Politische Bildung in Kooperation mit dem Verfassungsschutz? Konstanz - Vom 15.-17.11.2013 findet an der Universität Konstanz unter dem Titel "'National befreiter Schulhof' statt 'Schule ohne Rassismus'? Neonazistisches Denken und rechte Grauzonen an der Schule: Rechte Ideologie erkennen und erfolgreich intervenieren." ein Workshop statt. Trotz des ehrenwerten Ansinnens, antirassistische Bildungsarbeit in die Lehrer*innenbildung einfließen zu lassen, kommen wir nicht umhin, Kritik zu üben.
"Team meX" an der Uni Konstanz
Einer der beiden Referenten ist freier Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) und arbeitet dort im vielfach kritisierten Projekt "Team meX" (www.team-mex.de/). "Team meX" ist ein Kooperationsprojekt der LpB mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfVBW). "Team meX" soll mit "Zahlen und Fakten" die Sicht der LpB und des LfVBW an den Mann und die Frau bringen. Es ist das Einfallstor der Geheimdienste in die öffentliche Bildung, ohne dass hierfür eine gesetzliche Grundlage besteht.
Für extrem problematisch halten wir, dass der AStA der Uni Konstanz Bildungsveranstaltungen mit einem Referenten organisiert, der mit Geheimdiensten kooperiert. Vom AStA erwarten wir eine klare Position für staatsunabhängige, demokratische Bildung. Nicht umsonst reklamieren Universitäten für sich die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre, ungehindert von jeglicher staatlicher Einflussnahme.
Auch wenn bei "Team meX" meist nicht die Beamtinnen und Beamten des Verfassungsschutzes selbst vor Schulklassen stehen, sondern junge, oft studentische Honorarkräfte, werden auf diesem Weg Deutungsmuster des Geheimdienstes zur politischen Lage im Land kolportiert und salonfähig gemacht. Personen, wie der genannte Referent, bilden, u.a. indem sie ihren Brötchengeber nicht offen nennen, lediglich das Feigenblatt für eine zutiefst antidemokratische Organisation.
Versagen der Öffentlichen Bildungspolitik und untauglicher Ersatz
Der Staat spart massiv bei den Bildungsausgaben, zwingt ausgebildete LehrerInnen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse und stellt scheinselbständige LehrerInnen als "freie" MitarbeiterInnen ein.
Auf dem "Markt" der politischen Bildung verfährt dieser Staat nach dem Prinzip "teile und herrsche". Jene Initiativen, die nicht bereit waren, unsägliche Selbstverpflichtungen über ihre Verfassungskonformität abzugeben, wurden und werden als extremistisch gebrandmarkt und somit vom "Markt" gedrängt. Was demokratisch ist und was nicht, soll nicht der Staat, sondern die Gesellschaft bestimmen!
Politisch gefärbte Bildungsarbeit der Geheimdienste
Geheimdienste halten seit Jahren nahezu unbemerkt Einzug in der deutschen Bildungslandschaft. Im Jahr 2005 wurde die Landeszentrale für Politische Bildung von Niedersachen geschlossen, in die Bresche sprang – wir ahnen es – der niedersächsische Verfassungsschutz. Er gestaltet nun dort, wo früher unabhängige und auch mal kritische Referent*innen ein Auskommen fanden, staatstragende Bildungsangebote. Er entwirft die politischen Planspiele für die 10. Klasse, druckt Hochglanzbroschüren und tendenziöse Comics für die Kleinsten. Die wissenschaftlich haltlose "Extremismusthese", die von einer hufeisenförmigen Annäherung der politischen Gegensätze an ihren jeweiligen Enden fabuliert, ist der theoretische Ausgangspunkt dieser Bildungsarbeit.
Geheimdienste sind Teil des Problems
Verfassungsschutzämter der ganzen Republik sind in den letzten zwei Jahren massiv in die Kritik geraten, Führungspersonal musste versetzt werden, in Ruhestand gehen oder wurde abberufen. Was anfangs lediglich wie ein komplettes Versagen der staatlichen "Verfassungschützer" bei der neonazistische NSU-Mordserie aussah, entwickelte sich in kürzester Zeit zu eine schier unglaublichen Skandalserie. Die Versuche der NSU-Untersuchungsausschüsse, offenen Fragen aufzuklären, wurden tatkräftig behindert (Stichwort: Aktenschreddern). Deutliche Hinweise der Opfer und Zeugen auf neonazistische Täter wurden bei den Ermittlungen vollständig ignoriert, statt dessen wurden die Opfer selbst beschuldigt und bespitzelt. Wir erfuhren staunend, wie Verfassungsschutzämter jahrelang Mitglieder der rechten Szene als V-Leute alimentierten und dass ganze Neonazistrukturen erst mit tatkräftiger Hilfe der Verfassungsschützer aufgebaut werden konnten. Leitende Figuren der Neonazis erhielten offenbar über Jahre hinweg staatliche Gelder, die sie wieder in die rechte Szene steckten. Rechte Straftäter wurden sagar aus den Ämtern heraus vor anstehenden Razzien gewarnt. Geheimdienste sind nicht nur unnütz, sondern sie sind Teil des Problems!
Eine Behörde, die mit intransparenten Mitteln, jenseits jeglicher öffentlicher Kontrolle, arbeitet, die bis heute rechte Strukturen verharmlost oder gar fördert, kann keine demokratische politische Bildung betreiben. Jugendliche und Erwachsene sollten nicht vom Geheimdienst "Demokratie" erlernen, sondern von Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft.
Antirassismus - aber bitte richtig
Antirassismus ist wichtiger denn je, gerade angesichts der seit Jahren gerade auch durch den deutschen Staat forcierten Abschottung der Festung Europa gegen die Flüchtlinge des globalen Südens mit vielen tausend Toten. Jeden Tag müssen Flüchtlinge in Deutschland menschenfeindliche Behördenpraxis durch Grenzschutzagenturen, Ausländerbehörden, in Asylunterkünften und Abschiebeknästen ertragen. Wer wie der Inlandsgeheimdienst "Verfassungsschutz" für die Verteidigung dieses Status quo angetreten ist und antirassistische, antifaschistische und basisdemokratische Aktivist*innen unter dem ideologisierten Vorwurf des "Extremismus" bespitzelt und verfolgt, kann kein Kooperationspartner für politische Bildung sein.
Wenn der AStA Referent*innen zum Thema "Schule ohne Rassismus" oder "National befreite Zonen" einladen will, muss er nicht auf das Personal des "Team meX" zurückgreifen. Es gibt zahlreiche antirassistische Initiativen (z.B. aus dem Netzwerk von "Kein Mensch ist illegal") oder kritische JournalistInnen, die die Naziszene und ihre menschenverachtenden Ideologien untersuchen (wir empfehlen die Referent*innennetzwerke der Rosa Luxemburg Stiftung, vom Duisburger Institut für Sprach und Sozialforschung und der antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle Aida in München). Darunter befinden sich auch viele Referent*innen, die Workshops veranstalten und über eine Lehrer*innenausbildung verfügen.
Wer da nicht fündig wird, will nicht fündig werden.
Wir fordern daher den AStA der Uni Konstanz auf, seine Zusammenarbeit mit den genannten Referenten sofort zu beenden!
Keine Zusammenarbeit mit Schlapphüten und deren Gehilf*innen!
(====== Antifaschist*innen aus Konstanz ======)