Aktionen gegen Schwarzfahr-Kriminalisierung: Teil 3 ... der Prozess in Gießen am 3.3.2015

Demo durch Gießen

30 Stunden Daueraktion gegen Strafen für Schwarzfahren und für einen Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr: Start in Kempten, Aktions-Zugfahrt nach München, dort Aktionen, Demos und ein Strafprozess, dann die aufreibende Aktions-Zugfahrt nach Frankfurt und am 3.3. der zweite Tag mit Aktionszugfahrt nach Gießen und dem Prozess dort (Überblick über alles). Hier folgt der genauere Bericht des dritten Teils dieser Aktion, nämlich den 3.3.2015 in und um Gießen.

 

7.18 Uhr ab Gleis 14 in Frankfurt

Frühes Aufstehen - denn wer weiß, wieviele Zwangsausstiege heute anstehen. Der Prozess in Gießen um 9.30 Uhr sollte schließlich rechtzeitig erreicht werden. Einsteigen, Flugblätter verteilen durch den ganzen Zug, viele Gespräche (gute und weniger nette), aber gar keine Kontrolle und somit auch kein Stress mit irgendwelchen Bediensteten. Kurz nach 8 Uhr war die Gruppe schon in Gießen. Die Gießener Bundespolizei und Bahnhofsführung wussten schon Bescheid und warteten vor Ort. Sie akzeptierten die Demoroute durch die Bahnhofshalle (auch hier also klar: Bahnhöfe sind Demozonen - und zwar sehr schöne!). Vorher gab es noch Verabredungen und ein bisschen Warten. Dann ging es los - im Bahnhof, über den Bahnhofsvorplatz durch die Fußgänger_innenzone bis zum Gericht. Dort Kontrollen, kurz nach dem offiziell festgesetzten Zeitpunkt startete der Prozess. Der war in den größeren Raum 200 verlegt worden. Die Sitzplätze waren auch gut gefüllt - allerdings so gut wie nicht mit irgendwelchen politisch Aktiven Leuten aus der Stadt. Das überraschte aber eigentlich niemand, sondern ist Teil der gruppenidentitären, weitgehend entpolitisierten Verhältnisse in der aktuellen Protestkultur (Inhalte: wenig, Aktionen: so gut wie gar nicht, Interesse: nur an der eigenen Gruppe).

Der Prozess endete schnell und wurde in den regionalen Medien (HR ++ Gießener Allgemeine ++ Gießener Anzeiger) überwiegend korrekt beschrieben, zudem noch auf einem Blog. Nüchtern betrachtete der Gießener Anzeiger den Ablauf:

Mit der Aussetzung des Verfahrens und einer Neuterminierung endete gestern Morgen der Prozess vor dem Gießener Amtsgericht gegen einen 50-jährigen aus Saasen, bevor überhaupt seine Personalien abgefragt und die Anklage verlesen wurde. In dieser ging es um Schwarzfahren, was der Angeklagte auch gar nicht abstreitet. Doch gleich zu Beginn wartete der bekannte Ökoaktivist mit einem Befangenheitsantrag gegen den prozessführenden Strafrichter Jürgen Seichter auf. Diesen begründete der Angeklagte mit dem Verhalten des Richters gegenüber ihm in einer vorausgegangenen Verhandlung, in der es ebenfalls um den Vorwurf des Schwarzfahrens ging. Der Richter sei voreingenommen gegenüber ihm, was in der Urteilsbegründung deutlich geworden sei. Der 50-Jährige schloss aber nicht aus, dass "möglicherweise auch ein irrationaler Hass der Gießener Justiz gegenüber seiner Person bestehe."
Seichter nahm daraufhin den schriftlich vorgelegten Befangenheitsantrag zu Protokoll und fasste danach den Beschluss, das Gericht werde von seinem Recht gebrauch machen, trotz des Befangenheitsantrages die Zeugenvernehmung durchzuführen, und danach die Verhandlung zu unterbrechen, um über den Antrag entscheiden zu lassen. Doch dazu kam es auch nicht, denn postwendend legte der Saasener Beschwerde gegen eine ihm erst wenige Tage zuvor zugeschickte Entscheidung des Richters ein. Darin hatte Seichter die vom Angeklagten beantragte Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen des Verdachts der Erschleichung von Leistungen abgelehnt. Außerdem mache der Sachverhalt eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht nötig und der Angeklagte verfüge über ausreichend Intellekt, dem Verfahren rechtlich zu folgen und die schwierige Rechtslage zu erfassen, wie der 50-Jährige aus dem Bescheid zitierte. Dem widersprach der Angeklagte in seiner Beschwerde. Was den Straftatbestand des Schwarzfahrens angehe, sei die Rechtslage alles andere als einfach.
Die Ablehnung eines Pflichtverteidigers sei rechtswidrig, meinte der Saasener. Er stellte den Antrag, das Verfahren bis zu einer Entscheidung über seine Beschwerde über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auszusetzen. Die Antwort des Gerichts darauf war kurz und knapp: Das Hauptverfahren werde ausgesetzt und ein neuer Verhandlungstermin angesetzt. Im Anschluss an den Prozess erläuterte der 50-Jährige, dass das Schwarzfahren für ihn und zahlreiche andere Aktivisten in Deutschland eine Art Protest sein und er für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zum Nulltarif eintrete. Er fahre auch nicht heimlich schwarz, sonders tue dies durch ein Schild mit der Aufschrift "Ich fahre umsonst - d.h. ohne gültige Fahrkarte". Dass er damit nicht überall auf Verständnis trifft, ist dem Saasener bewusst.

