Athen stockt ein Jahr nach Alexis' Ermordung der Atem

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Der folgende Artikel zur Lage in Athen am Vorabend des Jahrestags der Ermordung Alexis Grigoropoulos (hier in einer Übersetzung in die deutsche Sprache) sollte heute in der italienischen Tageszeitung "Liberazione" erscheinen. Die Veröffentlichung wurde jedoch fallen gelassen. Der Originaltext in italienischer Sprache ist u.a. auf radiocittaperta.it abrufbar.

Es ist wahr, in Athen, der griechischen Hauptsdadt, die heute dem Jahrestag der Ermordung des 15-jährigen Alexis Grigoropoulos durch die Aufstandsbekämpfungspolizei entgegen sieht, gibt es tausende mit Sturmhauben und Gasmasken vermummte Elemente, die Helme über ihre Köpfe gestreift haben und bereit zum totalen Chaos sind. Genauer gesagt, sind es 10000. Soviele hat nämlich die Regierung - des Sozialisten Pasoks frisch eingesetzte Exekutive - in Stellung gebracht, um "präventiv" der Wiederholung von jener Jugendrevolte zuvor zu kommen, die doch den Niedergang der vorausgegangenen mitte-rechts Regierung zeichnete, in dem sie diese der politischen Krise und der kürzlich erfolgten Wahlniederlage zuführte.

 

Sie sind überall, die Polizisten: die "Normalen" in Blau, und ebensoviele in Grün - die Mat, die Aufstandsbekämpfer, die  in Griechenland in Hinblick auf das verhasst sein durch die übergroße Mehrheit der Jugend und auch der nicht mehr ganz so jungen ein ansehnliches Primat inne haben. In den extrem spannungsgeladenen Nachmittagsstunden des Vorabendsamstags in Athen, sind sie überall, während die Hauptadern des Kommerzes und des Entertainements den Anschein machen, als seien ihnen die Leute - jene, die noch ein paar Groschen übrig haben, die sie in dem zum alten Gründungskern der Europäischen Union gehörenden, sich in Hinblick auf wirtschaftliche Rechnungen und soziale Bilanzen der globalen Krise in der schlimmsten Lage befindenden Land ausgeben können - in außergewöhnlicher Manier abtrünnig geworden.

 

Die 10000 Mann mit dem Anspruch der öffentlichen Ordnung materialisieren sich jedoch fast alle erst am Abend. Und sie materialisieren sich genau dort, wo Alexis ein Jahr weniger einen Tag (dem heutigen) zuvor ermordet worden war: in Exarkia, dem höchst zentral gelegenen alternativen Stadtteil, der den Ruf erworben hat, der rebellischste in ganz Europa zu sein. Und dort, wo die Repression und ihr mörderisches Gesicht in jener Nacht vom 6. Dezember 2008 die Aufständischen von Exarkia den natürlichen und unmittelbaren Strand finden ließ: in der Polytechnischen Hochschule Athens.

 

Schon seit dem Vorabend hat der Aufruf des Neo-Premiers Ghiorghios Papandreu - ein illustrer Name und ein über die Generationen hinweg vollkommen verändertes politisches Erbe - auf diese Weise seine ganze Leere offenbart. Um im Angesicht eines Jahrestages vorzugreifen, dessen Qualität durch die einfache Tatsache auf unmissverständliche Weise vorweg genommen wird, dass praktisch alle griechischen Schulen und Universitäten im Laufe des vergangenen Monats besetzt wurden - aber auch um zu versuchen, sich aus der perfekten Identifikation mit dem rechten Vorgänger Karamanlis (einem weiteren dynastischen Erben) heraus zu winden, hatte Papandreu am Freitag eine Ansprache an das Land gerichtet, in der er unter Hinzufügung von: "sowohl staatlich als auch individuell" sagte, dass die sozialistische Regierung "gegen Gewalt" sei, um anschließend zu einer "sozialen Einheitsfront" aufzurufen, die im Stande sei,  "vorzubeugen" und neue Funken der Revolte zu "isolieren". Es muss wohl so sein, dass die einzige Front, die sich bewegt hat, die der beteiligten Abteilungen gewesen ist...

 

Sogar der Innenminister, Michalis Chrissochoydis, hatte sich in der Tat noch am gestrigen Tag in die gleiche Richtung bemüht, in dem er an die Ermordung Alexis' als einem "Fall von extremer Polizeigewalt" erinnerte, der "die Schicksale des Landes zeichnete" und "das Vertrauen des Volkes in die Fähigkeit des Staates, es zu beschützen, angeschlagen" hatte (ein  angesichts der unmittelbaren Ausdehnung der Revolte vor einem Jahr ziemlich fantasiereich vermutetes Vertrauen...) ; Er, der nicht anders kann, weil er, nach dem er Feuer und Flamme in Zusammenhang mit der "Normalisierung" von Exarkia versprochen hatte nach der Begehung eines "Fehlers" wie der Verhaftung des einstigen Sprechers des Piratensenders der besetzten polytechnischen Fakultät gegen die faschistische Junta im Jahr 1973 und heutigem Mitglied von Sryza auf dem Exarhion Platz gezwungen gewesen war, den Polizeichef zum Rücktritt zu bewegen, den die Pasok Regierung vom "spin-off" verschont hatte, obwohl er der selbe vom Dezember 2008 war. Chryssochoydis hatte dann noch argumentiert, "dass die jungen Leute" vor einem Jahr "das Recht hatten, sich die Straßen zu nehmen, um ihre Notlage und ihre Wut auszudrücken"; "Heute" aber liege der "Untersachied" in der Tatsache, dass "die Führung, die diese Situation auslöste, nicht mehr vorhanden ist" und also "neue Hoffnung" bestehe. Praktisch, eine präventive Verteidigungsrede. Das Ganze, um synthetisch auf den Punkt zu bringen, dass "die einzigen Bedrohungen", die ihm Sorge bereiten würden, von "ungefähr 500 ausländischen anarchistischen und extremistischen Elementen" her rühren würden, die im Begriff seien, nach Athen zu strömen.

