Bürger in Wut - Eine Bestandsaufnahme. Inhalte. Personal. Einordnung. Im Jahr 2007 erlangte die Partei Bürger in Wut (kurz: B.I.W.) ihren ersten Sitz in der Bremischen Bürgerschaft und festigt seitdem ihre Präsens in Beiräten und Medien. Wer ist diese bremer Kleinstpartei mit nur wenigen hundert Mitgliedern? Wofür steht sie? Wie ist sie in die jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen einzuordnen? Darüber soll der folgende Text Auskunft geben.
Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive (Schill-Partei) in Bremen
Zur politischen Einordnung der BIW lohnt ein Blick auf die Geschichte
dieser Partei und ihrer Vorgängerparteien, im Besonderen die
Schill-Partei. Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, besser als
Schill-Partei bekannt, wurde im Jahr 2000 in Hamburg gegründet. Die
Partei war komplett auf ihren ersten Vorsitzenden Ronald Schill
zugeschnitten. Im September 2001 erhielt die Schill-Partei aus dem Stand
19,4 Prozent der Stimmen bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen, womit
die Schill-Partei Regierungsbeteiligung durch eine Koalition mit CDU und
FDP erlangte.
In ihrem Programm plädierte die Partei
Rechtsstaatlicher Offensive unter anderem für eine notwendige Stärkung
der inneren Sicherheit. Bekämpfung des Terrors sollte durch „Sicherung“
erfolgen. Allgemein sollte dies durch eine konsequente Strafverfolgung
und Anwendung der Gesetze erreicht werden. Die Freiheit der Bürger war
ihrer Meinung nach in Deutschland nicht mehr gewährleistet. Darüber
hinaus strebte die Partei eine restriktivere Ausländerpolitik an.
Zuwanderung sollte streng kontrolliert werden. Das Asylrecht sollte aus
der Verfassung genommen und über ein einfaches Gesetz behandelt werden.
Die multikulturelle Gesellschaft wurde abgelehnt, ebenso der geplante
EU-Beitritt der Türkei.
Das damals als sensationell empfundene
Ergebnis wurde auf mehrere Ursachen zurückgeführt, dabei spielte die
Unzufriedenheit vieler Hamburger_innen mit der langjährigen Politik der
SPD, als auch das durch die Terroranschläge vom 11.September angefachte
Schwerpunktthema innere Sicherheit eine Rolle.
Beflügelt durch ihren
Wahlerfolg in Hamburg, trat die Schill-Partei 2002 in 15 Bundesländern
zur Bundestagswahl an, – mit mäßigem Ergebnis: Bundesweit erreichte sie
lediglich 0,8 Prozent der Stimmen, in Hamburg 4,2 Prozent. Im Februar
2003 wurde dann in Bremen der Bundesverband der Schill-Partei gegründet.
Bremen: STATT-Partei, Schill-Partei und Bürger in Wut
Jan Timke, ehemaliger Polizist beim Berliner BKA und bremer
Landesvorsitzender der sich als ideologiefrei bezeichnenden
STATT-Partei, löste diese 2001 zu Gunsten der Schill-Partei auf. Nach
dem Scheitern der Schill-Partei in Hamburg 2004 und ausbleibenden
Erfolgen der Partei bei Landtagswahlen, wurde die Bremer Sektion
abermals vom Timke eingestampft und zur Partei Bürger in Wut umgeformt.
2007, der erste Wahlerfolg
Bei der Wahl zur
Bremischen Bürgerschaft 2007 stellte sich die Wählervereinigung BIW im
Wahlbereich Bremerhaven zur Wahl und erhielt dort 2.336 Wählerstimmen
(5,29 Prozent). Sie übersprang damit die Fünf-Prozent-Hürde im
Wahlbereich Bremerhaven und zog mit einem Abgeordneten in die Bremische
Bürgerschaft ein. Bei der Wahl zur Bremerhavener
Stadtverordnetenversammlung 2007 erreichte die BIW 5,4 Prozent der
Stimmen und zog mit drei Abgeordneten ins Stadtparlament ein.
Wahl 2011
Die BIW erzielte bei der
Bürgerschaftswahl 2011 ein Gesamtergebnis von 3,7 Prozent und überholte
damit die FDP. In der Stadt Bremen kam sie auf 3,1 Prozent und in
Bremerhaven übersprang sie erneut die Fünf-Prozent-Hürde und wurde mit
7,1 Prozent viertstärkste Kraft, sodass sie wieder mit einem Sitz in der
Bürgerschaft vertreten war.
