Das Ruhrgebiet stellte sich am Samstag vereint gegen den Rechtspopulismus. An insgesamt fünf Standorten in drei Städten demonstrierten Bürger gegen die rechte Stimmungsmache. Im Gegensatz zu den übrigen Städten beklatschten in Duisburg Anwohner in Rheinhausen und Neumühl die Parolen von Pro NRW.
Knapp 40 Pro NRWler haben in Bochum am Samstagmittag gegen Flüchtlinge und Zuwanderer protestiert. Mit einem großen, weißen Reisebus kamen die Demonstranten an der Königsallee/Ecke Wohlfahrtstraße an und positionierten sich mit Transparenten vor einem Asylbewerberheim. Gegen 11.45 Uhr begann die halbstündige Kundgebung mit einer 45-minütigen Verspätung mit einer Reihe von Reden.
Zu hören war trotz Lautsprecher nicht viel. Die rund 100 Gegendemonstranten, die sich auf der anderen Straßenseiten vor dem Bominhaus aufgestellt hatten, machten mit ihren Tröten, Rasseln sowie "Nazis raus"- und "Haut ab"-Rufen viel Lärm. "Gegen Pro NRW, NPD und andere Rassisten - Nazis die Show stehlen" und "Frauenverband Courage fordert Verbot aller faschistischen Organisationen" stand unter anderem auf den Plakaten, die die Gegendemonstranten aus dem Kreis der Bochumer Linksalternativen und der Antifa mitgebracht hatten. Auch zwei SPD-Fahnen wurden geschwenkt.
Die Polizei war mit einem großen Aufgebot von 130 Beamten vor Ort. Es gab keine Zwischenfälle zwischen den Demonstranten-Gruppen. Eine Handvoll Passanten schaute sich den Protest an. Die Kundgebung wurde nach einer halben Stunde von Pro NRW-Seite mit dem Abspielen der Deutschen Nationalhymne beendet. Der Gegenprotest dauerte rund zwei Stunden.
Essener solidarisieren sich mit Asylbewerbern - "Rechte haben in Kupferdreh nichts zu suchen"
In Essen hatte Pro NRW zwei Kundgebungen angemeldet. Zunächst wurde in Essen-Frintrop vor einer ehemaligen Schule demonstriert, die in absehbarer Zukunft die Bleibe für neuangekommene Asylbewerber sein soll. Im Anschluss standen sich in Essen-Kupferdreh an einem Kreisverkehr in der Nähe einer Behelfseinrichtung für Asylsuchende Pro NRWler und Gegendemonstranten in unmittelbarer Nähe gegenüber.
Ab 14.05 Uhr versammelten sich etwa 40 Rechtspopulisten vor der ehemaligen Walter-Pleitgen-Grundschule im Stadtteil Frintrop. Dort sollen ab etwa Ende Oktober nach Abschluss von Umbauarbeiten Asylbewerber eine Unterkunft finden. Zu dieser Zeit befanden sich bereits über 50 Menschen in unmittelbarer Nähe, die dem Aufruf des Bündnisses "Essen stellt sich quer" folgten und die Kundgebung, die eigentlich ab 13 Uhr angemeldet war, lautstark übertönten.
Am Rande des Geschehens machten einige Frintroper Anwohner ihrem Unmut über die geplante Asylbewerberunterkunft Luft. Man wolle sich "keineswegs von den Rechtsradikalen" vereinnehmen lassen, sei aber vehement gegen die neue Nutzung der erst im Sommer leergezogenen Grundschule. Die in unmittelbarer Nähe wohnenden Frintroper befürchteten eine eventuelle Vermüllung und hätten Angst davor, dass ihre Grundstücke an Wert verlieren würden. Nach etwa 45 Minuten wurde die Pro-NRW-Kundgebung beendet. Nach Aussagen der Polizei gab es keine besonderen Vorkommnisse.
"Rechte haben in Kupferdreh nichts zu suchen"
In Essen-Kupferdreh warteten um 16 Uhr bereits 100 Gegendemonstranten auf die massiv verspäteten Pro NRWler. Die Gegendemonstranten setzten sich aus einem breiten Spektrum der Bevölkerung zusammen: So schlossen sich wie schon in Frintrop unter anderem Politiker der Partei Die Linke dem "Essen stellt sich quer"-Bündnis an. Der Runde Tisch Dilldorf veranstaltete zunächst ein Friedensgebet und unterstützte dann den Gegenprotest vor Ort. Und neben großen Bannern zeigte auch zahlreiche Bürger Flagge, indem sie sich in form von selbstgemalten Schildern mit Bewohnern des Behelfsheim Dilldorfschule solidarisierten und somit den Rechtspopulisten eine klare Absage erteilten.