 

Während der Präsident der Republik Karolus Papoulias seinerseits höchstselbst appellierte, "friedlich der Ermordung Alexis' Grogoropoulos' zu gedenken", nach dem er diese als "eine Lektion für uns alle darüber, wo Willkür hinführen kann" bezeichnete und "Solidarität" mit der "Familie" zum Ausdruck gebracht hatte (die derweil die x-te Vertagung des Verfahrens gegen den  mordenden Polizisten hinnehmen musste, die explizit "aus Gründen der öffentlichen Ordnung" in den Januar und dazu noch über 150 Km. von Athen entfernt verlegt wurde), wurden so die griechische Hauptstadt und in ihr die Hauptstätten des Dissenses und der sozial "gefährlichen" Verhaltensweisen - also Exarkia und die Universitäten - unter Belagerung gestellt.

 

So stieß auch die einzige - genau am Ort der Tötung Alexis' - an jenem bleischweren Vorabend, den der gestrige Tag dargestellt hat auf dem Missoloungi-Platz - der seit einem Jahr Alexis' Namen auf selbstproduzierten Tafeln und in den Köpfen von so vielen Frauen und Männern angenommen hat - festgelegte Veranstaltung, eine von den Vereinen der Stadtteilbewohner einberufene Kundgebung, um sich herum auf keinerlei Geste des "Dialogs". Statt auf eine Lockerung der seit Monaten mit "Sanitätssperrgürteln" und Überrachungsangriffen wie jenem, der am Donnerstag die Reaktion der Jugend auf dem Exharion Platz auslöste, deren Schlussbilanz übrigens zwei stationär im Krankenhaus eingelieferte Polizisten war, von denen einer wegen des von ihm in Folge der Steinwürfe erlittenen Schädeltraumas in kritischem Zustand ist zu stoßen, wurde die Veranstaltung im Herzen Exarkias erstickt - durch einen noch engeren und von der Zahl der in Stellung gebrachten Polizisten (2000 von Anfang an, oder besser: schon im Vorfeld) her exponenziell vervielfachten Sperrgürtels, der unter Ausnutzung der ersten Scharmützel entlang der Straßen, die den Stadtteil mit dem Akademias und mit dem Parthision Korso verbinden, sogleich in einen erneuten Überraschungsangriff aufging.

 

Das Ergebnis ist die Frucht der Intention. Deren Evidenz nichts anderes getan hat, als die Motive des entschlossenen Zorns und des Willens, der Revolte eine Kontinuität zu verleihen, die seit jeher die Schüler- und Studentenbewegung und nicht nur in Athen und in ganz Griechenland beseelen, Bestätigung zu verleihen. So ist die hellenische Hauptstadt gestern erneut zum Bühnenportal jener Wut und jener Revolte geworden - mit dem Novum der Schnelligkeit und der verschärften Härte des Polizeieinsatzes, der  im Wortsinn über das Stadtteil hinweggefegt ist und die besetzten Hochschulen des Polytechnikums, der juristischen Fakultäten und der Assoe - der Wirtschaftsschule, die der Leiter am Freitag versucht hatte, gesperrt zu halten und die er nach härtesten Auseinandersetzungen mit der Polizei, die gerufen worden war, um sie zu besatzen, gezwungen gewesen war, den Kollektiven zu überlassen - in sich selbst eingeschlossen hatte. Tausende Polizisten und Hunderte Feuerwehrleute, die zur Löschung von Bränden gezwungen worden waren, diesen zu folgen. Nur, dass es gestern noch Nacht werden musste. Und vor Allem: Gestern war nur der Vorabend im Vorfeld der großen Demonstrationen, die für heute um 13:30 und morgen um 12:30 Uhr konsekutiv auf den Propyläen einberufen wurden - wenige Hundert Meter vom Parlament und vom Sitz der Regierung, in dem Land, in dem seit zwei Wochen die Spitzenränge der EU-Wirtschaftsvertreter diskutieren, wie sich die Deklassierung der Staatstitel wegen eines öffentlichen Schuldenbergs der dem Italiens gleich kommt und  eines Defitzts, das nicht viel höher liegt, als in Italien verhindern lassen könnte.

 

Anubi D' Avossa Lussurgiu, Athen, 5. Dezember 2009

 

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