Im Münchner Stadtteil Obermenzing gibt es seit Dezember 2012 ein Neonazizentrum von überregionaler Bedeutung. Im Haus in der Carl-Hanser-Str. 42 geben sich hochrangige Kader des ‚Freien Netz Süd‘ (FNS), der NPD, ihrer Tarnliste ‚Bürgerinitiative Ausländerstopp‘ (BIA) und vieler anderer Naziorganisationen die Klinke in die Hand. Michael Regener, Sänger der mittlerweile verbotenen Naziband Landser, gab im Keller ein exklusives Konzert. Auch André Eminger, enger Vertrauter von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, der im Münchner NSU-Prozess angeklagt ist, war hier schon gern gesehener Gast. Das Nazizentrum existiert schon viel zu lange! Werden wir endlich aktiv und machen den Laden dicht! Kommt alle zur antifaschistischen Demonstration gegen das Nazizentrum am 1. März in Obermenzing!
Angemietet wurde das Haus von Vanessa Becker, Daniel T. und Franz S. Von Anfang an wurde es nicht nur als Wohnung, sondern auch als Veranstaltungs- und Tagungsort sowie als Ausgangspunkt für neonazistische Aktionen genutzt. Im letzten Jahr hat sich die Carl-Hanser-Straße 42 – neben den Räumen des „Versand der Bewegung“ von Matthias Polt in Murnau und dem „Nationalen Zentrum“ im oberfränkischen Regnitzlosau-Oberprex – zu einem der wichtigsten Treffpunkte für Neonazis in ganz Bayern entwickelt. Angesichts der tiefen Verankerung der Drei in der Neonaziszene verwundert das kaum:
Vanessa Becker kandidiert bei den Kommunalwahlen im März 2014 auf dem zweiten Listenplatz für die NPD-Kommunalwahlliste ‚Bürgerinitiative Ausländerstopp‘ (BIA). Die BIA ist im aktuellen Stadtrat bereits durch den stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Karl Richter vertreten. Becker ist seit Jahren Teil der militanten Neonaziszene und bei der „Kameradschaft München“ und der bayernweiten Naziorganisation ‚Freies Netz Süd‘ aktiv. Aus ihrer Gesinnung macht sie kein Geheimnis, auf ihrem facebook-Profil fordert sie: „Nationaler Sozialismus bis zum Tod“.
Daniel T. ist vor einigen Jahren aus Aachen nach München gezogen. Dort war er in der mittlerweile verbotenen ‚Kameradschaft Aachener Land‘ aktiv, die immer wieder Angriffe auf Antifaschist_innen beging. Am 1. Mai 2010 wurde T. am Rande einer linken Demonstration in Berlin verhaftet. In seinem Rucksack hatte er mehrere Sprengsätze, die er zusammen mit anderen Nazis gebaut hatte. Im folgenden Prozess behauptete er, aus der Naziszene ausgestiegen zu sein und wurde lediglich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Nach seinem Umzug nach München beteiligte er sich schon bald wieder an neonazistischen Aufmärschen und Kundgebungen und übernahm eine wichtige Rolle innerhalb militanter bayerischer Nazikreise, u. a. in der Anti-Antifa-Arbeit. T. war zudem presserechtlich Verantwortlicher für ein Flugblatt, das Münchner Neonazis am Jahrestag des faschistischen Oktoberfestattentats an der Theresienwiese verteilten.
Franz S. kommt wie Vanessa Becker aus der neonazistischen Kameradschaft „Freie Nationalisten München“ und ist heute ebenfalls in den Kreisen des FNS aktiv. Bei der BIA-Kundgebungsserie am 30.11.2013 war S. Teil einer Gruppe Neonazis, die am Rand der Neonaziversammlungen versuchte, Antifaschist_innen zu provozieren.
