Amazon verbuchte sein "erfolgreichstes" Weihnachtsgeschäft, die Beschäftigen hatten nichts davon. Ein Gespräch mit Johannes L. (Name geändert), der seit über einem Jahr bei Amazon in Brieselang arbeitet und Mitglied der Gewerkschaft ver.di ist. Wie bei den meisten seiner KollegInnen ist auch sein Vertrag befristet.
Der Onlinehändler Amazon.de ist zufrieden mit dem Weihnachtsgeschäft, es sei das erfolgreichste aller Zeiten gewesen, ließ die Geschäftsführung verlauten. Du arbeitest im Versandzentrum Brieselang, was haben die Beschäftigten davon?
Wenn man sich anschaut, wie wenige der ArbeiterInnen eine "Entfristung" ihres Vertrages bekommen haben, könnte man denken, Amazon hätte ein sehr schlechtes Jahr hinter sich. Doch das Gegenteil ist der Fall: Das Unternehmen hatte sein erfolgreichstes Weihnachtsgeschäft und mehr neue Prime-KundInnen als je zuvor.
Der Standort Brieselang liegt im internen Ranking der deutschen Standorte im oberen Drittel. Doch von über 1.200 befristet Beschäftigten, die bis zum Jahresende gearbeitet haben, bekamen nur 35 einen Festvertrag. 165 KollegInnen haben einen Vertrag für sechs Monate, 120 nur einen "Gnadenmonat" angeboten bekommen. Das stößt bei vielen auf Unverständnis.
Wieso werden so viele Beschäftigte nur befristet angestellt?
Amazon-VertreterInnen argumentieren zwar immer damit, die Angestellten wüssten von vornherein, dass sie nur bis zum Ende des Jahres einen Job haben. Doch bauen sie mit ihren "Feedbacks" bei den MitarbeiterInnen die Hoffnung auf, dass sich ihre Leistung auszahlen wird. Der Kapitalist will eben aus allem den größten Profit – Amazon ist dafür ein Paradebeispiel. Durch die Befristungen kriegt das Unternehmen nicht nur 100%, sondern 120% oder 150% der Arbeitskraft seiner Beschäftigten.
Erst vor einem halben Jahr wurde in Brieselang ein Betriebsrat gewählt. Welche Möglichkeiten hat er?
Unsere Betriebsräte sind noch jung und unerfahren. Das nutzt die Geschäftsleitung aus, wo sie nur kann. Bei den Vertragsverlängerungen und Entfristungen wurde das Mitspracherecht des Betriebsrates einfach übergangen. Das Management behauptet aber jetzt, er habe seine Zustimmung verweigert. Das soll bei den Kollegen das Gefühl auslösen, dass der Betriebsrat gegen die Beschäftigen sei. Das größte Problem ist jedoch zur Zeit, dass einige Betriebsräte, die der Geschäftsleitung nicht passen, zu den KollegeInnen gehören, die nur einen Vertrag bis Ende Januar bekommen haben. Dass drei dieser KollegInnen zudem ver.di-Mitglieder sind, scheint mir kein Zufall zu sein.
Was unternehmt ihr jetzt gegen die Befristungen?
Da wir nicht mehr viel Zeit haben, versuchen wir in erster Linie, unsere KollegInnen aus ihrer Ohnmacht aufzuwecken. Viele glauben, dass sie nichts gegen das Auslaufen ihrer Verträge machen können, sie nehmen es einfach hin. Wir haben einige Aktionen gestartet, wie zum Beispiel eine Protestkundgebung vor dem Tor. Ein Punkt wird sein, dass wir eine Unterschriftensammlung starten werden, wo wir auf die Unterstützung und Solidarität aus der Bevölkerung zählen.
Amazon hat zwei neue Versandzentren in Polen eröffnet. Welche Auswirkungen hat das auf den deutschen Markt?
Damit wird Druck auf die Gewerkschaften erzeugt: Wenn sie weiter streiken, droht Amazon damit, die deutschen Standorte zu schließen und ins günstigere Ausland zu verlagern. Zugleich wird den Beschäftigten Angst gemacht, dass ihre Arbeitsplätze nicht sicher sind.
Diese Angst ist aber unbegründet. Die Standorte in Deutschland sind viel zu wichtig für die zügige Zustellung, das Kerngeschäft von Amazon. Ohne die schnellen Lieferungen würden sich die KundInnen früher oder später auch bei den anderen AnbieterInnen umschauen.
An sechs von acht deutschen Amazon-Standorten wird gestreikt. Wie wirkt sich das auf euren Betrieb aus?
Amazon sagt immer wieder, die Streiks hätten keinen Einfluss auf die Lieferungen. Ich sehe das anders: An den Tagen, an denen andere Standorte streikten, hatten wir in Brieselang viel mehr zu tun. Kaum waren diese Streiks zu Ende, normalisierte sich der Arbeitsanfall.
Außerdem heißt es, die KollegInnen in Polen hätten zwölfstündige Schichten fahren müssen, um die Streiks in Deutschland abzufedern. Wenn der Ausstand keine Auswirkungen gehabt hat, wie die Geschäftsführung behauptet, wieso gab es dann die Überbelastung an anderen Standorten?
Interview: Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
Eine kürzere Version des Interviews erschien in der jungen Welt vom 19.01.