Der Kalte Krieg ist in Deutschland brutaler geführt worden als bislang bekannt. Das belegt die Studie eines Historikers, die dem SPIEGEL vorliegt: Eine sogenannte Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit verübte in der DDR Anschläge.
Hamburg - Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit e.V. (KgU) präsentierte sich in Zeiten des Kalten Kriegs als humanitäre Organisation, die Menschenrechtsverletzungen in der DDR dokumentierte und Opfern des SED-Regimes half. Doch laut einer Studie von Enrico Heitzer (Böhlau Verlag), die dem SPIEGEL vorliegt, hatte die 1948 gegründete KgU einen anderen Schwerpunkt, berichtet der Historiker: Sie unterhielt ein Spionagenetz mit mehreren Hundert V-Männern, verübte Sabotageakte in der DDR und betrieb psychologische Kriegsführung. (Diese Meldung stammt aus dem SPIEGEL. Den neuen SPIEGEL finden Sie hier.)
KgU-Leute beschädigten Strom- und Telefonleitungen und zerstörten Maschinen. Nach Einschätzung der CIA verursachte der Verein Schäden in Millionenhöhe. Ab 1949 finanzierte der US-Geheimdienst die KgU, ohne diese vollständig kontrollieren zu können. Von der KgU zu verantwortende Todesfälle lassen sich laut Heitzer aus den Unterlagen nicht nachweisen.
Sicher ist, dass die KgU in Leipzig 1951 Brandanschläge mit Phosphorampullen auf belebte HO-Läden durchführte. Auch die Sprengung von Schleusen und Eisenbahnbrücken wurde vorbereitet, doch die Täter flogen auf. Die Stasi und der sowjetische Geheimdienst verfolgten die KgU mit großer Härte. Insgesamt wurden wenigstens 1072 KgU-Leute verhaftet. Die Sowjets erschossen mindestens 121 von ihnen, die DDR richtete 5 hin.
Als die CIA 1959 den Geldhahn zudrehte, löste sich die KgU auf.
Das was angeblich nicht bekannt war
aus: http://mfs-insider.de/Abhandlungen/Burianek.htm
Der Fall Burianek
Anmerkung: Alle Fakten und Zitate dieses Beitrages wurden dem Urteil des Obersten Gerichtes der DDR vom 25.05.1952 gegen Burianek und 6 Andere (1 Zst (I) 6/52 ) , veröffentlicht in Urteile des Obersten Gerichtes, Band 1 (1952), Seite 230 – 280, entnommen. Das Urteil basiert auf den Geständnissen der Angeklagten, den Aussagen von Zeugen, kriminaltechnischen Gutachten und Beweisstücken.
Johann Burianek, geb. 16.11.1913, (im folgenden: B.) war im November 1949 von einem Gericht der DDR wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, weil er in den letzten Kriegstagen aus eigener Initiative einen desertierten deutschen Soldaten festgenommen und zur Kommandantur gebracht hatte. Dieser entging nur infolge besonders glücklicher Umstände seiner sofortigen Erschießung. Die Strafe wurde bereits im April 1950 zur Bewährung ausgesetzt. Er fand danach Arbeit als Kraftfahrer im VEB Secura-Mechanik Berlin.
Vom Juli 1950 bis März 1951 schleuste B. nach eigenen Angaben zwischen 4 – 6.000 Hetzschriften („Kleiner Telegraf“ und „Tarantel“) in den demokratischen Sektor von Berlin ein und brachte sie hier zum Versand. Für je 50 Stück erhielt er 5,- DM in Westwährung. Sein Auftraggeber im „Telegraf“ wechselte im März 1951 zur „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) in Nikolassee, warb ihn für diese Organisation an und betraute ihn zunächst mit der Verbreitung noch wesentlich größerer Mengen von Hetzschriften, Flugblättern und Klebezetteln in Ost-Berlin. Danach wurde B. an die Dienststelle der KgU in Berlin-Charlottenburg vermittelt.
