftspolizei war da schon verschwunden. Spurlos. Kam auch nicht wieder.

 

Nach einem Notruf dauert es fünfzehn Minuten, bis zwei Streifenbeamte vor Ort sind. Keiner der Angreifer wurde gefasst. Übrigens sagte Staatskanzleichef Fritz Jaeckel am Samstag bei einem Besuch vor der „Unterkunft“ gegenüber Pressevertreter_innen noch: „Diejenigen, die das tun, werden wir unerbittlich verfolgen und zur Rechenschaft ziehen.“ Sächsisch ist eine komische Sprache.

 

Alle kehren um, man trifft sich wieder und begibt sich nochmals vor die Unterkunft – zum eigenen Schutz, denn dort sind ein paar weitere Streifenbeamte vor Ort. Die wiederum erklären weiter Erstaunliches. Am Wochenende verlautbarte das sächsiche Innenministerium, dass angesichts der Bedrohungslage nach den Ereignissen vom Donnerstag und Freitag „mehrere Züge der Polizei in die Friedrichstadt verlegt werden“. Innenstaatssekräter Michael Wilhelm wird zitiert: „Polizei wird vor Ort sein. Das ist klar.“ Die Streifenbeamten vor Ort: wissen davon nichts. Wahrscheinlich sind sie die „zusätzlichen Beamten“ des Innenministeriums. Sie sind fast zu bemitleiden.

 

1Angesichts der erbärmlichen Zustände sei es dem Autoren erlaubt, die gängigen Bezeichnungen für dieses menschenunwürdige Lager in Anführungszeichen zu setzen.

 

2Dieses Vorgehen der Polizei ist in Bezug auf das Versammlungsrecht äußerst fragwürdig. Damit eine Versammlung insgesamt als unfriedlich eingestuft werden kann, reicht es nämlich nicht, dass einzelne Teilnehmer_innen Gewalt gegen Sachen oder Personen anwenden. In unserem Fall gab es genau einen Vorfall.