[MR] Mackerhaufen, Männerbünde, Messerstecher

Burschis? Nein Danke

Es ist schwer, angesichts der Tragik der Geschehnisse Worte zu finden. Dieser Text ist ein Versuch unsere Fassungslosigkeit in Worte zu fassen. Wir können die Umstände des Mordes nicht vollends nachvollziehen, kennen nur wenige Details. Was wir jedoch können, ist, die Motive der Tat hinterfragen und die scheinheilige Diskussion um die Geschehnisse kritisieren.

 

Am 11.10. dieses Jahres wurde in der Reitgasse ein 20 jähriger Studierender erstochen. Der Täter ist Mitglied in der Landsmannschaft Nibelungia Marburg. Der gewaltsame Tod eines jungen Menschen macht Viele nicht nur fassungslos und betroffen, er wirft auch die Frage auf wie es zu dieser Gewalttat kommen konnte. Anwohner_innen und Marburger Politik sind sich hier schnell einig geworden, Alkoholkonsum, lange Kneipenöffnungszeiten, Saufgelage insgesamt seien, zusammen mit nicht ausreichender Polizeipräsenz die Ursache für zunehmende Gewalt in der Oberstadt. Diese verallgemeinernde Argumentation verschleiert nicht nur die Motive des Täters in diesem Fall, sondern lässt Gewalt als eine spontane Handlung Betrunkener erscheinen. Wenn jedoch ein Verbindungsstudent einen Unbewaffneten niedersticht, steht hinter dieser Gewalttat auch eine gewaltförmige Sozialisation und eine autoritäre Ideologie innerhalb von Studentenverbindungen.

 

Vaterland, Freundschaft, Ehre; Wahlspruch der Landsmannschaft Nibelungia

 

Die Landsmannschaft Nibelungia ist eine farbentragende und pflichtschlagende Studentenverbindung, sie ist organisiert im Coburger Convent (CC) zusammen mit anderen, ähnlich gesinnten Landsmannschaften und Turnerschaften. In ihren Bräuchen ist das Verteidigen der eigenen Ehre mittels körperlicher Gewalt fest angelegt. Zwar wird die Satisfikation1 inzwischen nicht mehr mit der scharfen Klinge ausgetragen, die Wesenszüge des Männerbundes, der auf unbedingten Gehorsam und die Unterwerfung des Individuums unter die Gemeinschaft ausgerichtet ist, bleiben jedoch erhalten. So besteht im Zusammenleben der Verbinder ein komplexes Regelwerk an gesellschaftlicher Etikette, das nicht nur auswendig gelernt werden muss, sondern dessen Einhaltung mittels entwürdigender Strafen und Ausschluss aus der Gemeinschaft forciert wird. Wer diese Etikette nicht beachtet, entehrt damit die Verbindung, sich selbst und nicht zuletzt den jeweiligen Gegenüber und wird bestraft, um selbige Ehre wiederherzustellen bzw. zu verteidigen.

Die Ehre, die da verteidigt werden soll, ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Würde, die jedem Individuum innewohnt, es ist die Ehre als Mann, die Ehre des Vaterlandes und die Ehre des eigenen Standes, die verteidigt wird. Aus diesem Grund werden Menschen, die hinterfragen, ob rituelles Wettsaufen und elitäres Gehabe besonders ehrenvoll sind, in der Logik der Verbinder zu „verweiblichten Männern“ bzw. „vermännlichten Frauen“, „Vaterlandsverrätern“ oder „Asozialen“. Entsprechend dieses Feindbildes muss sich verteidigt werden, auch mit körperlicher Gewalt.