Schon davor hatte B. begonnen weitere Personen in seine gegen die DDR gerichtete Tätigkeit einzubeziehen und er rekrutierte nun alle anderen Personen seiner Gruppe mit Ausnahme einer ihn von der KgU (im folgenden auch als Hildebrandt-Gruppe bezeichnet) zugeordneten, bereits vorher angeworbenen Person.
Diese von B. geleitete Gruppe dehnte bei weiterer Hetzschriftenverbreitung ihre Aktivitäten auf Werkspionage aus und erreichte z.B., dass eine Sendung von 5.000 Spiralfedern in Westberlin beschlagnahmt wurde, wodurch die Produktion der Weckerabteilung des VEB Secura für einen Monat ausfiel.
„… Anfang Juli ging man am Kurfürstendamm angesichts der bevorstehenden Weltfestspiele der Jugend und Studenten zur Vorbereitung von Terroraktionen über. Tietze beauftragte den Angeklagten Burianek, mit seiner Gruppe, die mit der Annahme dieser Aufträge den Übergang zur Bande vollzog, dieses große Friedensfest der Jugend mit allen Mitteln zu stören. Es sollten Stinkbomben in Menschenansammlungen geworfen, Transparente und Fahnen mit Phosphorampullen verbrannt, so genannte „Reifentöter“ auf den Anfahrtsstraßen ausgelegt und insbesondere alle Festsäulen an der Stalinallee durch Brandsätze vernichtet werden. Für diese Zwecke übergab Tietze dem Angeklagten Burianek 1.000 Reifentöter, 150 Stinkbomben, eine große Anzahl Phosphorampullen und 5 Pakete mit Brandsätzen im Format 15 x 5 x 5 cm, die in Papier eingewickeltes Thermit und darüber als Zündung eine in Filmstreifen eingewickelte Phosphorampulle enthielten…“
Ein Ingenieur aus der Bande des B. konstruierte zwei Wurfmaschinen zur Inbrandsetzung von Objekten auf größere Entfernung und entwickelte eine Konstruktion, deren Verwendungszweck darin bestand, HO-Kioske in Brand zu setzen.
B. und seine Bande verteilten Reifentöter und Stinkbomben und versuchten eine Festsäule am Strausberger Platz in Brand zu setzen, was allerdings misslang.
Sie erstatteten der KgU ständig Bericht, z.B. über den Niedergang der mittels Ballon aus Westberlin verbreiteten Hetzflugblätter.
Bei Fortsetzung der Aktivitäten zur Verbreitung von Hetzschriften und Erledigung diverser Spionageaufträge gingen B. und seine Bande auch zur Vorbereitung von Sabotage- und Diversionsakten über. So beschaffte sich B. eine Skizze über die Lage der Starkstromanschlüsse beim VEB Secura, über die Lage des Kabelnetzes im Funkhaus des Berliner Rundfunks und über die Leitung vom Funkhaus zum Sender und ließ Möglichkeiten prüfen, ob und wie über ein Vorsatzgerät eigene Hetzsendungen beim Berliner Rundfunksender ausgestrahlt werden könnten.
B. erkundete Möglichkeiten zur Stilllegung des Kraftwerkes Klingenberg und schlug seinen Agentenführer bei der KgU vor, dazu ausgebohrte mit einer Sprengladung versehene Briketts zu verwenden.
Einen Auftrag, zu erkunden, welche Schlüssel zur Öffnung der Verteilerkästen des Fernmeldeamtes Lichtenberg benötigt würden, konnte er wegen anderer Spezialaufträge nicht erfüllen. Vorgesehen war die Anbringung von Sprengladungen in diesen Verteilerkästen.
Im Oktober 1951 entwickelte B. einen Strukturplan für einen (Ost-)Berliner Führungsstab der KgU, der für die gesamte Störtätigkeit in der DDR verantwortlich sein und sich in Zehner-Gruppen organisieren sollte.
