Die Wehrmacht auf Kreta: „Keine Zurückhaltung mehr gegenüber nichtschuldigen Männern, Frauen und Kindern“

Kranz der „FschJg Kameradschaft Dr. H Neumann“ in Floria: „Treue um Treue“

Kreta – die meisten Deutschen verbinden mit dem Namen nicht mehr als eine Urlaubsinsel im Mittelmeer. Heutzutage ist wenig bekannt, dass die deutsche Wehrmacht mit der Invasion vom 20. Mai 1941 eine vier Jahre währende Besatzung der Insel begann. Die deutschen Soldaten – insbesondere die Spezialeinheiten der Fallschirmjäger und der Gebirgsjäger – verübten grausame Massaker an der Zivilbevölkerung und brannten aus Rache für den Widerstand der kretischen Widerstandsbewegung Andartiko gegen den deutschen Überfall ganze Ortschaften nieder. Wir haben uns anlässlich der Jubiläumswoche eines anarchistischen Squats in Heraklion auf die Spuren der Vergangenheit begeben und Interviews mit Überlebenden geführt. Kein Vergessen, kein Vergeben!

 

Eine anarchistische Woche in Heraklion

 

Anlass für die Reise in die Vergangenheit war eine anarchistische Woche in Heraklion. Der Evagelismos Squat in der Theotokopoulou Straße 18 in Heraklion feierte vom 22. bis zum 28. Juni 2015 sein 13jähriges Bestehen. Das anarchistische besetzte Haus liegt mitten in der Altstadt von Heraklion nur zwei Straßen vom Hafen entfernt und unweit des zentralen Platia Venizelou, des Löwenplatzes. Der Platz ist nach dem Löwenbrunnen aus der Zeit der venezianischen Besatzung benannt, die nach dem vierten Kreuzzug 1204 begann und nach über 21 Jahren Belagerung von Heraklion 1669 endete. Auch wenn die Beschädigung der Markuslöwen durch das Wasser der Grund ist, dass der Brunnen kein Wasser führt, so ist er doch ein unfreiwilliges Symbol für die Wasserknappheit, die auf der ganzen Insel zu spüren ist. In jüngster Zeit wollte die Nazipartei Golden Dawn ein offizielles Büro nahe des Squats eröffnen, doch die AnarchistInnen brachen das Büro in der Nacht vor der offiziellen Eröffnung auf und nahmen die Eingangstür mit, was in Kombination mit der sehr erfolgreichen Überzeugungsarbeit bei den umliegenden LadenbesitzerInnen zum vorzeitigen Aus für Golden Dawn in der Altstadt von Heraklion führte. Insgesamt ist die Antifapolitik gegen Golden Dawn auf Kreta deutlich erfolgreicher als im Rest Griechenlands.

 

Evagelismos Squat, Heraklion, Kreta Anarchistisches Konzert an der Stadtmauer von Heraklion am 22. Juni 2015 Diskussionsveranstaltung am Xenia Motel außerhalb von Heraklion am 24. Juni 2015 Abschlussfest des Evagelismos Squats in Heraklion am 28. Juni 2015

Jubiläumswoche vom 22. bis 28. Juni 2015 zum 13jährigen Bestehen des Evagelismos Squats in Heraklion

 

Die Jubiläumswoche war sehr europäisch geprägt. AnarchistInnen aus Schweden, Frankreich, Italien und Deutschland nahmen an zahlreichen Workshops und Diskussionen teil. Es gab einen regen Austausch über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen lokalen Kämpfe und es wurden Kontakte zu griechischen GenossInnen geknüpft und ausgebaut. Das Themenspektrum reichte von Ökologie (Widerstand gegen Windturbinen bei Rethymno auf Kreta, gegen die Goldmine in Skouries in Nordgriechenland, gegen den Hochgeschwindigkeitszug im Susatal in Norditalien, gegen den Staudamm von Sivens und den Großflughafen in Notre-Dame-des-Landes in Frankreich), internationaler Vernetzung, Flüchtlingspolitik, ArbeiterInnenselbstverwaltung, Repression und digitaler Selbstverteidigung. Es gab mehrere DIY-Workshops und Konzerte, am 27. Juni die 1. LGBTQI+ Pride von Kreta und am 28. Juni, dem Vorabend der Bankenschließungen und der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen im Vorfeld des Finanz-Referendums vom 5. Juli, ein großes Bankett auf der gesperrten Straße vor dem Squat mit über 200 AnarchistInnen.

 

Liebe deinen Nächsten Demo in Heraklion Wehrhafter Anarchismus Wenn die Menschen mit der Gefahr der Tyrannei konfrontiert sind, dann wählen sie entweder die Ketten oder die Waffen

1. LGBTQI+ Pride-Demonstration am 27. Juni 2015 in Heraklion, Kreta

Graffiti in Anlehnung an ein Transparent vom 4. Dezember 1944, dem Beginn des griechischen Bürgerkriegs:


Όταν ο λαός βρίσκεται μπροστά στον κίνδυνο της τυραννίας διαλέγει ή τις αλυσίδες ή τα όπλα

Wenn die Menschen mit der Gefahr der Tyrannei konfrontiert sind, dann wählen sie entweder die Ketten oder die Waffen

 

Auf den Spuren der Vergangenheit in Kreta

 

Weit weg vom Trubel im überaus lebendigen Heraklion führt uns unsere Spurensuche in ein Bergdorf im Hinterland von Rethymnon an der Nordküste Kretas, wo wir Kostas treffen. Sein Onkel, der im Widerstand gegen die Deutschen aktiv war, ist vor 10 Jahren gestorben. Wir fragen Kostas nach Geschichten aus der Zeit der Besatzung. Er erzählt uns, dass die Deutschen sich in seinem Dorf die besten Häuser genommen hätten, um darin zu wohnen. Am nächsten Tag kommt er uns mit seiner Mutter besuchen und übersetzt, was sie uns erzählen will. Eines Tages seien Wehrmachtssoldaten gekommen. Sie hätten die Bewohner mit vorgehaltener Waffe gezwungen vors Dorf zu gehen und dort ihre eigenen Gräber auszuheben. Die alte Frau macht eine halbkreisförmige Bewegung mit einer imaginären Maschinenpistole und es bedarf keiner Übersetzung, um das Massaker zu begreifen.