Dass betrunkene Männerhaufen sich, weil sie sich in ihrer Ehre verletzt fühlen, zur Gewalt greifen, um selbige wiederherzustellen, ist keine Seltenheit und freilich nicht nur bei Verbindungen zu finden. Ein alkoholisiertes, aggressives Mackertum ist der nächtliche Normalzustand deutscher Innenstädte. Studentenverbindungen jedoch unterlegen dieses Mackertum mit einer Ideologie aus Nationalismus, Homophobie und Sexismus. In diesem Weltbild fühlen sie sich durch jene bedroht, die durch ihre Existenz oder Meinungsäußerungen ihre deutschnationalen, patriarchalen Träume platzen lassen, also für ein solidarisches Miteinander außerhalb von Patriarchat und Zweigeschlechtlichkeit eintreten. In dieser Ideologie, die sich ständig durch eine als übermächtig empfundene „Gutmenschenmafia“ bedroht sieht, ist Angriff die beste Verteidigung. Dass aggressive Verbinder sich also mit Messern bewaffnen, wenn sie nachts durch die Straßen ziehen, ist ihrem Empfinden ständiger Bedrohung und der Notwendigkeit zur andauernden Kampfbereitschaft geschuldet.2 Die körperliche Unversehrtheit und das Leben des jeweiligen Gegenübers sind in dieser Logik nebensächlich, die Burschis handeln aus ihrer Sicht heraus ja in Notwehr, indem sie ihre Moralvorstellungen gegen eine ihnen feindlich gesinnte Gesellschaft verteidigen.

 

Burschen, Trolls,...

 

Liest man die zahlreichen Kommentare in sozialen Netzen zu dem Vorfall, so wird klar, dass nicht nur die Burschen die ständige Bedrohung ihres Status als weiße heterosexuelle Männer herbeidichten: Frühzeitig wurden wahlweise „Ausländer“ oder „Asoziale“ als Täter_innen ausgemacht3, denn weiß-deutsche Akademiker_innen könnten eine solche (feige) Gewalttat nicht begehen. Die Projektion der Bedrohung und Konkurrenz ins fremde Andere ist dabei ein Mittel um die eigene Position zu stärken. Diejenigen, denen die Tat(en) in einem rassistischen Beissreflex angedichtet werden, erscheinen im Bild der Täter als sozial minderwertig. Ihnen werden archaisch-patriarchale Großfamilienstrukturen und ein Hang zu organisierter Kriminalität vorgeworfen, mit dem sie sich außerhalb der deutschen Gesellschaft stellten und die berühmte Parallelgesellschaft bildeten. Gleichzeitig lenkt die rassistische Projektion die Ohnmachtsgefühle gegenüber der gesellschaftlichen Realität eines kulturell diversifizierten Zusammenlebens in eine Überhöhung der gesellschaftlichen Wirkmacht von Menschen die als nicht-deutsch gelesen werden. Eine politische Lobby aus Grünen, Linken und „Gutmenschen“ schütze die „Ausländer“ vor dem berechtigten Zugriff durch Volk und Polizei. Auf der einen Seite steht hierbei also die ständige Angst vor zahllosen gewalttätigen Fremden, denen von Politik und Polizei nichts entgegengestellt werde, auf der anderen werden diese gleichzeitig als „Sozialschmarotzer“, „faul“ und „drogenabhängig“ abgestempelt.

Die einzige Gegenwehr, die der „gefühlten Minderheit“ der weißen Heteros noch bleibt, ist, neben rassistischem Gejammer im Internet, auf der Straße im wahrsten Sinne „seinen Mann zu stehen“. Dabei werden sowohl jene angegriffen, die als Feinde erkannt wurden, also Schwarze, People of Color, LGBTI und andere die im beschränkten Weltbild besoffen-patriarchaler Männlichkeit keinen Platz haben, als auch im Rausch aus Gewalt und Geltungsdrang bei den eigenen Leuten für Kollateralschäden zu sorgen.4

 

und Büttel

 

 

Die Marburger Lokalpolitik reagiert auf den Mord entsprechend ihres Auftrages zur Wahrung von Recht und Ordnung. Nicht die Gesinnung des Täters und seines Umfeldes werden als Triebfeder der Tat genannt, sondern Alkoholexzesse auf der Straße. Alkohol wird hier vom Katalysator von Gewalt zur Ursache derselben umgedeutet. Die geplanten Präventionsmaßnahmen reichen dementsprechend von Kameraüberwachung bis zu Alkoholverboten auf öffentlichen Plätzen. Das Saufen soll in die wohlgeordneten und profitableren Innenräume der Marburger Studierendenkneipen verlegt werden. Patriarchal männliche Gewalt macht jedoch nicht vor den Kneipentüren halt. Die von der Stadt geforderte Politik verlagert vielmehr die sexistischen, homophoben und rassistischen Übergriffe besoffener Männerhaufen in ein weniger öffentliches Ambiente. Draußen bleiben dabei all diejenigen, die sich das Gasthaus-Saufen nicht leisten können oder wollen . Sie sind somit den Repressalien von Bullen und Ordnungsamts-Schergen ausgesetzt, die in ihrer Ideologie den Burschen in Nichts nachstehen.