Im Oktober und November 1951 verpflichtete B. die Mitglieder seiner Bande schriftlich zu unbedingtem Gehorsam und strikter Befolgung aller ihnen erteilten Aufträge zur „Bekämpfung des Kommunismus, wo immer er auftritt“. Die Verpflichtung enthielt ferner den Zusatz, dass „Verrat mit dem Tode bestraft“ wird.
„Mit Beginn des Jahres 1952 gingen Burianek und seine Bande im Auftrag der Hildebrandtgruppe zur höchsten Form ihrer verbrecherischen Tätigkeit, zu mit unmittelbarer Gefahr für Menschenleben verbundenen Diversions- und Terrorakten über. In einer der Besprechungen mit Saalmann wurde dem Angeklagten Burianek eröffnet, dass die Zeit des Zettelklebens und Stinkbombenwerfens jetzt vorbei sei, dass man jetzt zu größeren Aktionen, zur Vernichtung von größeren Maschinen durch Spezialsäuren, zur Anlegung von Bränden, zur Terrorisierung hervorragender demokratischer Persönlichkeiten, zu Überfällen auf Volkspolizeiposten und zur Sprengung wichtiger Objekte übergehen müsste.
Die Dienststelle der Hildebrandtgruppe am Kurfürstendamm verfügte über alle Mittel zur Durchführung dieser Aufträge…
Die Dienststelle am Kurfürstendamm unterhält ein eigenes Laboratorium mit zwei fest angestellten Chemikern, von denen einer auf die Herstellung bzw. chemische Zusammensetzung von Explosivstoffen spezialisiert ist. Ein eigener Techniker … arbeitet eng mit ihm zusammen und stellt Zeitzünder und Kontakte für die Sprengladungen und Brandpakete her, wozu meist billige HO-Uhren verwendet werden…
Außerdem sind die Chemiker der Hildebrandtgruppe mit der Herstellung von Geheimtinten zur gefahrlosen Nachrichtenübermittlung, von Betäubungsgiften für Injektionsnadeln, die bereits während der Weltfestspiele erstmals zur Anwendung kamen und den Gestochenen mehrere Minuten besinnungslos machen, und mit der Herstellung von Spezialsäuren zur Einfüllung in Benzintanks bei Kraftfahrzeugen und in die Lagerstellen und Ölwannen von Maschinen befasst. Der Angeklagte Burianek brachte laufend, aus Tarnungsgründen aus dem demokratischen Sektor Berlins etikettierte Flaschen zur Abfüllung dieser Säuren zum Kurfürstendamm. Von Roller erfuhr er, dass mit dieser Säure u. a. eine hydraulische Presse von 50 t Leistungsfähigkeit in einem Oberschöneweider Betrieb stillgelegt wurde.
Die Dienststelle der Hildebrandtgruppe am Kurfürstendamm verfügt ferner über Bestände an Handfeuerwaffen, Munition und Handgranaten. Der Zeuge Stüber hat in einer Besprechung des Agenten Roller mit der im amerikanischen Sold stehenden Terroristengruppe „3 Bastiane“, Angehörige der sogenannten Industriepolizei, die über eigene Motorräder verfügen, beigewohnt, in der Roller die „3 Bastiane“ beauftragte, mit einem mit Sprengstoff beladenen Lastkraftwagen in die Gegend von Wannsee zur Sprengung eines an der Autobahn gelegenen Objektes zu fahren und bei eventueller Verfolgung durch die demokratischen Abwehrorgane Nebelhandgranaten hinter sich zu werfen, um den Verfolgern die Sicht zu nehmen…“
Ende Januar 1952 wurde B. beauftragt, den Volkspolizeiposten in Dreilinden zu überfallen und aller erreichbarer Unterlagen, insbesondere der Fahndungsbücher zu berauben. B. hatte dazu wochenlang nachts die Postenablösung und Örtlichkeit beobachtet und war mit einer Pistole ausgerüstet worden.