 

Kreta Kreta Kreta Kreta

 

Doch beide betonen den Widerstandswillen der Menschen auf Kreta. Kostas erzählt uns von der Tante seiner Mutter, die zur Zeit der deutschen Besatzung krank war und deshalb Fleisch essen musste. Als deutsche Soldaten kamen und das Fleisch sahen, wollten sie es ihr wegnehmen. Seine Tante sei eine resolute Frau gewesen und habe die Deutschen angegriffen und vertrieben: „Ich bin krank, ich brauche Fleisch, kein Gemüse!“ Kostas sagt, dass sei typisch für die Menschen hier: „Wenn ihnen jemand ihr Kaninchen stehlen will, dann greifen sie den Dieb an, auch wenn der bewaffnet ist. Sie sind vielleicht verrückt, aber so sind sie.“

 

Kreta Kreta Kretische Wildziege Cretan Cat Content

 

Auch die Geschichte des deutschen Flugzeugs auf dem Flughafen Maleme erzählen sie uns, die uns bereits ein Pope im Kloster von Preveli an der Südküste Kretas erzählt hat. Demnach habe ein deutsches Flugzeug in Maleme, mit dem die Wehrmacht Beute abtransportieren wollte, nicht starten können. Ein alter Mann sei zu den Deutschen gegangen und habe sie gefragt, ob sie vielleicht etwas im Flugzeug hätten, dass ihnen nicht gehöre. Erst als sie ein Kreuz aus dem Kloster Preveli, das angeblich ein Splitter des Kreuzes Jesu' enthalte, wieder ausgeladen hätten, habe das Flugzeug abheben können.

 

„Zum Gedenken an die deutschen Soldaten“ Deutscher Soldatenfriedhof in Maleme, Kreta: „Sie gaben ihr Leben für ihr Vaterland“ Maleme, Kreta: „Ein unbekannter deutscher Soldat“ Deutscher Soldatenfriedhof auf der Höhe 107

Deutscher Soldatenfriedhof auf „Höhe 107“ in Maleme, Kreta. Von diesem Hügel aus wurden viele Nazisoldaten von alliierten Truppen getötet


Die religiös aufgeladene Geschichte des Kreuzes ist offensichtlich sehr wirkmächtig auf Kreta, sie wird uns mehrfach erzählt. Die Geschichte illustriert zudem, dass der Klerus von vielen als Teil des Widerstands gegen die Besatzung empfunden wird. Dazu passen auch die Mahnmale an vielen Klöstern, mit denen Briten, Neuseeländer und Australier ihre Dankbarkeit für das Verstecken, Beherbergen und Verpflegen ihrer Soldaten durch die Mönche ausdrücken wollten. Der kirchliche Widerstand hat eine lange Tradition im kretischen Freiheitskampf gegen auswärtige Besatzer und auch Kostas Mutter erzählt uns beiläufig eine Geschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts über den Kampf ihrer Familie gegen die türkische Besatzung von 1648 bis 1898, die mit dem Türkisch-Griechischen Krieg endete.

 

Der Kampf um Kreta - Das Tor zur Freiheit Kloster Preveli, Kreta Mönche im Kloster Preveli Kloster Preveli, 1941: „...in defiance of ferocious German reprisals suffered by the monks...“

Erinnerung an den Widerstand der Mönche des Klosters Preveli an der Südküste Kretas gegen die deutsche Besatzung


Bei Chania steht mit dem „Fallschirmjägerdenkmal“ ein bekanntes Nazimonument. Errichtet 1941 von den Nazi-Besatzern, zeigte es einen herabstürzenden Adler mit einem Hakenkreuz in den Klauen und ein Steinrelief mit den Umrissen „Großdeutschlands“. Auch in der Nachkriegszeit diente es als Anlaufpunkt für alte und neue Nazikameraden. Nachdem die Grundstückseigentümer seit Jahren für eine Entfernung des Nazidenkmals kämpfen und es bereits 2005 Ziel einer antifaschistischen Aktion wurde, wurden in Nazikreisen die Rufe nach einer Restaurierung des stark lädierten Schandflecks lauter. Bei einer von Uwe Irrgeher aus Kuchen/Fils initiierten Online-Petition zur Erhaltung des Nazidenkmals unterzeichneten vom deutschen Nazi-Burschen Armin Allmendinger bis hin zum Schweizer Hammerskin Adrian Segessenmann 11.419 RevisionistInnen.

 

„Exekutiert von den Deutschen 1941-1945 in dem Dorf Kakopetro“ „Exekutiert von den Deutschen am 8. Oktober 1943“ „Exekutiert von den deutschen Besatzern 1941-1944“ „Am 28. August 1944 wurde an diesem Ort von den Deutschen der Kampfgefährte Nikolaos Iosef Ieronimakis gehängt. Ein Mann, würdig für Kreta“

Gedenktafeln für Kreterinnen und Kreter, die von deutschen Soldaten ermordet wurden

 

Die Website der Revisionisten zur Erhaltung des Nazidenkmals ist angemeldet auf den Düsseldorfer Psychoanalytiker Walter Dmoch. Als administativer Ansprechpartner fungiert Roman Krasch aus dem baden-württembergischen Rosenfeld. Krasch fiel Ende der 1990er Jahre mit terroristischen Bestrebungen auf, er hatte Waffen und Sprengstoff besorgt. Noch bis Ende 2012 war Krasch, geboren am 10.02.1968, Mitglied der Bundeswehr-Reservistenkameradschaft Steinlach-Wiesaz.