Viele Anwohner hießen die neuangekommenen Flüchtlinge willkommen und reagierten verärgert über Pro NRW. "Die Rechten haben in Kupferdreh nichts zu suchen", hörte man aus zahlreichen Mündern. Teile der Bewohner des Asylbewerberheims zeigten sich laut Aussagen von Jürgen Gentzner vom Runden Tisch Dilldorf verängstigt. Der Menschenauflauf und das große Polizeiaufgebot traumatisiere die Menschen.
So soll eine Frau zusammengeklappt und ins Krankenhaus transportiert worden sein. Gegen 16.20 Uhr traf Pro NRW ein und über einen Kreisverkehr hinweg versuchten beide Gruppierungen, sich gegenseitig an Lautstärke zu überbieten. Nach mehreren Redebeiträgen beendeten die Rechtspopulisten ihre Kundgebung gegen 16.50 Uhr, um sich daraufhin in Richtung Duisburg zu begeben, wo zwei weitere Pro NRW-Aufmärsche geplant sind. Die Essener Kundgebungen verliefen nach ersten Erkenntnissen ohne besondere Vorkommnisse.
Aufgeheizte Stimmung bei Kundgebungen in Duisburg - Anzeige wegen rechter Parolen
Auch in Duisburg trifft der Pro NRW-Aufmarsch aus massiven Gegenprotest. Anders als bei dem letzten Gastspiel der Rechtspopulisten in der Stadt, plante das Duisburger Bündnis für Toleranz und Zivilcourage diesmal keine klassische Gegen-Kundgebung geben, sondern stummen Protest : indem die Teilnehmer dem Pro NRW -Tross schlicht mit dem Aktions-Logo „Wir sind Duisburg“ den Rücken zukehren.
Noch bevor die Pro NRWler ihre erste Station in Duisburg auf der Straße In den Peschen in Bergheim erreichte, kam es zu Konfrontationen zwischen verschiedenen Lagern. Offensichtlich hatten sich Anwohner auf die Straße begeben und die Kundgebung des Duisburger Bündnisses für Toleranz und Zivilcourage gestört. Die Anwohner skandierten "Wir sind keine Nazis, sondern besorgte Eltern". Eine Handvoll Personen aus dem linksautonomen Spektrum trat daraufhin aus der Gruppe der Demonstrierenden hervor und lieferte sich ein Wortgefecht mit den Anwohnern.
Die Polizei stellte sich zwischen die beiden Gruppen, um zu deeskalieren. Zu den Anwohnern gesellte sich auch eine Gruppe von 15 bis 20 Männern, die anhand ihrer Kleidungstücke den United Tribuns zuzordnen waren. Die Truppe tritt vor allem im Rockermilieu in Erscheinung und lieferte sich zum Teil blutige Auseinanderungen und Revierkämpfe mit den Hells Angels.
Um 18.30 Uhr kam der weiße Bus von Pro NRW mit - wie schon in Bochum und Essen - etwa 40 Demonstranten an der Straße In den Peschen an. Ihnen gegenüber standen nach Polizeischätzungen zu dem Zeitpunkt etwa 350 Gegenprotestanten - die Rechtspopulisten waren wie schon den ganzen Tag in der klaren Minderheit. Nach circa einer Stunde mit Redebeiträgen und dem erneuten Versuch der beiden Lager, sich gegenseitig zu übertönen, fuhren die Rechtspopulisten in ihrem Bus nach Neumühl, wo die eigentlich für 18.30 Uhr angemeldete Abschlusskundgebung in Neumühl stattfinden sollte.
Auch in Neumühl wiederholte sich das Bild. Während Pro NRW auf sich warten ließ, hatten sich um 20 Uhr zwei Lager im Iltispark gebildet. Auf der einen Seite stand das Bündnis "Wir sind Duisburg", auf der anderen die Gegner eines möglichen Asylbewerberheimes im leerstehenden St. Barbara Hospital . Und in der Mitte hatte sich auch hier die Polizei versammelt, um die Stimmung zu deeskalieren.
