Die Kurden im Irak. Ein unabhängiges Kurdistan rückt näher

Erstveröffentlicht: 
18.06.2014

Der Vormarsch der Jihadisten im Irak hat die Kurden ihrem Ziel eines eigenen Staates nähergebracht. Damit scheint sich auch die Türkei abzufinden. Doch noch gibt es Hindernisse.

 

Jahrzehntelang haben die Kurden um Kirkuk gekämpft, jahrzehntelang sind sie militärisch und politisch gescheitert. Jetzt haben ihnen die Offensive des Islamischen Staats im Irak und in Syrien (Isis) und der Abzug der irakischen Armee mehr oder weniger auf dem Silbertablett serviert, was sie sonst ohne weiteres Blutvergiessen wohl nicht erreicht hätten: die Einnahme ihrer heimlichen Hauptstadt.

 

Rückendeckung aus Ankara

 

Die Kontrolle über Kirkuk geht einher mit den ersten Erdölexporten der kurdischen Regionalregierung über den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. In den letzten Wochen haben zwei Tanker mit je einer Million Barrel Erdöl den Hafen verlassen. An einer Energiekonferenz in London kündigte der kurdische Energieminister Ashti Hawrami zwei weitere Tankerladungen an. Für Hawramis Behauptung, das Erdöl sei bereits verkauft, gibt es zwar keine Beweise. Doch dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich Käufer finden.

 

Mit den Exporten haben die Kurden einen wichtigen Schritt in Richtung wirtschaftliche Unabhängigkeit getan. Noch ist der kurdische Teilstaat in Erbil weitgehend von den Geldüberweisungen aus Bagdad abhängig. Um die Kurden zum Einlenken zu zwingen, hat die Zentralregierung die Überweisungen seit Anfang des Jahres teilweise gestoppt. Zudem hat Bagdad gegen die Türkei wegen der aus seiner Sicht illegalen Exporte Klage eingereicht. Dass dies Ankara nicht beeindruckt, zeigt deutlich, wie sehr sich die türkische Politik gegenüber den irakischen Kurden geändert hat.

 

Vor sechs Jahren hatte die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den kurdischen Teilstaat im Nordirak noch als ernsthafte Bedrohung gesehen. Als der dortige Regionalpräsident Masud Barzani kürzlich mit einem Unabhängigkeitsreferendum drohte, hat man in Ankara nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Zum Sinneswandel beigetragen hat nicht zuletzt die gemeinsame Interessenlage im Energiebereich. Die Türkei möchte nicht nur ihre Importquellen diversifizieren, Erdogan will sein Land auch zu einem Knotenpunkt für Energieexporte nach Europa machen.

 

Ankara werde seinen Einfluss in Erbil nutzen, um die Ausrufung eines eigenen kurdischen Staates zu verhindern, heisst es in türkischen Regierungskreisen. Gleichzeitig scheint man sich aber damit abzufinden, dass ein unabhängiges Kurdistan nur noch eine Frage der Zeit ist. Die kurdische Regionalregierung mache niemals einen Schritt zurück, sagte der kurdische Ministerpräsident Nechirvan Barzani am Tag der Einnahme von Kirkuk. Das war am vergangenen Donnerstag. Seitdem sind die Peschmerga, die kurdischen Kämpfer, in weitere Gebiete vorgestossen, die zwischen den Arabern und den Kurden umstritten sind.

 

Zahlreiche Bedrohungen

 

Ein Graffito an einer Hauswand in Kirkuk bringt die Stimmung unter den Kurden auf den Punkt: «Daash hat Artikel 140 umgesetzt.» Daash ist das arabische Kürzel für den Isis. Artikel 140 bezeichnet den Verfassungsartikel über das Verfahren, wie der Konflikt um die umstrittenen Gebiete beigelegt werden soll. Umgesetzt wurde davon so gut wie nichts, was nicht nur an der Politik von Ministerpräsident Nuri al-Maliki lag. In den umstrittenen Gebieten leben ausser Kurden vor allem sunnitische Araber sowie sunnitische und auch schiitische Turkmenen. Sie alle lehnen es ab, unter kurdische Oberhoheit zu geraten.

 

Im Augenblick mag mancher Araber oder Turkmene froh sein über die Präsenz der Peschmerga. Das dürfte aber anders werden, sobald sich die Lage ändert. Teile der Araber kämpfen auf der Seite der Aufständischen, und an einigen Orten haben Turkmenen begonnen, sich ebenfalls zu bewaffnen.

 

Darüber hinaus könnten sich die Extremisten des Isis in unmittelbarer Nachbarschaft der Kurden festsetzen. Dass die Region Kurdistan oder gar die jetzt eroberten Gebiete dann vom Terror des Isis verschont bleiben, ist unwahrscheinlich. Auch sind die Kurden auf das Wohlwollen Irans angewiesen. Teheran ist durchaus in der Lage, die Sicherheit der Region zu untergraben, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat. Die Kurden mögen sich bereits als die grossen Gewinner sehen. Das könnte sich freilich wieder ändern, denn im im Irak hat ein neuer Krieg begonnen.

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