 

„Hier in Anaro am 4.8.1944 haben Soldaten der ELAS die Deutschen angegriffen und schwer geschädigt“ „Lebendig verbrannt, Oktober 1943“ Holocaust von Anogia: 1822, 1867, 1944 „Gemeinschaftsgrab der für ihren Glauben und ihre Heimat von den barbarischen deutschen Besatzern am 21.8.1944 exekutierten Bewohnern von Kamaraki, Malevisi und der Umgebung“

Gedenktafeln zur Erinnerung an die Gräultaten der deutschen Wehrmacht und den Widerstand auf Kreta

 

Auf Kreta gibt es an den meisten Straßen kleine Andachtsschreine für Tote, die zumeist bei Autounfällen an eben diesen Stellen verstarben. Auf der Straße von Chania an der Nordküste durchs Gebirge nach Paleochora an der Südküste entdecken wir in der Biegung einer Kurve kurz vor Floria einen Schrein, dessen Inschrift eine andere Geschichte erzählt:

„In Erinnerung an die hier begrabenen vier Brüdern, die von den barbarischen Deutschen am 28. August 1944 erschossen wurden: Emmanuel K. Despotaki, 27 Jahre. Spiros K. Despotaki, 23 Jahre. Charalampos K. Despotaki, 17 Jahre. Anastasis K. Despostaki, 17 Jahre.“

 

Andachtsschrein nahe Floria, Kreta Vier Brüder, von barbarischen Deutschen erschossen Gebirgsjägerdenkmal in Floria: „Gefallen für Großdeutschland am 23.5.1941“ Kranz der „FschJg Kameradschaft Dr. H Neumann“ in Floria: „Treue um Treue“

Gedenkschrein bei Floria für von deutschen ermordete Griechen und Gedenkstein in Floria für im Kampf gestorbene Gebirgsjäger


In Floria selbst steht an der Hauptstraße mitten im Dorf ein faschistisches Denkmal für deutsche Gebirgsjäger. Nachdem die Wehrmacht am 20. Mai mit der Invasion von Kreta begonnen hatte, wurden hier am 23. Mai 1941 Wehrmachtseinheiten zwei Tage lang aufgehalten und 25 deutsche Soldaten getötet. Durch den kretischen Widerstand in Floria war es den alliierten Truppen möglich bis zur Südküste und von dort auf Schiffe zu fliehen. Die Deutschen waren vom Widerstand der Zivilbevölkerung auf Kreta während der deutschen Invasion völlig überrascht worden. Ihre Illusion von der „deutschfreundlichen Bevölkerung“ erwies sich ebenso als Irrglaube wie die Unterschätzung der alliierten Truppenstärke. Zudem hatten die Briten die deutsche Enigma-Verschlüsselung gebrochen und waren durch die Ultra-Informationen über Ort und Zeit der geplanten Invasion informiert.

 

„Zur Vergeltung der bestialischen Ermordung eines Fallschirmjägerzuges und eines Pionierhalbzuges durch bewaffnete Männer und Frauen aus dem Hinterhalt wurde Kandanos zerstört“ „Für die bestialische Ermordung deutscher Fallschirmjäger (...) von Männern, Frauen, Kindern (...) sowie weil sie gegen das großdeutsche Reich Widerstand geleistet haben, wurde am 3.6.1941 Kandanos vom Grunde zerstört, um nie wieder aufgebaut zu werden.“ „Einwohner von Kandanos, die in den nationalen Befreiungskriegen von 1940-1945 starben“ Wasserwerk Kandanos. Geschenk der deutschen "Aktion Sühnezeichen". Erbaut von Kretern und Deutschen als Zeichen des Willens zur Freundschaft. Gott allein die Ehre! 1963

Erzwungenes Mahnmal für die Zerstörung von Kandanos am 3. Juni 1941, Gedenkstein für die ermordeten EinwohnerInnen und einzige Wiedergutmachung

 

Die Rache der Nazis war überaus grausam. Der kommandierende General Kurt Student befahl am 31. Mai 1941:

„Die Truppe hat sich, soweit ihr dieses während der Kampfhandlungen möglich war, aus der Notwehr heraus bereits selbst geholfen. Jetzt ist die Zeit gekommen, allen derartigen Fällen planmässig nachzugehen, Vergeltung zu üben und Strafgerichte abzuhalten, die auch als Abschreckungsmittel für die Zukunft dienen sollen. Als Vergeltungsmaßnahmen kommen in Frage: Erschiessungen, Kontributionen, Niederbrennen von Ortschaften (vorher Sicherstellung aller Barmittel, die restlos den Angehörigen zugute kommen sollen), Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gebiete. Bei der ganzen Sachlage ist dies Sache der Truppe und nicht von ordentlichen Gerichten. Sie kommen für Bestien und Mörder nicht in Frage.“

 

„Hier stand Kandanos. Es wurde zerstört für die Ermordung von 25 deutschen Soldaten“ „Befehl des deutschen Kommandanten der Festungs Kretas: ...befehlen wir den Ort dem Erdboden gleichzumachen und jeden männlichen Einwohner Anogias hinzurichten...“ Historisches Museum Heraklion: „Fallschirmjägerkameradschaft Freiburg: Treue um Treue“ Historisches Museum Heraklion: Bombardierung von Chania durch die Legion Condor

Deutsche Sekundärtugenden: Vernichtungswut, Menschenfeindlichkeit, Gehorsam und Brutalität


Der Befehl wurde wörtlich ausgeführt. Fallschirmjäger ermordeten am 2. Juni 1941 dutzende BewohnerInnen von Kondomari und Gebirgsjäger am 3. Juni hunderte EinwohnerInnen von Kandanos, das anschließend bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde. Der deutsche Kriegsberichterstatter Franz Peter Weixler machte anlässlich des Massakers in Kondomari eine Zeugenaussage (PDF) im Prozess gegen Hermann Göring. Keiner der an den Massakern beteiligten Soldaten wurde jemals deswegen verurteilt, nicht einmal General Student musste sich wegen seines verbrecherischen Befehls verantworten. Die Wehrmacht zerstörte auf Kreta unter anderem 1941 Chania, Kandanos und Skines, 1943 Mournies, Myrtos, Gdochia, Kalikrates, Koustogeraka, Livadas, Monis und Viannos und 1944 Kouneni, Sokara, Ano Meros, Gerakari, Kria Vryssi, Vrysses, Damasta, Anogia, Faleriana, Floria, Limni, Lousakies, Enneachorion, Paläokastro, Gougourthoni, Potamido, Syrikari, Voulgaro, Skouloudiana, Kalathenes, Koxare, Miamous, Panagia und Vaphes. Insgesamt gab es nach Angaben des griechischen Kriegsverbrecherbüros 42 Orte, in denen Massenhinrichtungen und Erschießungen durch die Wehrmacht stattfanden.