Ein ähnlicher Bericht fand sich unter dem Titel "Schwarzfahren mit »Ausweis«" auch in der Gießener Allgemeine vom 4.3.2015, dort ergänzt um einige politische Erläuterungen, die sich so lasen:

"In Hamburg, Berlin und anderen deutschen Großstädten sind sie aktiv. Die Rede ist von der sozialen Bewegung des »Umsonstfahrens« im öffentlichen Personennahverkehr. In dieser Woche müssen sich nun auch die Gerichte in Gießen mit dem Schwarzfahren aus Protest beschäftigen.
Und wer anderes als der heimische Politaktivist Jörg Bergstedt wäre geeignet, sich mit der heimischen Justiz über die Frage auseinandersetzen, ob diese Form des Schwarzfahrens strafbar ist. In zwei Verfahren muss sich der Gründer der Saasener Projektwerkstatt vor dem Amtsgericht und dem Landgericht wegen »Erschleichens von Leistungen« verantworten.
Aber Vorsicht: Schon bei den Begriffen wird es schwierig. Denn Schwarzfahren beschreibt das, was Bergstedt und dessen Mitstreiter bundesweit praktizieren, eigentlich nicht richtig. Denn sie tun öffentlich kund, dass sie keinen Fahrschein lösen. »Ich fahre umsonst« lautet die Aufschrift auf ihren »Ausweisen«, mit denen sie Züge, Busse und S-Bahnen besteigen. Im Kleingedruckten werden Fahrscheinkontrolleure oder Bahnpolizisten auch über den ideologischen Hintergrund des Umsonstfahrens informiert. »Es ist genug für alle da. Preise schließen Menschen von etwas aus, was für ein gutes Leben wichtig ist und dessen Nutzung niemanden stört«, steht weiter unten auf dem Ausweis.
Insofern, argumentieren die Umsonstfahrer, könne von einem Erschleichen der Transportleistung keine Rede sein. Mithin sei ihr Handeln nicht strafbar. Einige Gerichte sahen das so und stellten Verfahren ein, andere dagegen verurteilten die Angeklagten."

Falsch an beiden Artikeln dürften die Ansagen sein, wie lange die Aussetzung dauern wird, also wann alles neu losgeht. Von einer Woche sagte der Richter nichts, erst recht setzte er keinen neuen Termin an. Aber es wird sich zeigen, ob sie so schnell wieder in Gang kommen. Allein die Zeug_innenladung dürfte da ja schwierig sein.

Ansonsten ist den Berichten kaum etwas hinzuzufügen. Wer den Befangenheitsantrag oder die Beschwerde im Wortlaut nachlesen will, findet sie als PDF.

