Kritiker werfen Stadtverwaltung Parteinahme vor / Protestveranstaltungen dürfen stattfinden
Von Klaus Staeubert
Die Depechen, die zwischen Leipzigs Stadtverwaltung, dem
Landesinnenministerium und der Polizei am Freitag und Samstag
kursierten, trugen alle den Vermerk: "Eilt sehr". Am Ende des
Schriftwechsels stand ein Verbot: Die Versammlungsbehörde im Leipziger
Rathaus untersagte der islamkritischen Bewegung Legida ihren für heute
geplanten Abendspaziergang. Grund: Mit nur knapp 1000 zur Verfügung
gestellten Polizeibeamten sei der Aufzug auf Teilen des Innenstadtringes
nicht abzusichern. Pikant: Mehrere für die gleichen Zeit angemeldete
Gegenveranstaltungen dürfen hingegen stattfinden, so unter anderem eine
Demo unter dem Motto "Pilgerweg" auf dem Ring und eine satirische
Kundgebung vor dem Gewandhaus.
Die Stadt Leipzig erwecke damit den Eindruck, so mehrere Bürgerrechtler
in einem gestern veröffentlichten gemeinsamen Brief,
Sicherheitsinteressen politisch zu interpretieren. Gunter Weißgerber,
Gesine Oltmanns, Uwe Schwabe, Tobias Hollitzer und Siegfried Reipich
tragen das Versammlungsverbot unter anderem deshalb nicht mit, "weil
Gewalt nach politischer Zweckmäßigkeit in verurteilens- und duldenswert
unterschieden wird". Wie berichtet, war es bei vorangegangenen
Kundgebungen der Islamkritiker zu gewaltsamen Ausschreitungen auch auf
Seiten der Legida-Gegner gekommen. Dies deklassiere die Arbeit der
Polizei, kritisierten die Bürgerrechtler in aller Schärfe, "sie soll
demnach rechtsextreme Gewalt verfolgen und linksextreme Gewalt
tolerieren".
Auch der Vorsitzende der Leipziger CDU, Robert Clemen, lehnte die
einseitige Versammlungsverfügung der kommunalen Behörde ab. "Es drängt
sich der Eindruck auf, dass der Polizeinotstand durch die Stadtspitze
nur vorgeschoben wird. Auf diese Weise verbietet sie eine ihr politisch
nicht genehme Demo und lässt die ,willkommenen' Demonstranten gewähren.
Der richtige Weg wäre gewesen, beide Demos unter Auflagen zu genehmigen
oder beide zu verbieten."
Grundrechte müssten sich gerade in schwierigen Situationen beweisen,
sagte Tilman Loos von der Linksjugend Sachsen. "Grundrechte gelten für
alle. So wie zur Meinungsfreiheit gehört, dass jeder Schwachsinn gesagt
werden darf, gehört zur Versammlungsfreiheit, dass für jeden Schwachsinn
demonstriert werden darf."
Jeder nicht stattfindende Aufmarsch von Legida sei zwar positiv zu
werten, erklärte Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete der Linken und
Sprecherin des Aktionsnetzwerks "Leipzig nimmt Platz". "Dass Legida
nicht läuft, darf jedoch nicht das Resultat eines Eingriffes der
Verwaltung in Grundrechte sein."
Für René Hobusch, stellvertretender Kreisvorsitzender der Leipziger FDP
und Stadtrat, ist es nicht die erste Fehlentscheidung der
Stadtverwaltung in Sachen Legida. "Erst Karikaturenverbot, jetzt
Versammlungsverbot", kommentierte der Liberale. "Die Entscheider in der
Stadt der Friedlichen Revolution haben immer noch nicht verstanden, dass
Versammlungsrecht und Meinungsfreiheit unteilbar sind und auch für
Kritiker und Feinde unserer liberalen und offenen Gesellschaft gelten."
Nach dem Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo
hatte die Stadt im Januar den Legida-Demonstranten bereits das Zeigen
von Mohammed-Karikaturen untersagt, nicht jedoch den Teilnehmern der
Protestveranstaltungen.
Zustimmung zur Verbotsverfügung und Kritik am sächsischen
Innenministerium äußerte dagegen Leipzigs SPD-Vorsitzender Hassan
Soilihi Mzé. "Leipzig wird von Dresdner Behörden absichtsvoll in ein
schlechtes Licht gerückt", sagte er. Die Leipziger Polizei sei zur
Einschätzung gekommen, die Sicherheit der Legida-Demo sei nur durch
mindestens 3100 Beamte zu gewährleisten. Das Innenministerium stellte
aber lediglich 1000 Polizisten in Aussicht. "Das ist absurdes Theater",
so Soilihi Mzé.