 

Deutsche Fallschirmjäger in Kondomari Deutsches Exekutionskommando Kretische Geiseln werden hingerichtet Ein Fallschirmjäger ermordet Überlebende per Kopfschuss

Geiselerschießungen durch deutsche Fallschirmjäger am 2. Juni 1941 in Kondomari


Der Leiter der Königlich Griechischen Nationalen Kriegsverbrecherbüros in Athen richtete am 26. Mai 1956 ein Strafverfolgungsersuchen an die deutsche Justiz. Darin bat er um Ermittlungen gegen 87 namentlich genannte Beschuldigte. Als Vorwürfe wurden „die Ermordung von mehr als 3.000 Einwohnern der Insel Kreta, die Terrorisierung, Folterungen, Deportierungen und Festnahmen griechischer Zivilisten“ angeführt. Er bekam Antwort vom Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Kriegsverbrechen in Griechenland. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass von 39 Beschuldigten die Adressen nicht bekannt seien, 7 sich womöglich nicht in Deutschland aufhalten würden, 12 bereits tot seien, die Verfahren gegen 13 Personen abgetreten oder mit anderen Verfahren zusammengelegt worden seien und gegen 2 Beschuldigte bereits Verfahren in der gleichen Anschuldigungen liefen. „Hinsichtlich der übrigen 12 haben die Ermittlungen einen hinreichenden, die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigenden Tatverdacht nicht ergeben.“ (Quelle: Ulrich Kadelbach, Schatten ohne Mann, Die deutsche Besetzung Kretas 1941-1945)

 

Die Verbrechen der Wehrmacht in Viannos

 

Αριστομένης Συγγελάκης (Aristomenis Siggelakis)

 

Wir haben uns mit Aristomenis am Mittag des 27. Juni 2015 in einem Kafenion an einer geschäftigen Straßenkreuzung im Osten Heraklions verabredet. An den Nachbartischen diskutieren die Anwesenden lautstark über das am Vorabend von Premier Tsipras angekündigte Referendum über die von den Gläubigerinstitutionen geforderten Spaßmaßnahmen. Aristomenis betont mehrfach, dass ihn unsere Interview-Anfrage sehr gefreut habe und er erzählt uns bereitwillig von dem Massaker der Wehrmacht 1943 seinem Heimatort Viannos. Er ist es als Präsident der Vereinigung der Überlebenden von Viannos gewohnt Interviews zum Thema zu geben und bietet uns auch an, dass wir mit weiteren Überlebenden direkt in Viannos reden können. Wir akzeptieren sein Angebot und führen am folgenden Tag zwei weitere Interviews. Aristomenis erzählt:

 

„Mein Name ist Singelakis Aristomenis. Mein Vater hieß ebenfalls Aristomenis. Ich wurde zum Präsidenten der Vereinigung der Überlebenden von Viannos und zum stellvertretretender Bürgermeister von Viannos gewählt. Viannos und die Gegend außenrum ist seit minoischer Zeit bekannt. Seitdem gab es dort viele Kämpfe und viel Leid. Aber die Zeit von 1941 bis 1947 war der tiefste Punkt der Geschichte.

 

Direkt nach der Besetzung der Insel Kreta im Mai 1941 gründete sich eine große Andarten-Gruppe (Guerilla-Gruppe) in der Region Viannos. Wenn ihr dorthin fahrt, seht ihr die Landschaft, es ist gebirgig, es gibt viel Wald. Dort gab es die höchste Anzahl von Andarten in ganz Kreta. Das hat der Deutschen Armee Angst gemacht, sie haben sich nicht getraut, hoch in die Berge zu gehen. Auf der Omalos-Hochebene haben die Briten auch Unterstützungslieferungen von Flugzeugen aus abgeworfen.

 

Eine kleine Gruppe von Andarten griff einen Außenposten in Simi an, der war danach nicht mehr funktionsfähig. Zwei der drei dort stationierten deutschen Soldaten wurden getötet. Der dritte war zum Zeitpunkt des Angriffs gar nicht da. Müller, das war der Militärkommandant der Deutschen Armee in Heraklion, gab einen gewalttätigen Befehl. Eine Gruppe Soldaten ging nach Viannos, eine andere Gruppe kam aus Richtung des Meeres und ging nach Simi. Der Weg nach Simi führt durch eine Schlucht. Heute ist dort ein Denkmal, das ziemlich auffällig ist. Die ersten Soldaten kamen an und hatten Geiseln genommen, zwölf Personen, darunter der Pope Mateos Yayadakis. Sie trieben die Geiseln vor sich her, als sie nach Simi kamen. Sie hatten den Befehl, alle Einwohner Simis zu töten und es niederzubrennen.