Die Hochburgen der Wahlbeteiligung
lassen sich in Bremen-Nord verorten, wo die BIW zwischen Vegesack und
Farge 5 bis 9 Prozent der Stimmen erhält. Im Süden Bremens lassen sich
noch Hemelingen, Mahndorf und Neue Vahr mit ca. 3 bis 4 Prozent der
Wähler_innenstimmen als Wahlbereiche mit vergleichsweise hohem BIW
Anteil feststellen.
In Bremerhaven dagegen ist die BIW über das
komplette Stadtgebiet mit über 5 Prozent fest vertreten. Hochburgen sind
dort die Wahlbezirke Dreibergen (9,6 Prozent), Geestemünde (10,6
Prozent) und Buschkömpen (16,1 Prozent).
Inhalte
Die BIW nennt als ihr Ziel eine „sozial
verantwortliche, wertkonservative Politik der Vernunft“. In ihrem
Parteiprogramm 2011 dominieren sicherheitspolitische Inhalte. Selbst in
Teilbereichen wie Bildung oder Gesundheit finden sich immer wieder
sicherheitspolitische Bezüge. Im Zentrum des Programms wird von einer
hohen Kriminalitätsrate im Vergleich zu anderen Bundesländer gesprochen.
Daraus abgeleitet wird eine "Null Toleranz gegenüber Rechtsbrechern“,
selbst bei vermeintlich „harmlosen Delikten”. Hier dominiert die Logik
der Abschreckung und Härte als Lösungsansatz für Kriminalität. Ebenso
wird die “Freiwillige Sicherheitswacht” nach dem Beispiel Bayerns und
Sachsens befürwortet: Ehrenamtliche Bürgerstreifen sollen die
überlastete Polizei unterstützen und somit die Präsenz des Staates und
die Abschreckung vor Kriminalität erhöhen.
Eine besondere Bedrohung
sieht die BIW insbesondere bei “kriminellen kurdisch-arabischen Clans”.
Für “Ausländische Intensivtäter” fordert die BIW die Abschiebung ins
Herkunftsland, genauso wie für “ausländische Rauschgifthändler“. Des
weiteren spricht sich die BIW gegen die Kennzeichnungspflicht für
Polizeibeamt_innen aus, für mehr Geld im sicherheitspolitischen Etat und
für mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum.
Die BIW ist gegen jede Form der kontrollierten Drogenabgabe an Suchtkrake oder Methadonprogramme.
In Sachen Demokratie fordert die BIW die Verkleinerung der Bürgerschaft
auf fünfzig Abgeordnete und die Direktwahl eines „Landespräsidenten“.
Vorherrschende Begründung ist hierfür lediglich die Kostensenkung im
hochverschuldeten Bremen.
Weitere Forderungen sind, dass
Strafgefangene nur noch in Ausnahmefällen vorzeitig zu entlassen sind.
Das dreigliedrige Schulsystem sei wiederherzustellen, Schuluniformen
eingeführt werden und die Umweltzonen abgeschafft werden.
Darüber hinaus behauptet die Partei mit einer Reihe von bundesweiten Kampagnen wie z.B. der Initiative gegen den EU-Beitritt der Türkei und die Bundestagspetitionen gegen deutschenfeindliche Äußerungen und für ein Burka-Verbot in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht zu haben.
Politische Präsenz
Ihren politischen Alltag
bestreiten die BIW durch sicherheitspolitische Anfragen in der
Bürgerschaft. Schlagzeilen machte sie in den vergangenen beiden Jahren
aber besonders im Hinblick auf rassistische Mobilmachungen in Vegesack
2013 und 2014 in Rekum/Bremen Nord. Auch der Wechsel des ehemaligen SPD
Politikers Martin Korol, der u.a. auf Grund antiziganistischer
Äußerungen aus der SPD ausgeschlossen wurde und dann zu den Bürger in
Wut wechselte, brachte der Partei ein großes Medienecho ein.
Rassistische Mobilmachung – Vegesack 2013
In
Bremen Vegesack wurde am 4.7.2013 auf Antrag der BIW, CDU und FDP eine
Sondersitzung des Ortsbeirats einberufen. Das Ziel war, die Einrichtung
von Mobilbauten für Geflüchtete im Stadtteil zu verhindern. Dem Aufruf
folgten zahlreiche Vegesacker_innen und äußerten sich mehrheitlich
rassistisch und menschenverachtend. „Der Bunker Valentin ist groß
genug.“ und „Ich als Deutscher bin nicht mehr offen für Integration.“
waren zu hören. Es wurde „Solidarität mit den deutschen Kindern“
verlangt.
In verteilten Rollen brachten Beiräte und Bürger_innen
ihre grundsätzliche Ablehnung gegen Geflüchtete zum Ausdruck und
ernteten dafür reichlich Beifall. Beiratsmitglied Cord Degenhard von den
„Bürgern in Wut“ fühlte sich in dieser Stimmung „ausgesprochen wohl“.
