Linke Hoffnungen in El Salvador

Bekanntgabe des Wahlergebnisses

Die linke Ex-Guerilla-Partei FMLN hat die Präsidentschaftswahlen in El Salvador gewonnen. Ganz einfach, fast ohne Wahlbetrug, das hätte niemand gedacht. Das Land scheint voller Hoffnung auf einen Neuanfang... ob's diesmal klappt?


 

die FMLN gewinnt die Praesidentschaft


Am Ende sassen wir ueberrascht vor den ersten Hochrechnungen vorm Fernseher. Der Sieg der FMLN sofort bekannt, von allen Seiten akzeptiert. Unerwartet unglaublich.

Wie es ausgehen wuerde, konnte sich vorher KeinEr so genau ausmalen. Wer gewinnen wuerde, Funes, der ehemalge CNN-español Sprecher, Kandidat der FMLN, der Partei-gewordenen ehemeligen Guerillagruppen; oder Avila aus der rechten, extrem neoliberalen ARENA-Partei, der deren zwanzig-jaehrige Herrschaft in El Salvador fortsetzen wuerde.

Fuer das was passieren wuede gab es mehrere Szenarien. Gewinnt ARENA, war es Wahlbetrug und die Linken wuerden auf die Strasse gehen. Gewinnt die FMLN wurde das Wahlergebnis erst nach dreimaligen Auszaehlen bekannt, also erst Mitte der Woche. Soweit die Erwartungen der Leute. Dass ARENA ohne Wahlbetrug gewinnen koennte, das erwartete – abgesehen von den ARENA-Waehlenden – niemand; und sollte es so sein, haette es niemand fuer wahr gehalten. Einen einfachen eindeutigen und vorallem sofort anerkannten Sieg der Linken, damit allerdings hat auch niemand gerechnet.

Die Figuren im Fernsehen feierten daraufhin – da es ja sonst nicht viel sie zu feiern gab – den Sieg der Demokratie. Doch ganz so ist es nicht gewesen.

 

Nur ein bisschen Wahlbetrug

 

Den ganzen Tag ueber hoerte man von einzelnen Beobachtungen der ca. 3000 anwesenden WahlbeobachterInnen (Zahlen schwanken hier unglaublich) aus verschiedenen Wahlgebieten, dass es “kleine Unregelmaessigkeiten” gegeben habe; wie dass Leute aus unerfindlichen Gruenden nicht zur Wahl zugelassen wurden, waehrend andere drei Mal waehlten, ohne ihren Finger danach in die Farbe zu tunken. Berichten aus dem Radio zufolge sollen Ketten, wie Pollo Campero, eine Huehnchen-FastFood-Kette, Fotos ihrer Mitarbeiter gemacht oder verlangt haben, auf denen zu sehen ist, wo das Kreuz gesetzt wurde. Diese Fotos an den Wahlkabinen zu machen, duerfte in der Tat nicht zu schwer gewesen sein. Bei dem grossen Andrang den es um die Pappkabinen herum gab, war es leicht den WaehlerInnen ueber die Schulter zu schauen, oder gleich ueber die niedrige Wand. Auch beim Verlassen der Kabine, war das Kreuz durch das duenne Papier gut sichtbar. (Allein die Tatsache, dass ich, als offensichtliche nicht Salvadorianerin gemuetlich durch die Hallen spazieren konnte in denen gewaehlt wurde, waere nichts fuer unsere deutschen Verhaeltnisse.)

Darueber hinaus gab es Geruechte, dass einige Betreiber von Maquiladoras sowie die Betreiber des Hotels “Incontinental” in San Salvador ihre Mitarbeiter zwangen am Abend vor der Wahl ihre Ausweise abzugeben. Und ohne Ausweis, keine Wahl.

Mehr als ein Geruecht, sondern von vielen internationalen WahlbeobachterInnen bestaetigt, wude die Tatsache, dass Samstag Nacht “FremdwaehlerInnen” eingefahren wurden. Man fand sie umgeben von Busen von ARENA in einer Sporthalle, angekarrt aus Guatemala und Nicaragua. Eine Frau mit einem Stapel fertiger Ausweise, war damit beschaeftigt diese an die Menschen zu verteieln. Auf Nachfrage konnten die Leute nicht sagen wo in El Salvador sie leben wuerden, sie hatten auslaendische Akzente. Ob es im Rest des Landes noch mehr solche Wahlreise-Veranstaltungen gegeben hat, weiss man nicht.

 

Auf die Strasse

 

Trotz dem somit nicht ganz eindeuigen “Sieg der Demokratie” hat die FMLN also diese Wahl gewonnen. Mit Bekanntgabe der zweiten Hochrechnung an welcher nicht mehr viel zu reutteln war, begann das Fest auf der Strasse. Die Buehne mit Band-Equiment in der Party-Zone von ARENA wurde schweigend abgebaut. “Das hatten wir nicht erwartet.”, meint eine unglueckliche Mutter im ARENA-T-Shirt mit ihren in den Pateifarben geschminkten Kindern an der Hand. “Jetzt wird es noch schlimmer zugehen hier. Heute nacht schon. Es wird gefaehrlich wenn die Linken feiern.”