 

Aber die Andarten hatten einen Hinterhalt an vier Stellen am Dorfeingang vorbereitet. Es waren insgesamt 47 Andarten. Die Deutsche Armee war größer, 80 bis 100 Soldaten. Um 10 Uhr morgens kamen sie nach Simi und hatten die Geiseln vor sich. Bevor die Andarten angriffen, riefen sie auf griechisch: ‚Rennt um euer Leben!‘. Als sie anfingen zu rennen, begannen die Deutschen zu schießen. Die Deutschen waren besonders gut ausgebildete Soldaten des Dritten Reichs. Der Kampf begann also um 10 Uhr und dauerte bis um 7 Uhr Abends. Nach 7 Uhr waren viele deutsche Soldaten tot. Ich kann nicht genau sagen, wieviele, weil ich keinen Quatsch erzählen will. Die Andarten nahmen auch 14 deutsche Soldaten gefangen und nahmen sie mit sich in die Berge. Während der Nacht brachten Leute aus dem Dorf, die von den Andarten darum gebeten worden waren, die toten deutschen Soldaten auf Eseln zurück nach Simi. Der Kampf in Simi fand am 12. September 1943 statt. Der erste Angriff war am 10. September gewesen. Und danach gab General Müller den Befehl, wonach innerhalb der Dörfer alle Männer sofort erschossen werden sollten. Außerhalb der Dörfer sollten alle erschossen werden, egal welchen Alters oder welchen Geschlechts. Später wurde Müller deshalb der ‚Schlächter von Viannos‘ genannt.

 

Während der nächsten drei Tage, am 14., am 15. und am 16. September, wurden alle Dörfer in der Gegend umstellt. Die deutschen Soldaten stürmten alle Häuser und haben alle rausgetrieben, Männer, Frauen, Kinder, alte Leute. Während dieser drei Tage wurden über 400 Leute aus den Dörfern getötet. In den Dörfern aus der Region Viannos und aus dem westlichen Teil der Region Ierapetra. Insgesamt wurden in der Gegend 461 Personen ermordet.“

 

In Gedenken an die Kämpfer des nationalen Widerstands gegen die Deutschen in der Schlacht von Kato Simi 12. September 1943: Hier blüht die Freiheit - Sie hat seit jeher Wurzeln - Und lasst die Völker wissen - In Simi kann die Sklaverei nicht leben Blick vom Mahnmal von Amiras Denkmal für die von den deutschen Besatzungstruppen am 14.09.1943 Exekutierten Gedicht von Vasilis Rotas (1889-1977) beim Mahnmal von Amiras

Denkmal bei Kato Simi und Mahnmal von Amiras für die Ereignisse vom September 1943

 

„Ich werde jetzt zwei Geschichten erzählen. Die erste ist die Geschichte meines Dorfes, Amiras.

 

Am Morgen des 14. September 1943 begannen sie mit Propaganda. Die Propaganda ging folgendermaßen: Sie würden nichts Schlimmes machen, alle sollten ins Dorf zurückkommen, auch wenn sie in verbotenen Gebieten waren. Aber wenn die Männer nicht zurückkommen würden, dann würden sie ihre Häuser zerstören und ihre Familien töten. Am Morgen des 14. September um 6 Uhr wurde also das Dorf von der Armee umstellt. Bis 10 Uhr hatten die Deutschen 120 Personen auf dem Kirchplatz zusammengetrieben. Nach 10 Uhr haben sie 30 Männer weggeführt, mit Soldaten vor ihnen, hinter ihnen, rechts und links, die 30 Zivilisten in der Mitte. Und sie wurden etwa 500 Meter von der Kirche entfernt erschossen. Und das ganze Gebiet war von schweren Waffen umgeben, weil sie Angst vor den Andarten hatten. Sie haben Gruppen von 30 Männern weggeführt. Die Erschießungen fanden so statt: sie haben sie in die Köpfe geschossen aus direkter Nähe, die Leute hatten keine Köpfe und keine Gehirne mehr. Manche wurden auch von weiter weg erschossen.

 

In der dritten Runde, als sie 90 Leute erschossen, weigerte sich ein österreichischer Soldat zu schießen, weil er Mitleid hatte. Da haben die anderen Deutschen diesen Österreichischen Kerl genommen und auch ihn erschossen. An diesem Tag wurden 114 Personen in Amiras erschossen. Nach vier oder fünf Uhr gingen sie zu einem Haus nicht weit entfernt und feierten. Nach fünf Uhr gingen sie fort und es begann ein weiteres Drama.

 

Die toten Körper mussten zum Friedhof getragen werden, der 500 Meter entfernt liegt, aber weit oben auf dem Berg. Es gab keine Esel mehr und es waren nur noch kleine Kinder und Frauen da. Und sie mussten 114 Leichen tragen. Sie haben versucht, 5-6 tote Körper ohne Köpfe und Gehirne auf einen Esel zu packen, den sie gefunden hatten. Aber es war sehr schwierig, sie konnten sie nicht transportieren. Sie haben dann stattdessen versucht, am Ort der Erschießungen große Gruben zu graben, in jedes Loch legten sie 15 bis 20 Leichen. Aber der Boden ist sehr felsig und es war schwer zu graben und die Nacht begann. Und die Leute fanden ihre eigenen Verwandten unter den Toten. Und die Hunde kamen immer näher, sie wurden vom Geruch des Bluts angelockt. Die Leute hatten Angst vor den Hunden, deshalb gruben sie keine tiefen Gruben, der Boden war auch zu schwierig dafür. Sie warfen auch nur sehr wenig Erde auf die Gräber, weil es so schwer war. Und dann kamen Nachts die Hunde und haben die Toten ausgegraben und gefressen. Am nächsten Tag haben sie die Körper gewaschen und brachten das, was übrig war, auf den Friedhof, in ein Massengrab.

 

Jetzt erzähle ich meine persönliche Geschichte.