Die Sitzung beschloss mit den Stimmen von BIW, CDU, FDP und SPD die
geplante Unterbringung abzulehnen und endete damit, dass Wutbürger
Degenhard mit einem Volksaufstand drohte und spielte auf die
zeitgleichen Proteste in der Türkei an: „Wenn Sie das weiter
durchziehen, dann gibt es nicht nur einen Platz in Istanbul, dann gibt
es auch einen Sedanplatz.“
Rassistische Mobilmachung – Rekum 2014
Ende
Oktober 2014 wurde in Bremen-Nord (Farge) mobil gemacht gegen die neu
entstandene Unterkunft für zehn minderjährige, straffällig gewordene
Geflüchtete in der Rekumer Straße. Besonders hervor tat sich dabei der
Anwohner Fritjof Balz der eine Facebook-Gruppe „Rekumer Straße – nicht
mit uns“ gründete. An dem von der CDU veranstalteten und gut besuchten
Infoabend ließen Anwohner_innen ihren Ängsten vor „den kriminellen
Ausländern“ freien Lauf.
Die BIW vertreten durch Martin Korol
beschränkte sich auf eine „nüchterne Sachpolitik“ und versuchte durch
parlamentarische Anfragen, zum Gebäudezustand der geplanten Unterkunft,
die Tragbarkeit des Projektes in Frage zu stellen. Es folgten weitere
Anfragen zu den Kosten der Rekumer Str., Anzahl der Polizeieinsätze und
Fragen zur behördlichen Umgang mit unbegleiteten minderjähriger
Geflüchteten.
Im Allgemeinen wurde eine Situation konstruiert, in
der die Nachbarschaft durch die Geflüchteten permanenter Gefahr durch
Gewalttaten ausgesetzt sei. Ein Teilnehmer vertrat auch die Meinung, die
Geflüchteten wären „ohne Moral und Sitte“ und hätten in ihrem
Heimatland „behandelt“ werden müssen. Fritjof Balz ,der zunächst als
parteiunabhängig die Organisation der Proteste voran trieb, tritt nun
für die BIW zur Bürgerschaftswahl an.
Personal
Bremerhaven: Die personelle Hochburg
der BIW ist das nördlich von Bremen gelegene Bremerhaven. Dort haben die
BIW 2014 mit Malte Grotheer, Heinrich Grotstück, Rebecca Sarnow und Jan
Timke vier Sitze in der Stadtverordnetenversammlung besetzt.
Jan
Timke ist der Gründer und die personelle Spitze der BIW und sitzt seit
2011 in der Bremer Bürgerschaft. Seine sicherheitspolitischen Inhalte
dominieren die BIW Politik. In jüngster Zeit äußert sich Timke aber auch
zum Thema Asyl. Nach seiner Interpretation sind 70 Prozent der
Antragsteller nicht schutzbedürftig, was für ihn den missbrauchen des
Asylrechts aus wirtschaftlichen Gründen bedeutet. Außerdem kritisiert
Timke die Lockerung der Residenzpflicht, die eine Abschiebung erschwere
und sieht mit der neuen Asylgesetzgebung mehr unqualifizierte
Armutsflüchtlinge nach Deutschland kommen.
Martin Korol war seit 1969 in der SPD bis er Ende 2013 von ihr
ausgeschlossen wurde, aufgrund von Äußerungen zu Roma und Sinti auf
seiner Webseite. In einer „uralten patriarchalischen Gesellschaft“
würden die leben, in der Männer „keine Hemmungen“ hätten, „die Kinder
zum Anschaffen zu schicken“ und „ihren Frauen die Zähne auszuschlagen“.
Und zur Geschlechtergleichheit teilte der überzeugte Katholik Korol mit,
dass sich der „Wahn der sogenannten Selbstverwirklichung der Frau“
zeige „in der Lust an der Entfremdung auf dem fremdbestimmten
Arbeitsplatz … und im Massenmord der Abtreibungen“.
Kurz nach
seinem Ausschluss wurde Korol durch den BIW Abgeordneten Jan Timke
angeworben. In Erscheinung trat Korol dann vor allem wieder bei den
rassistischen Mobilmachungen in Farge 2014. Auch zu den PEGIDA Protesten
äußerte Korol sich in einem Kommentar an den Weser Kurier. In dem er
die Benennung Kögidas (PEGIDA in Köln) als islamfeindlich für unzulässig
bezeichnete.