Nach dem Prozess gab es viele Debatten, einzelne Gespräche, Interviews - und dann als Abschluss erst eine Demo vom Gericht zum Bahnhof und anschließend die letzte Aktions-Schwarzfahrt von dort nach Saasen, Ankunft kurz vor 13 Uhr. Die hatte es noch einmal in sich und zeigte, wie schnell selbst (oder gerade) solche Menschen, die selbst eher Opfer (Billiglöhner_innen & Co.) der kapitalistischen Scheiße sind, ihren aufgestauten Hass gegen die wenden, die sie vermeintlich noch unter sich wähnen. "Radfahren" wird das auch genannt: Nach oben buckeln, nach unten treten. Es tritt zwischen Blockwart und Containerer_in, zwischen Bio- und Nichtdeutschen, zwischen Familienvorstand und (meist) Frau/Kindern, in Cliquen, Nachbarschaften sowie an vielen, vielen anderen Stellen auf. Die jeweils Herrschenden freut das. Wenn Bahnchef Rüdiger Grube am 26.2. im Managermagazin sagt: "Oberstes Gebot ist für uns, ein berechenbarer Partner am Kapitalmarkt zu sein", dann zeigt das die allein profitorientierte, d.h. typisch kapitalistische Ausrichtung des Konzerns (wie sollte es auch anders sein). Fahrgäste und Personal sind dabei nur Faktoren, die es hinsichtlich der Profitrate zu optimieren gilt. Anders ausgedrückt: Die es optimal auszupressen gilt. Statt Solidarität und Treten nach oben aber passiert meist das Gegenteil - so stabilisiert sich Herrschaft durch Unterdrückung selbst. Jedenfalls: die letzten Minuten der ganzen Aktionsphase wurden die gewalttätigsten. Ein bullig designter Kontrolleur schimpfte, schubste und drohte. Dann orderte er - mal wieder - die Polizei, aber offenbar an den falschen Bahnhof. Als seine vermeintliche "Beute", die dem Ganzen gelassen entgegen sah und vom Fehler des HLB-Schaffners nichts ahnte, in Saasen aussteigen wollte, drehte er durch, warf sich mit seinem zwar imposanten, aber eben nur einen Körper mutig der ganzen Gruppe entgegen, schlug und zerschlug eine Brille. Selbst ruhiges Zureden half nicht, z.B. dass er sich gerade der Freiheitsberaubung strafbar machte und das für ihn ziemlich dumm wäre, gerade wenn er selbst dann noch die Polizei holen würde. Seine "Opfer" mochten Polizei und Gefängnisse nicht. Schon gar nicht wollten sie Leute vor Gericht zerren, die nur aus schlimmer Unterwürfigkeit gegenüber dem Arbeitgeber hier so handeln. Doch der Kontrolleur hörte nirgends mehr hin in seiner völlig ekstatischen Gewaltmaßnahme, die erst endete, als jemand die Notbremse zog. Der Lokführer kam, wirkte ruhig. Das half. Die Aktivist_innen schoben den Kontrolleur, der immer noch den Weg krampfhaft zu versperren suchte, sanft, aber bestimmt mit aus dem Zug. Dort gab er endlich den Widerstand auf. Ob er trotz eigener Schädigung die Polizei informierte, ist noch nicht klar. Denn passiert ist dann gar nichts mehr. Irgendwann fuhr der Zug weiter. Die Polizei kam gar nicht mehr.

In Gießen steht am Donnerstag, den 5.3., gleich der nächste Prozess an: 8.30 Uhr im Landgericht Gießen (Raum 15). Konstellation: Wieder Jörg B., diesmal gegen Richter Nink. Das ist der, der ihn für eine Feldbefreiung sechs Monate hinter Gitter schickte. Als Freunde begegnen sich die also wohl nicht. Könnte sich also lohnen. Wichtiger als Zugucken ist aber Selbermachen!

  • Hinweis: Die weiteren Berichtsteile erscheinen in den kommenden Stunden und Tagen (Überblick)
    • Teil 1: Von Kempten nach München, durch München und im Landgericht
    • Teil 2: Von München nach Frankfurt mit unfreiwilligen Zwischenstopps
    • Teil 3 ist dieser Text hier
    • Teil 4: Prozess am 5.3. in Gießen
  • Informationen, Gesetzestexte und -kommentare, Urteile und Studien zum Nulltarif unter www.schwarzstrafen.de.vu.
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