Pinneberg - Dialog mit einem Überlebenden

Erstveröffentlicht: 
26.10.2013

Ibrahim Arslan spricht im Geschwister-Scholl-Haus über den Mord an seiner Familie bei den Brandanschlägen von Mölln im Jahr 1992.

 

Am 23. November 1992 zünden die Neonazis Michael Peters und Lars Christiansen das Haus der türkischen Familie Arslan in Mölln an. Ibrahim Arslan ist sieben Jahre alt. Mutter Hava kann sich mit einem Sprung aus dem Fenster retten, seine zehnjährige Schwester Yeliz, seine 14-jährige Cousine Ayse Yilmaz und seine Großmutter Bahide sterben in den Flammen. Ibrahim überlebt. Die Feuerwehr entdeckt den Jungen nach vier Stunden in der Wohnung. Die Großmutter hatte ihn in der Küche in nasse Tücher gewickelt.

 

Heute ist Arslan 28 Jahre alt. An die Brandnacht hat er nur noch schwache Erinnerungen. Was bleibt, ist ein chronischer Husten und der Wunsch, das Gedenken an seine Familie am Leben zu erhalten. Auch deswegen ist er am Donnerstagabend ins Geschwister-Scholl-Haus nach Pinneberg gekommen. Im Jugendzentrum wird der Film „Nach dem Brand“ gezeigt. Die Regisseurin Malou Berlin hat die Überlebenden der Familie Arslan über Jahre mit der Kamera begleitet und dokumentierte das Ringen um ein angemessenes Gedenken der Opfer ebenso wie den Wunsch nach einem normalen Alltag.

 

Die Resonanz ist gering. Gerade mal ein Dutzend Besucher finden sich im Geschwister-Scholl-Haus ein. Sie werden im Anschluss an den Film aber mit einem intensiven Gespräch mit Ibrahim Arslan belohnt. Der 28-Jährige erzählt vom Leben nach dem Mordanschlag und dem Frust über die Behandlung, die seine Familie in der Folge immer wieder erfuhr. „Wir waren der Schandfleck von Mölln“, sagt er. Bei Gedenkveranstaltungen seien die Opfer oft nur Statisten. „Wir sollen unsere Sätze sagen und uns dann wieder hinsetzen.“ Zuletzt hätten die Möllner Politiker jede Unterstützung zum Gedenkkonzert anlässlich des 20. Jahrestags verweigert. „Da kommt Jan Delay nach Mölln und spielt umsonst für uns, und der Bürgermeister sorgt sich nur, weil zu viele Autonome aufkreuzen könnten“, empört sich Arslan. Die „Möllner Rede“ anlässlich der Gedenkveranstaltungen sei in der Kleinstadt im Kreis Herzogtum Lauenburg nicht mehr erwünscht. In diesem November wird sie in Hamburg gehalten werden. Ein weiterer Kritikpunkt Arslans: Beim Gedenken an den Anschlag werde ständig die muslimisch-christliche Freundschaft betont. „Es war aber kein religiöser Streit – es war ein Mordanschlag aus Hass“, so der Überlebende. Natürlich sei er für ein gutes Verhältnis zwischen den Religionen, doch der Glaube von Tätern und Opfern habe beim Brandanschlag keine Rolle gespielt.

 

Arslan fühlt sich an diesem Abend sichtlich wohl, sitzt entspannt auf dem roten Sofa im Geschwister-Scholl-Haus. Es ist eine fast familiäre Atmosphäre. Trotzdem schüttelt ihn ständig sein Husten. „Das ist durch das Trauma bedingt“, erklärt er: „Es wird besser, wenn ich im Ausland bin.“ Doch Deutschland ist Arslans Heimat und er möchte gerade deshalb dazu beitragen, dass so eine Tat nie wieder passiert. „Es geht nicht nur um Ausländerfeindlichkeit, sondern auch um Hass gegen Schwule, Lesben und Behinderte.“ Seine öffentlichen Auftritte und der Film sollen ständig an die Folgen dieses Hasses erinnern.

 

Arslan sagt es sei kein deutsches Problem, Rassismus gebe es überall. Er sagt aber auch: „Ich habe auch nach dem Anschlag nie den Glauben an die Deutschen verloren – aber den Glauben an den deutschen Staat.“ Dass die Morde der NSU erst nach über zehn Jahren ans Licht kamen, überrasche ihn nicht.