 

Mein Name ist Aristomenis Singellakis und mein Vater ist Aristomenis Singellakis. Das ist so, weil meine Mutter im zweiten Monat schwanger war als sie meinen Vater töteten. Er wurde gemeinsam mit vier seiner Brüder und mit meinem Großvater getötet. Auch zwei weitere Brüder meines Vaters wurden getötet. Sie haben also neben meinem Vater sieben weitere Verwandte getötet. Der achte Bruder war zu diesem Zeitpunkt zwischen Griechenland und Albanien, er wurde dann in den Nahen Osten gebracht und ging uns für vier Jahre verloren, es gab keinen Kontakt. Er war in Al Alamein und dort sehr isoliert. Nach vier Jahren machten meine Großmutter und meine Mutter und ein überlebendes Kind die Zeremonien, die wir nach einem Begräbnis machen, weil sie ihn für tot hielten. Als er dann nach viereinhalb Jahren zurückkam, rannten meine Mutter und meine Schwester davon und riefen: ‚Ein Geist! Berühr mich, lebe ich noch?‘

 

Das ist die persönliche Geschichte meiner Familie.“

 

Γεώργιος Ιωάννου Δασκαλάκης (Georgios Ioannou Daskalakis)

 

Georgios treffen wir am Mittag des 28. Juni 2015 in Amiras. Er erzählt uns in bewegenden Worten seine erschütternde Geschichte. Auch für den Kreta-Film wurde Georgios interviewt. Georgios erzählt:

 

„In Amiras gab es 114 Tote, alle über 18 Jahre waren tot. Genau hier starb mein Großvater. Es war 1943, an einem Sonntag. Zuerst gingen sie nach Simi, eine Einheit deutscher Soldaten. Als sie nach Simi kamen, hat sie eine Einheit Andarten angegegriffen und 40-50 Deutsche getötet. Die Dorfbewohner haben die toten Deutschen mit Eseln nach Viannos gebracht.

 

Am Montag gingen die Deutschen nach Agios Vasilios. Sie haben alle Dorfbewohner aufgefordert nach Hause zu kommen: ‚Wenn alle zu Hause sind, dann werden wir niemandem etwas zu Leide tun.‘

 

Am Dienstag kamen sie nach Amiras. Um 10 Uhr morgens umstellten sie das Dorf. Sie haben viele Dorfbewohner verhaftet, nur sehr wenige konnten fliegen. Es waren auch Leute in den Bergen, aber alle, die im Dorf waren, wurden zusammengetrieben. Um die 140-150 wurden verhaftet. Sie sagten: ‚Wenn wir jemand außerhalb des Dorfes finden, werden seinen Bruder, seine Schwester und seine Mutter töten und sein Haus zerstören.‘

 

Ich war nur 14 Jahre alt. Mein Vater versteckte sich im Dorf mit meinem 19jährigen Bruder und anderen Dorfbewohnern. Mein Vater sagte: ‚Komm, mein Kind, und geh mit deiner Mutter nach Vachos.‘ Wir wurden zu einer Schäferhütte geschickt, um Milch zu kaufen, damit wir nicht im Dorf sind. In diesem Moment waren keine Deutschen da. Wir sind in der Nacht gegangen und haben außerhalb des Dorfes übernachtet.

 

Am nächsten Morgen warteten wir auf der Hauptstraße auf meinen Großvater. Die Deutschen hatten das Dorf Vachos umstellt. Wir hörten die Maschinengewehre rattern und das Schreien und das Weinen der Menschen. Ich war im Nirgendwo und wusste nicht, was ich tun sollte. Nach dem Massaker bin ich ins Dorf gerannt und die Deutschen waren weg. Ich sah viele Leichen auf zwei großen Stapeln. Ich habe meinen Verstand verloren und bin weinend weggelaufen.

 

Als ich zurück nach Amiras kam, war es Nacht und die Deutschen waren weg. Meine Mutter weinte. Ich konnte weder essen noch trinken. Ich bin runter zum Hinrichtungsplatz gegangen, um meinen Vater zu finden. Es zwar zwei oder drei Uhr in der Nacht. Ich ging zum ersten Leichenstapel, aber ich konnte meinen Vater nicht finden. Dann ich ich zum zweiten Stapel gegangen und da habe ich ihn gefunden. Meine zwei Großväter und meine Onkel. Dann ich bin ich zum Meer gelaufen, um meinen Bruder zu finden. Er hat überlebt, weil er sich versteckt hatte. Das Dorf war zerstört worden.

 

Die Deutschen haben auch einen von sich erschossen, der nicht mitmachen wollte bei der Ermordung der Dorfbewohner.

 

Ich habe nichts gegen die jungen Deutschen. Aber wir wollen eine Entschädigung als eine moralische Wiedergutmachung.“

 

Στέλιος Μαθιουδάκης (Stelios Mathioudakis) und Ιωάννης Βερυκοκάκης (Ioannis Verikokakis)

 

Am späten Nachmittag des 28. Juni 2015 treffen wir Stelios und Ioannis im Kafenion von Amiras. Die beiden sind misstrauisch und wollen erst einmal wissen, wer wir sind und warum wir ihre Geschichte hören wollen. „Gibt es denn in Deutschland keine Alten, die ihr fragen könnt?“ Doch, natürlich gibt es die, aber wir wollen nicht nur die Täterperspektive wiedergeben. Unten in Sidonia meinte ein anderer Überlebender: „Gut, dass ich dich getroffen habe. Nun weiß ich, dass nicht alle Deutschen kaltblütig sind.“ Wir berichten Stelios und Ioannis von unserer antifaschistischen Motivation und es versammeln sich immer mehr Menschen im Kafenion, die ihnen zuhören. Ioannis erzählt:

 

„1941 sind die Italiener gekommen. 1943 kamen die Deutschen, nachdem die Italiener weg waren. Eines Tages haben zwei von uns zwei Deutsche in Kato Simi umgebracht. Die Deutschen wussten, dass unsere Leute da oben sind. Danach kam eine Einheit Deutscher, die einen Griechen umbrachten, der so hieß wie ein Andartiko-Führer. Dann haben einen Popen und einen Finanzbeamten festgenommen. Auf dem Weg nach Kato Simi wurden die Deutschen angegriffen. Es war Sonntag, der 12. September 1943. Es war eine kleine Schlucht, in der die Andarten angegriffen haben.

 

Am Montag haben die Deutschen die Maultiere und Esel von Amiras mitgenommen und sie nach Viannos gebracht. Am Dienstag, zwischen 9:30 und 10 Uhr, sind 250 in Viannos gestartet. Ich war damals 14 Jahre alt. Wir sind mit drei weiteren Kindern und Ziegen und Schafen auf dem „königlichen Weg“ gelaufen, so nannten wir damals den Ziegenpfad. Als wir von der Kirche nach Amiras liefen, kamen ungefähr 100 Deutsche den Weg runter. Sie kamen mit Maschinengewehren. Wir trafen die Deutschen und sie waren sehr ruhig, haben nicht einmal gegrüßt. Drei Deutsche haben uns festgenommen und einer sagte sagte: ‚Geht zu der Kirche!‘ Dort hatten sie die anderen Dorfbewohner zusammengetrieben.

