[Istanbul] Türkische Polizei und die Pressefreiheit

Türkische Polizei 1

Wir waren ja nicht die einzigen Journalisten, die sich im Zeitraum um den ersten Mai in Istanbul aufhielten. Einige Freunde aus Frankfurt waren auch da, sie arbeiten gerade an einer Video-Dokumentation. Das wiederum gefiel Erdogans Schlägerbande nicht, also gerieten sie in den Fokus der Zivilpolizei. Wir dokumentieren das Gedächtnisprotokoll der Genossen.

 

Der 1. Mai 2014 begann für uns schon am 26.04.2014. Wir sind nach dem Geziprotest erneut nach Istanbul gereist um eine Doku über den Einfluss der Geziproteste auf die türkische Gesellschaft zu drehen. Im Rahmen dessen haben wir einige Termine mit verschiedenen Menschen vereinbart, die wir Interviewen wollten. Sei es IHD (Menschenrechtsverein), CHD (Anwälte), Gewerkschaften (DISK und KESK), Journalisten, Parteien wie die BDP, HDP, CHP, TGB – und natürlich auch die revolutionären Gruppen.

 

Schon am zweiten oder dritten Tag unseres Aufenthaltes ist uns aufgefallen, dass wir unter Beobachtung standen. Dies wunderte uns keineswegs, da wir diese Erfahrung auch während dem Geziprotest gemacht hatten. Auf der belebten Einkaufsmeile Istiklal Caddesi nähe Gezipark wollten wir uns mit einem Rechtsanwalt am 29.04 für ein Interview treffen. Wir waren ein wenig überpünktlich, so dass wir warten mussten. Kurz darauf wurden wir von ca. 4 Personen angesprochen und gefragt wie es uns gehe und wie uns Istanbul gefällt. Wir bemerkten sofort, dass etwas nicht stimmt. Mit der Zeit bekommt man ein Auge für die Zivis, sagten uns die FreundInnen aus Gazi. Dies war tatsächlich so. Dementsprechend beantworteten wir die uns gestellten Fragen ausweichend. Man machte uns sofort darauf aufmerksam, dass wir keine Probleme machen sollten und mit den Herren aufstehen müssten. Auf die Frage, was das Problem sei, antworteten uns die Zivis (die sich immer noch nicht offiziell als Polizisten zu erkennen gegeben hatten), dass wir genau wüssten, worum es geht. Man packte uns an den Armen, sofort wurde nach unseren Taschen gegriffen. Wir haben daraufhin den Menschen in der Umgebung zugerufen, dass wir Journalisten aus Deutschland sind und dass uns Zivis ohne jeglichen Grund mitnehmen wollen. Darauf sammelte sich eine Menschenmasse um das geschehen. Zu spät, wir saßen schon im Transporter der Zivis. Aus dem Auto heraus sahen wir, dass Passanten Fotos gemacht hatten und einige sofort Iirgendwelche Personen angerufen hatten. Wie sich später herausstellen sollte, hatten die Menschen die IHD angerufen.

 

Im Auto redete man nicht mit uns. Was uns verwunderte war die Gelassenheit. Man nahm uns unsere Handys aus der Hand und das Kameraequipment. Auf dem Revier auf der Tarlabasi Straße angekommen, wurden wir aus dem Auto gezerrt und reingetragen. Im Revier nahm man unsere Ausweise und Pässe aus der Hand. Einen Grund für diese ganze Aktion nannte man uns immer noch nicht. Wir versuchten herauszufinden, was passierte und fragten nach dem Grund. Abseits von den Augen der Massen wurde der Ton und die Behandlung rabiater. Man schrie uns an und klatschte uns an den Kopf. Unser Kollege wurde von einem anderen Beamten getreten. Daraufhin versuchten wir uns zu wehren und versuchten, sie daran zu hindern, uns in ein Verhörraum rein zutragen, was sich als schwer herausstellte. Im Verhörraum fingen die Fragen an, weswegen wir hier seien, wieso wir uns mit all diesen Personen getroffen haben. Sie hatten uns anscheinend die ganze Zeit verfolgt, da sie uns alle Termine und die Uhrzeiten nannten. Daraufhin sagten wir, dass wir Journalisten aus dem Ausland sind und dass wir für eine Dokumentation in der Türkei verschiedene Personen Gruppen und Parteien treffen. Wir bestanden auf einen Anwalt bzw. einen Anruf. Dies wurde uns verwehrt. Daraufhin haben wir entschieden, nichts mehr zu sagen. Entweder Anwalt oder nix! Grinsend antwortete uns der Polizist, dass wir wohl jetzt den Termin mit dem Anwalt verpasst hätten und deswegen darauf verzichten müssen.