Nach Eintreffen von Pro NRW schaukelte sich der Lärmpegel noch mehr in die Höhe, so dass die Situation im Iltispark immer angespannter wurde. Die Demonstrationsgenehmigung wurde im Laufe der Kundgebung, bei der auch einige der Neumühler Anwohner das Wort ergriffen, bis 21.15 Uhr verlängert.
Duisburg als fruchtbarer Boden für Rechtspopulisten
Der Superintendent der evangelischen Kirche in Duisburg, Armin Schneider, zeigte sich entsetzt über die Stimmung in Neumühl: "Was hier passiert, ist schrecklich. Die Anwohner sind völlig emotionalisiert. Ich will aber ausdrücklich nicht jeden Verängstigten in die rechte Ecke stecken", so der Mitinitiator des Toleranz-Bündnisses. "Vor uns liegt viel Arbeit, wir müssen die ganze Situation schnellstmöglich versachlichen."
Und auch der Dortmunder Hanns-Jörg Rohwedder als Landtagsmitglied der Piratenpartei unterstrich die Duisburger Problematik, nachdem er den Tag über die Kundgebungen in Dortmund, Essen und Duisburg mitverfolgt hatte: In Essen war Pro NRW völlig isoliert, dort hatte diese Partei absolut nichts zu melden, doch hier in Duisburg - da treffen sie leider auf fruchtbaren Boden."
Bürgerinitiative protestierte auf dem Marktplatz in Rheinhausen
Bereits um 15 Uhr am Nachmittag hatten Rheinhauser Bürger eine weitere Demonstration gegen Müll und Kriminalität in ihrem Stadtteil gestartet. Auf dem Hochemmericher Marktplatz hatten sich vielleicht 100, maximal 150 Protestler versammelt. Viele Bürger standen eher teilnahmslos am Rand des Marktes und schauten sich das Spektakel aus der Distanz an. Aus den Lautsprechern dudelte zu Anfang noch laut Schlagermusik.
Offiziell richtete sich der Protest gegen "Duisburger Behörden, die untätig zusehen, wie Kriminalität und Vermüllung in unserer Stadt die Ruhe der Bürger zerstört", so Helmut Achterath, einer der Organisatoren der bei der Polizei angemeldeten und genehmigten Demonstration.
Anzeige wegen rechter Parolen
Auch wenn ein Bild des Problemhauses groß auf den Flyer gedruckt wurde, ginge es Achterath und seinen Mitstreitern nicht um eine Demonstration gegen die Bürger im Haus In den Peschen, „Sie können nichts für die Situation, versagt haben Politik und Behörden.“ Deshalb distanzieren sich die Rheinhauser auch von der Kundgebung der rechtspopulistischen Pro-Bewegung .
Während der Protestkundgebung kam es zu einer Anzeige gegen einen Demonstrationsteilnehmer, nachdem dieser rechte Parolen gerufen haben soll. Organisator Achterath verurteilte diese rechten Äußerungen, da solch eine Ausuferung "nicht in seinem Sinne sei". Nach Auflösung der Demonstration gegen 16.30 Uhr, kündige Achterath an, mit Kundgebungen dieser Art fortzufahren, "bis Lösungsvorschläge gemacht würden." Er selber konnte an diesem Nachmittag keine benennen.
Awo in Duisburg grillt gegen Rechts - "Die Rechten sind uns Wurst"
Eine abgewandelte Form des Protests gegen die Rechtspopulisten plante übrigens die Arbeiterwohlfahrt in Neumühl. Die Awo-Integrations GmbH, die sich in dem Stadtteil für ein interkulturelles Miteinander einsetzt, verzichtete auf eine Gegendemo, "die der eher kleinen Schar nur zusätzliche Aufmerksamkeit verleiht", so Geschäftsführer Karl-August Schwarthans, sondern lud ab 17 Uhr zu einem Grillfest auf den Baumspielplatz auf der Alexstraße in Neumühl ein.
Das Motto: „Die Rechten sind uns Wurst. Grillen für ein offenes und tolerantes Neumühl.“ Schwarthans: "Wir wollen Präsenz zeigen, und das auf eine freundliche und gut nachbarschaftliche Art."
Vera Schmidt, Henning Haake, Marc Wolko