Zusammenarbeit mit der AfD
Im Oktober 2014
sprach sich der Landeverband der AfD gegen eine Zusammenarbeit mit den
BIW aus. Eine inhaltliche Differenz wurde aber verneint. Dies kann als
die offizielle Bestätigung der bisherigen Praxis gelten. Bei Themen die
beide Parteien bewegen, wie zuvor in Blumenthal beim Streit um die
Unterbringung von Geflüchteten, konnte keine Zusammenarbeit festgestellt
werden. Die beiden Parteien sind zwar ähnlicher Meinung halten aber
Distanz zueinander.
Politische Einordnung und Wähler_innen-Klientel
Die Bürger in Wut legen ihren politischen Schwerpunkt auf die Bekämpfung
von Kriminalität. Zentrales Moment ihrer Politik ist die Konstruktion
von Unsicherheit und Angst; Angst vor Einbrüchen, Angst vor finanzieller
Belastung und Angst vor dem vermeintlich Fremden in Form von
Migrant_innen und Geflüchteten.
Bei den jüngsten Mobilmachungen
gegen die Unterbringung von Geflüchteten in Bremen-Nord, waren die BIW
immer zur Stelle. Die vor ansteigender Kriminalität warnenden und Angst
schürenden BIW bedienen dabei immer das selbe Bild des “kriminellen
Asylanten”.
Schenkt man den Wahlanalysen Glauben, befinden sich die
rechten Wähler_innen wirtschaftlich keineswegs am untersten Rand der
Gesellschaft. Stattdessen rührt ihre Misere aus empfundenen
Verlustängsten, dem Gefühl, zu den benachteiligten und abstiegsbedrohten
Gruppen zu gehören. Zum Hauptkristallisationspunkt der Angst wird dabei
das vermeintlich Fremde, was entsprechend mit der Ablehnung von Fremden
einhergeht.
Weiter sehen sie sich durch geflüchtete Menschen
bedroht, die angebliche “Einwanderung in das deutsche Sozialsystem”
betreiben oder durch Angehörige nicht-christlicher Religionen.
Hinter dieser selbst gemachten Opferidentität steht vor allem die Angst,
der eigenen weißen, deutschen, heterosexuellen Privilegien beraubt zu
werden. Dabei werden nicht nur gesellschaftliche Realitäten und
Machtverhältnisse komplett ausgeblendet, sondern auch emanzipatorische
Gesellschaftskritik umgedeutet und ins Bedrohliche verzerrt.
Die
BIW zeichnen ein Bild von allgegenwärtiger Gewalt und Kriminalität. Die
Botschaft dahinter soll lauten: Jede_r könne jederzeit Opfer einer
Straftat werden. Gleichzeitig bieten die BIW die vermeintliche Lösung
für die entstehenden Ängste an: Härtere Strafen und mehr Überwachung
sorgen für eine höhere Sicherheit. Law-and-Order-Politik steigert nicht
etwa unsere Sicherheit, sondern birgt selbst Gefahren: Menschen die
vermeintlich “fremd“ oder “sozial benachteiligt“ aussehen, werden im
Zuge von Law-and-Order-Kommunikation zunehmend als Bedrohung
wahrgenommen. Anstelle der versprochenen sicheren Gesellschaft trägt der
Law-and-Order-Ansatz zur Verschärfung von gesellschaftlichen Konflikten
bei.
Der Blick zurück in die Geschichte der Kleinstpartei lässt eine Kontinuität der Sicherheitsdebatte erkennen. Die jüngsten Debatten und Entwicklungen von AfD und Pegida hatten ihre Vorläufer in der Schill- und STATT-Partei als auch in den Bürgern in Wut. Auch wenn die BIW und AfD nicht zusammenarbeiten, können deutliche Parallelen erkannt werden. Viel Raum nimmt die Selbstdarstellung als objektive Partei einer vernünftigen Politik ein. Vermeintliche Sachargumente, die als Ideologie frei propagiert werden, sollen meist rassistische und autoritäre Politik legitimieren. Die BIW beziehen allerdings ihre Wähler_innen vor allem aus strukturschwachen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit wie Bremen-Nord und Bremerhaven. Die AfD Wähler_innen kommen nach bisherigen Analysen hingegen aus der Mittel und Oberschicht. Es bleibt dahingehend spannend, ob die AfD die bisherigen BIW-Stimmen auf sich vereinigen, oder ob in Bremen bald mit beiden Parteien in der Bürgerschaft zu rechnen ist.
Vorsicht: Spitzel und Anti-Antifa in Bremen unterwegs
Ein interessanter Artikel der zum Thema passt: https://linksunten.indymedia.org/de/node/113729
Oliver Meier ("Bürger in Wut") bespitzelt und filmt die antifaschistische Szene in Bremen. Grund genug Herrn Meier heute mal kurz vorzustellen.
Nicht nur in Bremen