Zu den Kundgebungen und Entwicklungen um das Demo-Verbot für Legida
schaltet die LVZ ab heute Vormittag einen Live-Ticker unter
www.lvz-online.de.
Leitartikel Von Klaus Staeubert
Bärendienst an der Demokratie
Erst Terrorgefahr in Dresden, nun Polizeinotstand in Leipzig: Zum zweiten Mal innerhalb von Wochen greifen sächsische Behörden zum letzten Mittel und treten das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ungeniert mit Füßen. Der Vorwurf staatlicher Willkür kommt da nicht von ungefähr. Der Eindruck bleibt: Im beschaulichen Sachsenland sind Meinungen jenseits des politischen Mainstreams unerwünscht.
Meinungs- und Versammlungsfreiheit bilden die Grundpfeiler der
Demokratie. Genau das unterscheidet sie von Diktaturen. Dafür gingen vor
25 Jahren Abertausende in Leipzig, Ost-Berlin und Dresden auf die
Straßen. Mögen politische Haltungen noch so unbequem, Losungen auf
Plakaten schonungslos, provokant und abstrus sein - unsere Demokratie
kann, ja sie muss Pe- und Legida aushalten.
So verständlich die Sorge von Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung
(SPD) auch sein mag, seine Stadt könnte ohne massivsten Polizeischutz
heute Abend wegen eines Legida-Aufmarsches im Straßenkrieg versinken, so
sehr offenbart das Agieren seiner Versammlungsbehörde ein Dilemma, in
das sich die Stadtpolitik lange vor dem Gida-Phänomen hineinmanövriert
hat. Wer nur von der Bedrohung durch gewaltbereite Rechte redet, aber
vor dem Extremismus von links die Augen verschließt, muss sich nicht
wundern, wenn er die Geister, die er gewähren ließ, nicht mehr loswird.
Denn nicht die vielen Leipziger, die seit Wochen einer weltoffenen Stadt
ein Gesicht geben und die friedlich gegen Fremdenfeindlichkeit und
Intoleranz ihre Stimmen erheben, gefährden die Sicherheit in der Stadt
der Friedlichen Revolution. Auch für die paar Hundert Legida-Getreuen
braucht es keine Tausende von Polizisten. Die größte Sicher-heitsgefahr
geht von den etwa 1500 Linksextremisten in Leipzig aus, die Legida den
Kampf erklärt haben.
Dabei hat sich die Bewegung nach ihren drei "Abendspaziergängen"
entzaubert. Vollmundig als Volkes Stimme gestartet, ist sie auf einen
ultranationalistischen Kern geschrumpft. Die Wenigen, die noch übrig
sind und paradoxerweise "Wir sind das Volk" skandieren, stehen ganz
rechts außen. Im Abseits. Viele Wutbürger, die anfangs noch unter dem
Banner des Widerstandes gegen eine vermeintliche Islamisierung des
Abendlandes mitliefen, haben sich abgewandt. Sie wollen mit Neonazis und
Hooligans nicht in einen Topf geworfen werden.
Ausgerechnet jetzt wendet die Stadt eines der härtesten Mittel
staatlicher Repression gegen die unliebsame Randerscheinung an. Legida
ein Versammlungsverbot zu erteilen, gleichzeitig aber den Protest der
"guten Leipziger" zuzulassen, erhebt die Islamkritiker in den
Märtyrerstand. Das Verbot dürfte Legida wieder Auftrieb geben. Leipzig,
dessen Ruf 1989 als Stadt der Meinungsfreiheit um die Welt ging, hat
damit der Demokratie einen Bärendienst erwiesen.
k.staeubert@lvz.de
Irrtum, Herr Staeubert
> Viele Wutbürger, die anfangs noch unter dem Banner des Widerstandes gegen eine vermeintliche Islamisierung
> des Abendlandes mitliefen, haben sich abgewandt. Sie wollen mit Neonazis und Hooligans nicht in einen Topf
> geworfen werden.
Das glaubt Herr Staeubert. Viele von denen dürften einfach keine Lust mehr gehabt haben, sich Woche für Woche beschimpfen zu lassen und mittels Pfefferspray und Schlagstock den Weg zu ihrer Demo geräumt zu bekommen. Insofern hat nicht LEGIDA sich selbst, sondern haben die Gegendemonstrant_innen und hier besonders diejenigen, die tatsächlich die Zugänge zu LEGIDA blockiert haben, die LEGIDA auf ihren Kern abschmelzen lassen. Was ohne nennenswerten Gegenwind passiert, war in Dresden zu sehen. Dort haben Hooligans und Neonazis auch keinen Wutbürger davon abgehalten, sich mit seinem GEZ-Protest zum rassistischen Mob dazuzugesellen.