Nun ja. Die einzige Gefahr die wir bei den Feierlichkeiten ausmachen konnten, waren verirrte Raketen und verwirrte Autos in der Menge. Die Menge jedoch an sich war ein rotes Meer aus gluecklichen Menschen, die diesen unerwartet einfachen Sieg auf der Strasse feierten – ganz ohne Alkohol, der ist naemlich die Tage um die Wahl herum verbooten. Da es einige Konfusion darueber gab, wo, an welchem Ende der zwei Kilometer langen Strasse nun die Rede des neuen Praesidenten stattfinden sollte, liefen sie singend, Fahnen schwingend, mit Trommeln und Pfeifen die Strasse auf und ab. Der Rede Funes' hoerten einige zu, jubelten, doch dann liefen sie weiter, die Strasse zurueck. “Es eso!”, beginnt der Ex-Guerillero, FMLN-Waehler, der uns begleitet, “Es ist genau das. Wir wollen keine Buehne, kein Konzert, wie bei ARENA. Wir wollten die Strasse zurueck, unsere Strasse, und die haben wir nun. Wir sind in ihrem Viertel.” - im Viertel der Reicheren bis Reichen, der besseren Haeuser, der ARENA-StammwaehlerInnen. Jubelnd an einzelnen Sicherheitskraeften vorbeilaufend riefen einzelne Jugendliche diesen immer wieder zu “Hey, pero sin miedo. Sin miedo, compa.” (Hey, aber ohne Angst. Keine Angst, Genosse.” Die krasse Polarisierung der Stadt war den ganzen Tag ueber zu spueren, so waren solche Ausrufe schoen zu hoeren. Ohne zu poetisch klingen zu wollen, breitete sich fuer mich eine ruhige jubelnde Atmosphaere aus, von Menschen, die das Gefuehl haben, seit zwanzig Jahren zum ersten Mal Gerechtigkeit zu erfahren. Sehr schoen die Menschen dabei beobachten zu koennen, die unglaubliche Hoffnung zu sehen, die sie zu tragen scheint.

 

Was zu erwarten bleibt

 

Was ihnen diese Gerechtigkeit jedoch bringen mag, darueber sind viele unsicher. Die moderaten WaehlerInnen, die die FMLN wegen Funes waehlten, hoffen auf einen moderaten Funes, wie er sich im Wahlkampf presentierte. Sie haben Angst, er koennte sich in einen Chavez verwandeln und die so wichtigen Bindungen zu den USA kappen. Sollte Funes jedoch wirklich so moderat bleiben, mit Lula als Vorbild, wird sich fuer EL Salvador nicht viel aendern, nicht viel verbessern.

Eine ganz andere Unsicherheit und Ungewissheit verspuerten allerding die Ex-Combatientes, die Ex-Guerilleros, die Basis der Partei. Funes erwaehnte sie in seiner Dankesrede nicht mit einem Wort. Funes ist keiner von ihnen, hat nicht annaehernd erlebt, was sie erlebten, mag ihnen mit seiner Politik und seinen Reformen wohl nicht weit genug gehen. Wer jedoch einer von ihnen ist, ist der mit Funes im Pakt gewaehlte Vize-Praesident Ex-Combatiente Sanchez Ceren. Und auch der macht einigen Angst, ist er doch einer der Radikalsten, die in der FMLN zu finden sind. Die FMLN setzt sich zusammen aus fuenf ehemaligen Guerilla-Bewegungen, von denen die PC (partido comunista), der Sanchez Ceren angehoerte die krasseste und kompromissloseste war, zu krass sogar fuer die meisten Ex-Compatientes der FMLN. Die hoffen jetzt, dass es doch hoffentlich Doch Funes sein moege, der seine faden Reformen durchbringt, und nicht Sanchez Ceren derjenige sein wird, der die eigentlichen Faeden in der Hand haelt. Immerhin war er derjenige, der Funes als Praesidentschaftskandidaten auswaehlte, in dem Wissen, dass Er niemals von der Mehrheit El Salvadors gewaehlt wuerde. So bleibt unklar, wer von den beiden im internen Machtspiel den Ton angeben wird.

Allerdings scheint auch unklar, wie radikal und in welche Richtung radikal Sanchez Ceren ist; ob in Richtung Castro, Chavez oder gar mit mehr autoritaerem kommunistischem Anspruch. Das zumindest konnte mir niemand sagen.

So beginnt wohl eine neue Zeit fuer EL Salvador; ein historischer Moment, wie sich Fernsehen und Zeitungen ueberbieten zu sagen. Und so beginnt auch erneut das Beobachten einer linken Partei, einer Guerilla-Pertei, mit dem “Volk” zur Basis, und ihrer Transformation zur Regierungspartei mit Entscheidungsdruck und Entscheidungsmacht. Mit Handlungsdruck und Handlungsmacht, die sich irgendwie in diesem internationalen System positionieren soll, ohne die Menschen zuhause zu vergessen. Ob sie es schafft nicht der Macht zu erliegen? Die Ungewissheit der Menschen hier ist riesig, ihre Hoffnung auch. Meine persoenliche Hoffnung ist gering. Abwarten.

Handeln.

 

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