In den letzten Jahren ist es antifaschistischen Gruppen und Initiativen immer wieder gelungen öffentliche Auftritte und Aufmärsche von Neonazis massiv zu stören, zu blockieren und zu verhindern. Nicht zuletzt die Blockaden der alljährlichen Märsche anlässlich des alliierten Bombardements Dresdens im Februar 1945, bei denen mehrere tausend Nazis marschierten, aber auch die vielen Blockaden und Aktionen gegen kleinere Märsche, haben Demonstrationen und Großkundgebungen für Nazis zunehmend unattraktiv gemacht. Die Konsequenz, die die Naziszene daraus zieht, sind die Durchführung kleinerer, meist intern mobilisierter oder spontaner Kundgebungen und szenebildende, subkulturelle Arbeit. Dafür sind Immobilien und Treffpunkte, wie die Carl-Hanser-Straße 42, notwendig. Hier können sie sich treffen, Aktionen vorbereiten sowie Konzerte und andere subkulturelle Events veranstalten. In den Räumlichkeiten fanden u.a. das Konzert des Ex-Landser-Sängers Michael ‚Lunikoff‘ Regener, ein großes Sommerfest, Feierlichkeiten anlässlich des „Samhainfestes“ und diverse Schulungs- und Informationsveranstaltungen statt.
Bei diesen Anlässen stellt sich Besuch von Neonazis aus ganz Bayern ein. Unter anderem waren schon die „Freies Netz Süd“-Anführer Norman Kempken und Tony Gentsch beim Sommerfest zu Gast. Beim selben Fest war auch André Eminger, im NSU-Prozess u.a. wegen Beihilfe zum versuchten Mord, Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt, zu Besuch in Obermenzing. Der Rechtsterrorist Martin Wiese und sein früherer Stellvertreter Karl Heinz Statzberger, heute führend im FNS aktiv, sind hier willkommene Gäste, ebenso die Neonazis Thomas Sch. und Tirza M., die im Zusammenhang mit neonazistischen Schmierereien im Münchner Westend festgenommenen wurden. In der Folge einer antifaschistischen und antirassistischen Demonstration anlässlich des Beginns des NSU-Prozesses in München, gab es Angriffe auf eine Nebenklagevertreterin, die Räumlichkeiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung, den Bayerischen Flüchtlingsrat und ein linkes Hausprojekt.
Ganz bewusst dient das Haus in der Carl-Hanser-Straße aber auch als
Ausgangspunkt für eine Reihe neonazistischer Propaganda-Aktionen in
Obermenzing und den angrenzenden Vierteln: Seit Ende 2012 verteilten
Neonazis mehrfach Flugblätter in der direkten Nachbarschaft und
beispielsweise auch im Umkreis des Pasinger Bahnhofs. Zuletzt
veranstaltete die BIA zweimal rassistische Kundgebungen im benachbarten
Allach. Für die Kundgebungstouren der BIA diente das Haus in Obermenzing
als Ausgangspunkt. Im November 2013 legten Vanessa Becker, Tirza M. und
andere Neonazis aus dem FNS einen Kranz im Andenken an Wehrmacht und SS
am Kriegerdenkmal in der nahegelegenen Pippinger Straße ab.
Polizei und Verfassungsschutz haben die Anmietung des Hauses nicht verhindert und zunächst der Öffentlichkeit gegenüber bewusst verschwiegen. Auch das Konzert des Ex-Landser-Sängers Michael Regener am 15. Oktober 2013 fand unter den Augen der Polizei statt, ohne dass diese aktiv geworden wäre. Seit vielen Monaten kündigt der bayerische Innenminster Joachim Hermann immer wieder mehr oder weniger verklausuliert ein Verbot des FNS an. Getan hat sich nichts. Auch wenn das FNS, das selbst schon Nachfolgeorganisation der 2004 verbotenen ‚Fränkischen Aktionsfront‘ (FAF) ist, eines Tages verbotenen werden sollte, können die Nazis aufatmen. Außer einer bayernweiten Durchsuchungsaktion gegen FNS-Strukturen, mit dem sich das Innenminsterium als Speerspitze des Antifaschismus inszeniert hat, ist nichts passiert. Längst haben sie den Braten gerochen und andere Tarn- und Nachfolgeorganisationen gegründet: Karl-Heinz Statzberger tritt nunmehr für die ‚Partei der III. Weg‘ auf, andere Neonazis aus dem FNS unter dem Banner der ‚Europäischen Aktion‘ oder als lokale Bürgerinitiativen, wie beispielsweise der FNS-Kader Matthias Fischer, der bei den Kommunalwahlen im mittelfränkischen Fürth für die ‚Bürgerinitiative soziales Fürth‘ (BiSF) kandidiert oder Vanessa Becker für die ‚Bürgerinitiative Ausländerstopp‘ (BIA) in München.