 

Uns wurde ein Cay angeboten, was wir strikt ablehnten. Dies wurde vom Polizisten mit dem Satz kommentiert „So sind sie die Linken. Ja nichts vom Feind annehmen.” Wir mussten warten. Immer wieder wurden uns Fragen gestellt, die wir nicht beantworteten. Wir verwiesen darauf, dass wir unseren Anwalt anrufen wollen und solange auch nichts sagen werden und dass dies ein Angriff auf die journalistische Arbeit sei. Dies ging dann noch ca. 1 – 1/1/2 Stunden so weiter. Nach den endlosen Fragerunden wurde uns vorgeworfen, dass wir Linke aus dem Ausland seien oder zum Teil Kontakte zu linken Strukturen in der Türkei hätten und dass wir Provokateure seien, „genau wie die beim Geziprotest“. Wir verneinten die Anschuldigung, dass wir Provokateure seien.

 

Kurz darauf wurden politische Fragen gestellt. Zu Gezi, was wir davon halten, was wir von der Regierung der AKP halten, zu Kurden, der revolutionären Linken und so weiter. Uns fiel auf, dass wir a.) nicht getrennt wurden (mein Kollege und Ich), was normalerweise der Fall sein müsste und b.) dass Fragen gestellt wurden die einen Bezug zu unseren Interviews hatten. Dass die Fragen einen Bezug zu unseren Interviews hatten, machte uns klar, dass unsere Aufnahmen (nur ein Teil, der Rest war auf einem Speicher weit weg) angeschaut wurden und die darauf zu sehenden Personen eventuell gefährdet sein könnten, zumal sie sich sehr kritisch geäußert hatten. Auf diese Tatsache, dass diese Fragen sich auf unser Interview beziehen und dies nicht rechtens sei, bekamen wir die Antwort: „Was für ein Recht? Wovon sprecht ihr?”

 

Danach mussten wir mit dem Polizisten gemeinsam all das Videomaterial anzehen, um am Ende zu erfahren, dass uns diese Videos nicht zurückgegeben werden können. Wir bestanden darauf, die Videos zurückzuerhalten, da dies ein Eingriff in das Presserecht ist und dies nicht einmal protokolliert wurde. Auf diese Aussage unsererseits folgte wieder ein Geschubse, worauf wir den Cops näher kamen, als uns lieb war. Man packte uns und schlug auf uns ein. Nachdem sich alles beruhigt hatte und wir nun dachten, dass wir mindestens eine Woche hier bleiben mussten, kam eine unerwartete Wende. Man teilte uns mit, dass es keinen Grund gebe sich aufzuregen und dass wir jetzt gehen dürfen. Ganz schnell händigte man uns unsere Handys und unser Equipment aus. Wir kontrollierten diese und bemerkten das unsere Aufnahmen nicht mehr da waren. Gelöscht! Wir beschwerten uns erneut und fingen an zu diskutieren, worauf man uns erneut anschrie und dieses mal nach draußen schubste und wir drinnen bleiben wollten. Man schrie uns an: „Überlegt es euch nochmal ob ihr lieber gehen wollt oder hier bleiben wollt für ein paar Tage.“

 

Auf diese Aussage wiederum fing erneut eine Diskussion an und bevor wir es überhaupt mitbekommen hatten, wurden wir aus der Tür nach draußen geschmissen. Nun standen wir draußen zwar frei und nicht verhaftet aber ohne Aufnahmen. Wir mussten denjenigen Bescheid geben, die auf den Videos zu sehen waren, was wir auch sofort taten.

 

Wir haben diesen Vorfall einem uns bekannten Anwalt geschildert und warten noch darauf, eine Information diesbezüglich zu bekommen. Aber der Anwalt teilte uns mit, dass es schwer sein wird, irgendetwas gegen diese Behandlung zu machen, da wir kein Protokoll oder irgendetwas Schriftliches haben und auch nichts Schriftliches bei der Polizei vermerkt wurde. Wir begriffen, dass es nicht um uns ging, sondern um die Menschen, die sich mit uns hingesetzt und geredet haben. Wir begriffen, dass die türkische Regierung Angst hat. Es ist keine Machtdemonstration der AKP-Regierung, sondern ihre Angst, die sich durch Brutalität und Repression ausdrückt. Denn was wir in den 8 Tagen gemerkt hatten, war, dass sich verdammt vieles in der Türkei verändert hat. Die Angst der Menschen ist seit Gezi verschwunden.

 

 


 

 

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