 

Die Deutschen brachten uns und ungefähr 30 Menschen zum Friedhof, wo wir erschossen werden sollten. Aber die Deutschen fanden den Ort nicht geeignet und haben uns stattdessen mit anderen zur Kirche nach unten ganz gebracht, es gibt hier viele Kirchen. Dort wurden ca. 150 Menschen versammelt, direkt daneben war die Grundschule. Die Deutschen haben zwei Maschinengewehre aufgestellt. Einer ist weggelaufen und die Deutschen haben eine Garbe hinter ihm her geschossen. Aber er hat es geschafft, er konnte fliehen.

 

Ein Nachbar, der Amerikaner war, wurde nach seinem Ausweis gefragt. Der Amerikaner fragte, wie er denn seinen Ausweis holen könne. Der ranghöchste deutsche Offizier wollte mit zum Haus des Amerikaners gehen, um dessen Ausweis und den seiner Frau zu holen. Der Bürgermeister des Dorfs sagte zu uns, dass wir mitgehen und den Deutschen den Ausweis geben sollten. Aber er sagte auch, dass wir nicht zurückkommen sollten, denn hier würden alle umgebracht.

Direkt vor unseren Augen haben sie Manolis Grisbolakis umgebracht, der war behindert. Und Stavros Daskalakis, der war blind. Er wurde getötet, als er die Hühner gefüttert hat.“

 

Mahnmal bei Amiras Amiras, Kreta Ioannis Verikokakis erzählt von den Ermordeten aus Amiras Exekutiert in Amiras von den deutschen Besatzungstruppen - 14. September 1943

Das Massaker vom 14. September 1943 ist in Amiras noch heute sehr präsent

 

„Insgesamt waren etwa 140 bis 145 Menschen versammelt. Alle wurden runter zum Strand nach Arvi gebracht. Als sie runtergelaufen sind, kamen 50 Deutsche mit runter. Unten in Arvi haben sie ein Funkgerät aufgestellt. Sie haben per Funk gefragt: ‚Wir haben 145 Menschen, sollen wir sie erschießen?‘ Dann kam eine spezielle Einheit mit Totenköpfen, etwa 40 Soldaten, die kamen aus Ierapetra. Sie haben 30 Menschen separiert und zu einem Ort geführt. Dort wurden sie erschossen. Dann haben sie wieder 30 geholt. Aber zu einem anderen Ort, damit die zweite Gruppe die erste nicht sehen konnte. Dann haben sie 40 geholt und ein viertes Mal nochmal 40.

 

Manche haben überlebt, denn einige waren nur verletzt. Von den 140 Menschen haben etwa 20 überlebt. Dann kamen die Deutschen zurück ins Dorf und haben weitere Menschen ermordet. Manche von den Toten wurden von den Schweinen gefressen, weil die Dorfbewohner nicht nahe genug ran konnten, um die Schweine zu vertreiben. Sehr viele wurden von den Hunden gefressen. Außerhalb des Dorfes haben die Deutschen weitere Menschen erschossen. Einer wollte Wasser für die Verletzten holen. Die Deutschen haben ihn am Brunnen erschossen. Gleichzeitig waren die Deutschen auch in weiteren Dörfern, was die Leute aus den anderen Dörfern nicht wussten.

 

Am Mittwoch wollten die Frauen die Toten holen. Sie haben ein Grab ausgehoben und 9 Menschen begraben. Der Friedhof war nicht so groß. Deshalb wurden die Menschen an 10 verschiedenen Orten begraben. Das machten die Frauen und die Kinder, denn es gab ja keine Männer mehr.

Wir beide, Stelios und ich, konnten fliehen und haben überlebt. Sehr viele Kinder waren Waisen, viele Frauen waren Witwen. Ungefähr 20 der Toten waren über 60 Jahre alt, die anderen waren jung. Sie haben auch Kinder umgebracht, in manchen Dörfern Kinder unter 10 Jahren. Sechs Dörfer wurden angezündet: Simi, Pevkos, Kalami, Gdochia, Kefalovrisi und Krevvatas. Aus meiner Familie sind sieben Menschen von den Deutschen erschossen worden.

 

Und dann kamen die schlechten Zeiten in den Familien der Witwen und Waisen. Nach den Erschießungen sind die Menschen in die Berge gegangen. Amiras war ein großes Dorf, danach war es menschenleer. Am Anfang haben wir einmal ein ganz klein bisschen Entschädigung für die Ermordeten bekommen. Aber für die Dörfer hat niemand etwas bekommen.

Ich wurde in meinem Leben fünf Mal nach dieser Geschichte gefragt, bisher immer nur von griechischen Journalisten und Autoren. Das hier ist das sechste Mal und das erste Mal, dass mich ein Deutscher fragt. Darauf habe ich 71 Jahre lang gewartet.“

 

„Die Schlacht um Kreta“ in einem verlassenen Haus in Kalami Graffiti von Wehrmachtssoldaten in Kalami Brunnen in Kalami, Kreta Verwunschenes Fenster in Kalami, Kreta

Bilder aus dem heute fast verlassenen Dorf Kalami, das von den Deutschen 1943 niedergebrannt wurde

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Porträt eines griechischen NS-Opfers: Der deutsche Fluch

Als Kind dachte Giannis Syngelakis, dass Frauen immer Schwarz tragen. Sein Vater wurde mit Hunderten anderer bei einem NS-Massaker auf Kreta ermordet. Der Verlust hat Syngelakis' Leben geprägt.

Vielen Lieben Dank für diesen geschichtlichen Beitrag. Toll und spannend geschrieben. Auch der aktuelle Bezug zu der stattgefunden Aktionswoche, sehr informativ! Weiter so...