Zusätzlich zu den nachtaktiven Handlanger_innen des Staates patrouillieren immer mehr private Sicherheitsdienste die Straßen. Diesen fast ausnahmslos männlich besetzten Schlägertrupps bietet sich dabei die Möglichkeit ihre ganz persönlichen Moralvorstellungen in fast rechtsfreiem Rahmen und mittels körperlicher Gewalt umzusetzen5. Die Folge sind rassistische Türkontrollen an Diskotheken, körperliche Angriffe bei Widerspruch und offene rechte Gewalt. Die Forderung nach mehr privater Security ist wenige Wochen nach dem Aufdecken einer massiven, organisierten Misshandlung von Refugees in Heimen und Lagern durch private Sicherheitsdienste blanker Hohn.

 

Die Stadt sollte sich vielleicht mehr Gedanken um die Burschenhaufen machen, die am Wochenende die Oberstadt mit ihrer offensiv zur Schau getragenen Schnöseligkeit, ihrem Gegröle und ihrer Aggressivität ungenießbar machen. Straßensperren in der Lutherstrasse wären ein erster Schritt.

Stattdessen werden die Verbinder, nicht nur des Coburger Convents, beim jährlichen Marktfrühschoppen hofiert. Zwar ist man, schweren Herzens und nach langer Diskussion, von der Teilnahme der offen rechtsextremen DB-Burschen abgerückt, das Saufgelage im patriarchalen Männerbund möchte man sich dann aber doch nicht nehmen lassen.

 

Statt mehr Bullen auf der Straße geht es darum, männliche Privilegien zu hinterfragen und anzugreifen, es gilt eine solidarische, antisexistische Praxis zu entwickeln und zu verteidigen und Burschis, Rassisten und patriarchalem Mannergebündel entschlossen entgegenzutreten, im Netz und auf der Straße.

 

 

[Lisa:2]


1Satisfikation: Wiedergutmachung eines Ehrdelikts „mit geeigneten Mitteln“ bzw. die Verpflichtung, eine solche Genugtuung bei erfolgter Beleidigung einzufordern. Geeignet schien lange Zeit z.B. das Fechten

2Dass sie als weiße, männliche Akademiker gerade nicht zu jenen zählen die besonders häufig Opfer von Gewaltverbrechen werden ist hierbei nebensächlich. Mit Quarzsandhandschuhen, Schlagstöcken, Pfefferspray, Messer ausgerüsteten Männerbanden geht es nicht um ihre körperliche Unversehrtheit sondern um den waffenförmigen Beweis ihrer Männlichkeit untereinander und gegenüber dem (imaginären) Feind

3Siehe OP vom 18.10.2014

4Wobei die gewaltförmige Normierung nach Außen sich auch stets nach Innen richtet. Die soziale Hierachie ist in beide Richtungen gefährdet. In Studentenverbindungen dienen hierzu Saufrituale und Ehrgerichte. Gleichzeitig ist es notwendig, sich über das institutionalisierte Betonen der „Freundschaft“ der gegenseitigen Ungefährlichkeit und des Konkurrenzverzichts zu versichern.

5Zusätzlich dienen sie als Söldner_innentruppe für die Geschäftsinteressen der Wirt_innen, wie z.B. die unsinnige Eintrittspolitik diverser Clubs und Bars

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19 94 haben wir uns schon mit den Idioten in Coburg gekloppt wenn die ihren Alkoholkonsum nicht mehr unter Kontrolle hatten & Bierflaschen zerschlagen mussten.

Da gabs aufe Fresse dick & die spackos waren still & ham dann ihren dummen Fackelzug abgehalten.

Das Beste die Sperrstunde gab es in dem Zeitraum des Konvents nicht mehr!

Coburg gibt den Naehrboden solcher faschistoider Aktivitäten.

Pozei auch auf deren Seite Gegendemonstranten wurden gefilmt & kontrolliert.

Da muesste man mal anreisen & massiv Unruhe unter den Kameraden stiften sonst denken die ihnen gehört die ganze Stadt! Denke das das schon lange nicht mehr passiert ist & deshalb so etwas vorkommen konnte.