Zwei Versuche zur Ausführung dieses Auftrages scheiterten, da zunächst ein eingeplantes Fahrzeug einen Unfall hatte und beim zweiten Versuch mit zwei weiteren Tätern B. im Postenhaus noch mehrere andere Posten vorfand, was ihm sein Vorhaben als zu riskant erscheinen ließ.
Danach fasste B. den Entschluss, den D-Zug Berlin-Warschau-Moskau, den sog. Blauen Express durch Sprengung der Bahnstrecke auf einer etwa 2 km hinter Erkner gelegenen Eisenbahnbrücke über die Autobahn zur Entgleisung zu bringen. Er erkundete den vorgesehenen Tatort, die Durchfahrtszeiten des Blauen Express und der davor und danach fahrenden Züge sowie den Autoverkehr unter der Brücke, legte fest, wann und wo die Sprengladung einzubauen sei und suchte ein Versteck für einen Flucht-Pkw. Der Anschlag war für den 21. Februar 1952 vorgesehen. B. wurde dazu mit einem Sprengstoffkoffer ausgerüstet und zu dessen Einbau, zum Anschließen des Elektrokontaktes und zur Verlegung des Zündkabels auf der Schiene instruiert. Am Vorabend des geplanten Anschlages erfuhr B. zu seiner Enttäuschung, dass die KgU ihn das versprochene Fluchtfahrzeug nicht stellen konnte, stellte das Vorhaben zurück und nahm umgehend Verbindung zur Dienststelle des amerikanischen Geheimdienstes CIC auf, bei der er solche organisatorischen Pannen ausschloss. Dort zeigte man sich aber nur an Spionageaufträgen interessiert und B. wurde auf Probe für ein Salär von 30,- DM in Westwährung je Auftrag hier angestellt.
Der KgU-Agent Roller gab sich mit dem gescheiterten Anschlag in Erkner jedoch nicht zufrieden und kam mit der Bande der „3 Bastiane“ überein, statt der Erkner-Brücke die Eisenbahnbrücke bei Spindlersfeld in der Nacht vom 29. Februar zum 1. März zu sprengen. B. wurde von ihm mit diesen Terroristen bekannt gemacht und erhielt den Auftrag, den Sprengstoffkoffer am 29. Februar abends an diese zu übergeben, was er - verbunden mit einer Einweisung zur Handhabung - auch erledigte. Er selbst begab sich am Morgen danach an den Tatort, um die Wirkung des Anschlages zu prüfen. Die Volkspolizei hatte aber die Verbrecher bei der Anbringung der Sprengladung überrascht und sie unter Zurücklassung des Sprengstoffkoffers zur Flucht gezwungen, wobei im Feuergefecht einer der „3 Bastiane“ verwundet wurde.
Noch ehe B. am 5. März 1952 seinen Spionagebericht beim CIC abliefern konnte, wurde er verhaftet. Ein Mitglied seiner Bande versuchte noch vor einer zu erwartenden Wohnungsdurchsuchung Phosphorampullen aus der Wohnung des B. zu entfernen und die KgU zu verständigen, wurde aber ebenfalls verhaftet.
Das Oberste Gericht der DDR ließ sich bei seinem Urteil maßgeblich davon leiten, dass sich unter Leitung von B. im Auftrag der terroristischen Organisation KgU Personen zur Begehung schwerster Verbrechen bandenmäßig zusammen geschlossen hatten, nach der heutigen Terminologie also eine terroristische Vereinigung gebildet hatten und in dieser aktiv tätig geworden sind.
„…Mit der Verurteilung des Angeklagten Burianek hat das Oberste Gericht zum ersten Mal ein Todesurteil verhängt. Noch niemals hat aber auch bisher vor dem Obersten Gericht ein so skrupelloser und gefährlicher Verbrecher zur Aburteilung gestanden…. Dass er nicht zum Massenmörder geworden ist, ist wahrhaftig nicht sein Verdienst…“
F. d. R.: Wolfgang Schmidt
Berlin, 14.10.2005