Gutes Timing diesen klasse Bericht gerade jetzt zu bringen.

Ich habe viele Urlaube auf Kreta verbracht und kenne keine gastfreundlicheren Menschen.

Nie hat irgendwer es mir oder irgendwem, den ich kenne, übel genommen, deutscher Abstammung oder Deutsche/r zu sein.

Von einem einfachen Bauern, der nur 4 Jahre Schule bekommen konnte, weil deutsche Paras, die in seinem Dorf schlossen, der trotzdem genug Deutsch und Englisch kennt, sich zu verständigen, habe ich viel Lebensweisheit gelernt.

Ein Satz von ihm bleibt mir lebenslang in Erinnerung: "Ihr da oben im Norden werdet irgendwann wieder Krieg haben; dann kommst Du mit deiner Familie hierher, ich habe genug Vorräte und Land, Euch mit durch zu bringen."

Wir haben ernsthaft überlegt, in das Dorf an der Südküste umzusiedeln. Wegen der strengen (schlagende Lehrer) und dürftigen Schulbildung haben wir es nicht getan.

Hier noch ein Verweis:

 

Blutspur in Hellas
Die lange verdrängten deutschen Kriegsverbrechen im besetzten Griechenland 1941-1944
Eberhard Rondholz, Berlin

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2014/03/rondholz.pdf

ora e sempre antifascista

Grüße aus dem Pott

ihr seid fett! was für eine tolle arbeit da aus linksuntenland kommt. da könnten sich einige leute mal ne scheibe von abschneiden, aber nein, sie machen anti-anti-fracking vorträge, missbrauchen linke strukturen und haben einen solidaritätsbegriff, der von wolfgang schäuble stammen könnte. es gibt echt gute und echt miese linke down south. ihr seid die guten!

Allein die Anzahl und die Qualität der Bilder ist schon beeindruckend. Sehr guter Beitrag.

Hallo,

 

ich bin Deutscher, genau gesagt aus Stuttgart. Ich habe nach meiner als SaZ bei den Panzergrenadieren von 2005 fast 8 Jahre in der Region von Vianos gelebt. Zum ersten mal dort war ich 1995. Ich wusste von Anfang an was in Vianos, Amiras und Simi geschehen war und hatte lange bedenken wie man auf Kreta, speziell in dieser Region auf mich reagieren würde.

 

Aber das Maß an Freundschaft, Liebe und Gastfreundlichkeit bis hin zur Aufnahme in ihre Gesellschaft und das Stimmrecht bei den Lokalen Gemeinde Wahlen haben mich nie wieder losgelassen. Was ich dort in den "Αιματοβαμμενα" den mit Blut bemalten Dörfern erleben durfte würde ein ganzes Band and Büchern füllen.

 

Ich habe jedes Jahr an Jahrestag des Massakers eine Kerze am Denkmal bei Amiras angezündet und mich in Grund und Boden geschämt obwohl ich selbst keinen Tropfen dieses Blutes and meinen Händen habe. Ich weiß nur was ich erleben durfte und wie weit sich mein Horizont in meinen Jahren dort erweitert hat. Einige meiner besten Freunde bis heute sind Kreter, ich lebe die kretische Tradition so gut ich kann sogar hier weiter und kann nur jedem Menschen eines mitgeben: 

 

"Wer Hass und Tod verbreitet und Intoleranz und Gewalt als Instrument benutzt, wer Faschismus und Nationalismus der Freiheit der Völker vorzieht hat letztenendes nicht mehr verdient als an jenem Hass und jener Gewalt die er praktiziert, elendig zu verrecken"

 

Heiko

Ciné Dimanche: Als die Deutschen vom Himmel fielen

Sonntag, 13. September 2015, 20 Uhr, KTS Freiburg

Infoveranstaltung: Deutschland ist der größte Schuldner Europas
Dienstag, 15. September 2015, 20 Uhr, KTS Freiburg

Liebe Autoren des guten Beitrages,

 

ich bin verwundert zu hören, daß ihr auf Kreta ward un haben.

 

Mit Hilfe der Familie Szgellakis mache ich seit Februar eine Untersuchung über die Kriegsverbrecher der Deutschen Wehrmacht auf Kreta und muss jetzt so nebenbei erfahren, daß angeblich ein Österreicher erschoßen wurde, weil er sich weigerte unschuldige Menschen zu erschießen. Mit keinem Wort wurde jemals in der Zeit, mehr als 2 Wochen, in Viannos davon mir berichtet.

 

Aber eine ähnliche Geschichte kenne ich aus Skourvoula, nur mit dem Unterschied, daß diese Verbürgt ist.

 

Auch in Kalavrita wurde solch eine Geschichte verbreitet, jedoch von fundierten Untersuchungen seitens der Griechen als Haltlos nachgewiesen.  Ich weis nicht warum man immer wieder versucht Österreicher als die "Guten Deutschen" hinstellen will. Es hat wohl niemand das Buch von Hagen Fleischer gelesen "Von Wien nach Kalavrita". Da wird ein anderes Bild aufgezeichnet.

 

Stephan D. Mc Neal

Wir können diese Geschichte weder belegen noch widerlegen, es wurde uns so erzählt. Die Interviews zeigen auf, wie die Geschichte heute erinnert wird. Das Problem bei „oral history“ ist, dass Erinnerungen sich mit der Zeit ändern können. Das ist nicht nur auf Seiten der Opfer so, siehe zum Beispiel „Opa war kein Nazi“.

Nach vielen Gespraechen mit Zeitzeugen auf Kreta und dem Vergleich mit früheren Aussagen, muß ich sagen, daß die Gedächtnisse der Menschen auf Kreta exakt sind. Selbst bei Menschen im Alter waren die Details so genau, daß ich wirklich Überrascht war. Deswegen war ich auch so verwundert nun diese Geschichte zu hören, zumal ich mehere Tage mit Aristomenis in Viannos und Umgebung unterwegs war.