Doch wer sich von staatlichen Stellen, insbesondere denen, die dem Innenministerium unterstehen, etwas im Kampf gegen Nazis und Rassismus erwartet, hat von Anfang an verloren. Antifaschistische Erfolge lassen sich nur gegen staatliche Repressionsapparate erreichen: Gegen eine Polizei die Nazikonzerte verschweigt, Naziaufmärsche durchprügelt, die tagtäglich durch rassistische Kontrollen den status quo der Mehrheitsgesellschaft aufrecht erhält, in deren Ermittlungspraxis mögliche rassistische Tatmotive meist von vornherein ausgeschlossen sind, gegen einen Verfassungsschutz der auch nach dem NSU an der Praxis von V-Leuten festhält und durch diese die Naziszene de facto logistisch und finanziell unterstützt, der gegen linke und antifaschistische Initiativen hetzt und diese und ihre notwendige Arbeit durch Extremismustheorie und VS-Berichte diffamiert oder eine Migrationspolitik, die Asylsuchende unter unwürdigsten Bedingungen in Lagern unterbringt, wo diese ein leichtes Ziel des rassistischen Mobs darstellen. Der jüngste Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Germering bei München, bei dem nur durch viel Glück niemand getötet wurde, zeigt die potentiell mörderische Qualität rassistischer Ausgrenzung in Deutschland.
Neonazizentren, haben für die Naziszene eine enorme strategische Bedeutung als Rückzugsort, Treffpunkt, aber auch als Ausgangspunkt für neonazistische Aktionen. Sie stellen nicht zuletzt für all jene eine Gefahr dar, die von Nazis als legitime Ziele gewalttätiger Angriffe angesehen werden. Durch antifaschistische Recherche und Proteste ist es für Nazis schwierig, Räume für Treffen, Tagungen und Veranstaltungen zu finden. Daher haben Münchner Nazis in den letzten Jahren immer wieder versucht eigene Räume zu schaffen, doch auch hierbei konnten ihnen Antifas oft genug einen Strich durch die Rechnung machen. Zum Beispiel im April 2010 als der NPD-Funktionär Roland Wuttke im Münchner Stadtteil Fürstenried Räume anmietete, um dort zusammen mit der BIA und den ‚Freien Nationalisten München‘ ein ‚nationales Jugendzentrum‘ zu eröffnen. Nachdem Antifas das Projekt aufgedeckt und interveniert hatten, wurde der Mietvertrag noch vor der geplanten Einweihungsparty wieder gekündigt. Ein Aufmarsch, den Nazis am 8. Mai des selben Jahres im Stadtteil geplant hatten, wurde von mehreren tausend Antifaschist_innen nach wenigen Metern erfolgreich blockiert. Im Juli des selben Jahres versuchten die Nazis es erneut im Münchner Westen. In der Drygalski-Allee mietete diesmal Karl Richter Kellerräume an, die als ‚Nationales Kultur- und Begegnungszentrum‘ dienen sollten. Schon damals war Vanessa Becker führend an dem Projekt beteiligt. Nach Interventionen von Antifas, wurde den Nazis Ende August die Nutzungserlaubnis für die Kellerräume entzogen. Der Kampf gegen Naziimmobilien hat in München eine lange Tradition: Im Februar 1999 musste die bayerische NPD-Zentrale in der Holzstraße 49 im Münchner Glockenbachviertel nach über 30 Jahren dicht machen. Vorausgegangen war diesem Erfolg eine Reihe antifaschistischer Demonstrationen und Aktionen.
Das Haus in der Carl-Hanser-Straße ist der dritte Versuch von Nazis in den letzten Jahren im Münchner Westen Fuß zu fassen. Leider ist er bis jetzt der langwierigste. Knüpfen wir an die erfolgreichen Proteste gegen Naziinfrastruktur in München an. Machen wir den Laden dicht! Vermiesen wir Nazis und Rassist_innen den Kommunalwahlkampf!
Bahnhof München-Pasing | 01.03.2014 @ 13:00
Zugtreffpunkt Ulm
Der Zugtreffpunkt für Ulm ist um 10 Uhr auf dem Vorplatz des Ulmer Hauptbahnhofes.