Für Chodorkowski schliesst sich der Kreis

Erstveröffentlicht: 
21.12.2013

Aus sowjetischen Resten baute Chodorkowski einen grossen Erdölkonzern auf. Dessen Nachfolger hat seinen Einfluss noch ausgedehnt, dient aber wieder dem russischen Staat.

 

Benjamin Triebe, Moskau

 

Zehn Jahre sind eine lange Zeit, aber keine Garantie für Fortschritt. Als der 50-jährige Michail Chodorkowski am Freitag nach zehn Jahren Gefangenschaft das Straflager in Karelien im Nordwesten Russlands verliess, nahm sein Leben zweifellos eine entscheidende Wende. Doch seine russische Umwelt ähnelt in manchem wieder jener, in der einst seine Karriere begann: Chodorkowski, der sich geschickt aus der Konkursmasse eines zerfallenen Staates bediente, zum reichsten Mann des Landes aufstieg und dessen zweitgrössten Erdölkonzern aufbaute – dieser Mann kehrt nun in eine Gegenwart zurück, in der jener Konzern wieder dem Staat gehört und zum weltweiten Branchenführer avanciert ist. Das war nicht unbedingt zu erwarten, als Chodorkowski während seines Studiums in den achtziger Jahren in den Handel mit Matrjoschka-Holzpuppen einstieg.

 

Zwielichtige Privatisierungen

 

Laut Medienberichten waren es nicht nur Matrjoschka-Puppen, sondern auch Brandy und Jeans, mit deren Vertrieb sich der 1963 in Moskau geborene Chodorkowski während seines Chemie- und Volkswirtschaftsstudiums ein beträchtliches Zubrot verdiente. Noch vor der Wende baute er ein «Zentrum für wissenschaftlich-technische Kreativität der Jugend» auf, das sich allerdings auf Finanzgeschäfte spezialisierte. Später wandelte er es zu einer der ersten russischen Privatbanken und gründete darauf seine Industriebeteiligungen, die er in den Neunzigern während undurchsichtiger Privatisierungen erwarb. Ende 1995 kaufte Chodorkowski so die Mehrheit am Erdölkonzern Yukos – weit unter Wert, wie ihm vorgeworfen wird.

 

Der Magnat modernisierte Yukos, steigerte mit neuen Technologien die Produktion und machte den Riesen profitabler. Es waren wohl nicht nur Chodorkowskis politische Ambitionen und seine Kritik am schon damals amtierenden Präsidenten Wladimir Putin, die ihn 2003 in das Fadenkreuz des Kremls brachten. Chodorkowski hatte mit Yukos viel vor: Zu jener Zeit hielten sich Gerüchte, er wolle ins Ausland expandieren und ausländische Aktionäre ins Boot holen. Auch plante er den Kauf des Erdölkonzerns Sibneft vom Magnaten Roman Abramowitsch; zusammen wären beide Firmen zur globalen Nummer vier der Branche aufgestiegen.

 

Der Traum währte kurz: Im Oktober 2003 wurde Chodorkowski Steuerhinterziehung sowie Betrug vorgeworfen und er bei einer Zwischenlandung in Nowosibirsk aus seinem Privatjet gezerrt. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte erst die Hälfte aller Yukos-Aktien und fror dann das Konzernvermögen ein. Bei der Zwangsversteigerung Ende 2004 erhielt eine unbekannte Finanzgruppe den Zuschlag für die wichtigste Yukos-Tochter. Wie sich herausstellte, gehörte sie dem staatlichen Erdölkonzern Rosneft, der damit von einem kleinen Licht zur grossen Flamme avancierte. Bei der späteren vollständigen Zerschlagung profitierte wiederum Rosneft. 2008 gab Chodorkowski an, nicht mehr ins Erdölgeschäft zurückkehren zu wollen. Ein Jahr später wurde ihm wegen Geldwäscherei und Diebstahls der zweite Prozess gemacht.

 

Zuerst als Verwaltungsratspräsident und inzwischen als CEO werden Rosnefts Geschicke von Igor Setschin gelenkt, einem ehemaligen Vizeregierungschef, höchstwahrscheinlich mit KGB-Vergangenheit. Setschin forciert Rosnefts Expansion im Inland ohne Rücksicht auf Minderheitsinteressen. Ironischerweise sucht auch er die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern; der britische Energiekonzern BP ist inzwischen mit knapp 20 Prozent hinter dem Staat der zweitgrösste Aktionär von Rosneft. Aber Setschin tut das mit Einverständnis und zum Nutzen des Kremls. Russlands Erdölproduktion erreichte im November mit 10,6 Millionen Fass pro Tag ein postsowjetisches Rekordhoch, Rosneft fördert laut Bloomberg 5 Prozent des globalen Angebots.

 

Besorgte Investoren

 

So wie die Verhaftung und die Prozesse gegen Chodorkowski neben anderen berühmten Fällen das Investitionsklima und die Attraktivität Russlands für ausländische Kapitalgeber beschädigten, so weckt inzwischen Rosnefts Expansion Besorgnis. In als strategisch wichtig geltenden Branchen – und nichts ist dem Staat wichtiger als Rohstoffeinnahmen – lassen sich bedeutende Geschäfte heute nur mit Moskaus Zustimmung machen. Es darf als sicher gelten, dass Putin Chodorkowski nicht freigelassen hätte, wenn er ihn noch als Bedrohung seiner Macht oder seines staatskapitalistischen Modells ansähe. Die mangelnde Rechtssicherheit für Tausende Unternehmer in Russland bleibt auch nach der Begnadigung.

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Nach Michail Chodorkowski sind nun auch die Musikerinnen von Pussy Riot frei. Weltweit berichten Medien beinahe schon exzessiv. Wie aber sehen die Russen die Ereignisse? TA-Korrespondent Julian Hans erklärt es.

 

 

http://bazonline.ch/ausland/europa/Oligarchen-wie-Chodorkowski-waren-im-...